Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Zwanzigstes Kapitel

Neunzehntes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Einundzwanzigstes Kapitel
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[172]
Zwanzigstes Kapitel.




Lady H. de W. schrieb mir sofort einen Empfehlungsbrief an eine englische Familie Namens L., welche sich damals in Cintra befand und den Winter in Lissabon zubringen wollte. Schließlich versprach sie mir, kürzlich nach Lissabon zu kommen und sich unterdessen für mich zu verwenden. Dann entließ sie mich mit den unzweideutigsten Zeichen ihrer [173] Gunst. Ich begab mich sogleich mit meinem Briefe zu Mistreß L., welche sich sehr freute, dem vorliegenden Bedürfnisse abgeholfen zu sehen, und engagirte mich sofort für drei Vormittage wöchentlich von der Zeit ihrer Ankunft in der Hauptstadt an. Meine Freude und Dankbarkeit gegen Gott für die glückliche Wendung meines Schicksales war unbeschreiblich, sie ergoß sich, sobald ich allein auf meinem Zimmer war, in einem Dankgebet, und die Thränen des Kummers verwandelten sich in Thränen freudiger Rührung.

Heute gab es indessen keine Reisegelegenheit mehr nach Lissabon, ein Fahrzeug war auch nicht mehr zu haben, und so mußte ich mich bequemen, in Cintra zu übernachten. Als man mir das Fremdenbuch brachte, schrieb ich meinen Namen hinein und darunter die Devise des Hosenband-Ordens: Hony soit qui mal y pense. Am nächsten Morgen reiste ich mit der Post nach Lissabon, und bemühete mich sogleich, eine Privatwohnung zu finden, was dort sehr schwierig ist, weil die Portugiesen es erniedrigend finden, Möbelzimmer zu vermiethen, diejenigen Engländer aber, welche dieses Geschäft treiben, enorme Preise fordern und überdies sehr verrufen sind.

Bis jetzt hatte ich stets allein gespeist, aber eines Tages kam Herr B. zu mir, erzählte, daß sein Freund D. mit seiner Frau aus Paris angekommen sei, äußerte dann den Wunsch, mich ihnen vorzustellen und bat mich, mit ihnen an der table d'hôte zu essen. Ich begab mich daher etwas früher in den Speisesaal, wo ich die drei Freunde bereits fand. Herr und Madame D. waren ein nicht mehr junges Ehepaar, das mit einem feinen, würdevollen Aeußeren eine geistreiche Conversation und die liebenswürdigste Gemüthlichkeit verband. Sie behaupteten, ich spräche das Französisch wie eine geborene Pariserin, und freuten sich, daß ich in Frankreich gewesen war, was sogleich Veranlassung zu der interessantesten Unterhaltung gab.

Bei Tische, wo viele Engländer zugegen waren, wurde viel über die Staatsverfassung Portugals und die Bestimmung der englischen Flotte im Tajo gesprochen; ich erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß ich mich auf unterminirtem Boden befand, aus welchem die Flamme der Revolution jeden Augenblick verheerend emporschlagen konnte, welcher Umstand mir natürlich neue Sorgen verursachte.

Herr und Madame D. luden mich ein, Nachmittag einen Ausflug mit ihnen zu machen, bei welcher Gelegenheit ich den Wasserbehälter, [174] eine der größten Merkwürdigkeiten der Stadt, zu sehen bekam. Dieses ist ein kolossales Steingebäude, welches ein großes Volumen Wasser enthält, das ihm durch einen herrlichen Aquaduct zugeführt wird. Aus diesem Behälter führen unterirdische Röhren das Wasser nach verschiedenen Theilen der Stadt; da es aber nur wenig Brunnen giebt, so wird demungeachtet von den Wasserträgern – galegos – vieles herumgetragen und verkauft. Um das Innere dieses Wasserbehälters führt eine Galerie, von welcher herab man dieses Wunder der Kunst sehr vortheilhaft sehen kann. Es ist in der Hitze der angenehmste Spaziergang, den man sich denken kann.

Wir sahen viele Ruinen, die von dem großen Erdbeben des Jahres 1755 herrühren, welches während eines jener scheußlichen Autodafé’s[WS 1] ausbrach und wenigstens das Gute bewirkte, daß jene grausamen Ketzergerichte nicht mehr wiederholt wurden.

