Das Testament des Königs von Brentford

Textdaten
Autor: William Makepeace Thackeray
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Titel: Das Testament des Königs von Brentford
Untertitel:
aus: Lieder- und Balladenbuch amerikanischer und englischer Dichter der Gegenwart, Seite 249–257
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Hoffmann & Campe
Drucker: Jacob & Holzhausen
Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer: Adolf Strodtmann
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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[249]
William Makepeace Thackeray.

Geboren zu Kalkutta im Jahre 1811, ward er Behufs einer guten Erziehung nach England geschickt, verließ nach dem Tode seines Vaters die Universität Cambridge, zehrte im Strudel der Londoner Welt schnell das ihm zugefallene Erbtheil auf, wollte sich dann in Paris anfänglich zum Maler ausbilden, wandte sich aber nach seiner Rückkehr in die Heimat ausschließlich der Schriftstellerlaufbahn zu, und ist neben Ch. Dickens unbestreitbar der erste aller jetzt lebenden Humoristen.


     Das Testament des Königs von Brentford.

Der König von Brentford war krank und bei Jahren,
Da kamen herbei die Doktoren gefahren,
     Mit Salben und Pulvern, von nah und von fern,
     Zu helfen dem König, dem gnädigen Herrn.

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Er musste Latwergen und Pillen verschlucken,

Man ließ ihm zur Ader – er durfte nicht mucken.
     „’s ist Alles vergeblich!“ so sprach er am End’,
     Drum lasst mich diktieren mein letzt Testament,“

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Bald kam der Notar mit Papier und mit Feder;

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Ein Wink – und mit Ehrfurcht entfernte sich Jeder.

     „Herr König,“ sprach Jener, „was steht zu Befehl?“
     Der König erwidert’: „Ich mach’ Euch kein Hehl,

Trotz Pulvern und Pillen, jetzt geht es ans Sterben.
Zwei Kinder nur hab’ ich, Ihr wisst es, zu Erben.

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     Groß ist meine Herrschaft, gefüllt meine Truh’,

     Viel’ Schätze drum fallen den Beiden wohl zu.

Prinz Thomas, der Ältste, ist nüchternen Sinnes,
Und seit er die Windeln bekleckte (ich bin es
     Ihm schuldig zu sagen), hat immer bis heut

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     Papa und Mama sein Gehorsam erfreut.


Nie hat in der Schul’ ihn der Lehrer geprügelt,
Und ward er von Jüngern auch oft überflügelt,
     So lernt’ er doch leidlich, was eben ihm noth
     Fürs praktische Leben und tägliche Brot.

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Vom Wechsel alljährlich ein Drittheil zu sparen

Verstand er, und lange die Hosen zu wahren;
     Nie stak er in Schulden, war niemals bezecht,
     Hat nie sich vermessner Gedanken erfrecht.

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Wie sehr ist Prinz Alfred von anderem Schlage!

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War Thomas wohl je in so kläglicher Lage,

     Von Freunden zu borgen bald hie und bald da,
     Wie Alfred, dem Solches wohl zehnmal geschah?

Wenn Thomas sich ernster Beschäft’gung ergeben,
Verträumt mit der Muse Prinz Alfred sein Leben;

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     Wenn Thomas die Bank und den Wechsler besucht,

     Nimmt Alfred zum Pfandhaus und Juden die Flucht.

Wie hast an den Kindern du ungleich gehandelt,
In Trug deine Gaben, o Schicksal, verwandelt,
     Das Einem die nüchterne Seele verlieh,

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     Und drauf mir den Andern gemacht zum Genie!“ –


„Ihr werdet ihn,“ sagte der Mann von der Feder,
Mit Wen’gem bedenken, das billigt wohl Jeder.“ –
     „Dem Einen und Andern, wie Jeder es treibt!“
     Versetzte der König. „Gebt Acht nun und schreibt!“

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Es wurde sein Wille diktiert und besiegelt,

In dreifach geschlossenem Schranke verriegelt.
     Dann legte der König zum Schlaf sich aufs Ohr;
     Drei Tage – da trug man hinaus ihn zum Thor.

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Voran im Gefolge ging Thomas, der Gute,

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In schwarzen Gewändern, das Florband am Hute;

     Er barg in dem Schnupftuch sein feistes Gesicht -
     Die ernsteste Eule war ernsthafter nicht.

Unsicheren Ganges schritt Alfred, der Arme,
So bitterlich weinend, dass Gott sich erbarme.

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     Und als sie den Alten zum friedlichen Port

     In Frieden bestattet, nahm Thomas das Wort.

„Ihr Herren,“ so sprach er, „nun lasst mit Bedachte
Uns hören, was Vater uns Beiden vermachte.
     Euch hat er gerufen, mein werther Notar,

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     Drum macht uns den Willen des Seligen klar!“


Es putzt der Notar sich die Gläser der Brille;
Ein Räuspern (Prinz Alfred war schweigsam und stille,
     Tom rieb sich die Hände – war Alles doch klar!);
     Mit sicherer Stimme beginnt der Notar:

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„Mein Sohn! Im Begriff, aus dem Leben zu scheiden,

Macht Alfred mir bittere Sorgen und Leiden;
     Nicht also du, Thomas! denn nimmer bist du
     Gewichen vom Pfade der Ordnung und Ruh’.

