BLKÖ:Thun-Hohenstein, Leopold Leo Graf

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 45 (1882), ab Seite: 54. (Quelle)
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Thun-Hohenstein, Leopold Leo Graf (Staatsmann, geb. zu Tetschen am 7. April 1811). Der drittgeborene Sohn aus der Ehe des Grafen Franz Anton [S. 40] vom Majorat Tetschen mit Theresia Maria geborenen Gräfin Brühl und ein Bruder der Grafen Franz Anton II. [S. 43] und Friedrich [S. 48]. Leopold Leo, gewöhnlich nur mit letzterem Taufnamen genannt, erhielt im Elternhause gleich seinen beiden älteren Brüdern eine sorgfältige Erziehung. Der dieselbe leitende Pädagog Johann Rohrweck, der in den Dreißiger-Jahren in Prag ein eigenes Erziehungsinstitut gründete, in welchem die vornehmsten Adelsfamilien ihre Söhne unterzubringen suchten, ist erst vor Kurzem im hohen Alter von 89 Jahren gestorben. Nach beendeten Vorbereitungsstudien widmete sich der Graf an der Prager Hochschule den Rechtswissenschaften, machte dann mit seiner Familie eine längere Reise durch die westlichen Länder Europas und trat nach seiner Heimkehr in den Staatsdienst, in seiner Sphäre sich einer beinahe alle Gebiete desselben umfassenden Praxis unterziehend. In kurzer Zeit Kreiscommissär in Schlan, kam er in gleicher Eigenschaft nach Königgrätz und von da als Regierungssecretär nach Wien. Erst 25 Jahre alt, betrat er das Gebiet der Publicistik mit seiner Schrift über das Gefängnißwesen: „Die Nothwendigkeit der moralischen Reform der Gefängnisse mit Hinweisung auf die zur Einführung derselben in einigen Ländern getroffenen Massregeln beleuchtet“ (Prag 1836, Borrosch und André, gr. 8°.). Ueberhaupt zeigte er gleich im Beginn seiner öffentlichen Laufbahn sich mehrfach auf humanistischem Gebiete thätig, so knüpft sich sein Name an die Gründung von Rettungsanstalten für die verwahrloste Jugend und dann an die im Jahre 1844 erfolgte Entstehung der Schutzvereine für aus Straf- und Verwahrungsorten entlassene Personen mit dem Zwecke, diese zu beschäftigen, unterzubringen und gebessert der menschlichen Gesellschaft wiederzugeben. Nach anderer Richtung erweckte er die öffentliche Aufmerksamkeit durch zwei rasch aufeinander herausgegebene Schriften, deren Titel lauten: „Ueber den gegenwärtigen Stand der böhmischen Literatur und ihre Bedeutung“ (Prag 1842, Kronberger und Riwnac, gr. 8°.) und „Die Stellung der Slowaken in Ungarn beleuchtet“ (Prag 1843, Calve, gr. 8°.). In beiden erscheint der Graf als entschiedener, mit den politischen und literarischen Zuständen der Böhmen wie der mit diesen stammverwandten Slovaken innig vertrauter Vorkämpfer für eine unbehinderte volksthümliche Entwickelung Beider. Gewiß ist es, daß durch diese beiden Schriften der čechischen Literatur ein mächtiger Anstoß zu weiterer Entwicklung und zu einer nach außen günstigeren Stellung gegeben, durch die zweite aber die Aufmerksamkeit auf einen fast vergessenen in der magyarischen Umarmung sich nicht zu behaglich fühlenden Volksstamm gerichtet wurde. So lange der Graf in Prag lebte, bis 1847, war er auch als Mitglied des Museumcomités zur wissenschaftlichen Pflege der čechischen Sprache und Literatur thätig, erst nach seinem Abgange aus der Hauptstadt Böhmens fand er weder Zeit noch Gelegenheit an den Arbeiten des Museums, zu dessen Gründern er übrigens auch zählte, ferner theilzunehmen. Im Jahre 1847, als Graf Franz Stadion den Gouverneursposten in Galizien übernommen hatte, kam er als Gubernialrath dahin. Die ersten Stürme der Märzbewegung, welche auch die Verhältnisse in diesem Lande von [55] oberst zu unterst kehrten, sollte er daselbst miterleben, und er stellte sich in Stanislawow, wo sein Leben ernstlich bedroht war, dem zügellosen Treiben der Bewegungspartei mit entschiedenem Mannesmuthe entgegen; da erreichte ihn im April g. J. der Ruf des Kaisers, die Leitung der