Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Netuschil, Barbara
Band: 20 (1869), ab Seite: 228. (Quelle)
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Netzer, Joseph (Tonsetzer, geb. zu Zams im Oberinnthale Tirols 18. März 1808, gest. zu Gratz am 28., nach [229] Anderen am 20. Mai 1864). Sein Vater war Schullehrer und Organist zu Zams, den das Geschick außer mit einem reichen Kindersegen mit anderen Glücksgütern nicht bedacht hat. Die ersten zehn Jahre der Kindheit verlebte Joseph Netzer wie sie eben von der Mehrzahl der Kinder am Lande, frei und ungebunden, verlebt werben. Mit Lernen war er wenig geplagt, denn seine Eltern hatten nicht Muße, sich um den Unterricht ihrer Kinder viel zu bekümmern. Der Knabe war daher meist auf sich selbst angewiesen. Großes Vergnügen gewährten ihm sonst nur noch die Stunden, in welchen sein Vater fremden Kindern Unterricht im Pianoforte ertheilte. Da kroch er meist unter das Instrument und hörte aufmerksam dem Spiele zu. Und was ihm in diesen Stunden zu Gehör kam, das behielt er auch im Gedächtnisse und spielte es, ohne eine Note zu kennen, alsbald ohne viele Mühe aus der Erinnerung mit großer Geläufigkeit nach. Auch das Orgelspiel erlernte er durch Selbststudium. So erreichte er das zwölfte Lebensjahr, in welchem es galt, ihn einem bestimmten Berufe zuzuführen. Nach dem Wunsche seines Vaters sollte er studiren und – Geistlicher werden. Die Mittel hiezu waren ihm freilich auf’s Kargste bemessen. Nur wenige Gulden in der Reisetasche waren es, mit denen er das Vaterhaus verließ und nach Innsbruck wanderte, um daselbst seine Studien am Gymnasium zu beginnen. Er klagte seine Noth reicheren Schulkameraden, erhielt durch deren Fürsprache in einigen Häusern unentgeltlich die Mittagskost, in anderen kleine Unterstützungen an Geld und Kleidung und lebte so das wenig beneidenswerthe Leben eines armen Studenten. Nichtsdestoweniger lernte er lustig sein Latein und hatte zunächst nur die eine Sorge, Musikunterricht zu erlangen. Es gelang ihm nach glücklich überstandener Vorprüfung, als Freischüler in die Lehranstalt des Musikvereins aufgenommen zu werden. Im Clavierspiele war allda Pater M. Goller sein Lehrer, während er im Violinspiele von Kathrein unterrichtet wurde. In beiden machte er in kurzer Zeit große Fortschritte, obgleich er zum häuslichen Studium wohl eine Violine, jedoch kein Clavier besaß. Wie übte sich nun Netzer im Clavierspiele? Er nahm ein Bret, malte mit Tinte die Tastatur darauf und studirte auf diesem Brette seine Sonaten ein. Bei aller Mühe und allem Fleiße konnte diese Uebungsart doch für die Dauer nicht genügen. Die Wahrheit kam an den Tag und hatte zur Folge, daß Netzer von seinem Lehrer ein Clavier zu Leihe erhielt. Von dieser Stunde an waren sein Fortschritte auf diesem Instrumente überraschend. Nach einer Prüfung, in der er den ersten Preis errang, eröffnete ihm der Director, daß er im Musikvereine nicht weiter unentgeltlichen Unterricht erhalten könne. Er wisse genug, um selbst schon Schüler zu unterrichten und müsse einen solchen Unterricht übernehmen, wenn er wünsche, an der Anstalt den Generalbaß zu lernen. Netzer willigte ein und so sehen wir ihn im 13. Lebensjahre bereits als Lehrer an derselben Anstalt fungiren, der er seine bisherige musikalische Bildung verdankte. Mit verdoppeltem Eifer betrieb er nun seine eigene Ausbildung und lernte Generalbaß. Seine musikalischen Kenntnisse verschafften ihm eine angenehme und lohnende Stellung in den ersten Familien Innsbrucks, in denen er als Musiklehrer alsbald sehr gesucht war. Unter solchen Verhältnissen absolvirte er das Gymnasium und faßte nach Beendigung desselben [230] den Entschluß, nach Wien zu gehen, um daselbst