Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Wallner, Fr.
Band: 52 (1885), ab Seite: 286. (Quelle)
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Wallner, Franz (Schauspieler und Schriftsteller, geb. in Wien 1810, gest. zu Nizza am 19. Jänner 1876). Sein Familienname ist Leidesdorf – und nicht, wie hie und da vorkommt, Leidersdorf. Sein Vater war nach Einigen ein wohlhabender Börsensensal, nach Anderen ein angesehener Kaufmann. Die Vorliebe, welche Franz von früher Jugend für die Bühne zeigte, brachte ihm viel Verdruß im Elternhause, und als er nicht mit Erlaubniß des Vaters zum Theater gehen konnte, floh er, kaum zwanzig Jahre alt, heimlich nach Krems, und indem er seinen Familiennamen mit dem Namen Wallner vertauschte, den er auch zeitlebens beibehielt, betrat er dort im Jahre 1830 zum ersten Male die Bretter, welche die Welt bedeuten. [Da Wallner in seinen verschiedenen Werken ausführlich sein wechselvolles Leben beschrieben hat, können wir uns im Folgenden auf eine Skizze beschränken und im Uebrigen auf des Künstlers eigene Mittheilungen verweisen. Mit der Wandertruppe, in welcher er sich befand, zog er dann mehrere Jahre umher und spielte in kleineren Städten und Marktflecken, wie in Wiener-Neustadt, Ischl, Helden- und Liebhaberrollen, ein Fach, das nichts weniger als zu des Künstlers Naturell und eigentlichem Wesen paßte. Durch Nestroy’s Verwendung kam er in das Theater an der Wien, wo er im Anfang ganz unbeachtet blieb. Durch den im September 1836 plötzlich erfolgten Tod des als Dichter und Darsteller zum Liebling der Wiener gewordenen Ferdinand Raimund [Bd. XXIV, S. 254] trat eine unerwartete Wendung in Wallner’s Geschick ein. Das Repertoire der Bühne, an welcher Raimund so viele Jahre und mit beispiellosem Erfolge gewirkt hatte, war mit dem Tode desselben gestört und eine Abhilfe im Momente kaum denkbar. Da bot sich Wallner dem Director an, in Raimund’s Manier den Valentin im „Verschwender“ zu spielen. Wie war mit einem Male das Publicum überrascht und ergriffen, als ihm unerwartet auf den Brettern der Geist des unvergeßlichen Todten in der anmuthigen Gestalt eines unbekannten jungen Schauspielers erschien, der sofort in der ganzen Art seiner Rollendurchführung bekundete, daß er keineswegs ein blos mechanischer Nachäffer des Meisters sei, nicht etwa blos ein paar äußerliche Handgriffe ihm abgelauscht, sondern verständnißvoll die Poesie der Schöpfungen desselben in sich aufgenommen und mit selbständiger Kraft aus sich wiedergeboren hatte. Wallner’s bisher auf einem ganz falschen Terrain verwendetes Talent war nun auf seinem richtigen Boden zur Geltung gekommen. Das bereits unter der persönlichen Mitwirkung des Dichters so oft gesehene Stück erlebte in Folge der überraschend gelungenen Copie wieder eine lange Reihe von Vorstellungen, und Wallner war, wie einst sein Vorbild, der gefeierte Liebling des Publicums. Bald trat er auch in den übrigen Rollen Raimund’s mit gleichem Erfolge auf. Das zog, aber auf die Dauer würde dies Experiment [287] bei dem Wiener Publicum, welches vielleicht mehr als jedes andere den Wechsel liebt, nicht wohl vorgehalten haben. Wallner aber hatte sich in diese gelungene Specialität so hineingespielt, daß er vorerst nicht leicht ein anderes Genre auf derselben Bühne übernehmen konnte und daher auf einen Antrag des Theaterdirectors Carl um so lieber einging, als sich da seinem Talente ein neues Feld zu eröffnen schien. Aber diesem Director war es um nichts weniger als darum zu thun, den neugewonnenen Darsteller in angemessener Weise zu beschäftigen; er wollte vielmehr nur dem Collegen im Theater an der Wien eine Zugkraft wegschnappen, und nachdem ihm dies gelungen, beschäftigte er unseren Künstler entweder in zweiten Rollen