Das Arsenal, die Börse und das Zollamt sind schöne und großartige Gebäude; übrigens ist Lissabon sehr leicht, unregelmäßig und geschmacklos gebaut, weil der Staatsminister Johanns VI., Marquis von Pombal, nach jener schrecklichen Katastrophe ein Mandat ergehen ließ, welches den Zeitraum des Wiederaufbaues der Stadt und das aufzuwendende Kapital für jedes Haus festsetzte, so daß Lissabon nach einem Jahre schon wieder aufgebaut war. Leider entbehren aus diesem Grunde die meisten Häuser der Schleußen und Gossen, weshalb aller Unrath Abends um neun Uhr auf die Straße geworfen wird, bei welchem sauberen Geschäft die verrichtenden Personen jedoch verpflichtet sind, den Ruf der Warnung agua vem erschallen zu lassen, so daß man es wenigstens vorher weiß, wenn eine Ladung Parfümerie im Anzuge ist. Aus dieser kolossalen Unsauberkeit entsteht dann der widerlichste Anblick und für Fußgänger ein fast unnahbarer Phlegeton, weshalb Standespersonen sehr selten das Pflaster betreten. Bei Epidemieen ist diese Unreinlichkeit die Quelle grauenhafter Sterblichkeit, oft entstehen sie selbst daraus, wenigstens sollen bösartige Fieber aus diesen offenen Kloaken bereits mehrmals entsprungen sein. In der Hitze ist der Gestank auf den Straßen nicht blos unerträglich, sondern er verpestet auch das Innere der Häuser, so daß es vollkommen unbegreiflich bleibt, wie eine europäische Regierung einem solchen Scandal ruhig zusehen kann. Ganz anders verhält es sich mit dem sogenannten englischen Viertel, Buones Ayres geheißen, welches breite, reinliche Straßen und massive [175] bequeme Häuser hat. Hier befindet sich die englische Kirche mit ihrem prachtvollen Begräbnißplatze, der englische Gesandtschaftspalast, hier wohnen meist Engländer, und es ist dieses Viertel wegen seiner hohen Lage und Reinlichkeit der gesundeste Theil der Stadt.

Der Handelsplatz, auf drei Seiten von Regierungs-Hotels mit schönen Arkaden verziert, liegt unmittelbar am Kai, ist 615 Schritte lang und 550 breit, somit der schönste Platz der Stadt. In seiner Mitte steht die kolossale Reiterstatue Josephs I. Weit größer, obwohl nicht so schön, ist der Platz Raio, nämlich 1800 Fuß lang und 1400 breit. Zwischen diesen beiden Plätzen laufen die drei schönsten Straßen Lissabons, Augusta, do Ouro und da Prata, parallel neben einander her, andere durchschneiden sie in rechten Winkeln. Das National-Theater, ehemals Palast der Inquisition, nimmt die Nordseite des Platzes ein.

Lissabon, Lisboa, unter den Römern bereits als Felicitas Julia bekannt, und schon unter den Mauren blühend, verdankt nach einigen Historikern seinen Ursprung den Phöniziern. Im Jahre 1433 wurde es von König Johann I. zur Residenz erhoben und erblühete nun zu einer der größten und wichtigsten Städte Europas, welche vor dem Erdbeben eine Bewohnerschaft von 300,000 Seelen hatte. Am westlichen Ende von Lissabon steht das Kloster Belem oder Bethlehem, von Emanuel dem Großen 1499 auf der Stelle gegründet, wo zwei Jahre vorher Vasco de Gama sich zu seiner Entdeckungsreise einschiffte, nachdem er die Nacht zuvor betend in der Kapelle Bethlehem am Strande zugebracht hatte. Es ist im halb maurisch-byzantinischen, halb normännisch-gothischen Style aus weißem Kalkstein erbaut, der mit der Zeit gelb wird. Der Kreuzgang im Innern ist prachtvoll, mit sehr zierlichen Bildhauerwerken bedeckt; alle künstlerischen Arbeiten sind hier mit einer bewundernswürdigen Feinheit und reicher Phantasie ausgeführt. Die Kirche entspricht jedoch dem Style des Klosters nicht, denn sie erhielt weit später ein im italienischen Geschmack erbautes Schiff, welches zu den übrigen Theilen unangenehm contrastirt. Hier stehen die vier Grabmäler Emanuels, seines Sohnes Johanns III. und der Gemahlinnen Beider. Die Särge von röthlichem Marmor ruhen auf schwarzen Elephanten aus demselben Material. Seltsamer Weise ist dieser christliche Tempel, und namentlich die Altäre desselben, mit Reliefs im maurischen Geschmacke verziert, welche theils Kinder auf Drachen reitend [176] und ihnen den Rachen aufreißend vorstellen; unter den Schwänzen derselben erscheinen gepaarte Kröten. Möglich ist es, daß diese Verzierungen eine Prophezeihung des alten Testamentes über das Reich Gottes illustriren sollen, welche sagt, daß das Kind mit dem Löwen, und der Säugling mit der Otter spielen soll. Das Chor und die Stühle der Domherren auf demselben sind mit herrlichen Schnitzereien verziert. Unweit des Klosters steht auf einem hervorspringenden Felsen der Thurm von Belem, im maurischen Style erbaut, auf dessen Plattform sechs Kanonen stehen und der Telegraph sich befindet. Die Wohnung der königlichen Familie ist der Palast Necessidades, früher ein Nonnenkloster, woran das Innere und Aeußere vielfach erinnert. Ein roth übertünchtes, einen Stock hohes Gebäude mit ungefähr dreißig Fenster Front, einem Balcon von unbedeutenden Säulen getragen, und seitwärts ein Glockenthurm, ein simpler Garten, ein Paar innere Höfe und Seitengebäude bilden das Ganze. Nicht weit von Belem steht das Gebäude, in welchem man eine Sammlung alter Wagen aufbewahrt, worunter die Galakutsche des Königs Alfonso Henriquez, gest. 1185, mit sieben venezianischen Spiegelgläsern, jedes von acht Spannen im Geviert, Sitzen von durchwirktem Goldstoff, Vergoldung, Malereien und Aufsätzen von Bronze. Mehrere Equipagen, welche die Form römischer Triumphatorwagen haben, sind zum Herumfahren der Heiligenbilder bei Prozessionen bestimmt.