seine weitere wissenschaftliche und musikalische Ausbildung zu erlangen. Trotz des Widerstrebens seines Vaters, der ihm rieth, seine sichere Stellung nicht mit einer unsicheren Zukunft zu vertauschen, führte er den Entschluß auch aus und zog mit seinem ersparten Schatze von 300 fl. nach der Kaiserstadt. Hier studirte er Philosophie und wurde in kurzer Zeit einer der gesuchtesten Pianofortelehrer und nahm seinen jüngsten Bruder zu sich. Als er bald darauf seinen Vater durch den Tod verlor, sah er sich, um seine hilflose Mutter und die übrigen fünf Geschwister unterstützen und ernähren zu können, genöthigt, seine Studien aufzugeben und sich ausschließlich dem Musikunterrichte zu widmen. Um so viel Geld als möglich zu verdienen, gab er fortan täglich 10–11 Unterrichtsstunden. Zur eigenen Ausbildung hatte er sich seinen Landsmann, den Domcapellmeister Gänsbacher, erwählt, der ihm die Compositionslehre vortrug und ihn auch bis zum doppelten Contrapuncte brachte, bei diesem aber den Unterricht schließen mußte, weil er da eben mit seinen eigenen Kenntnissen zu Ende war. Schon zu dieser Zeit lieferte Netzer einige kleine Compositionen und versuchte sich in Fugen. Dieselben hatten sich jedoch des Beifalles seines Lehrers nicht zu erfreuen, obgleich sich Franz Schubert, mit welchem Netzer im Jahre 1828 in ein inniges Freundschaftsverhältniß getreten war und mit dem er viel vierhändig spielte, ja der ihm auch fast alle seine herrlichen Lieder vorsang, stets sehr lobend darüber äußerte. Nun wandte er sich an den berühmten Generalbaßlehrer Simon Sechter mit der Bitte, ihm seinen Unterricht angedeihen zu lassen. Und das war der rechte Mann für ihn. Ohne Umschweife enthüllte Sechter seinem Schüler, daß das bisher Gelernte für ihn ohne Nutzen sei. Netzer, sich schon nahe am Ziele wähnend, mußte nun mit seinem Studium wieder von vorne beginnen und sah sich der Früchte dreijährigen rastlosen Fleißes beraubt. Aber er lernte auf’s Neue mit eiserner Geduld und Ausdauer. Die ebenso treffliche, als klare und verständliche Methode Sechter’s gefiel ihm sehr und er machte die tüchtigsten Fortschritte. In dieser Zeit wurde N. von zwei traurigen Ereignissen schwer heimgesucht, zuerst starb sein jüngster Bruder, sein Liebling, welchen er bei Ausbruch der Cholera (1831) in Wien nach Brixen gesandt hatte, daselbst am Nervenfieber und bald darauf auch seine Mutter. Im Jahre 1836 war es, als Netzer sein angestrengtes fünfjähriges Studium vollendete. Nun begann sich unter Anleitung Sechter’s sein Compositionstalent zu entfalten. Seine ersten Compositionen waren Kirchenmusiken im strengsten Style, eine Messe, zwei Offertorien, zwei Graduale und viele Fugen. Nicht nur Sechter, auch die Hofcapellmeister Eibler und Weigl äußerten sich auf das Lobendste darüber. Diesen Erstlingen folgten alsbald viele Lieder und Vocal-Quartetten, dann auch eine Symphonie in C-dur, welche er aber, nachdem er sie in der Ausführung gehört hatte, der steifen Instrumentirung wegen selbst verwarf. Schon seine nächsten Compositionen instrumentirte er ganz anders und viel glücklicher. Zunächst wagte er sich nun an ein größeres Werk und schrieb seine erste Oper: „Die Belagerung von Gothenburg“, die jedoch trotz aller Bemühungen’ vieler Kunstfreunde, und insbesondere Staudigl’s, der sich sehr für dieselbe interessirte, nicht zur Aufführung [231] gelangte. In der Oeffentlichkeit debutirte er zum ersten Male im Jahre 1838 mit einem Concerte im k. k. Hof-Operntheater, zu welchem er eine Ouverture, das Duett: „Die Loreley“ und zwei Lieder, „Liebeswerbung“ und „Schneebilder“, componirt hatte, welche Gesangsnummern von Wild und Staudigl vorgetragen wurden. Das Concert fand den ungetheilten Beifall, sowohl