Burney Tagebuch 3/Amsterdam
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Von Gröningen ging ich hierher über die Zuider-Zee, und kam also von der Wasserseite an die Stadt, welche einen der schönsten Anblicke giebt, die man sich denken kann. Einen so vortreflichen Hafen, so voller Schiffe von allerley
[225] Grösse und Nationen, hatte ich noch niemals mit einem Blicke übersehen. Ich fuhr ganz ruhig in die Stadt hinein, ohne daß mir eine einzige Frage, über mich oder mein Gepäcke, geschehen wäre. Die Gassen, durch welche ich mußte, um nach der Bibel in Waarmorstraat zu kommen, waren eng, aber rein und gut gepflastert, mit einem Pfade von Ziegelsteinen für Fußgänger, der aber nicht erhöht war, wie in London. Die Kramgewölber waren voller Waaren, und allenthalben leuchtete Fleiß im Handel und Wandel und Reichthum hervor.
Gleich den 20ten October, da ich angekommen war, ging ich nach der Neuen Kirche, und kam eben, da der Nachmittags-Gottesdienst anfieng. Das Gebäude ist groß und edel. Die Orgel, welche grössestentheils vergoldet ist, fällt gut in die Augen; sie ward aber Heute nicht anders gebraucht, als die Gemeine bey zwey langen Psalmen zu begleiten, ohne Vor- oder Zwischenspiele, die an andern Orten gebräuchlich sind.
Dieses Instrument hat im vollen Werk einen schönen Ton, und wird gut in Stimmung gehalten. Ich bekam aber Heute keine Rohrstimmen zu hören.
Ich konnte den Bordun, oder Subbaß, nicht nur durch das Pedal, sondern auch im Manuale [226] sehr deutlich unterscheiden, welches zwar die Harmonie bereichert, aber auch der Melodie, welche vorragen sollte, eine Schwerfälligkeit, oder, wenn ich so sagen darf, eine Plumpheit mittheilt; und that solches eben den Effekt, als wenn die Hauptstimme eines Concerts von Contraviolons, Violinen und Violonschells zugleich gespielt würde. Hier in dieser Gemeine ist der Gebrauch, daß die Mannspersonen den ganzen Gottesdienst über den Hut auf dem Kopfe behalten, ausgenommen bey dem Psalmensingen.
Seitdem das Komödienhaus hier abgebrannt ist, hat die Stadt kein Schauspiel wieder gehabt, die in einer brettern Bude zu Marktzeiten ausgenommen. Es scheint auch nicht, daß das Theater so bald wieder aufgebauet werden möchte, da der Platz nicht einmal ausgemacht ist, wo es zu stehen kommen soll. Vielleicht sieht der Magistrat den unglücklichen Zufall, wodurch das vorige im Feur aufging, als eine Warnung an. Denn als vor einiger Zeit das Gewitter in den Thurm der neuen Kirche schlug, und ihn verzehrte, ehe er noch einmal vollendet war, wolte man den Bau nicht wieder vornehmen, in der Voraussetzung daß Thürmer dem Himmel zuwieder wären.[H 1]
[227] Die Einwohner scheinen itzt keinen andern Versammlungsort zu haben, wo sie des Abends Zeitvertreib suchen, als in ihren Läden und Comptoirs. Da ich aber dergleichen nicht hatte, ging ich nach den Läden des berühmten Buchhändlers Rey und des Musikhändlers Hummel, und nach dem ich daselbst meinen Geldbeutel erleichtert und meinen Bedienten bepackt hatte, stieg ich in das erste Bett, das ich nach meiner Abreise von Hamburg zu sehen bekommen hatte.
Hier ist das wahre Land der Glockenspiele. Alle Viertelstunden klimpern sie von jeder Kirche ein Stück, aber, wegen des Zusammenflusses des Schalles, so undeutlich, daß ich sehr selten herausbringen konnte, was es seyn sollte.
