Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 49 (1884), ab Seite: 171. (Quelle)
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Vaccai, Nicolo (Componist, geb. zu Tolentino im Kirchenstaate 1790, nach Anderen 1791, gest. zu Pesaro am 6. August 1848). Der Sohn eines wohlhabenden Arztes, der sich in Pesaro niederließ, verlebte er daselbst seine Kindheit. Als er zehn Jahre zählte, kamen ihm die Werke Metastasio’s [Bd. XVIII, S. 1] in die Hände, und nun begann er selbst Melodramen zu schreiben, unter diesen eines, betitelt: „I Rutuli soggiogati da Enea“, welches er später , nachdem er Alfieri kennen gelernt hatte, in eine Tragödie umarbeitete. Jetzt, befand er sich in seinem Fahrwasser, und als Freunde des Elternhauses seine Dichtungen lobten, schrieb er noch andere Tragödien, so im Alter [172] von fünfzehn Jahren seinen „Manlius Capitolinus“, welcher von der italienischen Schauspielergesellschaft Riva Borelli sogar aufgeführt wurde und rauschenden Beifall erhielt. Aber der Erfolg, den er mit dieser Tragödie davontrug, genügte ihm nicht lange, er wollte es auch auf einem anderen Gebiete versuchen, und da fand er in dem Organisten Fabri den Mann, den er brauchte, denn Vaccai zeigte Lust und Liebe zur Musik, und Ersterer nährte diese Neigung, für welche der Jüngling entschiedenes Talent besaß, während der Vater, der in der Musik einen angenehmen Zeitvertreib sah, gegen das Beginnen des Sohnes nichts einzuwenden hatte. Aber da der Schüler mit aller Energie sich aufs Studium legte, so geschah es, daß derselbe bald auf den Punkt gelangte, wo ihm die Hilfe des Organisten nicht mehr taugte, denn er war bereits über den Meister hinaus gewachsen. Trotz alledem aber blieb Vaccai seiner ersten Neigung zur Poesie treu und schuf immer wieder neue Dramen, so die Tragödie „Manlio Torquato“, welche von Dilettanten in Pesaro aufgeführt wurde, und eine zweite: „Conte Ugulino“, für welche er sich ganz ernstlich in historische Studien vertieft hatte. Unter solchen Verhältnissen ging seine Jugend dahin, und nun kam das Jahr 1807, in welchem er sich für einen Lebensberuf entscheiden sollte. Der Vater ließ ihm die Wahl frei zwischen dem Arzte, dem Soldaten, dem Rechtsgelehrten und Priester. So wenig dem Jünglinge der eine wie der andere der erwähnten Stände zusagte, so entschloß derselbe sich doch, mehr um dem Wunsche des Vaters zu genügen, als aus eigener innerer Befriedigung, für die Rechtsgelehrsamkeit und begab sich nach Rom, um dort das Studium dieser Wissenschaft zu beginnen. Aber nur zwei Monate hielt er es über den Pandekten aus, und dann sagte er diesem Berufe Lebewohl, um der Musik, für welche er die meiste Neigung empfand, sich ganz zu widmen. Nur seinen unablässigen Bitten und Vorstellungen gelang es, des Vaters Einwilligung zu diesem Entschlusse zu erhalten. Nun wurde Gianacconi, Capellmeister bei St. Peter in Rom, Vaccai’s Lehrmeister. Vier Jahre trieb Letzterer unter Leitung dieses tüchtigen Lehrers gründliche musikalische Studien, und nachdem er das Meisterdiplom erhalten hatte, ging er zunächst nach Neapel, wo er unter Paesiello sich für den dramatischen Styl ausbildete. Um diese Zeit componirte er sein erstes größeres Musikwerk, die Cantate „Andromeda“, welche Paesiello’s vollen Beifall erntete. Nun kehrte er nach Rom zurück und bereitete sich zur Ausarbeitung größerer Werke vor. „I Solitarii“ ist der Titel der ersten Oper, die er schrieb, und welche im Teatro di Roma aufgeführt, entschiedenen Beifall fand. Im Jahre 1816 begab er sich von Rom nach Venedig, wo er für längere Zeit Aufenthalt nahm. In dieser Stadt componirte er während der folgenden vier Jahre mehrere Werke, darunter die melodienreiche Oper „Malvina“, die opera semiseria „Il Lupo di Ostenda“, welche mit Beifall im Teatro San Benedetto in Scene