Regierung in Böhmen zu übernehmen. „Wahrlich“, rief der Graf aus, „in dieser Zeit arger Verwirrung kann doch Niemand, dem der Eid eines Staatsbeamten heilig ist, danach lüstern sein, einen solchen Posten zu übernehmen“. Aber er glaubte dem Rufe seines Kaisers folgen zu müssen und folgte ihm. In Prag fand er Alles in der höchsten Aufregung und bestrebt, die Regierung selbst zu einer Parteistellung zu nöthigen. Während er nun eifrigst bemüht war, sich mit Unbefangenheit über den Parteien zu halten, überall vermittelnd, versöhnend einzugreifen, wurde ihm dies von den sich bekämpfenden Parteien als Verrath an ihrer Sache, welche jede Partei für die einzig gerechte hielt, angesehen. Deutsche und Čechen betrachteten ihn mit Mißtrauen, und die Wiener Regierung, welche die Zügel aus den Händen gelassen und ein Spielball der aufgeregten Menge geworden, bereitete dem Statthalter Böhmens andere, nicht minder große Verlegenheiten. „Der Graf“, so schreibt einer seiner Biographen, „war ein Gegner Aller, die im gemeinsamen Vaterlande noch den Nationalitäten feindliche Lager aufschlagen wollten, und da er es dabei weder den exaltirten Čechen, noch den exaltirten Deutschen recht machte, so gefielen sich die Einen wie die Anderen, ihn als ein Werkzeug ihrer Gegner hinzustellen“. Dieser Umstand spricht wohl am besten für des Grafen damalige strenge und parteilose Selbständigkeit. Nicht besser aber, als im engeren Vaterlande, erging es ihm in Wien, wo die Revolutionspartei das große Wort führte und das willenlose Ministerium beherrschte. Weil er es unumwunden aussprach, daß die Länder Oesterreichs sich nicht von der Revolutionspartei, die den Mantel des Deutschthums sich umgehängt, während unter diesem die Revolutionäre und Emissäre und der Auswurf des Gesindels von ganz Europa agirten, beherrschen lassen, sondern ihrem angestammten Monarchen die Treue bewahren wollten, gaben ihn die Deutschen einfach als den willfährigen Diener einer čechischen Partei aus und feindeten ihn an, kein Mittel unbenutzt lassend, ihn entweder lächerlich oder verhaßt zu machen. Unter solchen Verhältnissen brachen in Prag die Juniereignisse herein. Als am Pfingstmontage, dem 12. Juni, gleich beim Beginne des Barricadenbaues, der Graf auf die Altstadt eilte, um dem Unglücke, welches Prag bedrohte, noch Einhalt zu thun, wurde er von den Aufständischen gefangen genommen und auf das Clementinum in Verwahrung gebracht. Ueber die Einzelheiten bei seiner Gefangennehmung kamen in späteren Jahren noch irrige Angaben in Umlauf, so daß er selbst wiederholt sich veranlaßt sah, dieselben richtig zu stellen. Seine Lage war eine gefahrvolle, denn sowohl von den Barricaden herab, als von einer an den Fürsten Windischgrätz gesendeten Studentendeputation wurde die Drohung ausgesprochen, den Grafen aufzuhängen, falls mit Militärgewalt eingeschritten würde. Er legte bei dieser Gelegenheit unerschütterlichen Gleichmuth an den Tag, indem er allen Einschüchterungsversuchen wiederholt mit der gemessenen Erklärung entgegentrat, daß, so lange er seiner Freiheit beraubt sei, nichts ihn zu einem Einflusse auf die [56] öffentlichen Angelegenheiten, oder zu irgend einer Zusage, zur Eingehung irgend einer Bedingung bewegen werde. Eine gleiche Festigkeit der Gesinnung bewahrte seine Gemalin, denn auch sie wurde am 12. Juni im Gouvernementspalaste gefangen gehalten und weigerte sich, trotz aller gegen sie erhobenen Drohungen, standhaft, in einem ihr vorgelegten Briefe an ihren Gemal diesen zur Unterzeichnung gewisser Bedingungen zu vermögen. In Folge der ernsten Antwort, welche Fürst Windischgrätz der Studentendeputation gab, erhielt der Graf am 13. Juni, nicht ohne Widerstand des von allen Seiten aufgestachelten Proletariats, seine Freiheit zurück. Nähere Aufschlusse über die Prager Zustände und seine eigenen Erlebnisse in jenen Tagen gibt uns Leo