BLKÖ:Bretschneider, Heinrich Gottfried von

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Brezanóczy, Adam
Band: 2 (1857), ab Seite: 140. (Quelle)
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Bretschneider, Heinrich Gottfried von (Hofrath und Schriftsteller, geb. zu Gera 6. März 1739, gest. zu Krzimit bei Pilsen in Böhmen 1. Nov. 1810). Vater des Vorigen. Sein Vater war pensionirter königl. preußischer und sächsischer Rittmeister, der in Gera, dem Geburtsorte seiner Frau, einer Tochter des dortigen Bürgermeisters, lebte. Seinen sechsjährigen Sohn gab er in’s Herrnhutische Erziehungshaus zu Ebersdorf, und von da schreibt sich B.’s entschiedene Abneigung gegen Frömmelei u. Alles was mit ihr zusammenhängt. Von Ebersdorf kam B. auf das Gymnasium in Gera. Mit 16 Jahren war er Cornet unter den sächsischen Dragonern, die zur österreichischen vom FM. Daun befehligten Armee gestoßen waren. B. focht in der Schlacht bei Kolin in Böhmen (18. Jänn. 1757) und 1759 ward er Officier. Nun trat er als Rittmeister in ein preußisches Freicorps, wurde aber von den Franzosen gefangen und erst nach dem Hubertsburger Frieden (1763) wieder freigegeben. Nach Auflösung des Freicorps trat er in nassauische Dienste, wurde Major, und nahm, da finanzielle Einschränkungen Statt gefunden, den Abschied. In den J. 1772 und 73 unternahm er Reisen in Frankreich, Holland und England, deren Abenteuerlichkeiten und Seltsamkeiten in der von ihm selbst verfaßten: „Reise des Herrn von Bretschneider nach London und Paris, nebst Auszügen aus seinen Briefen, von Friedrich Nicolai, herausgegeben von L. G. F. von Göckingk“ (Berlin 1817, 8°.) erzählt werden. So z. B. erhielt er in Mainz durch den holländischen Gesandten den Auftrag, die Herzogin von Northumberland nach dem Continent zu begleiten. Er begab sich also nach London, dort angekommen reist er plötzlich nach Versailles ab, wo ihm Graf Vergennes geheime Aufträge und Geld gibt u. d. m. Das schon 1801 von B. verfaßte Manuscript wurde in Nicolai’s Nachlaß vorgefunden. [In Blackwoods „Edinburgh Magazine“ befindet sich eine englische Uebersetzung derselben.] Nach seiner Rückkehr arbeitete er längere Zeit unter dem Minister von Hohenfeld, und begab sich dann nach Wien, wo er durch Verwendung des Freiherrn von Gebler in österreichischen Staatsdienst trat. Vorerst kam er als Kreishauptmann nach Werschez im Banat, dann nach Einverleibung des Temescher Banates mit Ungarn, 1778 als Universitätsbibliothekar nach Ofen mit dem Charakter eines kais. Rathes. Dort wurde er von den Gegnern der Aufklärung angefeindet und verfolgt. Eben dies lenkte des Kaisers Joseph II. Aufmerksamkeit auf ihn. Als Nicolai 1781 in Wien anwesend war, war B. sein steter Begleiter. Der Verdacht, daß er die meisten Materialien zu Nicolai’s „Reise“ geliefert, fiel, und nicht grundlos, auf B., und da B. durch die darin enthaltenen Mittheilungen über Wien sich nur noch mehr Feinde zugezogen, änderte Kaiser Joseph, der B. bei der 1782 errichteten Studienhofcommission anstellen wollte, seine Absicht und B. erhielt eine Anstellung an der eben errichteten Lemberger Hochschule und den Rang eines Gubernialrathes. Auch dort erfuhr er seines offenen freimüthigen Sinnes wegen mancherlei Unannehmlichkeiten; diese, verbunden mit seiner geschwächten [141] Gesundheit, bewogen ihn seine Versetzung in den Ruhestand anzusuchen, die er 1809 mit dem Charakter eines k. k. Hofrathes erhielt. Nun lebte er einige Zeit in Wien, Nürnberg, Wiesbaden, Erlangen. Nach der Schlacht von Wagram wurde er von einem Franzosen niedergerannt und dadurch am Arme gelähmt. Die letztere Zeit brachte er auf dem Gute