Bei anbrechender Dunkelheit fuhren wir in’s Hotel zurück, und ehe wir uns trennten, erhielt ich von Madame D. auf morgen eine Einladung zur Spazierfahrt in die Umgegend der Stadt. Um sechs Uhr bestiegen wir schon den Wagen und bald nachher rollten wir zu dem nördlichen Thore der Stadt hinaus nach Cintra zu. Lissabon liegt eigentlich inmitten eines großen Gartens, denn die ganze Landschaft ist mit zahllosen, theilweise köstlichen Sommerhäusern bedeckt, die wieder von fruchtbaren Gärten umringt sind. Hier sieht man eine wahrhaft tropische Vegetation, das Auge erfreut sich am Anblick der schönsten Dattelpalmen, Mangotien, blühenden, mannshohen Cacten, riesigen Bananen, Pisangs und Aloen, deren gigantische Schäfte mit den prachtvollsten Blüthen bedeckt sind. Aus dieser schön cultivirten Gegend kommt man in die schon früher erwähnten unfruchtbaren und felsigen Hügel, welche nur hier und da mit Korn- und Maisfeldern bebaut, von Korkeichen und Oelbäumen durchkreuzt sind. Vier Leguas von der [177] Hauptstadt liegt Cintra; die Bergkette, welche hier von Nord-Ost nach Süd-West geht, ist Granitfelsen mit weißem Quarz und Feldspath. Ungefähr eine Legua vor Cintra sahen wir in der noch öden Gegend das Schloß Quelez, Dom Pedro’s Sterbeort. Bald darauf sahen wir Romalhao, von wo aus wir an den sanften Abhang einer lieblichen Ebene kamen, in welcher freundliche Landhäuser schimmerten, mit Myrthen, Orangen, Pinien und Granatbäumen umgeben, deren Grün alle Nüancen spielte. Die schönsten Früchte und Reben mit ellenlangen Trauben, Rosen-, Oleander- und Erdbeerbäume überraschten und entzückten uns überall. Dies war Cintra. Auf den zwei höchsten Spitzen des Bergkammes thront die Ruine eines maurischen Schlosses, und Penha, etwas tiefer das königliche Sommerschloß. Von hier aus sahen wir das berühmte Mafra liegen, welches die Portugiesen ihr Escurial zu nennen pflegen, obwohl die Lage sie beide wesentlich unterscheidet, denn während dieses auf den Gipfeln der Sierra Gnadarama hoch thronet, liegt jenes in einer kahlen unfruchtbaren Ebene. Der erste Anblick ist kalt und finster, eine ungeheure Mauer umgiebt den Park, und als wir um eine Ecke gebogen waren, befanden wir uns am Fuße des colossalen Gebäudes. Johann VI. gelobte während einer schweren Krankheit, an dem ärmsten Kloster seines Reiches eine Abtei zu bauen, und als er genas, fand man nach langem Suchen einige Meilen von der Hauptstadt eine ärmliche, von Kapuzinern bewohnte Hütte. Hier ward das Gelübde des Königs erfüllt und der Klosterpalast nach dem Vorbilde des spanischen Escurials erbaut. Das Gebäude mißt 1150 Fuß im Geviert, hat 2500 Fenster und Thüren, 860 Kammern, Zellen und Säle, zwei Hauptthürme von 350 Fuß Höhe, eine höhere Mittelkuppel, einen großen Hof, zwei mittlere und sechs kleine Höfe. Von der hohen, davor befindlichen Terrasse breitet sich die Aussicht über das Meer, die Berge, Cintra, den Tajo und Lissabon aus. Das herrliche Glockenspiel der beiden Thürme besteht aus 160 Glocken, die allein eine Million Crusados oder 800,000 Thaler kosteten. Auf dem Rückwege besuchten wir in der Umgebung von Cintra noch das berühmte Korkkloster, welches Joao de Castro, Vicekönig von Indien, zu Anfang des 16. Jahrhunderts baute. Es ist ganz zwischen die höchsten Felsen des Gebirges gehauen, und das ausgehöhlte Gestein dient der Kirche, der Sakristei und dem Kapitelhause zum Gewölbe. Die unterirdischen Gemächer empfangen ihr Licht durch schräg in die Felsen gehauene Oeffnungen; [178] den Namen hat das Kloster von der Korkbedeckung der Wände und des Fußbodens, welche zur Abhaltung der Feuchtigkeit angebracht ist. Auf unserem Wege nach Lissabon besahen wir uns das östlich von der Stadt gelegene Campo grande, dessen großes, mit Kastanien-Alleen umgebenes Viereck der Schauplatz für Wettrennen und dergleichen ist und eine schöne Promenade bildet.

