BLKÖ:Ernst, Heinrich Wilhelm

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
<<<Vorheriger
Ernst, Franz Anton
Nächster>>>
Ernst, Leopold
Band: 4 (1858), ab Seite: 73. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Heinrich Wilhelm Ernst in der Wikipedia
Heinrich Wilhelm Ernst in Wikidata
GND-Eintrag: 119455668, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Ernst, Heinrich Wilhelm|4|73|}}

Ernst, Heinrich Wilhelm (Violin-Virtuose, geb. zu Brünn 1814).[BN 1] Stammt von nicht sehr bemittelten israelitischen Eltern. Im 9. Jahre erhielt er Unterricht in der Violine und zeigte ein so glänzendes Talent, daß er sich nach anderthalb Jahren öffentlich hören lassen konnte. 1825 kam er nach Wien und in’s Conservatorium, wo er unter der Leitung des tüchtigen Jos. Böhm (s. d. II. Bd. S. 20) glänzende Fortschritte machte. Als E. 1828 Paganini hörte, erwachte sein Genius für die Kunst, die er trieb, ganz, noch mehr, als er selbst den Beifall des Geigenfürsten von Genua erntete. Im April 1829 – 16 Jahre alt – trat er seine erste Kunstreise an und ging nach München, von dort nach Paris; als aber Paganini daselbst alle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, nach Deutschland zurück, wo er anfänglich einer trüben Melancholie verfiel, sich aber bald aufraffte und nun in mehreren Städten concertirte. 1831 kehrte er wieder nach Paris zurück, bildete sich drei Jahre im Spiele aus und trat erst 1834 öffentlich aber mit so glänzendem Erfolge auf, daß aus jener Zeit sein Künstlerruf datirt. Nun bereiste er Frankreich, ging nach Marseille, wo sich Paganini aufhielt und wendete die sonderbarsten Mittel an, um die Methode dieses Meisters zu erlauschen, der eifersüchtig auf seine Kunst, nie vor Ernst spielte, dessen Gedächtniß aber so ausgezeichnet war, daß er ein Stück Paganini’s, das er einmal gehört, ohne Noten nachzuspielen im Stande war. 1838 u. 39 bereiste er Holland und gab daselbst über 200 Concerte mit beispiellosem Erfolge. Nach zehnjähriger Abwesenheit trat er 1839 in Wien auf, wo er über 30 Concerte gab und allgemeine Bewunderung erregte. Kritik und Publicum waren über Ernst als Heros der Violine, wie über Liszt als Heros des Piano’s einstimmig. Man nannte E. den „ersten Sänger auf der Geige“. Nun bereiste er die übrigen Provinzen der Monarchie und improvisirte in Pesth die [74] berühmten Variationen auf den Rakoczy-Marsch, den er bis dahin nicht kannte und dessen Motiv er sich erst vom Orchester vortragen lassen mußte. Die Improvisation erregte den höchsten Enthusiasmus. Er kehrte dann nach Paris zurück, blieb daselbst bis 1841, concertirte bis 1844 in verschiedenen Städten Deutschlands, Hollands und Belgiens und ging anfangs 1844 nach England, wo sein Erfolg ebenso außerordentlich war. 1846 unternahm er die längst projectirte Kunstreise nach Rußland, über Berlin, Königsberg, Tilsit, Mietau, Danzig, Riga, welche nebst seinem Aufenthalt in Petersburg selbst, einem Triumphzuge glich. Seit mehreren Jahren bereits tritt E. nicht öffentlich auf, und die Hoffnung Wiens, ihn in der Saison 1858 wieder zu hören, wurde nicht verwirklicht. Von der großen Menge der Compositionen Ernsts ist nur ein ganz kleiner Theil gedruckt. Das berühmte, Epoche bildende Tonstück „Carneval von Venedig“, Variationen auf das venetianische Volkslied „Cara Mama mia“ wurde von Einigen dem Paganini zugeschrieben. Die Geschichte dieses Concertstückes, und eines von Jules Ghys herausgegeb. von Paganini, vergleiche man in der von von Dr. Leone unten in den Quellen angegebenen Biographie Ernsts, welche überhaupt authentische Daten enthält. Die Ernst’sche Composition erschien in Leipzig bei Fr. Kistner op. 18, ist Sr. Majestät dem König von Dänemark gewidmet und enthält 25 Variationen, welche lange nicht alle sind, die Ernst über dieses Thema spielt. Die bedeutenderen übrigen Compositionen sind: „Concertino aus D-Dur“; – „Fantaisie dramatique“, über ein Motiv aus „Ludovic“; – „Pirata-Capricion“; – „Otello fantaisie; – „Concert pathétique. Fis-moll“; – „Rondo Papageno“; – „Elegie“; – „Polonaise de Concert D-Dur“ (op. 17); – „Variations de Bravour“, über ein holländisches Nationallied E-Dur; – „Bolero in A-Moll“ (op. 16); – „Morceaux de Salon in G-Moll“ (op 15) und die berühmte Transcription auf den Schubert’schen Erlkönig, welche Composition Ernst in der Original-Tonart (G-Moll) auf der Violine allein so vorträgt, daß man nicht nur den Erlkönig, den Vater, und das Kind in ihren drei verschiedenen Stimmfärbungen, sondern auch zugleich das vollständige Pianoforte-Accompagnement zu hören glaubt. E.’s Charakter als Mensch bezeichnen seine zahllosen Wohlthätigkeitsconcerte, worin er Liszt, der wie kein Anderer für Wohlthätigkeits-Anstalten und edle Zwecke gewirkt, nachkommt. Seine Rückkehr 1839 nach Wien bezeichnete Ernst dadurch, daß er, ehe er noch ein Concert gab, 1000 fl. den Armen seiner Vaterstadt Brünn und gleich darauf den durch eine verheerende Feuersbrunst in Baja (Ungarn) Verunglückten 500 fl. schenkte.