von Seite der Kritik als des Publicums. Doch wie immer und überall im Leben, schuf dieser glückliche Erfolg ihm ebenso viel Neider als Freunde, und Netzer mußte erfahren, wie erstere allenthalben sich hämisch über ihn äußerten: „er schreibe wohl sehr schöne Lieder, aber Bedeutenderes kenne man von ihm nicht“. Vom Ehrgeize angestachelt, componirte er nun in nicht mehr als 14 Tagen eine große Symphonie in E-dur, die er zur Aufführung für sein zweites Concert bestimmte. Für dieses schrieb er auch zwei neue Lieder: „Mein Glück“, für Tenor, und „Hakons Lied“, für Baß. Für dieses Concert hatte Netzer das berühmte Orchester des k. k. Hof-Operntheaters gewonnen. Mit Zuversicht trat er darum am Tage des Concertes, zum ersten Male in seinem Leben, an das Dirigentenpult, um die Aufführung seines Werkes selbst zu leiten. Sämmtliche vier Sätze desselben gefielen außerordentlich. Mit den Liedern aber machten Staudigl und sein Schüler Mumm wahrhaft Furore. Das Finale der Symphonie, sowie die Lieder mußten zur Wiederholung gebracht werden. Von da an war der Name Netzer in Aller Munde, stand sein Talent und seine Kunst in ganz Wien in hoher Achtung. Diese Erfolge eiferten ihn zu tüchtigem Vorwärtsschreiten an, und erweckten in ihm die Sehnsucht nach dem Reiche der Kunst, nach dem schönen Italien. Er unternahm 1839 eine längere Reise dahin, um die dortigen musikalischen Zustände, und insbesondere die Einrichtungen in den Conservatorien und deren Singmethoden genau kennen zu lernen, in welcher Bestrebung ihn Vaccai, Director des Mailänder Conservatoriums, auf das Freundlichste unterstützte. Noch während seines Aufenthaltes in dem schönen Lande schrieb er seine erste komische Oper: „Die seltsame Hochzeit“, nach einem Texte von Scribe. Mit bereicherten Kenntnissen und voll der schönsten Eindrücke nach Wien zurückgekehrt, reichte er dieselbe allda zur Aufführung ein, aber seine Hoffnungen sollten sich leider nicht erfüllen. Denn es fehlte ihm die unbedingt nöthige Protection an maßgebender Stelle, und er hatte sich zudem noch die Gunst einer Sängerin verscherzt, der es gelang, durch ein an geeigneter Stelle zweifelhaft gesprochenes Wort die Aufführung der Oper zu hintertreiben. Um für sein Werk nach Kräften zu wirken, meldete sich Netzer zur Audienz bei Sedlnitzki und brachte ihm sein bittliches Anliegen demüthig vor. Der Erfolg dieser Audienz bestand in folgenden denkwürdigen Worten: „Sie wollen eine Oper aufführen? Lassen Sie sich diesen Gedanken aus dem Sinne fahren, es wird nie eine von Ihnen aufgeführt werden! Kann denn ein Deutscher eine Oper componiren? Das ist ja Alles langweiliges Zeug, nicht zum Anhören, selbst die Opern von Mozart, über welche die Leute ein so großes Wesen machen, sind alle zum Einschlafen.“ – War sein Muth darob auch gebeugt, ganz verlor er ihn nicht. Netzer dachte vielmehr alsbald daran, eine neue Oper zu schreiben und machte sich, da ihm die [232] Ehre zu Theil geworden war, zu den Abendgesellschaften des Staatskanzlers eingeladen zu werden, in denen es ihm glückte, sich der Verwendung des Fürsten und der Fürstin Metternich zu versichern, wieder frisch an’s Werk. Durch Grillparzer war er mit Otto Prechtler bekannt geworden, welcher ihm auf Ansuchen das Libretto zur Oper „Mara“ lieferte. Netzer war in der Composition derselben bis zum Schlusse des 1. Actes gelangt, als er im Juli 1840 von dem Director des Hof-Operntheaters, Ballochino, aufgefordert wurde, die Partitur allsogleich zu übergeben, damit die Nummern ausgeschrieben werden könnten, da er die Oper noch in der Sommersaison zur Aufführung bringen wolle. Netzer gerieth durch dieß Verlangen nicht wenig in Verlegenheit und erwirkte sich mit vieler Mühe eine Frist