oder ließ ihn mit zwei tüchtigen Komikern um die Wette spielen, was bei der Beliebtheit derselben um so größere Schwierigkeiten hatte, als sich Wallner in andere Rollen nur schwer zu finden wußte. Nun aber, da er ja mit dem Raimund’schen Repertoire bisher nur in Wien aufgetreten, standen ihm noch alle besseren Bühnen Oesterreichs und Deutschlands offen, und so löste er den Contract mit Carl, der sich jedoch nur unter der Bedingung dazu verstand: daß sich Wallner verpflichtete, zwei Jahre hindurch in Wien nicht zu spielen. Wallner begab sich zunächst nach Lemberg, wo er so gefiel, daß er dort zwei Jahre blieb. Daselbst wurde Herausgeber dieses Lexikons mit ihm bekannt und verkehrte viel mit dem Künstler, der eine große Belesenheit besaß und für literarische Angelegenheiten ein nicht gewöhnliches Interesse zeigte. Von Lemberg aus unternahm Wallner seine Gastspielreisen, wie sie ursprünglich in seinem Plane gelegen hatten, und trat in seinen Raimundrollen in Frankfurt a. M., in Darmstadt, München, Stuttgart, Berlin, Leipzig, Hamburg u. s. w., überall mit so glänzendem Erfolge auf, daß er sich entschloß, keine feste Anstellung wieder anzunehmen und nicht mehr nach Oesterreich zurückzukehren. Aber durch ein ungemein vortheilhaftes Anerbieten, welches von der Petersburger Hofbühne an ihn erging, ließ er sich doch zum Engagement an derselben bewegen. Indeß blieb Wallner, der mittlerweile geheiratet hatte, daselbst nur ein Jahr lang. Dieses ruhelose Hin und Her – obgleich es, wie seine späteren Reisen bezeugen, in seinem ganzen Wesen lag – wollte ihm auf die Dauer nicht behagen, er sehnte sich immer mehr und mehr nach einer festen Existenz und plante die Gründung oder Leitung eines eigenen Theaters. Er hatte auch nach Abgang von der Petersburger Hofbühne auf eigene Hand eine Wirksamkeit als Theaterdirector in kleineren süddeutschen Städten, Freiburg und Baden-Baden, eröffnet und war von da für dieselbe Stellung nach Posen berufen worden. Wohl gestalteten sich die Anfänge mitunter ganz erträglich, aber zu einer Blüte sind diese stets mit künstlerischer Sorgfalt und geschäftlicher Solidität geleiteten Unternehmungen niemals gediehen. Er selbst erzählte, daß nach pünktlicher Auszahlung der Gagen und nach Bestreitung der Kosten für glänzende Vorstellungen er oft genug mit den Seinigen sich habe einschränken müssen und eine sorgenvolle financielle Bedrängniß seinem Hause nicht fremd geblieben sei. Da bot sich ihm mit einem Male Gelegenheit, in Berlin die Leitung einer Bühne zu übernehmen, wonach er immer Sehnsucht empfunden hatte. Cerf hatte 1848 daselbst im sogenannten „Gärtner- und Weberviertel“ ein Theaterchen hergestellt, [288] das durch seine schmucklose und zwerghafte Niedlichkeit unstreitig zu den kleinsten Theaterbauten gehörte, die es jemals gegeben hat. Auf diesen Brettern spielte bis dahin ein aus dem Abhub der kleinen märkischen Wandertruppen zusammengerafftes Personal so erbärmlich, daß selbst die Schusterjungen der Umgebung ihre Sonntagsgroschen nicht dafür ausgeben wollten. Cerf, der nicht, wie er gehofft, bei seinem Unternehmen Rechnung gefunden, sah sich gezwungen, sein Liliputtheater zur Verpachtung auszubieten. Wer es übernahm, unterfing sich bei dem Verrufe, in welchem dieses Haus stand, dem man schon von einem dicht nebenan gelegenen Vergnügungslocale ungezwungenster Art den Spottnamen „Die grüne Neune“ gegeben hatte, eines nicht geringen Wagnisses, und Wallner, in dem ein energischer Thätigkeitsdrang und ein begründetes Selbstvertrauen lebte, unternahm dieses Wagniß. Aus Posen hatte er einen schon geschulten Stamm tüchtiger Schauspieler mitgebracht, seine ungemein schöne Frau und auch treffliche Schauspielerin war gleichfalls eine Zugkraft, und so pachtete er 