Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 20 (1869), ab Seite: 441. (Quelle)
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Nyári, Paul (ungarischer Deputirter, geb. zu Nyáregiház 12. December 1806). Gehört einer vornehmen ungarischen Familie an, die jedoch verschieden ist, von jener berühmten ungarischen Grafenfamilie, den Nyáry von Bedegh, die im 16., 17. und 18. Jahrhunderte eine so hervorragende Rolle in Ungarns Geschichte spielen. Paul N. ist ein Sohn Paul’s N. und der Elisabeth Beretvás. Er erhielt eine tüchtige Erziehung und trat dann in’s öffentliche Leben. Dem Comitatsdienste sich widmend, wurde er in einiger Zeit Obernotär – und wie man ihm nachrühmt, der thätigste, der je im Pesther Comitate existirte. Als im Jahre 1845 während der stürmischen Restauration M. von Szentkirályi einstimmig zum ersten Vicegespan erwählt wurde, wählte die liberale – eigentlich Oppositionspartei – ihn gleichfalls einstimmig zum zweiten Vicegespan. Auf diesem Posten entwickelte N. seine Wirksamkeit mit großer Begeisterung für die Constitution und die Rechte des Volkes. Für Kossuth, so sehr er sein Talent anerkannte und ihm in mancher Hinsicht Gerechtigkeit widerfahren ließ, schwärmte er nicht. Das agitatorische Element dieses Volkstribuns war dem Manne der administrativen Ordnung, der Nyári war, der, so energisch er auftrat, wenn es galt, doch immer die wilden gährenden Elemente zu beschwichtigen bemüht war, immer widerwärtig, ja unheimlich. Er erkannte nur zu bald, daß mehr die Sucht zu glänzen und eine Rolle zu spielen, als das Wohl des Vaterlandes den Verblendeten immer weiter und weiter auf der gefährlichen Bahn fortriß, auf welcher er [442] sein Volk so tief unglücklich gemacht hat. Nyáry besaß im hohen Grade das Vertrauen seiner Nation und wurde im Jahre 1848 durch den Ausschuß des Comitates wieder einstimmig zum Vicegespan und später zum Abgeordneten im National-Landtage gewählt. In demselben bildete er mit Madarasz – von dem er sich jedoch in der Folge lossagte – mit Moriz Perczel, Patay und Ladislaus Grafen Teleki eine feste geschlossene Partei, gegen welche die damaligen ministeriellen Journale einen lebhaften und hartnäckigen kleinen Krieg eröffneten und ihr alle erdenkliche Ungebühr in die Schuhe schoben. Jedoch mochte N. in dieser Gesellschaft immerhin der bedeutendste sein. Als im Landtage die Debatte über das ungarische Heer eröffnet wurde, kämpfte Nyáry für die rasche Magyarisirung desselben. Als man in der Sitzung vom 5. September die Deputation zur Schlichtung der croatischen Wirren wählte, wurde auch N. in dieselbe gewählt und nahm thätigen Antheil an der Abfassung des in dieser Angelegenheit an Europa zu richtenden Manifestes. Auch drang er auf Vorlegung der aufgefangenen Correspondenz des Banus mit dem österreichischen Kriegsminister Latour. Am 11. September wurde er Mitglied des eben creirten Landesvertheidigungsausschusses. Als Kossuth im October zur oberen Donauarmee sich begab, nahm N. interimistisch den Präsidentenstuhl in demselben ein und erklärte mit einem Erlasse vom 29. October d. J. das loyale Vertheidigungscomité, das sich zu Temesvár gebildet hatte, außer dem Gesetze. Im November übernahm er das Portefeuille des Innern im sogenannten zweiten Ministerium, das folgendermaßen zusammengesetzt war: L. Kossuth, Finanzen; L. Mészáros, Krieg; B. Szémere, Justiz; Kasimir Graf Batthyány, Aeußeres; Ladislaus Madarász, Polizei; Franz Pulszky, Handel, und Nyáry, Inneres. Das Portefeuille für Cultus und Unterricht blieb vorderhand unbesetzt, und erst, als das dritte Cabinet an’s Ruder kam, erhielt dasselbe Michael Horváth. Auch im Cabinet leistete N. den Uebergriffen Kossuth’s so oft er konnte, Widerstand, so trat er in der Geheimsitzung vom 7. December noch einmal für das Erbrecht der Dynastie in die Schranken, ohne jedoch gegen den schlauen Agitator durchdringen zu können. Nach Perczel’s Niederlage bei Moor reiste Nyáry sofort nach Debreczin, so schwer es ihm, nach seinen eigenen Worten, fiel, die Hauptstadt verlassen zu müssen, da es ihm vielleicht doch gelungen wäre, eine antikossuthische Partei zu erwecken. Nyári’s Zwiespalt mit Kossuth steigerte sich von Tag zu Tag. Schon in der ersten Sitzung des Parlaments zu Debreczin, am 9. Jänner 1848, war es N., der auf Pacification drang, aber Kossuth mit seiner unheilvollen Beredsamkeit, auf den Ausspruch des Feldmarschalls Windisch-Grätz hinweisend, „ein kaiserlicher Feldherr unterhandle nicht mit Rebellen“, erklärte, eine solche Antwort müsse die Nation als eine Herausforderung auf Tod und Leben betrachten und bis auf den letzten Mann fechten. Noch gab