Thun selbst in zwei bald danach erschienenen Flugschriften, deren Titel lauten: „Otevřený list panu Janu Slavikovi měštanu pražskému, strany událostí pražských za dnů svatodušních“, d. i. Offenes Schreiben an den Herrn Johann Slavik, Prager Bürger, in Betreff der Ereignisse in der Pfingstwoche 1848 (Prag 1849, Credner, 8°.) und „Dodatek k otevřenému listu“ u. s. w. wie oben; d. i. Nachtrag zum offenen Briefe u. s. w. (Prag 1849); beide Broschüren mit urkundlichen Belegen kamen zu gleicher Zeit auch in deutscher Sprache heraus. Vergleiche übrigens Artikel Slavik im Lexikon [Bd. XXXV, S. 132]. Wie nun der Graf die Ereignisse der Prager Pfingstwoche persönlich ansah, erhellt aus seinem an die Kreishauptleute erlassenen Circular vom 23. Juni 1848, worin er denselben nahe legt, an der Ansicht festzuhalten: „daß der Aufruhr in Prag nicht eine nationale Bewegung der slavischen Bevölkerung gegen die deutsche, sondern eine revolutionäre gegen die Regierung und die bewaffnete Macht sei, eine Bewegung, welche ohne Zweifel theils von Söldlingen der revolutionären Partei der Wiener Studentenschaft angeregt und unterstützt wurde und bei welcher revolutionär Gesinnte ohne Unterschied der Nationalität betheiligt waren“. Mit der damaligen Regierung in Wien konnte ein Mann von Leo Thun’s Denkungsart nicht zusammengehen. Der Wiener Sicherheitsausschuß – diese Caricatur eines Revolutionstribunals – erklärte des Grafen Absetzung für einen Theil des Preises, um welchen: der Nachfolger Pillersdorf’s sein neues Ministerium bilden durfte. So trat denn der Graf vom öffentlichen Leben zurück. Größtentheils in Prag lebend, benutzte er seine Muße zur Abfassung der Schrift: „Úvahy o nynějších poměrech hledic k Čechům“, d. i. Bemerkungen über die Zeitverhältnisse, insbesondere im Hinblicke auf Böhmen (Prag 1849, Calve, 8°.). Ehe aber dieselbe im Druck erschien, erhielt er mit ah. Erlaß vom 28. Juli 1849 die Aufforderung zur Uebernahme des Ministeriums für Cultus und Unterricht. Er übernahm das Portefeuille zugleich mit jenem für die bis dahin dem Minister des Innern zugewiesenen Cultusangelegenheiten. Wie wenig in Sachen des Unterrichts, von der vormärzlichen Periode ganz zu schweigen, auch in der ersten Zeit des Nachmärz in die Oeffentlichkeit getreten, ist bekannt. Theilweise waren die damit betrauten Staatsmänner in der ersten Zeit der Bewegung mit anderen Dingen zu sehr belastet, um dem Unterricht in der Monarchie die gebührende Aufmerksamkeit zuwenden zu können; theilweise war die Aufgabe eine ungemein wichtige, die bei den im vielsprachigen [57] Kaiserstaate obwaltenden Verhältnissen mit großer Sorgfalt behandelt werden mußte. Graf Leo Thun trat am 22. August 1849 das Ministerium an und schritt mit aller Kraft und Energie an seine Arbeit. Schon am 30. August erschien das provisorische Gesetz über die Prüfung der Candidaten des Lehramtes, dann mit ah. Entschließung vom 16. September der Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Oesterreich, mit welchen zwei Acten seiner Thätigkeit die Grundlage der Umgestaltung dieses Unterrichtszweiges im Kaiserstaate gegeben war. Nun folgten am 27. September das provisorische Gesetz über die Organisation der akademischen Behörden, mit ah. Entschließung vom 11. October die allgemeinen Anordnungen über das Studienwesen an der rechts- und staatswissenschaftlichen, medicinisch-chirurgischen und philosophischen Facultät der k. k. Universitäten für das Jahr 1849/50; die provisorische Disciplinarordnung und Einführung von Collegiengeldern an den Universitäten; am 24. October die kaiserliche Verordnung über die Einsetzung von provisorischen Schulräthen und Inspectoren für die Volksschulen und Gymnasien, und endlich am 26. October eine provisorische Vorschrift über die künftige Regulirung der Gehalte und des Vorrückungsrechtes der Facultätsprofessoren. Eine