1854 das Cerf’sche Theater und widmete sich mit hingebendem Eifer der Leitung desselben. Es war keine Kleinigkeit, was er unternommen, da er, der vor einem Vierteljahrhundert während eines Gastspiels und dann nicht wieder in Berlin gewesen, daselbst gar keine Verbindungen und mit der Journalistik keine Fühlung hatte. Er stand ganz allein ohne jede kräftige Förderung in einem obscuren oder doch als unfashionable verpönten Winkel der Hauptstadt. Es waren das schwere sorgenvolle Wochen, die nun folgten. Aber mit der Zeit, da Wallner in seinem Bestreben, immer Gutes und in tüchtiger Form zu bieten, nicht nachließ, kam doch der eine und der andere Theaterfreund dahin und fand, daß jetzt wesentlich Anderes geboten werde, als unter der Cerf’schen Mißwirthschaft. Auch die Presse begann das neue Unternehmen zu beachten. Zuerst trieb die Neugierde das Publicum dahin, und nachdem es einen Genuß gehabt, die Freude an dem Gesehenen. Das Haus füllte sich mit jedem Tage mehr und mehr. Binnen Kurzem sah allabendlich die öde Blumenstraße ein bisher niemals von ihr erlebtes Schauspiel in den wimmelnden Schaaren, den zahlreich dahinrollenden Equipagen und Droschken, deren Ziel das winzige Theater neben der „grünen Neune“. Durch Beharrlichkeit war der Sieg über alle Widerwärtigkeiten mißlicher Verhältnisse mit einem Male errungen. Es ging bergauf mit täglich sich steigerndem Erfolge, der zu einem in der Theatergeschichte wohl beispiellos dastehenden Glanze, einer wahrhaften Elektrisirung der gesammten Bevölkerung sich gestaltete, als der anregende Schöpfer des jungen Instituts für die jahrelang in ihm lebende Idee einer echten Berliner Volksposse in David Kalisch den rechten Dichter in seinen berühmt gewordenen Komikern Helmerding, Reusche und Anna Schramm Darsteller der durchschlagendsten Wirkung gefunden hatte. Nach einer zweijährigen erfolgreichen Thätigkeit kaufte er das von ihm bis dahin nur gepachtete Theater und unterwarf es einem vollständigen Neubau. Später begann er den Bau eines offenen Theaters und zwei Jahre später den einer eleganten Sommerbühne. Doch auch das genügte ihm nicht, 1864 erbaute er das großartige Wallner-Theater, nach welchem die Straße, wo es steht, den Namen Wallner-Theaterstraße führt, [289] Doch hat es ihm dabei an Kampf, Sorge und Verdruß auch nicht gefehlt, aber er überwand mit seiner seltenen Energie Alles, und das Unternehmen gedieh glänzend. Allmälig aber begannen die Kräfte des in den letzten Jahren über Gebühr in Anspruch genommenen Mannes zu ermatten. Er fühlte, daß er der Ruhe bedürfe. „Wie der Schauspieler“, sagt er, „so hat auch der Director genau darauf zu achten, daß er im rechten Augenblicke aufhöre. Ehe es ein Anderer merkt, muß er selber wissen, daß er die Zeit nicht mehr versteht und nahe daran ist, aus der Mode zu kommen“. Und so verpachtete Wallner, der indessen ein stattliches Vermögen erworben hatte, das durch ihn auf seltene Höhe gebrachte Theater an den tüchtigen Schauspieler Director Lebrun, legte seine Direction nieder und nahm am 30. April 1868 Abschied vom Berliner Publicum. Er zog sich in die ersehnte Ruhe zurück, d. h. Ruhe, wie er sie eben verstand, er begann zu schriftstellern und zu reisen. In schon vorgerücktem Alter – er zählte 58 Jahre – wurde er wieder der alte Tourist, wie er es früher gewesen, als er Jahre lang auf Gastspiele reiste, nur daß er jetzt reiste, um seinem Wanderdrange zu genügen, der jedoch nicht mehr durch den Umkreis der deutschen Bühne begrenzt war, sondern sich über den Continent hinaus erstreckte. Im Sommer kehrte er immer wieder heim, um Jahr um Jahr die Cur in Carlsbad zu gebrauchen, und wenn dies geschehen, einige Wochen bei den Seinen zu verweilen. Häufig kam er dann nach Wien, wo er in weiteren Kreisen