BLKÖ:Wucherer, Georg Philipp

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Wuchetich, Matthias
Band: 58 (1889), ab Seite: 211. (Quelle)
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Wucherer, Georg Philipp (berüchtigter Pamphletendrucker unter Kaiser Josef II., Ort und Jahr seiner Geburt wie seines Todes unbekannt). Er kam aus Schwaben, wo dieser Namen durch mehrere ganz ehrenwerthe Gelehrte vertreten ist, wahrscheinlich schon Anfangs der Siebenziger-Jahre des 18. Jahrhunderts nach Wien und trat als Buchhalter oder Factor in den Dienst eines Handlungshauses daselbst, in welchem er die Geschäfte derart führte, daß, während das Haus allmälig in Verfall gerieth, er ein genug bedeutendes Vermögen erwarb, um sich selbständig zu machen und den Großhändlerfond auszuweisen. Sein Hauptgeschäft bestand im Druck von Pamphleten und Schandschriften, welche wie begreiflich großen Absatz fanden und den Herausgeber bereicherten. Obgleich er dadurch viel Aergerniß erregte und selbst sehr anrüchig wurde, richtete er nichtsdestoweniger am 6. April 1784 ein Gesuch an die Regierung, in Wien eine Druckerei errichten zu dürfen. Abschlägig beschieden, reichte er am 10. August desselben Jahres neuerdings ein Gesuch ein, wieder abgewiesen, versuchte er es zum dritten Male, aber mit gleichem Erfolge. Nun trieb er seinen Unfug, Pamphlete und die schändlichsten Bücher zu drucken, heimlich fort, bediente [212] sich dazu verschiedener Winkelpressen, deren eine geheim auf der Landstraße bestand, wurde aber zuletzt so verwegen, daß Johann Rautenstrauch, der bekannte Freiheitsapostel der Josephinischen Periode [Bd. XXV, S. 61], endlich gegen das unverschämte Treiben Wucherer’s öffentlich auftrat und mit der Schrift: „Wie lange noch? Eine Patriotenfrage an die Behörde über Wucherer’s Scarteken-Großhandel“ (Wien 1787) an die öffentliche Meinung appellirte, dem schamlosen Treiben dieses aus der Fremde eingewanderten literarischen Buschkleppers ein Ende zu machen. Dies half, die Behörde schritt ein, die Buchhandlung des „gewesenen Groß- und Buchhändlers“ Wucherer wurde gesperrt, er selbst aber „wegen höchstwichtiger Ursachen (gröblichster Beleidigungen des Kaisers) und Schamlosigkeiten aus den kaiserlichen Erblanden abgeschafft“. Es scheint aber, daß er auch nach seiner Abschaffung noch manch berüchtigtes Pamphlet gedruckt habe; doch dem systematischen Unfuge mit dem ergiebigen Handel von Schandschriften war doch ein Riegel vorgeschoben. Wucherer selbst war bald darauf verschollen, und über seinen ferneren Verbleib und sein Ende fehlen alle Nachrichten. Da Rautenstrauch’s Schrift gegen Wucherer, sowie überhaupt die meisten Flugschriften aus dieser denkwürdigen Zeit, zu den bibliographischen Seltenheiten gehören, so hat dieselbe Gräffer im 3. Hefte seiner „Josephinischen Curiosa“, welche eine Fülle interessanten Materials zur Geschichte und Culturgeschichte Oesterreichs 1780–1790 enthalten, wörtlich abgedruckt. Was nun die Wucherer’schen Pamphlete betrifft, so war eine Anzahl direct gegen Kaiser Joseph II. gerichtet, und wenn man dieselben aufmerksam liest, so gewinnt man die Ueberzeugung, daß hinter Wucherer eine mächtige Partei stak, die sich seiner zunächst bediente, weil seine Frechheit keine Grenzen kannte und er auf alle Gefahr hin Alles wagte, womit den Gegnern des Kaisers zunächst gedient war. Eine wichtige Rolle in diesen Pamphleten spielt die Freimaurer-Literatur, welche auf die Vermuthung führt, daß Wucherer auch im Solde der Freimaurer gestanden, wenn er nicht selbst ein solcher gewesen; überhaupt scheint er eine Art literarischer Bravo, der für Geld Alles druckte, was man von ihm verlangte, gewesen zu sein. Wucherer veranstaltete einen Abdruck der durch des Kaisers Joseph II. am 16. December 1785 erlassenes Freimaurerpatent hervorgerufenen Freimaurerschriften. Das eine Reform der Freimaurerei bezweckende, vom Kaiser Joseph selbst verfaßte Freimaurerpatent machte in den betheiligten Kreisen solches Aufsehen, daß Mitglieder