ging, zwei große Ballete für das Teatro Fenice, ein „Miserere“ ganz im ernsten Style des berühmten Marcello, ein „Cantico di Mosè“, wozu der Abate Olivieri von Chioggia die italienischen Verse geschrieben, und mehreres Andere. Zu jener Zeit hatte der nachmalige bayrische Hofcapellmeister Johann Caspar Aiblinger in Venedig eine philharmonische Gesellschaft gegründet, [173] welche den Namen „Odeon“ erhielt und die besten musikalischen Kräfte der Lagunenstadt in sich vereinte. Daselbst brachte der junge Vaccai mehrere seiner Werke zur Aufführung, und sie fanden immer beifällige Aufnahme. Nebenbei dirigirte er auch persönlich Tonstücke der vorzüglichsten Meister Italiens und anderer Nationen. Um diese Zeit hatte Mehul seine berühmte Oper „Joseph und seine Brüder“ componirt, und nun war Vaccai der Erste, welcher den Text derselben für die italienische Bühne bearbeitete und es so ermöglichte, daß das schöne Tonwerk des Franzosen auf den Bühnen in Venedig, Mailand und anderer Städte Italiens zur Aufführung gelangte. So günstig und vielversprechend die Verhältnisse in Venedig für Vaccai sich gestaltet hatten, so hielt es ihn doch nicht länger dort, und trotz allen Bitten und Vorstellungen seiner Freunde verließ er im August 1820 diese Stadt. Man sprach – und es war damals ein offenes Geheimniß – daß unglückliche Liebe den jungen Componisten aus der Lagunenstadt getrieben; fern von dem Gegenstande, den zu erreichen er nie hoffen durfte, glaubte er die verlorene Ruhe seines Herzens zu finden und schickte sich, als er das ihm so werth gewordene Venedig verließ, sozusagen selbst in Verbannung. Er begab sich zunächst nach Triest, wo er aber nur kurze Zeit verweilte, da er einem Rufe nach Frohsdorf folgte, der von der Witwe Joachim Murat’s an ihn ergangen war. Diese Dame, Maria Annunziata Carolina Bonaparte, eine Schwester Napoleons, lebte seit 1815 als Gräfin Lipona meist in Oesterreich, und zwar in Frohsdorf. Dort wurde Vaccai mit großem Gehalte und unter sonst glänzenden Bedingungen angestellt, seine Aufgabe bestand darin, den Kindern der Exkönigin Musikunterricht zu ertheilen. Wie lange er in dieser Stellung verblieb, ist nicht zu bestimmen, aber im Jahre 1823, nachdem er vorher Wien besucht hatte, befand er sich bereits wieder in Triest, doch erst im folgenden Jahre nahm er die unterbrochene Laufbahn eines Operncompositeurs wieder auf, denn 1824 brachte er seine große Oper „Zadig ed Astarte“ in Neapel zur Aufführung, von wo sie alsbald die Runde über die anderen Bühnen der Halbinsel machte. 1825 schrieb er für Mailand „Giulietta e Romeo“ und feierte damit einen Triumph ohne Gleichen, der sich auch dann nicht verringerte, als Bellini etwa um diese Zeit mit seiner Oper „I Montechi ed i Capuleti“ geradezu Vaccai’s Nebenbuhler ward. Um diese Zeit gab er auch ein „Album di romanze ed ariette per Sala“ heraus und übersetzte den Text zu Beethoven’s Oratorium: „Christus auf dem Oelberge“, wodurch dieses Tonstück auch den Musikfreunden Italiens zugänglich wurde. Nun fällt zwischen 1825 und die nächsten Jahre die Composition folgender Opern: „La Pastorella Feudataria“ für das Theater in Turin, „Pietro il Grande“ für Parma, „Bianca di Messina“ wieder für erstere Stadt, „Fucine di Norvegia“ für Mailand, „Giovanna d’Arco“, „Saladino“, „Saulle“, von welch letzterer Oper aber nur der zweite Act von Vaccai geschrieben ist, während das Uebrige von Maestro Conti herrührt, und „Alexi“. Durch „Giulietta e Romeo“ war der Componist zuerst in Paris bekannt geworden. Der schöne Erfolg, den das Werk dort hatte, veranlaßte auch den überaus freundlichen Empfang, den Vaccai in der Seinestadt fand, als er dieselbe [174] im November 1829 zum ersten Male besuchte. Man riß sich förmlich um ihn, Alles wollte von dem Maestro unterrichtet sein, und man