Herr Renard, der engländische Agent, dem ich alle die Nachrichten zu verdanken habe, die ich während meines Aufenthalts in dieser Stadt einziehen konnte, erzeigte mir den Gefallen, mich nach dem Organisten an der Alten Kirche, Herrn Pothoff zu bringen. Dieser Mann hat sein Gesicht in den Blattern verlohren, als er ein Kind
[228] von sieben Jahren gewesen. Und dieses Unglück brachte seine Anverwandten zuerst auf die Gedanken, aus der Musik, woran er bisher keinen Gefallen gefunden hatte, seine Profession zu machen; und in der Folge ward es sein Lieblingszeitvertreib.
Die Orgel in der Alten Kirche ward erst vor zwölf Jahren von Herrn Batti von Utrecht zu Stande gebracht, nachdem sie 1725. angefangen, 1738. wieder aus einander genommen, und darauf vielen Pfuschern in die Hände gefallen war, die nicht damit fortkommen konnten. Es ist nur ein sogenanntes sechszehnfüssiges Werk. Es ist sonst ein sehr vollständiges und hat an die vier und sechzig Register; hat drey Manuale, welche, wie das Pedal von C bis c gehn, und neun Bälge.
Herr Pothoff war, ehe er diese Stelle erhielt, zwey und zwanzig Jahr Organist an der Westerkirche. Seine fertige Hand, sein Geschmack und und seine durchgängige Geschicklichkeit ist wirklich erstaunend. Ich habe noch keine Orgel so schwer vom Anschlage gefunden, als diese. Jede Taste erfodert ein Gewicht von zwey Pfund, um sie niederzudrücken, und wenn, um mit dem vollen Werke zu spielen, beyde Positive gekoppelt werden, so wird der Anschlag noch steifer; Herr Pothoff aber hat solche Kraft in den Händen, daß er dieses Werk mit eben solcher Leichtigkeit und Geschwindigkeit traktirt, als obs ein gewöhnlicher Flügel wäre.
[229] Dieser vortrefliche Organist ist niemals aus Amsterdam gekommen, ausgenommen vor vielen Jahren, da er auf ein Paar Tage nach dem Haag reisete; und dennoch ist sein Geschmack von der besten neuern Art. Seine verwebten Accorde nimmt er richtig und drückt sie vortreflich aus.[H 2] Seine Einbildungskraft ist ungemein lebhaft, und ob er gleich sehr voll und selten weniger, Manual und Pedal zusammen genommen, als fünfstimmig spielt, so ist es doch nicht in der steifen oder trocknen Art, wie ich so oft in Deutschland gehört hatte. In vielen Passagien zeigte er, jedoch nicht unüberlegter Weise, daß er ein Flügelspieler sey; denn er kennt das Eigenthümliche der Orgel so gut, daß in seinen geschwindesten Läufen, deren er viele anbrachte, keine von den unangenehmen Zwischenräumen entstunden, wie es den blossen Cymbalisten zu begegnen pflegt, daß ihnen Noten ausbleiben, oder die Läufe hapern, wenn sie die Orgel spielen.
Herr Pothoff spielte zwo Fugen auf eine meisterhafte Art, deren Subjekte er umkehrte, und [230] auf tausenderley sinnreiche Art vortrug. Es waren ungefehr folgende:
In seiner Jugend hatte er Unterricht von Vetvogle[WS 1] und Unhoorn, beyde Organisten zu Amsterdam. Sein Geschmack ist aber von einer so feinen Gattung, daß ich mir nicht vorstellen konnte, wie er solchen in einer Stadt könnte erworben haben, worin man eben keine andre Musik aufmuntert, oder liebt, als den Klang von Glocken und Dukaten. Er sagte mir indessen, daß Locatelli, der berühmte Geiger der sich lange Zeit in dieser Stadt aufgehalten, und hier ungefehr vor acht Jahren gestorben ist, ihm Unterricht zu geben pflegte, und ihn dadurch zum musikalischen Fleisse ermunterte, daß er ihn zu allen seinen öffentlichen [231] und Privatconcerten den freyen Zutritt erlaubte. Das half mir einigermaassen seinen Geschmack und seine Phantasie zu erklären, denn Locatelli besaß beydes in einem hohen Grade; und ob er gleich grosses Vergnügen an solchen eigensinnigen Schwierigkeiten fand, welche keine Hand eben so leicht ausführte, als sie sein Kopf dachte, so hatte er doch so richtige Kenntnisse von den Grundsätzen der Harmonie, daß er dadurch solche wilde Züge angenehm zu machen wußte, die unter weniger geschickten Händen würden unausstehlich gewesen seyn.