eines seiner Freunde in Krzimiz bei Pilsen zu, wo er bis an seinen bald darauf erfolgten Tod zurückgezogen lebte. B. hinterließ einen einzigen Sohn, den General Bretschneider, der in östr. Diensten stand (s. d. Vorig.). B.’s Leben war ein vielbewegtes. Im Verkehre mit Menschen aus allen Ständen hatte er oft Gelegenheit, seine auf einen reichen Schatz von Erfahrung gestützten mannigfaltigen Kenntnisse zum allgemeinen Besten zu verwenden. Zwei Monarchen: Kaiser Joseph und Kaiser Leopold kannten und schätzten ihn, und bedienten sich seines Rathes in wichtigen Angelegenheiten. Seine unzureichende Schulbildung durch eigene strenge Studien zu ergänzen stets bemüht, war es insbesondere die Lectüre der römischen Classiker, die er fleißig betrieb. In seiner Abneigung gegen Alles, was ihm als Aberglaube, Gaukelei und zu bösen Zwecken verwendete Geheimnißkrämerei erschien, war er vielleicht in Vertheidigung des gesunden Menschenverstandes, zu dessen Schutz er nicht selten beißende Satire anwendete, manchmal zu weit gegangen. Durch seine rücksichtslose Freimüthigkeit zog er sich eben so viele Feinde zu, als er eben wieder durch sie und durch seine Entschiedenheit, was er als gut und nützlich erkannte, zur Geltung zu bringen, sich Freunde unter Staatsmännern und Gelehrten erwarb. B. entfaltete eine reiche literarische noch heute zu wenig gewürdigte Thätigkeit und seine meistens anonym erschienenen Schriften dürften dem Literarhistoriker mannigfaches Interesse abgewinnen. Seine Schriften, theils in Versen, theils in Prosa sind satirischen, romantischen, dramatischen u. literarischen Inhalts. Sie tragen oft eine lokale Färbung und sind zunächst an die Zeit geknüpft, in der sie erschienen sind. Sie vollständig zu sammeln, wäre, da sie im Buchhandel sich fast ganz verloren haben, eine für Bücherfreunde dankenswerte Aufgabe. Bei B.’s Schriften tritt der seltene Fall ein, daß fast eine jede derselben, und manche eine nicht uninteressante Geschichte hat. Im folgenden wird versucht die selbständig erschienenen vollständig anzuführen; die mit einem Sternchen (*) bezeichneten sind anonym erschienen. Seine erste Schrift ist: *„Graf Esau. Ein Heldengedicht“ (1768, 12°.), eine Satire auf einen Gesandten; – *„Papilloten“ (Frankfurt a/M. 1769, 8°.), im Geiste Weckherlins, reich an schlagenden, geistreichen Gedanken; – *„Eine entsetzliche Mordgeschichte von dem jungen Werther“ (Frankfurt a/M. 1774), eine kernige Persiflage auf das damalige Werther-Fieber, die zu ihrer Zeit großes Aufsehen machte; – „Fabeln, Romanzen u. Sinngedichte“ (Pesth 1781); – „Lemberger Musenalmanach“ (Lemberg 1788, 8°.), ganz von B. verfaßt; – *„Theodor“ (Wien, Degen), eine gegen Napoleon gerichtete Schrift, über die sich der französische Gesandte beklagte, welcher die in Wien bei dem Buchhändler Degen aufgefundenen 500 Exemplare jedes zu 3 Franken aufkaufen ließ; – *„Almanach der Heiligen auf das J. 1788, mit 13 Kupf. und Musik.“ (gedruckt zu Rom, mit Erlaubniß der Obern (Wien) neue Aufl. 1816 [Leipzig, Wienbrack, kl. 8°.], eine scharfe Satire gegen Aberglauben, seine Förderer und Alles damit in Verbindung stehende; – *„Ankündigung und Probe einer neuen Ausgabe von Fischarts Uebersetzung des Rabelais“ (Nürnberg 1775, 8°.); – *„Beiträge zur philosophischen Geschichte der [142] heutigen geh. Gesellschaften. Mit Vorrede und Anmerkungen“ (Wien 1786, Breslau, W. G. Korn, gr. 8°.); – *„Catalogus nonnullorum librorum rariorum“ (Pesth 1781, 8°.); – *„Recension der Schrift A. F. Büschings[WS 1], Charakter Friedrichs II.