zahlte ihm die Gesangstunde mit 20–30 Francs, ein Honorar, wie man es bis dahin noch nicht gegeben. Ebenso wurden ihm einzelne Compositionen von Liedern in glänzendster Weise honorirt. Nach halbjährigem Aufenthalte in Paris begab er sich, als die Saison in London begann, dahin und fand eine womöglich noch glänzendere Aufnahme. Seine Compositionen wurden ihm auch dort hoch bezahlt, und von einem englischen Edelmanne, Marquis Headford, ward er auf dessen Landsitz geladen, um daselbst die musikalische Ausbildung der zwei Töchter des Hauses zu übernehmen, wofür er außer völlig freier und glänzender Unterkunft ein Monathonorar von 60 Guineen (600 fl. C. M.) bezog. Vier Jahre verblieb er in London, vornehmlich beschäftigt mit Ertheilung von Singstunden und der Direction einiger Vorstellungen, welche im Theater der Königin gegeben wurden. Zuweilen unternahm er mit seinem Freunde, dem Violinvirtuosen Emiliani, einen Ausflug in die Grafschaften, wo sie dann Beide reich besuchte Concerte gaben. Gelegentlich eines Besuches in Brighton ward er der Königin vorgestellt und sang vor ihr sein „Klagelied am Grabe Walter Scott’s“, welches bald in ganz England populär wurde. In jener Zeit entstand auch das theoretische, aber von Sachkundigen als tüchtig anerkannte Werk: „Metodo pratico fatto ad uso dei dilettanti cui viene a noia il solfeggiare“, es sind das einfache, auf Strophen von Metastasio angepaßte Melodien, in welchen er von ersten Elementarübungen zu ausgesprochenen Bravourarien emporsteigt. Wohl wandte man Alles an, um Vaccai bleibend in England zu fesseln, ja man stellte ihm die Directorstelle im Londoner Conservatorium in Aussicht, und in der That, der Componist hatte sich trefflich in die englischen Verhältnisse hineingelebt, aber die Liebe zum Vaterlande überwog. Ende September 1834 kehrte er von London in seine Heimat zurück, wo er denn auch, ein paar kurze Ausflüge nach Paris und London abgerechnet, bis zu seinem Tode blieb. 1835 vermälte er sich mit Giulia Puppati, die er vor etwa sechs Jahren in Bologna kennen gelernt hatte. 1838 erhielt er, als Nachfolger Basili’s, die Stelle eines Censors und ersten Lehrers der Composition am Conservatorium zu Mailand. In diese Zeit fallen seine Opern: „Giovanna Gray“, für die Scala in Mailand, und „Marco Visconti“, für das königliche Theater in Turin geschrieben. Während erstere einen schönen Erfolg feierte, ging letztere ziemlich spurlos über die Bretter. Auf seinem neuen Posten wirkte er auf das ersprießlichste und erfreute sich einer großen Menge von Schülern. Aber nur vier Jahre blieb er auf demselben. Das rohe Benehmen eines Directionsmitgliedes, das es eben auf ihn abgesehen zu haben schien, veranlaßte ihn, seine Enthebung anzusuchen, und am 16. April 1846 überreichte er sein Gesuch in die Hände des Gouverneurs Johann Baptist Grafen Spaur [Bd. XXXVI, S. 106], zwei Monate danach erfolgte die ah. Entschließung, welche seine Bitte gewährte. Bald darauf zog er sich nach Pesaro zurück, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. In den Jahren 1838 bis 1845 schrieb er nur noch zwei größere Werke: „La sposa di Messina“ und „Virginia“, welch letzteres mit besonderem Erfolge in Rom über die Bretter ging. Außerdem componirte er [175] in dieser Zeit mehrere Kirchenmusikstücke. Nur noch vier Jahre genoß er die Muße, die er sich selbst gegeben. Schon seit dem April 1841 quälte ihn ein Magenleiden, gegen das alle Heilmittel sich fruchtlos erwiesen; im Beginne des Sommers nahm das Uebel so zu, daß er demselben in den ersten Tagen des August im Alter von 58 Jahren erlag. Als Compositeur ist Vaccai nahezu vergessen, nur „Giulietta e Romeo“ kam in den Sechziger-Jahren noch ab und zu aufs Repertoire, heute wohl noch kaum mehr. Aus der Schule Rossini’s hervorgegangen, steht er doch