Herr Pothoff scheint nicht allein sehr viel Gutes aus dem Unterrichte und Beyspiele des Locatelli genommen zu haben, sondern auch im Punkte des verfeinerten Geschmacks mit neuern Meistern im Schritte geblieben zu seyn. Indessen konnten weder Fleiß noch Nachahmung einen solchen Tonkünstler gebildet haben, als Herr Pothoff ist, der ein grosses Maaß von dem göttlichen Enthusiasmuß besitzt, welcher nur allein einen Artisten über die Schranken der Mittelmässigkeit hinaussetzen, und dadurch, daß er sein eignes Gefühl stark macht, ihm das Vermögen ertheilen kann, andern seine Empfindungen mitzutheilen.
Er ist verheyrathet und hat Kinder; und ob er gleich nicht mehr jung und dabey stockblind ist, läuft er doch die engen Orgeltreppen so behende auf [232] und nieder, als ob er ein Jüngling von funfzehn Jahren wäre, und sein völliges Gesicht hätte. Eben so zieht er auch mit der bewundernswürdigsten Sicherheit die Register auf und stößt sie wieder ein; welches bey ihrer grossen Anzahl für einen Menschen mit zwey gesunden Augen nicht leicht ist, und seine Uebung erfodert.
Als er auf die Wahl an der Westerkirche spielte, trug er über zwey und zwanzig Mitwerber den Sieg davon, die alle gegen ihn spielten.[1] Bey dieser Gelegenheit durften die Richter, welches lauter Tonkünstler waren, um alle Partheylichkeit zu vermeiden, nicht eher wissen, wer gespielt hatte, bis sie erst ihre Meinung schriftlich von sich gegeben hatten. Eine Vorsicht, die man in Amsterdam für nöthig hält, damit nicht Mitleiden, Freundschaft oder eine zu mächtige Empfehlung das Urtheil derjenigen beleiden möge, denen die Macht aufgetragen ist, die Wahl zu entscheiden. Wenn diese Methode allenthalben bey dergleichen Gelegenheiten eingeführt wäre, so würde man nicht so viel schlechte Organisten, oder so viel gute Orgelspieler ohne Brodt finden. Allein so ist das Wahl oder Probespielen nur ein Blendwerk; laß einen Candidaten noch so grosse Talente besitzen, [233] wenn die Sache schon voraus ausgemacht ist, ehe noch die Probe angesetzt werden, und fast immer von Personen, die darüber nicht urtheilen können.
Freytag, den 23. October. Um neun Uhr diesen Morgen ging ich der Verabredung gemäß nach der Westerkirche, die Orgel zu hören. Sie ist nicht so groß, als die in der Alten Kirche, aber weit besser von Tone. Die Voxhumana ist in diesem Werke das schlechteste Register; die übrigen sind lieblich, eben und markigt. Der Anschlag ist zwar bey weitem nicht so leicht, als der Instrumente, welche die letzte Zeit in England gebauet sind, aber doch auch lange nicht so schwer und mühsam für den Spieler, als der in der alten Kirche. Herr Stechwech, der Organist, ist ein geschickter Spieler, besitzt aber nicht das Feuer und die Erfindungskraft, welche Herrn Pothoff in seinem Extemporespielen auszeichnen. Dies Werk ist 1687. gebauet. Die Organisten hier haben nur eben sich sagen lassen, daß es ein solches Ding, als ein Schweller in einer Orgel, giebt. Es ist aber schwer ihnen durch Beschreibung einen Begriff von seiner Construktion und seiner Wirkung zu machen.
