Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 39 (1879), ab Seite: 265. (Quelle)
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Straßer, Alois (Bürgermeister von Hall, geb. zu Jenbach in Tirol 17. September 1806, gest. zu Hall 18. Juli 1865). Sein Vater lebte zu Jenbach im Unterinnthal, einem durch Verfertigung von Stahl- und Eisenwaaren mannigfaltiger Art wohlbekannten Dorfe, und erwarb sich um die Verbesserung der Stahlbereitung große und anerkannte Verdienste. Den Sohn ließ er studiren. Nachdem dieser die Rechtswissenschaften beendet, trat er zunächst [266] in den Staatsdienst und rückte in der richterlichen Sphäre, welche er eingeschlagen, allmälig bis zum Rath bei dem Oberlandesgericht in Innsbruck vor. Im Jahre 1854 aber gab er aus Liebe zur Unabhängigkeit den Staatsdienst auf und trat zur Advocatur über, auf die er ein Jahr vor seinem Tode verzichtete. In diesen einfachen Rahmen eines stillen Menschenlebens fallen jedoch noch manche Momente, welche näher betrachtet zu werden verdienen. Im denkwürdigen Jahre 1848 war S. der volksthümliche Adlatus der Obercommandanten der Landesvertheidigung, zuerst des Erzherzogs Johann, dann des Generals von Roßbach. Als im genannten Jahre die Wahlen für den constituirenden Reichstag stattfanden, wurde er, damals k. k. Landrath im Wahlbezirke Wilten, gewählt. Im Reichstag arbeitete er in zwei Ausschüssen, in jenem für die Unterrichtsangelegenheiten und in dem zur Berathung des Militär-Conscriptions-Gesetzes. Im Sitzungssaale saß er im rechten Centrum zwischen Klebelsberg und Gredler, neben welchem Haßlwanter seinen Platz hatte, so daß die Tiroler Trias beisammen war. Bei Erneuerung der Vorstandswahlen des Hauses am 17. August 1848 ging neben Strobach als Präsidenten, und Hagenauer als erstem Vice-Präsidenten, Straßer als zweiter Vice-Präsident aus der Urne hervor, und blieb er es bis zur nächsten Wahl am 14. September, wo der Abgeordnete Lasser an seine Stelle trat. Als Parlamentsmitglied erlangte er bald einen solchen Einfluß im Hause, daß er von mehreren Journalen als künftiger Justizminister bezeichnet wurde. Aus seiner parlamentarischen Thätigkeit in jenen Tagen ist besonders ein die damalige Zeit treffend illustrirendes Moment hervorzuheben. Von den politischen Journalen zahlte nur eines, nämlich die amtliche „Wiener Zeitung“ den gesetzlich vorgeschriebenen Zeitungsstempel. Darüber interpellirte er in der Sitzung vom 24. Juli den Finanzminister, indem er diesen Mißstand rügte und zu wissen verlangte, woher diese Nichtbeobachtung eines nicht aufgehobenen Gesetzes komme, durch die den ohnedies sehr bedrängten Zuständen unserer Staatsfinanzen eine tägliche Einnahme von 250–500 fl. entzogen würde. Die ausweichende und jedenfalls ungenügende Antwort des Finanzministers gipfelte in den Worten, „daß das Stempelgesetz solche Zeitungen im Auge gehabt, die regelmäßig den Gang der politischen Tagesereignisse brächten, während außer der „Wiener Zeitung“ die übrigen Blätter sich nur mit Erörterung politischer Fragen beschäftigten!“ – In den darauf folgenden Jahren der Reaction zog er sich von allem öffentlichen Leben und als die Reaction auf ihrem Gipfelpuncte stand, auch aus dem amtlichen zurück und lebte nun unabhängig als Advocat, in welcher Eigenschaft ihn sein gemüthliches Wesen, sein Bieder- und Rechtssinn zu einem gesuchten Anwalt machten. Als aber nach der Katastrophe von 1859[WS 1] das politische Leben in Oesterreich wieder erwachte und das kaiserliche Patent vom 5. März 1860 eine Verstärkung des Reichsrathes durch außerordentliche Reichsräthe anordnete, wurde auch er in denselben berufen. Hier trat er in allen wichtigen Fragen mit offenem und rückhaltlosem Freimuth auf. So betonte er in der Sitzung vom 11. September, wo in der Debatte die Landes-Gendarmerie zur Sprache kam, daß dieselbe in [267] Südtirol gute Dienste geleistet, in Nordtirol aber ebenso überflüssig sei, als sie es nicht verstanden habe, ihrer Aufgabe zu