von vier Wochen zur Ablieferung, und schloß zugleich einen Vertrag ab, in welchem er auf jedes Honorar verzichten mußte, aber die Zusicherung erhielt, daß die Oper in der nächsten Herbst- oder Wintersaison aufgeführt werden würde. Jetzt war das schleunigste Schaffen dringend geboten. Er arbeitete täglich 18–20 Stunden, componirte so den Schluß des 1. und den ganzen 2. und 3. Act in 25 Tagen, und lieferte am 27. August 1840 die Partitur an Director Ballochino ab. Dieser war sehr erfreut, daß Netzer so treulich Wort hielt. Den musikalischen Werth der Oper untersuchte er nicht. Sie wurde auch unverzüglich einstudirt, probirt und in Kurzem zur Aufführung bestimmt. Die Zeit, die zwischen der Einreichung und Aufführung lag, war für den Compositeur eine Zeit vieler Leiden. Es würde hier doch zu weit führen, alle die Cabalen zu enthüllen, deren Opfer Netzer’s „Mara“ bis zur Stunde der Aufführung war. Sänger und Sängerinen, Capellmeister, Regisseur, ja sogar Garderobiere und Ballet-Personale hatten sich vereinigt, die Oper zu stürzen. War es doch unerhört, daß ein junger deutscher Componist, ein Oesterreicher, neben den vergötterten Italienern und Franzosen bestehen wollte. Nichtsdestoweniger und zu um so größerem Ruhme des Tondichters schlug die Oper, deren Aufführung sich bis zum Frühjahre 1841 verzögerte, mächtig durch. Die Ouverture schon mußte wiederholt werden, und ebenso nahezu jede größere Nummer aller drei Acte. Netzer wurde unzählige Male gerufen und „Mara“ sowohl in dieser, als der nächstfolgenden Zeit noch mehrfach wiederholt. Die ersten Aufführungen waren besetzt durch die Damen von Haßelt-Barth und C. Mayer, und die Herren Erl, Draxler und Staudigl, welch Letzterer sich zu jeder Zeit als Netzer’s treuester Freund bewährte. Eine der letzteren Aufführungen im Winter 1842, die der Compositeur persönlich dirigirte, hörte auch Sedlnitzki an. Netzer wurde vor ihn berufen und vernahm aus dem Munde dessen, den nach eigener Aeußerung Mozart zum Gähnen brachte, die Erklärung, „Mara“ habe Sr. Excellenz recht wohl gefallen. Um sein Ziel weiter zu verfolgen, trat er am 1. April 1842 eine Kunstreise nach Deutschland an, wohin ihm der Ruf seines Talentes bereits vorausgeeilt und ihm aus der k. k. Hof- und Staatskanzlei ein mit Metternich’s Unterschrift versehenes Empfehlungsschreiben an die dortigen k. k. diplomatischen Agenten ertheilt worden war. Ueber Prag, wo „Mara“ von der Direction des ständ. Theaters angenommen und 1843 auch mit sehr ehrendem Erfolge aufgeführt wurde, ging er zunächst nach Dresden [233] und Leipzig. In letzterer Stadt traf er mit Mendelssohn-Bartholdy zusammen, an welchen er empfohlen war. Er wurde jedoch von ihm nicht besonders freundlich aufgenommen. Wohlwollendere Aufnahme fand er bei Anderen, die auch seine bald darauf erfolgte Anstellung als Capellmeister am Leipziger Theater vermittelten. In Berlin besuchte er Meyerbeer, der ihn mit aller Liebenswürdigkeit empfing, ihm seinen Beistand in Allem, wozu er ihn nur benöthigen würde, anbot und dem Worte auch die That nachfolgen ließ, indem er bewirkte, daß „Mara“, welche Oper Dr. Marschner in seinem Briefe an Netzer vom 9. September 1843 bezüglich der Composition sehr vortheilhaft, bezüglich des Libretto aber absprechend kritisirt, vom General-Intendanten angenommen und aufgeführt wurde. Netzer ging von da nach Hamburg, bereiste Hannover, Braunschweig, Kassel, in welchen Städten seine „Mara“ ebenfalls, und wie in Leipzig mit vielem Beifalle gegeben wurde, besuchte die Rheinstädte, Baden und Württemberg, und war überall bestrebt, tüchtige Kräfte für die Leipziger Oper zu gewinnen. Dieß gelang ihm auch so glücklich, daß während der Periode vom August 1844 bis gegen