“ (Wien 1789, Wucherer, 8°.); – *„Die Religion mit philosophischen Augen betrachtet“ (Wien 1774, 8°.); – *„Antwort eines polnischen Edelmanns in der Republik an seinen Freund in Galizien auf die Anfrage: was von Einer Vereinigung Croatiens mit Ungarn zu halten sei“ (Warschau 1790, 4°.). Diese Schrift verfaßte B. in höherem Auftrage in der Reichenbacher Friedensepoche, und stellte darin dar, daß eine Vereinigung der Ungarn mit den Galiziern höchst nachtheilig für die letzteren wäre, und setzt dem galizischen Adel deutlich auseinander, was er von den Ungarn zu erwarten habe. Diese Schrift wurde in’s Polnische übersetzt u. vertheilt, und B. bekam für seine Bemühung 100 Ducaten. Außer den bisher genannten Schriften verfaßte B. noch folgende dramatische: *„Die Springwurzel. Oper“ (Nürnberg 1810, Bauer und R., 8°.); – *„Die freiwillige Beisteuer. Ein Vorspiel“ (Lemberg 1793, 8°.); – *„Liebe und Wein in Asien; eine kom. Oper“ (Frankfurt a/M. 1793, 8°.); und die zwei Romane: *„Familiengeschichte und Abenteuer des Junkers Ferdinand von Thon, 5 Theile“ (Nürnberg 1775 und 1776, Bauer u. R., mit K. K., 8°.); – *„Wallers Leben und Sitten wahrhaft oder doch wahrscheinlich beschrieben von ihm selbst“ (Cöln 1793, Peter Hammer [Berlin Nicolai] neue Aufl. Leipzig 1808, Nauck, 8°.), eine launige, witzvolle Schilderung des damaligen Wienerlebens, worin die Umtriebe der auf Arglist, Dummheit und Heuchelei erbauten Freimaurerei, Unwesen und Ränke der damaligen Beamtenkaste mit feiner Ironie gezeichnet und mit scharfer Satire angegriffen werden. Ferner arbeitete Bretschneider sehr fleißig an den besten periodischen Schriften seiner Zeit, als am „deutschen Merkur“, an der „Berliner Monatsschrift“, an Meusels „hist. lit. bibl. Magazin“ mit; eine große Anzahl seiner Arbeiten befindet sich in der „Frankfurter gelehrten Zeitung“; und in der „allgemeinen deutschen Bibliothek“ sind unter den Chiffern Fi. und Dp. seine kernigen geistvollen Recensionen enthalten, wovon hier beispielsweise angeführt werden: über Eckartshausens „Aglais“ im 75. Bd., S. 143 u. f., über Swedenborgs Schriften im 107. Bd., S. 15–37, eine scharfsinnige Darstellung des mysteriösen Charakters dieses eigenthümlichen Schwärmers. Gräffer entwirft folgende Silhouette von Bretschneider: „B. gehört unter unsere merkwürdigen Männer und Autoren. Sein Wesen, seine Geschicke waren abenteuerlich genug. Seine Gesinnung, seine Art sich zu geben, zu reden, zu schreiben, erinnerten an Trenk (den Major), mit dessen Riesengestalt er auch viele Aehnlichkeit hatte. Von Goethe und Napoleon war er kein Freund“; und an anderer Stelle: „Unter B.’s coquinarischen Werken [B. machte sich den Scherz und hielt einige Zeit für gute Freunde eine geheime Restauration, in der er selbst kochte] machten besonders der Pudding und Mock turtle, nämlich unechte Schildkröten, welche beide er in England kochen gelernt hatte, eclatante Epoche. Auf seinen vielen Reisen bot er sich seinen Freunden und Protectoren ausdrücklich zum Dienste der Küche an. Er setzte die Spreestadt in Erstaunen, u. den äußerlich frugalen, insgeheim aber recht gern gourmandisirenden Nicolai; er setzte Erlangen in Erstaunen, und den polyhistorischen, redseligen, lieben Hofrath Meusel. Viel früher im Banat ward er von dem sehr renommirten Grafen N. aufgesucht, mit dem er auch in Kenntnissen simpathisirte. Graf N. war entzückt über B.’s Bekanntschaft; stundenlang [143] überschütteten sie sich mit Stellen aus Horaz, Virgil, Terenz, Plautus, Catull u. s. w. Apicius aber gab den Ausschlag; seine ars coquinaria: die wußten sie Beide auswendig“. Bretschneiders letzte Worte auf dem Sterbebette an die Umstehenden sollen gewesen sein: „Freunde, in drei Tagen beginnen die Würmer ihre Arbeit“.