N. noch nicht Alles auf und stellte das Amendement, der Vertheidigungskrieg habe sich bloß auf die Sanction der 48ger Gesetze zu beschränken. Aber Kossuth opponirte heftig gegen diese offenbar im monarchischen Sinne vorgebrachte Motion Nyári’s, die nun auch verworfen wurde. Indem N. noch in der nächsten Zeit das schamlose Treiben des Juwelenfreundes [443] Madarász aufdeckte, erhob er noch einmal, aber auch dieses Mal vergebens, seine warnende Stimme. Es war in der denkwürdigen Geheimsitzung vom 14. April, in welcher Kossuth Ungarn zur Republik ausrief. Damals focht N. an der Spitze mehrerer über Kossuth’s tolldreistes Gebaren bestürzten Ablegaten mit ritterlicher Bravour für das Kaiserhaus und dessen heiliges Recht, aber Kossuth hatte das Spectakelstück trefflich in Scene gesetzt, denn im entscheidenden Momente marschirte die vollkommen organisirte parlamentarische Garde der Gallerie des Pesther Redoutengebäudes mit aufgepflanztem Juratenthum auf allen Zugängen zur großen reformirten Kirche in Debreczin und Nyári hatte nicht mehr den Muth, gegen das Unabhängigkeitsmanifest Ungarns Protest einzulegen. Nach seiner Rückkehr nach der Hauptstadt übernahm er seine frühere Stelle als erster Vicegespan des Pesther Comitates. Als später nach Görgey’s Niederlage die Nationalsache fiel und Kossuth mit seinem Anhange floh, verschmähte N. diesen Weg und blieb. Er wurde verhaftet und entging nicht den Schrecken des Kriegsgerichtes, das ihn mit vielen seiner Gesinnungsgenossen zu mehrjähriger Festungsstrafe verurtheilte, bis er in Folge der allgemeinen Amnestie seine Freiheit wieder erlangte. Von diesem Augenblicke lebte N. in stiller Zurückgezogenheit und nur selten tauchte seine Name bei gemeinnützigen Unternehmungen auf. Als aber mit königl. Einladungsschreiben vom 14. Februar 1861 der ungarische Landtag auf den 2. April g. J. einberufen wurde, wählte das Pesther Comitat auch Nyári in denselben und N. übernahm nach Teleki’s Tode die Stelle des Parteiführers der Opposition. In der vierunddreißigsten Sitzung des Repräsentantenhauses (1. Juni 1861) hielt er seine Rede für die Beschlußpartei [vergleiche zum Verständnisse der politischen Sachlage die Biographie von Paul Jámbor, Bd. X, S. 60]. Lange schon, im Vormärz, fesselten den energischen Vicegespan enge Bande an die zu ihrer Zeit sehr beliebte Sängerin des Pesther Theaters, Frau Schodel, von der man wissen wollte, daß sie, wenn auch nicht öffentlich, in den Revolutionstagen eine nicht unwesentliche politische Rolle gespielt und großen Einfluß auf den ihr mit ganzer Seele ergebenen Nyári geübt habe. In einer Reihe von Silhouetten, welche von den ungarischen Revolutionshelden des Jahres 1848 entworfen wurden, heißt es von Nyári: „Zäher Vicegespan aus gutta perchta; sweet-heart der Bierhauspolitiker, doch voll Energie, starr und eisern; ein Friedländer auf der Rednerbühne, Leithammel der Opposition; konnte es dem ersten verantwortlichen Ministerium nie vergeben, daß es ihn ohne Portefeuille gelassen hat; Royalist im Herzen, daher kein Liebhaber des 14. April. Seine Rolle: König Philipp von Spanien im Pesther Comitatshause. Sein Sinnspruch: „Ein Abend ist mein, ich will ihn nützen“. Die Bezeichnung Philipp von Spanien im Pesther Comitatshause bezieht sich auf seine Strenge, ja Härte als Vicegespan, ob welcher er so gefürchtet war, daß man ihm obige Bezeichnung beilegte. Uebrigens bringt N. aus der Vergangenheit einen Namen mit, der noch eine Zukunft haben könnte, freilich weiß Niemand, welche?

Levitschnigg (Heinrich Ritter von), Kossuth und seine Bannerschaft. Silhouetten aus dem Nachmärz in Ungarn (Pesth 1850, Gustav Heckenast, 8°.) Bd. II, S. 8. – Ungarns politische Charaktere. Gezeichnet von F. R. (Mainz 1851, J. G. Wirth Sohn, 8°.) [444] S. 157. – Zur Geschichte des ungarischen Freiheitskampfes. Authentische Berichte (Leipzig 1851, Arnold, 8°.) Bd. I, S. 136. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, Fol.) Nr. 939 vom 29. Juni 1861. – Erinnerungen (Prager Unterhaltungsblatt, 4°.) 1849, S. 25: „Silhouetten der ungarischen Revolutionshelden“. – Pest-Ofner Zeitung 1861, Nr. 134, im Feuilleton: „Landtags-Silhouetten. IV.“ – Springer (Anton), Geschichte Oesterreichs seitdem Wiener Frieden 1809 (Leipzig 1864 und 1865, S. Hirzel, gr. 8°.) Bd. II, S. 480. – Der ungarische Reichstag 1861 (Pesth 1861, Osterlamm, 8°.) Bd. II, S. 179: Nyári’s Rede in der Adreßdebatte, ob Beschluß oder Adresse an den König zu richten sei. – Porträte. 1) Auf einem Blatte mit mehreren ungarischen Zeitgenossen (lith. von Barabas); – 2) Holzschnitt in der Leipziger Illustrirten Zeitung, Nr. 939., 29. Juni 1861.