Reihe organischer, das Studienwesen entsprechend den Anforderungen der Zeit regelnder Normen erfolgte im Jahre 1850. So wurde das nach dem früheren System in den engsten Grenzen gehaltene Ausleihen der Bücher aus den Bibliotheken der höheren Studienanstalten in zeitgemäßer Weise erweitert; die Reorganisation an den Universitäten und Gymnasien des lomb. venetianischen Königreichs nach den für andere Theile des Reiches provisorisch bereits angenommenen Grundlagen angebahnt; an der Universität in Pesth durchgeführt; den Gymnasiallehrern das Ertheilen sogenannter „Nachstunden“ verwehrt, dagegen gleichzeitig eine entsprechende Zulage zu ihren bisherigen Gehalten erwirkt; theoretische Staatsprüfungen für Studirende der Rechts- und Staatswissenschaft wurden eingeführt; die allgemeinen Angelegenheiten der Facultätsstudien geregelt; für Ungarn zu Preßburg, Kaschau und Großwardein, für Croatien und Slavonien zu Agram Rechtsakademien errichtet und die evangelisch-theologische Lehranstalt zu Wien nach den für die Universitäts-Facultäten geltenden Bestimmungen reorganisirt. Wie in Angelegenheiten des Unterrichtes trat der Graf auch in jenen des Cultus mit mehreren wichtigen organischen Gesetzen auf. Noch zu der Zeit, als das Cultuswesen zum Ressort des Ministeriums des Innern gehörte, waren die Bischöfe des Reiches zu einer gemeinsamen Besprechung ihrer Angelegenheiten nach Wien berufen worden und hatten daselbst vom April bis Juni Berathungen gehalten, aus deren Ergebniß eine Reihe von Vorlagen an das Ministerium hervorging. Mit Beziehung darauf erflossen nun am 18. und 23. April 1850 zwei kaiserliche Verordnungen, durch welche das Placetum regium, dessen erste Spuren sich in Oesterreich bis in die Zeiten des luxemburgischen Sigmund zurückführen lassen, aufgehoben, der oberhirtliche Verkehr der Bischöfe mit den Gläubigen ihrer Diöcese freigegeben, die Disciplinar- und Strafgewalt nicht nur über Geistliche, sondern auch über Laien auf dem der Kirche eigenthümlichen und bürgerliche Rechte nicht berührenden Gebiete wiederhergestellt und endlich der [58] Einfluß der Bischöfe auf die an katholischen Lehranstalten zu bestellenden Religionslehrer und Professoren der Theologie, auf die theologischen Studien und die Erlangung der theologischen Doctorwürde auf neue Grundlagen gestellt wurden, wie solche eben die Kirche als Rechte gegenüber der Staatsgewalt ansprechen zu müssen glaubte. Mit dem Ministerialerlaß vom 30. Juni 1850 wurden nähere Bestimmungen in Betreff der Diöcesan- und Klosterlehranstalten bekannt gegeben, das Verhältniß der an den Universitäten bestehenden theologischen Facultäten, als deren Beruf die Pflege der theologischen Wissenschaften bezeichnet war, zu Diöcesanlehranstalten geregelt, deren Zweck in der Heranbildung von Candidaten für den praktischen Seelsorgedienst bestehe und deren Errichtung neben oder in Verbindung mit der theologischen Facultät jedem Bischofe frei stehe. Weitere Bestimmungen vom 15. Juli d. J. regelten das Straf- und Disciplinarverfahren gegen katholische Geistliche, die Ordnung des Gottesdienstes und die Pfarrconcursprüfungen. Diesen organisatorischen Hauptnormen des Unterrichts und Cultus folgten nun in den nächsten Jahren andere, gleichfalls sehr wichtige Anordnungen, so am 31. October 1850 die Reorganisirung der Wiener Kunstakademie, am 2. Jänner 1851 die Errichtung einer Centralcommission in Wien für Erforschung und Erhaltung vaterländischer alter Baudenkmale und Aufstellung von Conservatoren in den einzelnen Kronländern; am 2. März die Organisirung des gewerblichen Unterrichts und die Errichtung von Realschulen; am 18. August die Organisation der Centralanstalt für meteorologische und magnetische Beobachtungen; am 23. Juni 1852 die Außerkraftsetzung der ah. Entschließung vom 7. Mai 1848, wodurch den Redemptoristen und Jesuiten die Rückkehr nach