Es war schon dunkel, als wir uns dem Kai Sodere, auf dem wir wohnten, näherten und das großartige, schrecklich schöne Schauspiel einer Feuersbrunst auf dem Meere erblickten. Die halbe Stadt war in Bewegung, und wir beschlossen, in Gesellschaft unserer Wirthsleute und eines spanischen Marquis mit seiner Gemahlin ein Boot zu besteigen, um dieselbe in der Nähe zu sehen. Der grelle Contrast zwischen Feuer und Finsterniß hatte uns über die Entfernung getäuscht, wir mußten weit in die See hinaus, ehe wir fähig waren, die brennenden Gegenstände zu unterscheiden, aber je näher wir kamen, desto imposanter wurde der Anblick. Es war ein kolossales Kohlenschiff, dessen brennender Inhalt eine unermeßliche Feuergarbe in den dunkeln Himmel sandte; die düstere Gluth verwandelte den Meeresspiegel in siedendes Metall, auf dem die zahllosen Boote wie Salamander umher huschten. Als wir zurückkehrten, trieb uns der Wind pfeilschnell gegen Osten und zwar in einer falschen Richtung. Auf einmal rief unsere Wirthin: „Um Gotteswillen, die Bajaderen!“ dem Bootsmann zu, welcher beschäftigt war, das Segel einzuziehen, welches hinausschwellend uns seine concave Seite zukehrte. In der That sah ich jetzt in einiger Entfernung schaumgekrönte Wasserkegel, die einen geisterhaften Reigen auszuführen schienen, indem sie sich bald rückwärts, bald vorwärts jagten. Der Bootsmann, welcher wahrscheinlich ein Gläschen vinho do pais getrunken hatte, bemühete sich vergebens, dem Boote mit den Rudern eine andere Richtung zu geben, so angstvoll wir ihm auch zuriefen, das Segel zu streichen. Die Gefahr, auf die vor uns liegenden Bänke und Riffe zu stranden, war jetzt unvermeidlich, wenn nicht ein rascher Entschluß die Thorheit des Schiffers ausglich. Die Hilfe war nach meinem Ermessen schon da, wenn die im Hintertheile befindlichen Personen dem nach vorn sich beugenden Boote das Gleichgewicht nahmen, weshalb ich schneller als ich dies schreibe aus meinem Reiszeuge das Messer riß und die Segelleine durchschnitt, so daß das Linnen wie eine Flagge umherflatterte. Jetzt erst gelang es uns, das Boot zu wenden und, indem wir nach [179] Norden ruderten, das Ufer des Tajo zu gewinnen. Unsere Rettung dankten wir dem Umstande, daß ich mein Reiszeug, welches ich auf Exkursionen stets bei mir führe, vorher nicht aus der Tasche gelegt hatte. Wäre dieses der Fall gewesen, so waren wir alle die Speise der Meerungeheuer. So einfach und natürlich ich meine That auch fand, so überhäufte man mich doch mit Dankesrufen und Lob, ja bald sah ich mich im Besitze des unumschränkten Vertrauens von Madame D.