dieses Bundes selbst diese Reformation eine Revolution nannten. Wie die aus diesem Anlaß erschienenen Schriften, so gehört die Wucherer’sche aus zehn Heften bestehende Collection auch zu den größten bibliographischen Seltenheiten, und da die Freimaurer auch in unseren Tagen eine eindringlichere Rolle spielen, als das große Publicum ahnt, so gewinnt die diese geheime Gesellschaft betreffende Literatur jener Tage auch für die Gegenwart Interesse, daher wir die Titel der in der Wucherer’schen Collection erschienenen Freimaurerschriften hier beifügen, sie lauten: „Briefe eines Biedermannes an einen Biedermann über die Freimaurer in Wien“; – „Drei Briefe über die Maurerrevolution in Wien“; – „Kaiser Josephs Reformation der [213] Freimaurer; eine Denkschrift“-, – „Was ist Gaukelei?“ (ist gegen den im Patent vorkommenden Ausdruck „Gaukeleien“ gerichtet); – „Fortsetzung der Briefe über die neueste Maurerrevolution in Wien“ (Brief 4–7); – „Gedanken eines Profanen über die jetzige Revolution des Freimaurerordens“; – „Zweite Fortsetzung der Briefe u. s. w.“ (Brief 8–13); – „Briefe aus dem Himmel über die Freimaurerrevolution von Wien“ (diese Briefe sind: Salomo an Joseph; Ganganelli an denselben; Theophrastus an den Hofrath B. [Born]; – „Dritte Fortsetzung der Briefe“ (Briefe 14–20); – „Kaiser Josephs Reformation der Freimaurer“ (2. Lieferung); – „Torrubia gegen das verabscheuungswürdige Institut der Freimaurer. Nach der spanischen Handschrift von Br. S**s“ (Sonnenfels und mit einer Einleitung von diesem versehen); – „Freimaurer-Autodafé in Wien“ (von Kratter, eine maurerische Collission mit Born betreffend, gegen Alxinger, Hartl u. A., vertheidigt den angegriffenen Sonnenfels); – „Drei Schriften über letztgenannte Brochure: 1. Eckhard’s authentische Beilage; 2. Ueber Kratter’s Freimaurer-Autodafé; 3. Kratter, B.(or)n und socii; bald darauf folgten: Kratter an den verkappten Eckhard“; – „Nachtrag zu den Briefen“ (Brief 21–26); – „Gedichte von Blumauer, Ratschky, Leon u. A.“. Noch sei bemerkt, daß Kaiser Joseph die gegen ihn bei Wucherer gedruckten Schmähschriften, obgleich sie alle Schranken überschritten, nie verbieten ließ, sondern den Verkauf frei gestattete. Ein Genoß der Schändlichkeiten Wucherer’s in jenen Tagen war ein gewisser Pfeifferl, und bezüglich des Ersteren wie des Letzteren schreibt Rautenstrauch: „Es gibt zwei Namen in Wien, welche bei allen Rechtschaffenen der Gegenstand einer allgemeinen Verachtung geworden sind, sie heißen: Wucherer und Pfeifferl. Wenn man die Unternehmungen eines schmutzigen eigennützigen Buchhändlerauswürflings, sowie die gewissenlosen Handlungen eines staatsschädlichen katholischen Juden mit passenden Ausdrücken bezeichnen will, so sagt man à la Wucherer, – à la Pfeifferl!“ Rautenstrauch beschließt seine Schrift gegen Wucherer mit den Worten: „Ich beharre darauf, daß ich die Wahrheit schrieb, und von Pflicht und Rechtschaffenheit angetrieben in Ansehung Wucherer’s Scarteken-Großhandels zu fragen berechtigt war: Wie lange noch?“ Jedenfalls wäre eine Nachforschung, wer hinter den allen Anstandes spottenden von einem Cynismus ohne Gleichen dictirten Schmähschriften auf Kaiser Joseph eigentlich stak, nicht ohne Interesse, weil man dadurch die Hebel kennen lernte, welche gegen des Kaisers wohlwollende, die Machtentfaltung des Kaiserstaates bezweckende Reformen in Thätigkeit gesetzt wurden. Daß Ungarn mit dabei betheiligt war, ist kaum zu bezweifeln.

Gräffer (Franz). Josephinische Curiosa (Wien 1848, 8°.) Bd. I, S. 42–47: „Der Kaiser und die Freimaurer“ Bd. III, S. 64 bis 87: „Literarische Attentate auf den Kaiser“. – Meyer (Anton Dr.). Wiens Buchdrucker-Geschichte 1482–1882. Herausgegeben von den Buchdruckern Wiens. Verfaßt von – –(Wien 1887, 4°.) Bd. II, S. 127, im Artikel über Johann Martin Weimar. – Brunner (Sebastian). Die Mysterien der Aufklärung in Oesterreich 1770–1800. Aus archivalischen und anderen bisher unbeachteten Quellen (Mainz 1869, Franz Kirchheim, gr. 8°.) S. 95.