Oesterreich gestattet ist; am 1. Jänner 1855 die Einführung der neuen Pharmacopoea austriaca; am 22. Juli die zu Ehren der dogmatischen Entscheidung über die unbefleckte Empfängniß Mariä abgehaltene Feier als Voract der am 18. August in Wien erfolgten Unterzeichnung des Concordates; am 25. September die Auswechslung der beiderseitigen Ratificationen zwischen Rom und Wien in Betreff des Concordates und am 15. November das kaiserliche Patent über den Abschluß desselben; vom 6. April bis 17. Juni 1856 währten die Berathungen des versammelten österreichischen Episkopates über den Modus, nach welchem bei Durchführung des Concordates im Einklange mit den weltlichen Behörden vorzugehen sei; am 15. April 1857 erfolgte die Uebergabe des seit 1848 als Kaserne verwendeten Universitätsgebäudes an die kaiserliche Akademie der Wissenschaften; am 29. October die feierliche Uebernahme desselben; am 23. August die Wiedereinführung der Kunstausstellungen an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Mit vorstehender Uebersicht sind die wichtigsten staatsmännischen Acte des Grafen in seiner Stellung als Cultus- und Unterrichtsminister erschöpft. Was von allen diesen Staatsacten am tiefsten ins geistige und Culturleben der Monarchie eingriff – denn das Concordat blieb nicht lange in Wirksamkeit – war die Organisirung des gewerblichen Unterrichts und die damit verbundene Errichtung von Gewerbe-Realschulen und Gymnasien, welche am 2. März 1851 stattfand und deren Segnungen der Kaiserstaat, der von den Wehen des Socialismus bisher verschont geblieben – noch zur Stunde [59] empfindet. Denn von diesen Anstalten, welche vorher gar nicht bestanden, zählt Oesterreich gegenwärtig weit über anderthalbhundert, und dieselben ins Leben gerufen und zum großen Theile mit Gebäuden und reichen Lehrmitteln versehen zu haben, bleibt Leo Thun’s unantastbares und bisher nirgend gewürdigtes Verdienst. Am 20. October 1860 trat der Graf vom Cultus- und Unterrichtsministerium zurück, welches nun Baron Helfert provisorisch leitete, bis es am 4. Februar 1861 dem Staatsministerium zugewiesen wurde. Bei Gelegenheit seines Rücktrittes erhielt Graf Leo Thun das Großkreuz des Leopold-Ordens, gleichzeitig erfolgte seine Ernennung zum ständigen Reichsrath. Als solcher fungirte er bis zur Auflösung des verstärkten Reichsrath es am 12. März 1861. Am 12. April d. J. wurde er dann auf Lebensdauer in das Herrenhaus berufen. Im nämlichen Jahre und bei den späteren Neuwahlen – bis 1871 – sendeten ihn die Fideicommißbesitzer in den böhmischen Landtag, in welchem er namentlich als Berichterstatter der Adreßcommission eine große Thätigkeit entfaltete und mit seinem Schwager, dem Grafen Jaroslav Clam-Martinitz als Führer der conservativen oder historischen Adelspartei angesehen wurde. Zu derselben gehört er auch im Herrenhause, in welchem er in allen wichtigen Fragen als Redner auftritt und die Principien seiner Partei mit unbeugsamer Consequenz verficht. So sprach er im Jahre 1861 in der Adreßdebatte, in den Verhandlungen über Concurs- und Ausgleichsverfahren, über Schutz der Freiheit der Person und des Hausrechtes, 1862 in der Finanzdebatte und in den Berathungen über Aufhebung des Lehenverbandes; im Jahre 1865, in welchem er in seiner denkwürdigen Rede im Juli seine Ansichten über den Parlamentarismus und Constitutionalismus entwickelte; als 1868 die Kirchengesetze den Gegenstand der parlamentarischen Debatte bilden sollten, gab er am 18. März seine Demission als Mitglied des Herrenhauses; von Sr. Majestät aber wurde dieselbe nicht angenommen, worauf er sich an den denkwürdigen Debatten über das Ehe- und Schulgesetz betheiligte und gegen beide Gesetze stimmte. Indessen blieb er auch publicistisch nicht unthätig, nicht nur daß er zu den Mitgründern des die Interessen der feudalen Partei im Kaiserstaate vertretenden Journals „Das Vaterland“, eines im großen Style redigirten Blattes, gehört, es heißt auch, daß er einer der fleißigsten Mitarbeiter dieser Zeitschrift sei, in welcher er alle wichtigen Zeitfragen mit Gewandtheit und Energie behandelt. Unter seinem Namen erschienen im Druck nur die Broschüren „Die staatsrechtliche Zweispaltung Oesterreichs. Rede, gehalten im Herrenhaus den 5. Juni 1867“ (Wien 1867, Braumüller, gr. 8°.), welche von der öffentlichen Meinung je nach dem Standpunkte der Parteien ihre Beurtheilung fand, und „Die allerunterthänigsten Adressen des böhmischen Landtages vom 12. December 1865 und 8. December 1866 nebst den am Schlusse der Debatten über dieselben von dem Berichterstatter der Adresscommissionen gehaltenen Reden“ (Prag 1867, Tempsky, 8°.). Daß der Graf in allen auf die Kirche Bezug habenden Fragen den streng katholischen Standpunkt vertritt, ist bei ihm, der im verstärkten Reichsrathe wiederholt erklärte, daß er stolz sei, am Concordate mitgewirkt zu haben, selbstverständlich, und die Rede, welche er in der Katholikenversammlung vom 8. December 1870 hielt, als Pius IX. zur Durchführung des neuen Dogma der Unfehlbarkeit [60] des Papstes die sämmtlichen kirchlichen Würdenträger der Welt zu einem allgemeinen Concil im Vatican berufen hatte, kann wohl als sein religiöses Glaubensbekenntniß angesehen werden. Als in neuester Zeit (1882) durch den Selbstmord Rothschild’s, des Chefs des Pariser Welthauses, die Aufmerksamkeit von den politischen Ereignissen auf einen Augenblick dem Geldmarkt sich zuwendete und der Name des ehemaligen Generaldirectors der österreichischen Südbahn Bontoux, späteren Generaldirectors der „Länderbank“, mit diesem Selbstmorde in Verbindung gebracht ward, da fand sich Graf Leo Thun unter denjenigen Männern Oesterreichs, weiche dem Bontoux-Schwindel, wie das Gebaren jenes Finanzmannes in Voraussicht einer unausbleiblichen Katastrophe – welche mittlerweile auch eingetreten – von vielen Seiten bezeichnet wurde, entschieden entgegentraten. Eine hervorragende Persönlichkeit richtete aus Wien an die Augsburger „Postzeitung“ (23. November 1881, Nr. 273: „Börse und Politik“) ein Schreiben, welches vor den finanziellen Operationen Bontoux’ ernstlich warnt und dann hinzufügt: „Zum Glück für Oesterreich gibt es jedoch unter seinem Geburtsadel noble Männer genug, welche auf reine Hände mehr geben als auf Gründerlöhne. Mit Aerger und Abscheu verfolgten diese Edelleute den Fortgang des „Bontoux-Schwindels“ (sic), und als vor acht Tagen (16. November 1881) der Reichsrath zusammentrat, kam es in den conservativen Clubbs allsogleich zu Auseinandersetzungen. Graf Leo Thun, die Fürsten Albrecht und Alois von Liechtenstein u. A. thaten sich mit den übrigen deutsch-conservativen Abgeordneten aus den alten Kronländern Vorarlberg, Tirol, Steiermark, Ober- und Niederösterreich zusammen und machten entschieden gegen diese Corruption Front. Ihr Auftreten hatte zur unmittelbaren Folge, daß der Abgeordnete Baron Gödel seine Entlassung als Vicepräsident der Länderbank nahm und sich dadurch von dem Bontoux-Schwindel lossagte“. Im Jahre 1860 wurde Graf Leo Thun von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zum inländischen Ehrenmitgliede der Gesammtakademie erwählt und diese Wahl mit ah. Entschließung vom 17. November 1860 von Seiner Majestät genehmigt. Außerdem ist er Mitglied vieler anderen wissenschaftlichen Vereine, so: der königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, der Akademie der Wissenschaften in Padua, der Akademien der schönen Künste in Venedig und Padua; Ehrenbürger der Städte Brunecken, Erlau, Esseg und Innsbruck; Ritter des Ordens der eisernen Krone erster Classe und seit 1855 Großkreuz des päpstlichen Pius-Ordens. Seiner am 14. October 1847 mit Karoline geborenen Gräfin Clam-Martinitz geschlossenen Ehe sind keine Kinder entsprossen.