Leone (Dr.), H. W. Ernst. Eine biographische Skizze (Wien 1847, J. P. Sollinger, gr. 8°.). – Allg. Theaterzeitung von Ad. Bäuerle. XXXIX. Jahrg. (Wien 1846) Nr. 262, S. 1046. – Nr. 263, S. 1049: „Biographische Skizze“ von Leone (Herz). – Wiener allg. Musikzeitung von August Schmidt[WS 2] 1842 (II. Jahrg.) Nr. 12. – Dieselbe 1847 (VII. Jahrg.) Nr. 42, S. 170. – Revue et Gazette de Paris (1841) S. 531: „Notices biographiques“. – Schilling (G. Dr.), Das musikalische Europa (Speyer 1842, F. C. Neidhard, gr. 8°.) S. 87. – Jüd. Athenäum (Grimma und Leipzig 1851) S. 34. – Jüd. Plutarch, herausgeg. von Franz Gräffer. Erstes Alphabet (Wien 1848, Ulrich Klopf sen., 8°.) S. 23, von Sim. Deutsch. – Augsburger Allgem. Zeitung 1840. [Dieselbe schreibt über Ernst: „In einem deutsch-slavischen Lande geboren, hat Ernst von seinem deutschen Vater das ernste Gemüth und den sorgsamen Fleiß, von seiner Mutter, der Slavin, die geschmeidige Form und die Liebe zur Musik, als Geschenk des Franzosen endlich, mit dem er viele Jahre gelebt, die klare Verständigkeit, die einschmeichelnde Eleganz erhalten.“] – Humorist, von M. G. Saphir (Wien, 4°.) 1840 (IV. Jahrg.) Nr. 65: „H. W. Ernst. Eine Künstler-Skizze“ von M. G. Saphir. [75] [„Eigenständig, sein eigener Schöpfer in technischer Vollendung, geistreich, rein und edel durchgebildet, schwärmerisch im Erfassen und Ausführen, das große Geheimniß innehabend, wie man der Violine ihren in jeder Seele nachhallenden Sing- und Seelenton entlockt, als Compositeur Gedankenfülle mit Poesie verbunden, so steht Ernst vor uns da, in einem Alter (damals 26 Jahre), wo Andere noch im Vestibul der Kunst stehen und ihre Geheimnisse kaum ahnen“, so charakterisirt ihn Saphir.] – Ernst theilt mit Paganini und Ole Bull den eigenthümlichen Umstand, daß der Volksglaube sein wunderbares Spiel aus den seltsamsten Lebensereignissen erklären will. So soll er von einem berühmten Geiger in Sevilla stammen, der dem Scheiterhaufen entflohen und nach Brünn gewandert sei. Der Enkel – unser Virtuos – entfloh mit der Geige seines Urahns und dem Segen seiner alten Großmutter aus dem Elternhause, nachdem er Paganini gehört hatte. Diesem folgte er gleich dem Schatten von Stadt zu Stadt sechs Jahre lang, um überall den Meister zu hören und sich nach ihm zu bilden. In der Nacht und wenn er allein war, ahmte er nach, was er seinem Vorbilde abgelauscht hatte u. dergl. m. – Treffend charakterisirt ein ungar. Kritiker den Künstler: „Die Augen im Gesichte stehen einander nicht näher, als die zwei Violin-Virtuosen: Paganini und Ernst.“[BN 2]Porträte. 1) Unterschrift: Facsimile des Namens: H. W. Ernst. Lith. von Kriehuber 1840, dreimal u. z. (Wien, Spina, Fol., ebenda Haslinger, Fol.) [der Herausgeber besitzt von letzterem ein Exemplar mit dem folgenden sinnigen Autograph des großen Virtuosen: „Wenn Sie recht glücklich sind und die Zeit in Lust und Scherz verleben, denken Sie auch manchmal an Ernst. Wien den 9. Sept. 1840“] und Mechetti, Wien 1846. – 2) lith. von Prinzhofer (Wien, Müllers Wwe., Fol.). – 3) Stahlstich von Münzer (Leipzig, Baumgartner, 4°.) (eine Beilage zu Dietzmanns Allg. Modenzeitung]. – 4) Lith. Hamburg, Jowien, Fol. – 5) Unterschrift: Ernst. F. Elias del. Lith. Anstalt von W. Pobuda. (Auch als Beilage zu Lewalds „Europa“, Lex. 8°.]