in seinen späteren Werken auf eigenen Füßen und entfaltet einen seltenen Melodienreichthum. Unter seinen Gesangszöglingen sind Einige zu verzeichnen, die großen Beifall geerntet haben, so die Corradini, welche unter dem Namen Cesari auf den bedeutendsten Bühnen Europas sang; für diese Sängerin schrieb er die Partie des Romeo, welche später für die Malibran umgearbeitet wurde; ferner Giulia Sanchioli und Fortunata Tedesco. Erstere erfreute sich des besonderen Wohlwollens des Compositeurs, der ihr, als sie in Rom debutiren wollte, dahin persönlich das Geleite gab, ihr auch seine vier kurz vor seinem Tode geschriebenen, später bei Ricordi in Mailand erschienenen Romanzen widmete. Von Vaccai’s im Stich, sämmtlich bei Ricordi, erschienenen Werken sind anzuführen: „Metodo pratico del canto italiano per Camera“; – „Sei Canzone per Sop. e Mezzosop.“; – „Sei Ariette per Mezzosop.“; – „Duetto cantabile: Cara consolati per S. et C.“; – „La Solitudine. Arietta“; – „Quando Aprile i colli infiora. Notturno“; – „Verginella desolata. Romanza italiana per una voce con accompagnamento di due voci ad libitum“; – „Arietta: Chi non la vede, no, non lo crede“; – „L’Addio. Romanza per Sopr.“; – „Il dolore. Canto“; – „Dodici Ariette per Camera, per l’insegnamento del Bel-Canto italiano“ [„Il Silfo“„Il cosacco dei Volga“„Il bagno“„I Pellegrini“„I Sospiri“„Ella m’ama“„La Madre“„Il Figlio“„La Serenata“„La Zingarella“„L’Onda“„Il Bacio“]; – „Quattro Romanze postume“ [„L’Orfanella„Il Pensiero“„Pianto alla tomba d’Elisa“„La Monaca“]; – „Il Monumento di Milano. Finale. Coro e Sortita del Pellegrino per 2 S., C., T. i 2 B.“; – dasselbe: „Stretta finale Salve o Donna“, Stimmen wie oben; – vier Gesangsnummern aus der Oper „Bianca di Messina“; – sechs Gesangsnummern aus der Oper „Giovanna d’Arco“; – fünf Gesangsnummern aus der Oper „Giovanna Gray“; – neunzehn Gesangsnummern und zwei Einlagstücke der Oper „Giulietta e Romeo“; auch die Gesangspartitur der ganzen Oper; – sechzehn Gesangsnummern der Oper „Marco Visconti“ und die Gesangspartitur der ganzen Oper; – drei Gesangsnummern der Oper „La Pastorella Feudataria“; – drei Gesangsnummern der Oper „Pietro il Grande“; – drei Gesangsnummern der Oper „Le Fucine di Norvegia“; – drei Gesangsnummern der Oper „Saladino“; – neunzehn Gesangsnummern der Oper „Virginia“ und die Gesangspartitur der ganzen Oper; – sechs Gesangsnummern der Oper „Zadig ed Astartea“; – „Guardami in viso. Cavatina“; – „Api erranti. Arietta“; – „Ogni zeffiro che spira. Arietta“, die letzten drei mit Begleitung der Zither oder der Guitarre; – Clavierauszug der ganzen [176] Oper „Giulietta e Romeo“; – je einer Nummer aus „Marco Visconti“; – „Pastorella Feudataria“; – „Pietro il Grande“ – und „Il precipizio“ – und von vier Nummern aus „Zadig ed Astartea“. Die handschriftlichen Original-Partituren der Opern: „Bianca di Messina“, „Giovanna d’Arco“, „Giovanna Gray“, „Giulietta e Romeo“, „La Pastorella Feudataria“, „Pietro il Grande“, „Il Precipizio o le Fucine di Norvegia“, „Saulle“, „Virginia“, „Zadig ed Astartea“ und der „Cantata in morte di M. F. Malibran, wie „Il monumento di Milano“ werden in der reichen musikalischen Manuscriptensammlung der Musikhandlung Ricordi in Mailand aufbewahrt. Vaccai ruht auf dem Friedhofe in Pesaro; ein einfacher Denkstein mit der Inschrift: „Qui cominciò a vivere Nicola Vaccai“, welche er sich selbst verfaßt hatte und die in seinem Nachlasse gefunden wurde, bezeichnet die Ruhestätte des Componisten.

Cosmorama pittorico (Milano, Fol.) Anno XX (1855), Nr. 4–6, 8 und 12, im Appendice: „Brevi cenni sulla vita e le opere di Nicola Vaccai“. – L’Italia musicale, Giornale di letteratura, belle arti, teatri e varietà, (Milano, kl. Fol.) Anno IX (1857), Nr. 81, 82, 84, 85, 87: „Biographia scritta dal A. Ghislangoni“.