Des Nachmittags ging ich mit Herrn Pothoff nach dem Thurme auf dem Stad-Huys oder Rathhause, bey welchem er Glockenspieler ist. Es ist ein elendes Amt für ein solches Genie. Indessen [234] hat ers schon lange verwaltet, denn er ward in seinem dreyzehnten Jahre daran gewählt. Er hatte mich, nach alle dem was ich schon im übrigen Europa in der Art gehört hatte, mit seinem Orgelspielen in Erstaunen gesetzt; allein er trieb mein Erstaunen noch höher, als ich ihn mit seiner unbegreiflichen Fertigkeit auf diesem Glockenspiele hörte; denn er brachte mit seinen beyden Fäusten solche Passagien heraus, die für zehn Finger noch immer sehr schwer seyn würden. Triller, Mordenten, geschwinde Läufe, Triolen und selbst Arpeggios, hat er durch Fleiß in seine Gewalt gebracht.
Er begann mit der Melodie eines Psalms, welche Ihro Hochmögenden am liebsten hören mögen, und welche sie allemal verlangen, wenn er spielt, welches Dienstags und Freytags geschieht. Darauf spielte er über diese Melodie Variations, mit vieler Phantasie und sogar mit Geschmack. Als er sein Tagewerk abgethan hatte, war er so verbindlich, noch eine Viertelstunde ex tempore zu spielen, auf eine solche Art, von der er glaubte, sie würde mir besser gefallen, als das Choralisiren. Und es glückte ihm auch damit so sehr, daß ich eine Zeitlang sowohl die Schwierigkeit, als die Mängel des Instruments vergaß. Er spielte niemals weniger als dreystimmig, indem er den Tackt und Baß beständig mit dem Pedale angab. Ich habe niemals in so kurzer Zeit eine grössre [235] Mannichfaltigkeit an Passagien gehört; er brachte durch das Piano und Forte, und durch das Crescendo im Triller, sowohl in Ansehung der zunehmenden Stärke, als der wachsenden Geschwindigkeit, solche Wirkungen hervor, die ich für ein Instrument für unmöglich hielt, das von seinen Spielern wenig ander Verdienst, als Leibesstärke zu erfodern schien.
Aber wahrhaftig! es war eine barbarische Erfindung, und es ist Barbarey, sie beyzubehalten. Wenn Herr Pothoff eine ganze Stunde in Dr. Dominicetti’s heissesten Menschenkessel hätte sitzen müssen, hätte er nicht mehr Schweiß vergiessen können, als er that, nachdem er eine Viertelstunde diese entsetzliche Arbeit betrieben hatte. Er zog sich aus bis aufs Hemde, streifte die Aermeln auf und setzte eine Nachtmütze auf, um diese Mühle treiben zu können; und er sagte, er wäre genöthigt, den Augenblick darauf zu Bette zu gehen, um sich nicht zu erkälten, und sich wieder zu erhohlen, denn er wäre gemeiniglich so erschöpft, daß er kein Wort sprechen könnte.
Aus der wenigen Aufmerksamkeit, womit man diesem Manne zuhört, so ausserordentlich er auch ist, sollte es scheinen, als ob ein Holzhacker oder Wasserträger, dessen plumper Körperbau öfter schweißtreibende Mittel brauchte, dieses Geschäft, für solche ungebildete und gefühllose Hörer, eben so gut verrichten könnte.
[236] Ich habe den Bau der Tasten eines Claviers am Glockenspiele, und die Art, wie sie tracktirt werden, schon bey dem zu Ghent beschrieben. Dieses zu Amsterdam hat drey volle Octaven, mit allen Semitonien, im Manual, und zwey Octaven im Pedal. Jede Taste für die reine Klangfolge im C dur steht einen Fuß lang hervor. Die dazwischen liegenden halben Töne, sind einige Zoll höher und einen halben Fuß kürzer. Zwischen allen Claves ist ein starker Tastenbreiter Zwischenraum, nemlich ungefehr anderthalb Zoll, damit der Spieler mit der Faust nicht zwey zugleich berühren müsse.