wohl bekannt war und viele Freunde zählte. Mit dem Herbste zog er wieder hinaus und gab von seinem Aufenthalt Kunde in prächtigen, gern gelesenen Reisebriefen, die bald aus Paris oder aus Rom, aus Neapel, von den Höhen des Vesuv, bald von den Ufern des Nil oder aus der Sahara, bald aus dem südlichen Frankreich oder Nizza, aus Spanien oder den skandinavischen Ländern u. s. w. datirt waren und in den gelesensten Journalen, „Gartenlaube“, „Ueber Land und Meer“ und anderen erschienen. Im Herbst 1875 trat er wieder eine Reise an und befand sich um Weihnachten in Nizza; aber da ging es ihm schon schlecht, sehr schlecht; mit einem Male ergriff ihn, wie in Ahnung seines nahen Endes, unendliches Heimweh, aber er fühlte sich nicht mehr stark genug, seine Rückkehr allein anzutreten. Nach einigen Tagen warf ihn sein sich verschlimmernder Zustand auf das Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erheben sollte, denn er starb – auf fremdem Boden – 65 Jahre alt – in den Armen seines Sohnes, der, sobald er Kunde von der Erkrankung des Vaters erhalten hatte, herbeigeeilt war, ihm aber nicht mehr Hilfe leisten, sondern nur zu ewigem Schlafe die Augen zudrücken konnte. Wir erwähnten, daß Wallner auf seinen Reisen die Erlebnisse derselben in vielgelesenen Journalen veröffentlichte. Viele dieser Reisebriefe gab er dann gesammelt in Bänden heraus. Aber auch außerdem war er als Schriftsteller thätig. Die Titel seiner Werke sind: „Rückblicke auf meine theatralische Laufbahn und meine Erlebnisse an und ausser der Bühne“ (Berlin 1864, Gerschel, 8°., VII und 286 S.); – „Wenn Jemand eine ^Reise thut. Flüchtige Reiseskizzen von der Spree bis zur Tiber, von der Tiber bis zum Vesuv“ (Berlin 1867, Springer, 8°., VIII und 350 S.); – „Unter frohen Menschen. Komische Vorträge von erprobter Wirkung. Poesie und Prosa“ 1. und 2. Aufl. (Berlin 1868, Janke, 16°., VIII und 324 S.), auch als [290] II. Band in das „Museum komischer Vorträge für das Haus und die ganze Welt“ desselben Verlegers in 3. und 4. Aufl. aufgenommen; – „In ernster Stimmung. Eine Sammlung von Declamationsvorträgen ernsten Inhalts von erprobter Wirkung. Im Anschluss zu der Sammlung heiterer Vorträge unter dem Titel: „Unter frohen Menschen“„ (ebd. 1869, VI und 195 S.); – „Ueber Land und Meer. Reisebilder aus Nord und Süd“ (ebd. 1873, Janke, 8°., 301 S.); – „Von fernen Ufern. Reiseskizzen aus Constantinopel, Aegypten und Sicilien“ (ebd. 1872, 8°., VIII und 311 S.); – „Hundert Tage auf dem Nil. Reisebilder aus Unter- und Ober-Aegypten und Nubien. Im Anschluss an das Buch desselben Verfassers. Nach dessen eingesandten Tagebüchern herausgegeben von C. A. Dempwolff“ (ebd. 1873, 8°., VIII und 413 S.); – in Gemeinschaft mit Alexander Wallner[WS 1]: „Aus Süd und Nord. Reiseplaudereien und Studien“ (ebd. 1876, 8°., 301 S.) und in dem Sammelwerke „Bibliothek für Haus und Reise“: „Aus meinen Erinnerungen“; – „Aus der Theaterwelt“ und „Aus meinem Wanderbuche. Italia“. Wallner war für seine erfolgreichen Bemühungen um die Hebung des Theaters in Berlin nicht unbelohnt geblieben. Der König von Preußen verlieh dem von Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich früher schon mit dem Franz Joseph-Orden Decorirten außer dem Titel eines königlichen Commissionsrathes auch einen seiner Orden, Auszeichnungen, nach denen der nicht geringe Ehrgeiz des Künstlers stets gestrebt und die ihm eine Freude ohne Gleichen machten. Aber ein Schatten fallt doch auf den Charakter Wallner’s, der ein Oesterreicher, ja ein geborener Wiener war. Wir citiren hier wörtlich das Wiener Journal „Presse“, aus dessen Nummer 166 vom denkwürdigen Jahre des unglückseligen Bruderkrieges 1866: „Daß Franz Wallner, Besitzer des österreichischen Franz Joseph-Ordens, derselbe, der heute noch wienerischer spricht, als zehn Lerchenfelder, daß dieser Wallner unter dem Aufruf steht, der mit den Worten schließt: „Gott verleihe Preußen ruhmvollen Sieg!