Ende des Jahres 1845, in welcher Netzer zugleich mit Lortzing dieselbe leitete, Leipzig die anerkannt beste Oper unter nahezu allen Städten Deutschlands sein eigen nannte. Als die Verhältnisse jedoch durch die absichtlich hemmende Einwirkung des Oberregisseurs unleidlich wurden, nahm N. ein Engagement zum Theater an der Wien an, das er jedoch nur ein Jahr beibehielt, und ihn zu einem langen Processe mit Pokorny veranlasse, der erst nach drei Jahren zu seinen Gunsten endete. Nun lebte er die folgenden drei Jahre als Privatmann in Wien, und dichtete während dieser Zeit nebst mehreren Streichquartetten und vielen Liedern, die zum größten Theile im Drucke erschienen sind, auch eine neue Oper: „Königin von Castilien“, Text von Otto Prechtler, deren Aufführung er aber nicht erwirken konnte. Und daran war das Libretto schuld, wie dieß aus einem Schreiben J. Cornet’s[WS 1], Directors des k. k. Hof-Operntheaters, erhellet, welcher unterm 26. Juli 1854 an Netzer schreibt: „Ueber Ihre „Königin von Castilien“ haben die drei Capellmeister, denen sie zur Begutachtung übergeben war, sehr beachtenswerth referirt, und namentlich die Bemühung anerkannt, überall charakteristisch und der dramatischen Lage angemessen geschrieben zu haben. Das Libretto aber wurde von der Censur als unzulässig erklärt, da der Stoff zu selbem aus Zeiten stammt, wo französische Autoren sich abmühten, dem Proletariat alle Tugenden und Großthaten zu vindiciren, und dem Throne und Adel alle erdenklichen Laster aufzubürden, und die untere, weit stärkere Masse des Volkes gegen die höhere und reichere Classe der Gesellschaft aufzustacheln. Dieses Genre, an und für sich schon verwerflich, weil es unwahr, ist als unzulässig für das Hof-Operntheater erachtet worden.“ Netzer’s „Königin von Castilien“ ist heute noch unaufgeführt. In stiller Thätigkeit seiner Kunst lebend, verblieb Netzer bis nach den Märztagen 1848 in Wien, von wo er sich alsdann nach Meldenau in der Nähe von Leipzig begab, wohin ihn die Einladung einer befreundeten Familie berief. Auch dort lebte er, zurückgezogen seiner Muse, schrieb viele Lieder und seine vierte Symphonie in Es, welche er auf einer späteren Kunstreise in Innsbruck und auch an mehreren anderen Orten mit dem ausgezeichnetsten [234] Erfolge zur Aufführung brachte, die auch in Gratz aus ihren Aufführungen in den Musikvereins-Concerten vom 25. Februar 1855 und 7. Februar 1858 auf das Vortheilhafteste bekannt ist. Im Jahre 1849 folgte er einem Rufe als Capellmeister nach Mainz, und übernahm alldort, als nach acht Monaten der Director seine Bühne im Stiche ließ, die Leitung des Theaters, welche er mit Glück bis zum Ablaufe der Saison führte. Hierauf lebte er wieder einige Zeit hindurch als Privatmann in Leipzig, bis ihn Director Schwarz 1853 als Capellmeister für das ständische Theater in Gratz engagirte, welche Stelle er bis Schwarz von der Direction abtrat bekleidete. Noch im selben Jahre ernannte ihn der Musikverein für Steiermark zu seinem Capellmeister, in welcher Eigenschaft er die Concerte dieses Vereines ohne Unterbrechung bis zum Ende des Vereinsjahres 1862 mit Umsicht und Kenntniß leitete. In dieser Periode führte er von seinen eigenen Tonwerken die Symphonien in Es-dur, E-dur und D-dur, eine Ouverture zur Oper „Stella“ und mehrere kleinere Orchestersachen vor. Auch von seinen Liedern hörte man in diesen Concerten manches Gelungene. Die bei Weitem größere Zahl derselben machte aber der Gratzer Männergesangs-Verein bekannt. Diesem war Netzer im Jahre 1854 als ausübendes Mitglied beigetreten und schon im Vereinsjahre 1854/55 wählte ihn derselbe zu seinem ersten Chormeister. Als solcher gehörte er dem Vereine, eine kurze Unterbrechung im Jahre 1861 