Einige Tage später empfing ich einen Brief von Lady H., in welchem sie mir ein Verzeichniß derjenigen schickte, welche versprochen hatten, mich als Lehrerin anzunehmen, darunter Mistreß L., Frau v. K., Gemahlin des schwedischen Gesandten, die Herzogin von P., die Gräfinnen P. und R., Donna d’A. und Donna Maria B., nebst den betreffenden Adressen. Zugleich rieth mir meine edle Beschützerin, diese Damen aufzusuchen, weshalb ich mich sogleich auf die ceremoniösen Besuche vorbereitete und für den folgenden Tag ein Cabriolet miethete, dessen man sich in Lissabon allgemein bedient. Die Etiquette verbietet hier streng, einen Besuch zu Fuße abzustatten.

Bei Tafel erzählte man als wichtigste Tagesneuigkeit, daß die Königin dem vom Volke vergötterten Herzoge von Palmella das Staatsruder genommen und in die Hände des verhaßten Costa Cabral gelegt habe, weshalb ein panischer Schrecken herrschte. Auch in unserem Kreise wurden Befürchtungen laut, welche durch die neuere Geschichte Portugals hinlänglich berechtigt waren. Dazu kam ein ängstliches Laufen und Rennen der Menschen, Gruppen bildeten sich auf den Plätzen und Straßen, starke Patrouillen rasselten durch die Stadt, bei deren Erscheinung das Volk in allen Richtungen floh – kurz, wir konnten keinen Augenblick in Zweifel sein, daß wir auf einem vollständigen Vulcane standen. Am nächsten Morgen hatten wir denn auch eine Revolution mit allen ihren Schrecknissen und Verwirrungen. Die Liberalen hatten sich in Bataillone formirt und das Militair wüthend angegriffen, waren jedoch zurückgeschlagen worden. Man konnte das Krachen der Gewehr-Salven und Kanonenschüsse ganz deutlich hören. Die Liberalen hatten sich bald verstärkt und ihren Angriff mit größerem Nachdruck erneuert, sie bemächtigten sich sogar einiger Plätze, und während einiger Stunden blutiger Gefechte und unaufhörlicher Angriffe schwankte der Sieg zwischen beiden Partheien. Endlich behauptete die königliche zwar den Platz, aber den Sieg hatte sie noch keinesweges errungen, denn die Liberalen [180] zogen sich in das Innere und die Gebirge, nahmen die Städte Terceira, Santerem und Oporto, verstärkten sich unglaublich, und im Nu war das unglückliche Land wieder mit blutigem Bürgerkrieg überzogen.

Dieses unerwartete und schreckliche Ereigniß vereitelte abermals meine Hoffnungen, so daß ich neue Pläne entwerfen mußte, denn wenigstens für den Augenblick schien man sich mit anderen Dingen als mit Schulsachen zu beschäftigen. Mein guter Engel verließ mich auch diesmal nicht. D.’s nämlich theilten mir mit, daß sie Lissabon einstweilen verlassen und eine Reise durch Spanien machen wollten; da sie nun der spanischen Sprache unkundig waren, so baten sie mich, sie zu begleiten, wozu ich mich natürlich sehr gern bereit erklärte. Ich theilte Lady H. de W. diesen meinen Entschluß mit, sowie daß ich bei der ersten Nachricht von Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe mich wieder einstellen und die Lehrcurse beginnen würde. Mein vieles Gepäck übergab ich meiner vortrefflichen Wirthin, nahm nur Unentbehrliches mit, und da eben der von England kommende Dampfer heizte, so schifften wir uns nach Cadix ein.

Leicht schwebte unser Schiff zum Hafen hinaus und gewährte uns so den vollen Anblick des amphitheatralisch auf sieben Hügeln erbauten Lissabons, das sich in einer Länge von fast anderthalb Meilen um den Tajo schlingt. Die großartigen Plätze, die weißen Kuppeln von Corazao de Jesus, die Wasserleitung, unter deren hochgeschwungenen Bogen ein Linienschiff wegfahren könnte, die lieblichen Terrassen von San Pedro de Alcantara und das gothisch-maurische Belem gewährten einen magnifiquen Anblick, der durch das landschaftliche Gemälde an Reiz noch gewann.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Autodafé, Verkündung der Urteile der portugiesischen Inquisition