“ ist eine Thatsache, die auch für die Wiener einiges Interesse hat und und die sie sich jedenfalls wohl merken sollten“. Und diese That, wollen wir lieber sagen Unthat, wird nicht abgeschwächt durch Wallner’s vom 14. Juni 1866 aus Berlin datirte und in der nämlichen Nummer der „Presse“ enthaltene Erklärung, in welcher er an alle Autoren der Bühne die Bitte stellt, sich, da er ein geborener Oesterreicher sei und liebe Verwandte und Angehörige in beiden Lagern habe, in den ihm für seine Bühne anvertrauten Arbeiten aller politischen Ausfälle zu enthalten, da dieselben, sobald sie die Grenzen des harmlosen Scherzes überschreiten, in dieser tiefernsten Zeit bei dem gebildeten Publicum Berlins keinen Anklang finden. Das ist ein Januskopf, der ganz gut in der Mythologie der Römer seine Stelle hat, aber nicht auf den Rumpf eines ehrenhaften Oesterreichers paßt. – Wie wir in der Biographie schon erwähnten, war Wallner verheiratet. Seine Frau Agnes[WS 2] (geb. in Leipzig 22. December 1826), eine geborene Kretschmar, von zwölf Geschwistern die jüngste, verlor, als sie zwei Jahre zählte, den Vater durch den Tod. Von ihrer Mutier wurde sie in eine Tanzschule gebracht, und Director Ringelhardt nahm sich des talentvollen Mädchens an und ließ es in Kinderrollen auftreten. Robert Blum, damals Theatersecretär in Leipzig, gewann das gelehrige Kind lieb und nahm [291] es gar in sein Haus auf, wo seine Gattin der Halbwaise eine treue Pflegemutter wurde und den Sinn für Häuslichkeit in ihr wach erhielt. Im Alter von sechzehn Jahren bezog Agnes vier Thaler Monatsgage; das war freilich wenig, und so half sich die Schauspielerin durch Schneiderei, womit sie ihr Einkommen für das Nothwendigste ergänzte. Nun verließ sie Leipzig, spielte in Chemnitz, Altenburg, Plauen, heute die Griseldis, Louise, Johanna d’Arc, morgen den Pariser Gamin. Endlich für das Königsstädter Theater in Berlin gewonnen, blieb sie daselbst bis zum Tode des Directors Cerf und folgte dann einem Rufe Ringelhardt’s an das Stadttheater in Riga. Dort traf sie mit Franz Wallner, der sie schon von seinen Gastspielen in Leipzig und Berlin her kannte, wieder zusammen und wurde seine Braut. Wallner ging indessen nach Petersburg, und erst nach anderthalbjähriger Trennung fand am 8. Mai 1848 die Trauung in Halle statt. Nun machte sie mit ihrem Gatten eine Gastspielreise, trat in Aachen, Düsseldorf, Leipzig, Petersburg, dann wieder auf den besten deutschen Bühnen auf und folgte ihm nach Posen und später nach Berlin, wo sie auf seiner Bühne eine Hauptstütze derselben bildete. Ihr Repertoire umfaßte einen Rollenkreis von großem Umfange, so zog das Publicum in Schaaren in das Theater in der Blumenstraße, wenn sie in den Stücken von Dumas: „Eine neue Magdalena“ die Margot, in „Pariser Sitten“ die Susanne d’Ange, in „Diane de Lys“ die Sione spielte, oder in den kleinen Bluetten, die ausschließlich auf dem Dialog beruhen, wie „Komm her“, „Im Wartesalon“, „Ich esse bei meiner Mutter“, ihr heiteres Talent entfaltete, oder in humoristischen Rollen, wie Julie in „Die Schwäbin“, die Frau von Schönberg in „Eine Frau, die in Paris war“, sich als Meisterin bewährte, die wenige ihres Gleichen hat. Etwa ein Jahr nach dem Tode ihres Gatten – am 19. December 1876 – soll sich Frau Wallner, die sich von der Bühne zurückgezogen hatte und in Berlin ein sehr gastliches, von Schriftstellern und Künstlern gern besuchtes Haus führte, mit einem reichen Grafen Z., einem Manne in den besten Jahren, verlobt haben. Ob es zur Vermälung gekommen, ist dem Verfasser dieses Lexikons nicht bekannt.