abgerechnet, bis zu seinem Hintritte mit ganzer Seele an. Netzer, in Gratz bald eine allbeliebte und geachtete Persönlichkeit, hat hier der Lieder viele geschrieben, hier sei nur kurz der vorzüglicheren gedacht: „Die Loreley“, – „Der Haideritt“, – „Hakons Lied“, – „Liebeswerbung“, von Kennern Beethoven’s „Adelaide“ an die Seite gestellt, – „Wiegenlied“, – „Gute Nacht“, – „Allein“, – „Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“, – „Der Papagei“, das liebliche „Bleib’ bei mir“, – „Die Grubenfahrt“, – „Das Ringlein“, – „Der grüne Baum“. – „Die Schifferin“, – „Mein Glück“, – „Lust der Sturmnacht“, – „An Emma“, – „Mein Element“, – „Schmerzenssang“, – „Wer dich schaute“, dieses letzte mit der Opus-Zahl 42, u. m. a., welche alle ebenso zart gedacht, als warm empfunden, und äußerst melodiös gehalten sind. Solcher Lieder hat Netzer im Ganzen über hundert geschrieben, die eine reichhaltige Sammlung bilden, von denen jedoch nur die kleinere Hälfte im Stiche erschienen ist. Unter seinen letzteren Liederschöpfungen brachte er auch ein „Grablied“, welches er im Jahre 1862 schrieb und dem Männergesang-Vereine mit der Bestimmung übergab, es dürfe nur am Grabe eines Vereinsmitgliedes gesungen werden. Er hatte wohl nicht geahnt, daß es an seinem Hügel zum ersten Male gesungen würde. Netzer als Mensch war ungemein schlicht und im Umgange liebenswürdig, dabei offen und ehrlich; hätte er schmeicheln und zu kriechen verstanden, gewiß, er hätte eine der glänzendsten Stellen einnehmen können und sie auch würdig ausgefüllt. Allein die Kunst der Schmeichelei war ihm eine fremde, denn er vereinigte mit den Vorzügen des Talentes auch die eines offenen, aufrichtigen und treuen Charakters. Seine Bescheidenheit zog es darum vor, in Gratz zu wirken, obgleich er die lockendsten Anträge nach Dresden, Frankfurt a. d. O., Cöln, Sondershausen u. s. w. erhielt, die er jedoch alle ablehnte. Wie viele Symphonien, Ouverturen und [235] Quartette er im Ganzen geschrieben, ist genau nicht bekannt geworden. Auch soll er an einer neuen Oper gearbeitet haben. An mannigfachen Ehren hat es dem wackeren Manne nicht gefehlt. Musikalische und auch andere Vereine der verschiedensten Länder ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitgliede. So der Musikverein „Euterpe“ in Leipzig, dessen Director Netzer einst war, die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, der Innsbrucker Musikverein, der katholische Männerverein in Gratz, der steiermärkische Musikverein, der Dom-Musikverein „Mozarteum“ in Salzburg, die Innsbrucker Liedertafel, die philharmonische Gesellschaft in Laibach, der Wiener Männergesang-Verein, andere Männergesang-Vereine, wie von Deutschlandsberg u. s. w., während ihm auch ehrende Anerkennungsschreiben, wie vom Comité des Schillerfestes in Leipzig (1855), von jenem des Mozartfestes in Gratz (1856) für seine Mitwirkung bei diesen Festen und andere ähnliche zukamen. Einen besonders lebhaften freundschaftlichen Verkehr unterhielt er mit Staudigl, August Schrader, der ihm viele Operntexte zusandte, und Otto Prechtler, welcher ihm ebenfalls noch das Libretto einer romantischen Oper, „Seufzerbrücke“ betitelt, widmete, das jedoch noch der Composition harrt. Als[WS 2] Ehrengaben bewahrte er einen schönen Tactirstab von Ebenholz mit einem Griffe von Elfenbein, der mit Silber ausgelegt ist und eine bekränzte silberne Lyra weist, der die Worte „Mara“ und „Staudigl“ als Inschrift trägt, zur Erinnerung an die erste Aufführung der „Mara“, wie auch einen silbernen Pokal, den ihm der Gratzer Männergesang-Verein gespendet hatte. Eine plötzliche Krankheit raffte ihn im 62. Lebensjahre, das seinem männlich kräftigen und rüstigen Aeußern Niemand ansah, zwölf