Berichtigungen und Nachträge

  1. Ernst, Heinrich Wilhelm [s. d. Bd. IV, S. 73][WS 1], gestorben zu Nizza 9. October 1865.
    Wiener Zeitung 1868, Nr. 234, S. 113. – Presse (Wiener polit. Blatt, Fol.) 1865, Local-Anzeiger Nr. 282. – Fremden-Blatt (Wien, 4°.) 1865, Nr. 282 und 283 Beilage. [Band 14, S. 441]
  2. E Ernst, Heinrich Wilhelm [Bd. IV, S. 73; Bd. XIV, S. 441].
    Neue freie Presse 1865, Nr. 411, im Feuilleton: „Pariser Chronik“; 1868, Nr. 1202 [über seine Witwe]. – Waldheim’s Illustrirte Blätter (Wien, 4°.) 1865, Nr. 46. – Salzburger Zeitung 1865, Nr. 235, im Feuilleton – Norddeutsche Zeitung 1865, Nr. 5117. – Bohemia 1865, Nr. 244, S. 940. – Telegraf (Gratzer Journal) 1865, Nr. 254, im Feuilleton: „Aus Wien“. – Allgemeine Zeitung (Augsburg) 1865, Beilage zwischen Nr. 288 u. 294. – Hoffinger, Oesterr. Ehrenhalle u. s. w., wie bei Altschul, III. 1865, S. 75. – Zwischen-Akt (Wiener Theaterblatt, 1871, Nr. 115, „Aus dem Tagebuche eines Musikers. III.“ [Band 24, S. 405]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: [s. d. Bd. VIII, S. 73].
  2. Vorlage: August Schilling.