A. Quellen zur Biographie von Franz Wallner. Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) 1864, Seite 337. – Bloch’s Charivari (Berlin) 1868, Nr. 21. – Gartenlaube. Von Robert Keil, 1876, S. 564: „Ein Ahasver der Kunst“. – Illustrirtes Wiener Extrablatt, 1872, Nr. 100 im Feuilleton: „Der schreibselige Wallner“. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber) 1876, Nr. 1702. – Kaiser (Friedrich). Unter fünfzehn Theaterdirectoren. Bunte Bilder aus der Wiener Bühnenwelt (Wien 1870, Waldheim, 12°.) S. 105 und 106. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 166 und 167. – Walter (Julius). Neue Sprudelsteine. Ein Carlsbader Bilderbuch (Wien 1876, Rosner, kl. 8°.) S. 258. – Wiener Theater-Chronik, 1868, Nr. 26, im Feuilleton. – Wiener allgemeine Musik-Zeitung. Herausgegeben von Dr. August Schmidt, 1846, Nr. 1. – Weser-Zeitung, 1863, Nr. 6236, im Feuilleton; 1864, Nr. 6542: „Berliner Brief von M. R.“. – Wigand’s Conversations-Lexikon. Bd. XV, S. 40. – Der Zwischenact (Wiener Theaterblatt) IV. Jahrg. 11. März 1861: „Wie die Verdienste des Directors Wallner in Berlin auch von seinen Feinden anerkannt werden“.
Porträts. 1) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Franz Wallner“. Ohne Angabe des Zeichners und Lithographen (Druck von A. Waldow sen., Berlin, 8°.). – 2) Unterschrift: [292] „Franz Wallner“. Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolph Neumann in der „Gartenlaube“ 1876, S. 564. – 3) Unterschrift: „Franz Wallner“. Mayerhofer lith. [Wallner auf einem Kameel sitzend, das ein Beduine am Zügel führt.] – 4) Holzschnitt aus W. Haase’s X.(yl.) A(nst.) nach einer Zeichnung von August Neumann [mit dem Orden im Knopfloch]. – 5) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Franz Wallner“. Auguste Hüssener sc. (4°.), auch in der „Leipziger Moden-Zeitung“ von Baumgärtner [sehr wenig ähnlich]. – 6) Poenicke exc. Ganze Figur in Costum (Fol.). – 7) Von Wallner erhielt ich zur Zeit, als derselbe in Lemberg spielte, eine Lithographie, mit folgenden von dem Künstler eigenhändig geschriebenen Zeilen: „Geliebt war einst das Original (Raimund). Drum duldet die Copie, | Die dem erloschenen Lebensstrahl Erborgte Funken lieh; | Vom wack’ren Raimund hoch und hehr | Bin ich der Schatten nur allein, | D’rum kann für Sie dies Bild nicht mehr | Als eines Schattens Schatten sein. | Franz Wallner“. [Die Lithographie selbst stellt Wallner in seinem besten Mannesalter von etwa 32 bis 34 Jahren dar.]
B. Quellen zur Biographie von Agnes Wallner. Deutsche Schaubühne von Martin Perels (Leipzig, 8°.) 1860, S. 69. – Oettinger. Pracht-Album für Theater und Musik, S. 53.
Porträts. 1) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Agnes Wallner“. Lithographie von Jäger, Druck von A. Hölzer, Verlag von Nelte, Böltze und Comp. in Berlin (Fol.). – 2) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Agnes Wallner | als Griseldis“. Stich, Druck und Verlag der englischen Kunstanstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden (gr. 4°.). – 3) Facsimile des Namenszuges. Lithographie und Druck von W. Jab, Berlin (8°.). – 4) Holzschnitt in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ ohne Angabe des Zeichners und Xylographen, Nr. 735, 1. August 1857.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Alexander Wagner.
  2. Agnes Wallner (Wikipedia).