Tage nach dem Pfingstliederfeste zu Radkersburg, an dem er den regsten Antheil nahm, schnell dahin. Von seinen einst zahlreichen Geschwistern überleben ihn nur zwei Schwestern, die in Tirol ihren Aufenthalt haben, deren Töchter er als seine Erben einsetzte. Ein Rückblick auf seine Künstlerlaufbahn, schreibt sein Biograph, zeigt uns, daß Netzer’s Leben das eines echten und rechten Künstlers gewesen. Aus der Hütte der Armuth hervorgegangen, war seine Jugend eine dornenvolle, sein Aufschwingen ein steter Kampf gegen Neid und Vorurtheil, sein Sieg nach Ueberwindung der größten Hemmnisse ein schwer errungener, mit den bittersten Erfahrungen erkaufter, und seine Anerkennung eine späte, lange nicht dem großen Verdienste entsprechende, das sich der zu früh Dahingegangene um das deutsche Lied erworben. Um dieses unläugbaren Verdienstes willen hat Oesterreich, hat namentlich sein engeres Heimatland Tirol alle Ursache, stolz auf ihn zu sein. Möge es sein Andenken ehren, wie ganz Steiermark es ehrt.

Keßler (Joseph Dr.), Joseph Netzer, Capellmeister und Chormeister des Gratzer Männergesangvereins u. s. w. Eine biographische Skizze (Gratz 1864, S. Settele [vorm als Tanzer], 8°.). – Telegraf (polit. in Gratz erscheinendes Blatt) 1864, Nr. 138, 139, 140 u. 141, im Feuilleton: „Joseph Netzer“. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Dresden 1857, R. Schäfer, gr. 8°.) Bd. III, S. 25, und Anhang. S. 270. – Heindl (Johann Bapt. Dr.), Gallerie berühmter Pädagogen, verdienter Schulmänner, Jugend- und Volksschriftsteller und Componisten aus der Gegenwart, in Biographien und biographischen Skizzen (München 1859, Jos. Ant. Finsterlin, 8°.) Bd. II, S. 54. – Allgemeine (Leipziger) Moden-Zeitung, herausgegeben von Dr. August Diezmann (4°.) 1845, Nr. 52. – Allgemeine Wiener Musik-Zeitung. [236] Herausg. von Dr. Aug. Schmidt (Wien, 4°.) V. Jahrgang (1845), Nr. 92. – Bairische Zeitung (München, 4°.) 1864, Morgenblatt Nr. 168 [nach dieser gestorben am 28. Mai 1862; daselbst heißt es auch über Netzer: „Er war ein vielseitiger Componist, und wurde besonders durch seine schönen Lieder nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich bekannt. Von seinen vier Opern machte „Mara“ entschieden Glück. Mit Erfolg griff Netzer im Fache der Kammermusik durch und sein D-Quartett wurde als classisch erklärt. Vollkommene Correctheit, Wohlklang und Leichtigkeit der Modulation sind unbestreitbare Vorzüge seiner Compositionen“]. – Fremden-Blatt von Gust. Heine (Wien, 4°.) 1864, Nr. 149; 1865, Nr. 259; 1866, Nr. 2 [nach dieser Notiz wäre der 20. Mai Netzer’s Todestag], 1866, Nr. 144 [in den Kunst- und Theaternachrichten]. – Sonntagsblätter (Wien, Pfautsch u. Voß, 8°.) II. Jahrgang (1843), S. 304, 743 u 1200; III. Jahrgang (1844), S. 225. – Porträte. 1) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: Joseph Netzer. Nach einer Photographie von L. Bude lith. von J. Schneider in Gratz; – 2) Stahlstich von Auguste Hüssener (Leipzig 1842, Baumgärtner, 4°.); – 3) Stahlstich, Gotha, Müller (o. A. d. Z. u. St). – Grabdenkmal. Der Männergesang-Verein in Gratz beschloß, dem Verstorbenen ein Grabdenkmal zu errichten. Auf felsiger Unterlage erhebt sich ein Säulenstrunk, auf welchem Netzer’s Büste steht. An der Säule lehnt eine trauernde Frauengestalt (die Musika), in der Linken ein aufgerolltes Notenblatt haltend. Die Höhe des ganzen Denkmals beträgt etwa neun Fuß. Netzer’s Büste aus carrarischem Marmor ist ein Werk des Gratzer Bildhauers Teichmeister. Am 30. Mai 1866 fand die feierliche Aufstellung des Denkmals auf dem St. Peterfriedhofe (zu Gratz? Radkersburg? Marburg?) Statt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: F. Cornet’s.
  2. Vorlage: Els.