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Ein Schwärmer ist Alfred – sein denk’ ich mit Schmerzen;

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Du plagst dich und plackst dich – glückauf dir von Herzen!“

     („Da hörst du es,“ flüstert der Ältere sacht,
     Was Vater im Grund von uns Beiden gedacht.“)

„So klein auch dein Gut: du verstandest zu sparen,
Drum wird dein Besitz auch Vermehrung erfahren.“
     (Bei dieser Verheißung berieselte dicht

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     Ein Schauer von Thränen Prinz Thomas’ Gesicht.)


„Der Has’ und der Igel, mein Thomas, begannen
Den Wettlauf – wie stürmte der Hase von dannen!
     Wohl war er der Schnellste; doch weißt du, das Feld
     Behauptet’ der Igel. So geht’s in der Welt.

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Ein lustiger Tanz ist für Alfred das Leben,

Du mühst dich, bedächtig die Beine zu heben.
     Was Blumen und Früchte? dein trampelnder Schritt
     Hat nimmer gefragt, ob er beide zertritt.

Der Genius säumt bei den Blumen im Wandern,

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Er neigt sich mit Grüßen von einer zur andern.

     Ist’s Morgen, ist’s Mittag? er weiß es oft nicht,
     Er schlummert im Schatten, er sonnt sich im Licht.

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Wohl strahlen dir nimmer, wie Alfred, die Augen,
Mein Thomas! doch mögen vortrefflich sie taugen,

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     Die blinzelnden, kleinen, mit sicherem Spähn

     Drei Schritt’ deinen Weg vor der Nase zu sehn.

Drum danke dem Himmel mit frommem Behagen,
Dass er dir den Schädel mit Brettern verschlagen;
     Die Dummen sind mächtig, die Weisen nicht klug –

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     O segne den Gott, der mit Blindheit dich schlug!


Besaß ich viel’ Länder und Gold auch im Leben,
Mehr hat die Natur dir, mein Thomas, gegeben:
     Ein frostiges Herz und ein dumpfes Gehirn,
     Und dick wie ein Blechschild die eherne Stirn.

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Was Trauer und Sorge? Du wirst sie nicht spüren;

Die Klage der Andern, sie wird dich nicht rühren.
     Nur vorwärts! denn offen (du bebst nicht zurück!)
     Steht jeglicher Pfad dir zu Reichthum und Glück.

Durch thörichten Leichtsinn hat Alfred gefehlet,

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Du aber, ein Geizhals, dein Gold nur gezählet.“

     („Wahrhaftig,“ sprach Alfred, „Papa ist gerecht,
     Wenn just auch nicht höflich. Sein Spruch ist nicht schlecht.“)

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„Dir kann ich, o Thomas, voll Ruhe vertrauen,
Doch nimmer auf Alfred den Träumenden, bauen.

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     Drum hab’ über Häuser und Gärten und Land

     Und Silber und Gold ich, wie folgend, erkannt:

Was je ich zu eigen besessen im Leben,
Dir sei es, mein Thomas, alleine gegeben“ –
     („Wie, Alles?“ sprach Alfred. „Nun, billig genug!

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     Ich hätt’ es verschwendet, und Thomas ist klug.“)


„Dir sei es, mein Thomas, alleine gegeben,
Es redlich durch Arbeit zu mehren und heben,
     Und Felder und Gelder in Näh’ und in Fern’
     Getreu zu verwalten für Alfred, den Herrn.“

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Wie bebte Prinz Thomas vor Wuth und Erstaunen!

Wie gab’s in dem Saale ein Zischeln und Raunen!
     Und denkt euch vor Allem (ich mal’ es euch nicht!)
     Des ehrlichen Alfred verblüfftes Gesicht.

„Unmöglich!“ so rief er. „Ihr wollt mich belügen.

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Lasst sehn mich die Schrift mit den theueren Zügen!

     Wahrhaftig – der Name des Vaters ist hier!
     Doch fürchte Nichts, Thomas! ich theile mit dir.“

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„Die Theilung muss leider, mein Prinz! unterbleiben,“
Versetzt der Notar, „denn es steht in dem Schreiben:

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     Und weiter verfüg’ ich, es werde beschert

     An Thomas kein Pfennig, noch Pfenniges Werth!

Es lagerten Säcke voll Gold ihm im Keller,
Doch sah ich ihn nimmer verleihn einen Heller;
     Nie half er dem Bruder … Was nützt ihm sein Geld,

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     Das keinen Genuss ihm verschafft in der Welt?


Mein Alfred versteht zu genießen das Leben,
Doch Thomas alleinzig nach Golde zu streben;
     Sein Bruder verschwendet, ein Sammler ist er -
     Sei Thomas der Hüter denn, Alfred der Herr!

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Alljährlich zum Lohn für getreues Verwalten

Mag Thomas zweitausend Dukaten erhalten,
     Und Alfred genieße des Lebens Gewinn,
     Des Vaters gedenkend, mit fröhlichem Sinn!“

So hatt’ es der König, der gute, beschlossen.

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Prinz Alfred hat lustig sein Leben genossen;

     Prinz Thomas bewahrte und mehrte sein Geld,
     Vom Vater zum Hüter der Schätze bestellt.

[257]

Der hat ihn mit Unrecht der Sünde geziehen,
Dass nimmer sein Geld er an Andre verliehen;

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     An Jeglichen bis an sein seliges End’

     Verlieh er’s mit Freuden – zu dreißig Procent.

Viel Lieb’ und Genuss hat sich Alfred erworben,
Und als er, wie Alle, nach Jahren gestorben
     (Ein Sausewind blieb er): da wurde es klar,

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     Dass Thomas bei weitem der Reichere war.