Ausser den Glockenspielen mit Clavieren, sind auch die andern, welche von einem Uhrwerk getrieben werden, sehr berühmt. Die kupferne Walze, worauf die Stücke gesetzt sind, wiegt 4474 Pfund und hat 7200 festgemachte Steften, welche, im Umdrehen der Walze den Hammern der Glocken die Bewegung geben. Wenn Ihro Hochmögenden Geschmack und Sparsamkeit zu Rathe gezogen hatten, so hätten sie für die Hälfte der ersten Auslage der Kosten dieser so kostbaren Maschine, mit dem nöthigen Aufwande des Unterhaltens, des neuen Setzens, und der beständigen Aufsicht, eine der schönsten Kapellen in Europa unterhalten können. Wer aber an Klappermusik seine Freude finden kann, braucht und verdient keine bessre. Es wird schwerlich eine reformirte [237] Kirche in ganz Amsterdam zu finden seyn, die nicht ihr Glockenspiel hätte, welches nicht nur jede Viertelstunde dasselbe Stück, drey Monate durch hinter einander, ohne Abwechslung fortspielt; sondern man hat auch wegen der Abweichung der Uhren kaum fünf Minuten in vier und zwanzig Stunden Ruhe vor diesen Klapperbüchsen der erwachsenen Kinder. In wenig Tagen hatte ich ihrer so bis zum Eckel satt, daß ich wahrhaftig glaube, ich hätte einen Haß gegen alle Musik bekommen, hätte ich sie eben so viele Monate hören sollen, ohne daß sie mich des Gehörs beraubt hätten.
Die Voxhumana in der hiesigen Neuenkirche, ist so sehr von den Reisenden gepriesen worden, daß ich mich entschloß, nicht aus Amsterdam zu gehen, bevor ich solche gehört hätte. Und der Organist, Herr Linzen, war so verbindlich, meine Neugierde zu befriedigen. Dieses ist eins der grössesten und ältesten Instrumente in dieser Stadt. Das volle Werk ist eins der prächtigsten, wie ich vorher bemerkt hatte, da ichs bey Begleitung der Gemeine im Chorale während des Gottesdienstes hörte. Die Voxhumana, ich muß es gestehen, ist eine der besten von der Art Register, die ich jemals gehört hatte.
Jede Art von Nationalmusik schien meiner Aufmerksamkeit werth zu seyn. Ich ging also nach der Synagoge der deutschen Juden in dieser Stadt, [238] um zu hören, was es für Musik wäre, die sie bey ihrem Gottesdienste hätten, und in wie weit sie sich von der Musik andrer Synagogen unterschiede, wo ich in verschiedenen Gegenden Deutschlands Singen gehört hatte. So wie ich hinein trat, sang eben ein Rabiner einen Theil des Gottesdienstes in einer Art von alten Cantusfirmus, und die Gemeine antwortete ihm in einer Art Gesange, welcher dem Sumsen der Bienen glich.
Hierauf fingen drey von den süssen israelitischen Sängern, die, wie es scheint, hier sehr berühmt sind, und denen sowohl Christen als Juden nachlaufen, eine Art von lustiger neuer Melodie an zu singen, zuweilen im Einklange und zuweilen in mehr Stimmen, ohne Text, und mit Tra la la, welches mir komisch genug vorkam. Eine von diesen Stimmen war eine Fistel, die mehr Aehnlichs mit den höhern Tönen eines schlechten Voxhumana Registers in einer Orgel, als mit einer natürlichen Menschenstimme hatte. Ich erinnre mich in einem öffentlichen engländischen Blatte ein Advertissement gelesen zu haben, worin ein Bartputzer bekannt machte, daß er die Haare eines Mannes so aufsetzen könne, daß sie genau wie eine Parücke lassen müßten; und dieser Sänger konnte sich rühmen, daß er die Kunst besässe, nicht zu singen wie ein menschliches Geschöpf, sondern daß seine Stimme wie eine Nachäffung einer der schlechtesten Voxhumana klingen müßte. Einerley Verdienst [239] ungefehr haben die Sänger, welche bey ihrem Singen die Stimme zu einer Flöte oder Geige abwürdigen, und vergessen, daß sie von keinem Instrumente Gesetze annehmen, sondern denselben Gesetze geben sollten.