entsprechen. Sie habe sich mit Kleinigkeiten beschäftigt und dadurch den Bezirksämtern große Lasten durch Geschäfte aufgebürdet, an denen eigentlich nichts gelegen war. Im weiteren Verlaufe seiner Rede wies er nach, wie in Tirol, diesem Lande der Treue und Ergebenheit gegen das ah. Kaiserhaus, seit der Einführung der Gendarmerie eine Menge Verbrechen, ja sogar vordem nicht gekannte Majestätsbeleidigungen vorgekommen seien, einfach darum, weil sich Gendarmerie und Volk gegenseitig gar nicht verstanden, und daß es Fälle gegeben, wo die Gendarmerie sozusagen Verbrechen provocirt habe. In der Sitzung des nächstfolgenden Tages, wo die Frage wegen Subventionirung einzelner Kronländer verhandelt wurde, bemerkte er in der Debatte: „Ich behaupte nicht, daß im Allgemeinen eine Provinz die andere unterstützen soll. Aber so lange alle Provinzen zu dem Kaiserstaate Oesterreich gehören, kann man auch mit Grund gerechten Anspruch auf Aushilfe aus dem Staatsschatze machen. Wenn Länder nicht vermögen die Lasten für das und jenes allein zu tragen, so soll man sie also unterstützen, dann werden die Kronländer fester zu einander halten und den wohlwollenden Absichten Seiner Majestät des Kaisers mit allen Kräften und wahrer Bereitwilligkeit an die Hand gehen“. In gleich freimüthiger Weise und die Angelegenheit vom praktischen Gesichtspuncte erfassend, hielt er anläßlich des Branntweingefälls in Tirol eine Rede über die Wein- und Biersteuer, über Zölle, über das Tabaksmonopol, bei welch letzterem Puncte er, da Monopole die freie Cultur und Ausbeutung des Bodens beschränken und in nationalwirthschaftlicher Beziehung ungemein schädlich seien, die Bitte ausspricht, die Möglichkeit einer zeitigen Auflassung dieses Monopols sofort in reifliche Erwägung zu ziehen. – In der Sitzung vom 19. September 1860 wies er die Uebelstände des damaligen Gebührengesetzes an einem praktischen Falle schlagend nach, – und in der Sitzung vom 21. September gab er, ohne die Farben grell aufzutragen, vielmehr mit möglichster Schonung in der Darstellung ein treues Bild der Finanzlage des Kaiserstaates, wobei er namentlich die Schönfärberei der officiösen Berichte, welche gewöhnlich die Dinge ganz anders ausmalen, als sie wirklich sind, mit Entschiedenheit verwirft. – Als er aber in der Sitzung vom 26. September in der Frage über die künftige Constituirung des Kaiserstaates das Wort ergriff, da stimmte auch er mit den Schlußanträgen der Minorität (vergleiche zum Verständniß der Sachlage die Biographien: Hein [Band VIII, S. 215] und Maager [Band XVI, S. 185], und wenn er auch nicht wie Maager das entscheidende Wort Constitution unerschrocken geradeheraus sprach, so war es nicht Zaghaftigkeit oder gar Furcht, die ihn hinderten, es zu thun, sondern nur der noch bestandene Schein der Unausführbarkeit, der auch ihn irre geleitet. Dem Gedanken der Reichseinheit aber gab er in einer schwungvollen und trefflich gegliederten Rede, in welcher er verschiedene Ansichten der Majorität mit Klarheit und richtig angewandtem Patriotismus entschieden widerlegte, unverhohlen Ausdruck. Wir sind bisher Straßer in seiner öffentlichen und politischen Wirksamkeit [268] gefolgt, aber sein Biograph in der „Allgemeinen Zeitung“ meint denn doch, daß trotz hoher Stellung und Ehre Amtsstube und Parlamentshaus für Straßer’s Geist nicht eine eigentlich heimische Stätte waren. Der Schwerpunct seines Wesens zog nach einer anderen Richtung. Vom Haus aus heiteren Sinnes, theilnahmsvoll, wohlwollend, hing er mit ganzer Seele am Volke, dessen Dichten und Trachten ihn seit jungen Jahren erfüllte, in dessen Dörfern und Hochthälern er sich am meisten heimisch fühlte. Ueber die Sitten und Bräuche, über die Gewohnheiten und Eigenthümlichkeiten bei den Festen der einzelnen Dörfer und Gemeinden wußte Niemand besser Bescheid als der „Herr Rath“, wie man ihn zu nennen liebte. Auf alle Offenbarungen des Volksgeistes hatte er von jungen Jahren her sein Augenmerk gerichtet und bewahrte, wie