Zur politischen Charakteristik. Die Presse, 28. August 1861, Nr. 235, im ersten Leitartikel [über der Grafen Verhalten in der Adreßdebatte]. – Wiener Zeitung, 1861, Nr. 222, S. 3444: „Rede des Grafen in der Berathung über Concurs und das Ausgleichsverfahren“. – Dieselbe, 1861, Nr. 291, S. 4606, in der Debatte über die Gesetzentwürfe zum Schutze der Freiheit der Person und des Hausrechts. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 12. April 1862, Nr. 101, im Leitartikel anläßlich der Finanzdebatte. – Die Presse, 22. März 1862, Nr. 80, in den Berathungen über die Aufhebung des Lehenverbandes. – Unsere Tage. Blicke aus der Zeit in die Zeit (Braunschweig 1862, Westermann, gr. 8°.) 37. Heft, Bd. III, S. 672. – Wiener Zeitung, 13. April 1862, Nr. 86, S. 97, [61] in der Finanzdebatte. – Magazin für die Literatur des Auslandes. 1863, Nr. 329: „Graf Leo Thun und der Parlamentarismus in Oesterreich“. – Moravska Orlice Brunner polit. Parteiblatt) 1863, Nr. 54 und 55, im Feuilleton: „Spis hraběte Thuna“, d. i. Die Schrift des Grafen Thun [über politischen Parlamentarismus]. – Neue preußische Kreuz-Zeitung, 1863, Beilage zu Nr. 130: „Graf Leo Thun über parlamentarische Regierungsform“. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 9. Juli 1865, Nr. 1, im ersten Leitartikel. – Neue Freie Presse, 8. Juli 1865, Nr. 307: „Verhandlungen des Reichsrathes“ [betreffend die Ansichten des Grafen über Constitutionalismus]. – Dieselbe, 10. December 1865, Nr. 462: „Der Thun’sche Adreßentwurf“. – Dieselbe, 16. December 1865, Nr. 468, Morgenblatt: „Die Adreßdebatte im böhmischen Landtage“. – Constitutionelle Vorstadt-Zeitung (Wien, Fol.) 1867, Nr. 154 [anläßlich der Adreßdebatte eine Erinnerung an eine Charakteristik[WS 1] des Grafen Leo Thun von Dr. Pinkas in Kuranda’s „Grenzboten“]. – Neue Freie Presse, 10. April 1867, Nr. 937, der zweite Leitartikel: „Ein Parteiführer“. – Dieselbe, 6. Juni 1867, Nr. 993: „Der Reichsrath“ [über des Grafen Haltung in der Adreßdebatte]. – Dieselbe, 25. Februar 1868, Nr. 12533, im ersten Leitartikel. – Dieselbe, 1869, Nr. 1706: „Graf Leo Thun in Rom“. – Neues Wiener Tagblatt[WS 2], 1869, Nr. 335: „Zur Genesis des Leo Thun’schen Memorandums“. – Dasselbe, 1869, Nr. 349: „Ein alter Bekannter“. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1870, Nr. 96: „Gemeinschaftliche Erklärung des Grafen Leo Thun und Dr. von Florencourt, daß die Austragung ihrer Meinungsdifferenzen bis zum Zusammentritt der Eigenthümer des „„Vaterland““ verschoben sei“. – Neue Freie Presse, 1870, Nr. 2018: „Graf Leo Thun und Dr. Bernard von Florencourt“ [Erklärung des Grafen Thun, warum Florencourt von der Redaction des „Vaterland“ enthoben worden]. – Die Presse, 13. October 1870, Nr. 283: „Die Feudalen auf dem böhmischen Landtage“. – Die Tagespresse (Wiener polit. Blatt) 1870, Nr. 153, im Feuilleton: „Ein ultramontan-feudales Kleeblatt“. – Neue Freie Presse, 1872, Nr. 2793: „Graf Leo Thun“. [Eine Erklärung des Grafen, seine Gefangenschaft während der Pfingstwoche 1848 betreffend.] – Dieselbe, 12. August 1875, Nr. 3938: „Graf Leo Thun über den