Die Zwote dieser Stimmen war ein alltäglicher Tenor und die Dritte ein Bariton.[WS 2] Dieser letzte Sänger ahmte in seinen Accompagnements des Fistersängers, einen schlechten Basson nach. Zuweilen hielt er einen Ton aus wie ein Dröhnbaß, und zuweilen machte er Triolen und Sechzehntheile auf einer Linie. So widrig indessen der Ton des Fistelsängers war, und so sehr er ihn auch zuweilen bis zum Quiken hinauf trieb, so gewiß hatte doch der Mensch gute Musik und gutes Singen gehört. Er hatte eine grosse Fertigkeit in geschwinden Läufen, und dann und wann mischte er solche geschmacksvolle Passagien darunter, die ungleich schöner waren, als das Uebrige. Am Ende eines jeden Satzes fing die Gemeine ein Geschrey an, ungefehr wie eine Kuppel Hunde, wenn ein Fuchs durchgeht. Es war mehr ein verwirrtes Geheule und ein wüstes Gelärme, als Gebet oder Gesang. Indessen ist dieses eine Beschreibung und kein Tadel der hebräischen Musik bey Gottesdienstlichen Feyerlichkeiten. Mir ist es unbegreiflich, was für eine Idee[WS 3] die Juden mit diesem Singsang verknüpfen mögen. Ich werde also, an und für sich selbst, weder gut noch schlecht nennen; nur so viel [240] muß ich sagen, daß es dem sehr ungleich ist, woran wir Christen in unsern Kirchen gewöhnt sind.
Ich muß Amsterdam nicht eher verlassen, bis ich angezeigt habe, daß wegen des Zufalls, daß das Theater abgebrannt ist, und wegen der Jahrszeit, zwar weder Schauspiele noch Concerte zu sehen oder zu hören waren, daß man mir aber gesagt hat, daß im Winter viele öffentliche und Privatconcerte in dieser Stadt gehalten würden. Signor Raimondi, ein Italiäner und Herr Esser, ein Niederländer, sind seit Locatellis Tode hier die besten Violinisten gewesen. Hier ist auch ein italiänischer Kaufmann, Signor Sarti, welcher ein vortreflicher Flötenist seyn soll. Die französische Truppe Komödianten, welche hier spielten, als das Theater noch stund, sind noch nicht entlassen, sondern bekommen noch immer ihren halben Gehalt. Im Ganzen scheint Amsterdam für Leute, die hier keine Geschäfte haben, eben kein Aufenthalt von vielem Zeitvertreibe zu seyn. Es giebt hier für diese so wenig Lustbarkeiten zu sehen, und der handelnde Theil der Einwohner ist hier so geschäftig, daß die Einen für die Andern sehr unschickliche Gesellschafter zu seyn scheinen.
Anmerkungen
- ↑ Auf eben diese Art ward auch 1726. unser Stanley, als er vierzehn Jahr alt war, an der Andreaskirche in Holborn in London zum Organisten erwählt und fast eben so vielen Mitwerbern vorgezogen.
Anmerkungen (H)
- ↑ Wenn eine weise Obrigkeit die Anmerkung aus einer lang bestätigten Erfahrung gemacht hätte, daß eben die Thürmer die Gewittergefahr für eine Stadt [227] vergrössern, und also bey einer richtigen Vergleichung der Zierde und der Gefahr einer Stadt, den schuldigen Entschluß faßten, keine Blitzleiter zu bauen! Würde es bey dieser Ueberlegung dem guten Herzen des Herrn Burney nicht leid thun, dieses Histörchen aus dem Munde eines sarkastischen Erzählers in sein Buch aufgenommen zu haben?
- ↑ His appogiaturas are well taken, and admirably expressed. Das Wort Appoggiatura finde ich weder im Walther noch im Rousseau, selbst nicht im Vocabolario degil accademici de la crusen. Ich glaube dieses neue transalpinische Kunstwort aus der Analogie verstanden zu haben. Weil aber die Künstler bey Annahme ihrer technischen Ausdrücke nicht allemal sehr gewissenhaft auf die Analogie Rücksicht nehmen: so gestehe ich, daß ich hier nicht sicher bin, und deswegen die Worte des Textes angeführt habe.
Anmerkungen (Wikisource)
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