es in seinem Nachrufe heißt, „in treuer Erinnerung einen lebendigen Schatz von volksthümlichen Sitten und Gebräuchen, von Bauerntragödien und ländlichen Satyrspielen, von rührenden Liedern und kecken Schnaderhüpfeln, von Anekdoten und Sagen“. In früheren Jahren war er auch schriftstellerisch thätig und nahm für seine Novellen den Stoff aus dem Leben und Dichten des Volkes, mit dem er durch tausend Fäden zusammenhing. Und kein Geringerer als L. Steub[WS 2], der dem dahingeschiedenen Freunde in seinem „Herbstausflug nach Tirol“ ein ehrendes Freundesdenkmal setzte, bezeichnet S.’s Novellen als so vortrefflich“, daß sie gesammelt zu werden verdienten. In seinem schriftlichen Nachlaß fand sich eine Sammlung von alten tirolischen Volksschauspielen, Anekdoten und Einzelzügen aus dem Jahre 1809 u. d. m. vor. In religiöser Hinsicht verband er mit echter Frömmigkeit die humanste Duldsamkeit, und daher traf ihn umso schwerer der lärmende Hader, der in letzter Zeit aus der von gewisser Seite geschürten Unduldsamkeit in dem schönen Tirol entsprang. Dieser Geist der Intoleranz vergiftete ihm auch die Ruhe der letzten Lebensjahre. Als Bürgermeister der Stadt Hall war er auf das regste bemüht, dem gesunkenen Wohlstand derselben wieder aufzuhelfen und hatte mit einem erfahrenen Ingenieur den Plan besprochen und ausgearbeitet, in Hall ein großes Soolbad auf Actien zu errichten. Alles ließ sich gut an, und das Unternehmen würde gewiß zum angestrebten Ziele geführt haben, wenn nicht ein clericales Mitglied des Stadtrathes die Einwendung erhoben hätte, ein solches Unternehmen werde nur die Unsittlichkeit befördern und – Protestanten ins Land ziehen. Das Losungswort war gesprochen, und nun begann der Krieg der Glaubenspartei gegen dieses harmlose und so gut gemeinte Project. Offen und heimlich wurde dagegen gearbeitet, und Straßer mußte es fallen lassen. Und wenn ihn schon dies verstimmte, so empfand er noch lebhaftere Betrübniß bei dem Gedanken, daß bei solchen Verhältnissen, bei der Möglichkeit confessionelle Bedenken in jeder beliebigen Angelegenheit zu erheben, in Tirol, dessen Aufschwung im volkswirthschaftlichen Gebiete eben so möglich als dringend geboten, vorderhand jedes größere Unternehmen unausführbar sei. Wie er sein Vaterland liebte, dafür sprechen seine letztwilligen Anordnungen. Sein Vermögen von 40.000 fl. widmete er wohlthätigen Zwecken. Zwei Stipendien, eines für das Gymnasium, das andere für einen Techniker aus dem [269] Bürgerstande, sollen gegründet werden. Der Haupterbe des Vermögens ist der Haller Armenfond. Eine große goldene Medaille im Werthe von über 100 fl. legirte er dem Landesmuseum. Seine nicht unbedeutende Bibliothek bestimmte er zum größten Theile jener des Gymnasiums in Hall. Die in seinem Nachlasse vorhandenen zahlreichen und besonders für die Geschichte des Jahres 1848 wichtigen Briefe – darunter vom Erzherzog Johann, von Schuler, Flir, Steub, Dr. Gredler, Doctor Alois Fischer u. A. – sollten dem Psychologen und Geschichtsforscher Sebastian Ruf [Band XXVII, S. 240] ausgehändigt werden. Die Hülle des Verewigten wurde auf dem Friedhofe zu Jenbach im Grabe seiner Mutter beigesetzt. Der Haller Armenfond ließ das Grab mit einem Denkmal schmücken.

Volks- und Schützen-Zeitung (Innsbruck, 4°.), 1865, Nr. 86 und 90, in den „Correspondenzen aus Innsbruck“. – Inn-Zeitung, 1865, Nr. 183, im Feuilleton: „Alois Straßer“. – Bote für Tirol und Vorarlberg (Innsbruck) 1865, Nr. 186. – Wiener Zeitung, 1863, Nr. 178. – Verhandlungen des österreichischen verstärkten Reichsrathes 1860. Nach den stenographischen Berichten (Wien 1860, Friedrich Manz, kl. 8°.) Bd. I, S. 98, 245, 267, 277, 379, 425, 520, 523, 561, 576, 609, 626, 645, 657 und 744; Bd. II, S. 261 und 392.
Porträt. Ein sehr gelungenes Bildniß S.’s erschien nach seinem Ableben in der Kunsthandlung C. A. Czichna in Innsbruck.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sardinischer Krieg (Wikipedia).
  2. Vorlage: C. Steub.