österreichischen Föderalismus“. – Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1876, Nr. 67: „Correspondenz aus Wien 5. März“, und Nr. 71: „Correspondenz aus Wien 8. März“. [Anläßlich der Bemerkungen des Grafen m seiner Rede im Herrenhause, die Staatsfinanzen betreffend.] – Die Presse, 8. Juni 1878, Nr. 156: „Des Grafen Rede über das neue Bankstatut“. – Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1878, Nr. 143: „Correspondenz aus Wien 21. Mai. Graf Thun über das Bankstatut“. – Dieselbe, 22. December 1878, Beilage Nr. 356: „Böhmische Briefe. IX.“ Ueber die Situation des Grafen am 12. Juni 1848 [nach Berichten eines Augenzeugen]. – Dieselbe, 1878, Nr. 3653, S. 5370: „Correspondenz aus Wien 20. December“ [Graf Thun über Oesterreichs finanzielle Zukunft]. – Augsburger Post-Zeitung, 23. November 1881, Nr. 273: „Börse und Politik“.
Porträte. 1) Unterschrift: „Leo Graf Thun“. F. Chalupa lith. C. W. Medau und Comp. (4°.). – 2) Unterschrift: „Leo Graf Thun, | Minister des Cultus und Unterrichts“. Lith. von Ed. Kaiser Druck v. J. Haller (12°.). Hermannstadt bei Theodor Steinhauser. – 3) Facsimile des Namenszuges: „Leo Graf Thun“. Kriehuber (lith.) 1850 (Wien, Neumann, Fol.). – 4) Lithographie von Mayssel (kl. 4°.). Beilage zum „Oesterreichischen Kalender für Industrie für 1855“ (Brun Hauptmann). – 5) Unterschrift: „Leo Graf Thun“. A. Volkert sc. (32°.) [auch im „Genealogischen Taschenbuch der gräflichen Häuser“].
Quellen zur Biographie. Friedenfels (Eugen von). Joseph Bedeus von Scharberg. Beiträge zur Zeitgeschichte Siebenbürgens im neunzehnten Jahrhunderte (Wien 1876, Braumüller, gr. 8°.) Bd. I, S. 311; Bd. II, S. 175 und 285. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1867, Nr. 279: „Zur Geschichte der Entstehung des Concordates“. – Hahn (Sigmund). Reichsraths-Almanach (Prag, Satov, 8°.) Session 1867, S. 78; Session 1873/74, S. 95; Session 1879/80, S. 76. – Helfert (Joh. Alex. Freiherr von). Geschichte Oesterreichs vom Ausgange des Wiener October-Aufstandes 1848 (Prag 1872, Tempsky, gr. 8°.) Bd. III, [62] S. 29, 134, und im Anhang, S. 64. – Derselbe. Der Wiener Parnaß im J. 1848 (Wien 1882, Manz, gr. 8°.) S. LXXI, 1462, 1611. – Kleines biographisches Lexikon. enthaltend Lebensskizzen hervorragender um die Kirche verdienter Männer (Znaim 1862, M. F. Lenck, 8°.) S. 247. – Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart (Leipzig 1862, Karl B. Lorck, 4°.). Zweite Serie, Sp. 197. – Neue Freie Presse, 1867, Nr. 1087: „Miscelle“. – Neuigkeiten (Brünner polit. Blatt) 29. und 30. October 1860: „Graf Thun als Cultus- und Unterrichtsminister“ [eine befangene Stimme aus protestantischem Lager]. – Presse, 1867, Nr. 64: „Ein Schreiben des Grafen Leo Thun“ [worin er eine Mittheilung der „Gemeinde-Zeitung“ berichtet, „nach welcher Graf Thun im Jahre 1848 Präsident der in Prag bestandenen, von dem Fürsten Windischgrätz aufgehobenen provisorischen Regierung gewesen wäre“]. – Budapesti Hirlap, 1856, Nr. 150, im Feuilleton: „Gróf Thun Lipót Leo“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Charakeristik.
  2. Vorlage: Taglatt.