Meusel (J. G.), Vermischte Nachrichten und Bemerkungen histor. und literarischen Inhalts (Erlangen 1816, 8°.) [worin Meusel die ihm übergebenen handschriftlichen Aufsätze, den Anfang einer Selbstbiographie B.’s und die Mittheilungen des Sohnes desselben, Generals in östr. Diensten, veröffentlichte]. – Derselbe, Histor. und literarische Unterhaltungen (Koburg 1818, 8°.) [bieten ein reiches von M. glossirtes Materiale zu B.’s Biographie; diese Schriften, wie die vorgenannten, sind größtentheils aus B.’s Briefen und Handschriften gezogen; die Geschichte seiner Zeit ist häufig darin berührt und wird davon überhaupt manche anziehende Nachricht und Schilderung gebracht]. – Reise des H. von Bretschneider nach London und Paris .... herausgegeben von L. G. F. von Göckingk (Berlin 1817, 8°.) [darin theilt G. biographische Nachrichten über B. mit]. – Köppen (Fr.), Vertraute Briefe über Bücher und Welt (Leipzig 1820, 2 Bde.) I. Thl. S. 142. – Frankl (L. A. Dr.), Sonntagsblätter (Wien 1843, gr. 8°.) II. Jahrg. S. 497 [Kurze Charakterskizze B.’s von Gräffer, auch in des Letzteren „Wiener Memoiren“ (Wien 1845, 8°.) II. Bd. S. 71 abgedruckt] – 1844, III. Jahrg. Nr. 14: „Der Gelehrte als Koch“ von Franz Gräffer (eine sehr launige Episode aus B.’s Leben, auch in Gräffers „Wiener Memoiren“ II. Bd. S. 1 unter dem Titel: „Ein distinguirter Koch“ abgedruckt]; – Giesecke (Joh. Chr.), Handbuch für Dichter u. Literatoren (Magdeburg 1793, gr. 8°.) I. Bd. S. 225. – Baur (Samuel), Allgem. hist.-biogr-literarisches Handwörterbuch aller merkwürdigen Personen, die im ersten Jahrzehend des 19. Jahrhund. gestorben sind (Ulm 1816, Stettini, Lex. 8°.) I. Bd. S. 161. – Gräffer (Franz), Josephinische Curiosa (Wien 1848, J. Klang, 5 Bde.) I. Bd. Nr. VII, S. 106: „Josephinische Memorabilien“, von Hofrath Bretschneider (eine Charakteristik des Kaiser Joseph von Bretschneider, worin Letzterer seine vorurtheilsfreie und scharfe Beobachtungsgabe beurkundet] – Correspondent von und für Deutschland 1810, Nr. 321 und 322, von Meusel. – Conversations-Lexikon Neue Folge (1823 u. 24). Des Hauptwerkes XI. Bd. S. 444–447. – (Brockhaus) Conversations-Lexikon (10. Aufl.) III. Bd. S. 282. – Oestr. National-Encyklopädie (von Gräffer und Czikann), (Wien 1835, 6 Bde.) I. Bd. S. 381. – Nouvelle Biographie générale ... publiée sous la direction de M. le Dr. Hoffer (Paris 1853) VII. Bd. Sp. 349 [gibt den 6. Mai 1739 als B.’s Geburtsdatum an]. – Als ein Redactions-Curiosum folge hier die Charakteristik Bretschneiders, wie solche die „Allg. deutsche Real-Encyklop. für die gebild. Stände“ im Jahre 1830 brachte. Sie schreibt: „B. Soldat, Gubernialrath, Bibliothekar in Ofen und Lemberg, Rathgeber und Vertrauter Kaiser Joseph II., Reiseabenteurer, Dichter, Romanschreiber, Kupferstich- und Gemäldesammler, Recensent, Satiriker, ein Peregrinus Proteus in hundert Farben, und doch dabei ein redlicher Freund der Wahrheit, wie er sie erkannte; geschworener Feind aller politischen und anderen Gaukelei, die er schonungslos entlarvte, ein Encyklopädist, ohne mit d’Alembert und Diderot in Verbindung zu stehen, ein Lichtleiter und Wohlthäter seines Zeitalters in Wort und Schrift, ein Deutscher im Wesen und Denken, und daher Feind der Napoleonischen etc. Gewaltstreiche, angefeindet von Tausenden, geliebt von Allen, die ihn genau kannten, gesucht wegen seines Witzes und seiner Gabe der Unterhaltung, gefürchtet von allen Heuchlern und Narren, ein Mann, dem seit er in Frankfurt am Main 1769 mit den satirischen Papilloten aufgetreten war, bis zum schmählichen Fürstenhof in Erfurt, wo Napoleon deutsche Könige antichambriren ließ, Nichts, was ihm einer Rüge würdig schien, ungeahndet entging.“ Drei Jahre später, im Jahre 1833, hatte die „Allg. deutsche Real-Encyklopädie“ diese Charakteristik bereits fallen gelassen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: A. E. Büschings.