Amsterdam Tagebuch einer musikalischen Reise (1773) von Charles Burney
Harlem
Leyden


[240]
Harlem.


Ich weiß auf meiner Reise wenige Dinge, die ich begieriger zu sehn gewesen, als die berühmte [241] Orgel in der grossen Kirche dieser Stadt. Sie ist wirklich das Wahrzeichen des Orts. Dieses Wahrzeichen aber zu besehen, verursacht mehr Kosten als wenn man Tiger und Löwen im Tower zu London besehen will. Es ist ein festgesetzer Preis, daß man für dem Aufseher oder Organisten, einen Dukaten, und seinem Gehülfen, dem Bälgetreter, eine halbe Krone bezahlen muß. Eine hochgespannte Erwartung kann sehr leicht nicht nur über die sogar Wahrscheinlichkeit, sondern über die Möglichkeit hinaussehen. Ob die eingebildete Grösse die wirkliche bey dieser Gelegenheit verringerte, kann ich nicht sagen, aber ich fand mich so ziemlich in meiner Erwartung betrogen, als ich dieses Instrument hörte. Erstlich war der Organist kein so grosser Spieler, als er von sich selbst glaubte; und zweytens belief sich die Anzahl der Register zwar bis an sechzig, aber ihre Abwechslung ist bey weiten nicht so mannichfaltig, als man wohl erwarten sollte. Und die Voxhumana, wovon so viel Wesens gemacht wird, hat nicht das geringste Aehnliche mit einer Menschenstimme, ob es gleich ein gutes Register in seiner Art ist. Aber die Welt läßt sich auch leicht durch Namen etwas aufbinden. Man darf nur einen gemeinen Zuhörer sagen, der Organist hat ein Register angezogen, welches der Menschenstimme gleicht, so glaubt er schon, sie müsse recht schön seyn, und bekümmert sich nicht weiter mehr darum, ob sich der Name paßt, oder ob die Nachahmung [242] ähnlich sey. Indessen muß ich nach meinem eignen Gefühl bekennen, daß von allen Stimmen, die ich bisher gehört, welche man mit der Benennung Voxhumana beehrte, noch keine einzige, in der Höhe, mich mehr an etwas Menschliches erinnert hätte, als die knirrende Stimme eines alten neunzigjährigen Weibes, und in der Tiefe, als wenn ein Bauerjunge auf dem Kamme singt.

Da man diese Orgel nicht allein für die grösseste, sondern auch für die beste in Europa, daß heißt, in der ganzen Welt, ausgeben will: so will ich hier ein richtiges Verzeichniß von allen ihrem Registern geben. Solche Leser, welche gänzlich unbekannt mit dem Bau einer Orgel und mit Kunstbenennungen eines solchen Werkes sind, ersuche ich die paar Seiten, als für sie völlig unbrauchbar überzuschlagen.

Verzeichniß der Stimmen der Orgel in der
grossen Kirche zu Harlem. Gebauet 1738,
von Müller.
Haupt-Manual.
Nro. 1. Principal. 16 Fuß.
2. Burdun. 16 —
3. Octava. 8 —
4. Viola da Gamba. 8 —

[243]

Nro. 5. Rohrflöte. 8 Fuß.
6. Octava. 4 —
7. Gemshorn. 4 —
8. Rohrquint. 6 —
9. Quinte. 3 —
10. Tertian. 2 fach.
11. Mixtur. 6, 8, und 10fach.
12. Waldflöte. 2 —
13. Trompete. 16 —
14. Trompete. 8 —
15. Trompete. 4 — Rohrstimmen.
16. Hautbois. 8 —
Ober-Clavier.
Nro. 1. Principal. 8 Fuß.
2. Quintadena. 16 —
3. Gemshorn. 8 —
4. Gedacktes. 8 —
5. Octava. 4 —
6. Salicet. 4 —
7. Nassat. 3 —
8. Nachthorn. 2 —
9. Flageolet. 1 ½ —
10. Sesquialter. 2fach.
11. Cimbel. 3fach.
12. Mixtur. 4 und 6fach.
13. Schalmey. 8 — ) Rohrstimme.
14. Dulcian. 8 —
15. Voxhumana. 8. —
[244]
Rück-Positiv.
Nro. 1. Principal. 8 Fuß.
2. Hohlflöte. 8 —
3. Quintadena. 8 —
4. Octava. 4 —
5. Flöte. 4 —
6. Spielflöte. 3 —
7. Sesquialter. 2, 3 und 4fach.
8. Superoctave. 2 —
9. Scharf. 6 und 8fach.
10. Cornet. 4fach.
11. Cimbel. 3fach.
12. Fagott. 16 —
13. Trompete. 8 —
14. Regal. 8 — ) Rohrwerk.
Pedal.
Nro. 1. Principal. 32 Fuß.
2. Principal. 16 —
3. Subbaß. 16 —
4. Rohrquint. 12 —
5. Hohlflöte. 8 —
6. Octave. 8 —
7. Quinte. 6 —
8. Octave. 4 —
9. Rauschquint. 3 —
10. Hohlflöte. 2 —

[245]

Nro. 11. Posaune. 32 Fuß. ) Rohrwerk.
12. Posaune. 16 —
13. Trompete. 8 —
14. Trompete. 4 —
15. Zincke. 2 —

Diese Orgel hat also sechzig klingende Stimmen; zwey Koppeln, vier Sperrventile, und zwölf Bälge.

Im Ganzen genommen ist es ein sehr schönes Werk, ob ich gleich dafür halte, daß die Orgel in der Michaeliskirche zu Hamburg grösser, und die in der Altenkirche zu Amsterdam besser von Tone ist. Aber alle diese ungeheuren Maschinen scheinen mir mit unnützen oder doch wenigstens solchen Stimmen überladen zu seyn, die zu weiter nichts dienen, als das Geräusch zu vermehren und den Anschlag zu erschweren.

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