ADB:Waiblinger, Wilhelm Friedrich
Schwab, Matthisson, Haug, Dannecker, Wagner, Boisseree und besuchte das Theater fleißig. Sein Drang, sich in genialen Schöpfungen auszutoben, stieg frühzeitig auf eine ungesunde Höhe und wurde mühsam durch Schwab zurückgehalten. Im Herbst 1822 bezog er die Universität Tübingen zum Studium der Theologie, zwar als Angehöriger des Stifts, aber mit gewissen persönlichen Freiheiten; actenmäßig ist jetzt nichts mehr über jene Jahre festzustellen. Schon im J. 1821 hatte W. die Bekanntschaft Mörike’s gemacht, der zugleich mit ihm die Hochschule bezog; nunmehr kam als Dritter im Bunde Ludwig Bauer dazu. In poetischem Schaffensdrang und lebhafter Empfindung mochten alle drei eins sein; aber Waiblinger’s Geniesucht und Eitelkeit machten wohl bald das Verhältniß lauer; tragische Ereignisse des Jahres 1824, welche mit einem nie völlig aufgeklärten Liebesverhältniß Waiblinger’s zusammenhingen, führten zum völligen Bruch mit Bauer; mit Mörike scheint ein wenn auch gelockertes Verhältniß fortbestanden zu haben. Waiblinger’s Tübinger Aufenthalt ist am wichtigsten geworden durch seine Bekanntschaft mit dem kranken Hölderlin (s. u.). Schon 1823 und 1824 hatte W. in den Ferien Oberitalien besucht; im October 1826 reiste er zum dritten Male nach Italien, um dort zu bleiben. Er mußte sich zum Theil mit Entbehrungen sein Brod verdienen; auf wiederholten Reisen durch Mittel- und Unteritalien hat er sich zwar den reichsten Stoff für seine Schriftstellerei gesammelt, aber zugleich durch die großen Strapazen der im Hochsommer unternommenen Fußreisen seine Gesundheit vollkommen zerrüttet. Von seiner letzten und größten Reise am 25. October 1829 nach Rom zurückgekehrt, erkrankte er bald darauf und starb am 17. Januar 1830 nach schmerzhaftem Leiden. – Waiblinger’s Veröffentlichungen sind, abgesehen von dem in Zeitschriften Erschienenen, in chronologischer Ordnung: „Phaethon“, 2 Theile, 1823 (Prosaroman, Nachbildung des Hyperion); „Lieder der Griechen“, 1823; „Vier Erzählungen aus der Geschichte des jetzigen Griechenlands“, 1826 (in Versen); „Drei Tage in der Unterwelt“, 1826 (litterarische Satire in Prosa); „Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1829 und 1830“, Bd. 1: Rom, 2: Neapel und Rom; „Blüthen der Muse aus Rom“ 1829; „Anna Bullen, Königin von England“, 1829 (Trauerspiel); anderes ist nur handschriftlich erhalten oder verloren gegangen. Seine „Gesammelten Werke“ erschienen, von H. v. Canitz herausgegeben, 1839 bis 1840 in neun Bänden in Cannstatt (angeblich „Hamburg“); die Ausgabe enthält außer den litterarischen Werken auch Proben aus Waiblinger’s Tagbuch und eine Biographie; dagegen fehlt der Phaethon. Waiblinger’s lyrische Gedichte wurden, nicht ohne eigenmächtige Aenderungen, von Mörike 1844 herausgegeben; 1879 ein Theil als „Bilder aus [598] Neapel und Sicilien“ von Eduard Grisebach, welcher neuerdings in Reclam’s Universal-Bibliothek Waiblinger’s gesammte Gedichte aus Italien herausgegeben hat. Zur Ergänzung vgl. Waiblinger’s Briefe aus Rom, Capri und Sicilien, herausgegeben von August Schricker in der Besondern Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg 1880, nach den Originalen in der Straßburger Bibliothek (anderes aus Waiblinger’s Nachlaß in der öffentlichen Bibliothek Stuttgart); Mörike’s Jugendbriefe an W. in meinen Beiträgen zur Litteraturgeschichte Schwabens, S. 148–179. – Bei der Beurtheilung Waiblinger’s muß man sich von der panegyrischen Art der Biographie in den Ges. W. ebenso fern halten wie von der moralischen Vervehmung, die ihm in seiner Heimath widerfahren ist. Den Leuten, die Zeugen seiner Tübinger Zeit gewesen sind, war kraftgenialisches Wesen meist so fremd, daß sie nothwendig sowol die Genialität als die Unsittlichkeit viel größer finden mußten, als sie waren. Es gilt von W. wie von seinem nicht entfernt erreichten Muster Byron: er war weder Engel noch Teufel, sondern ein begabter, aber eitler Mensch; es ist das auch in der besten Würdigung, die wir über W. von einem Zeitgenossen besitzen, bei Moriz Rapp in den Tübinger Jahrbüchern der Gegenwart 1847, S. 254–287, gut ausgesprochen. Waiblinger’s Haupt- und Grundfehler ist eine grenzenlose Eitelkeit, die sich von allem Anfang an geltend macht und sich selbst wie andern ein mäßiges formales Talent als großes Genie vorspiegelt. Unglücklicherweise fällt nun W. in die Zeit Byron’s und gefällt sich in dessen Nachahmung; er liebt es, sich als den Unglücklichen, Verkannten darzustellen, und stellt sich dem profanum vulgus verachtungsvoll gegenüber, was man wohl einem Byron, aber nicht einem unbedeutenderen Talent verzeiht, was aber eben doch immer auf Unwahrheit beruht und Lüge erzeugt, denn der Mensch, der sich hoheitsvoll von der Menge abzuwenden vorgibt, kann nicht einen Tag ohne ihren Beifall leben. Hier, nicht in der Immoralität der äußern Lebensführung, die wohl gar nicht so besonders schlimm war, liegt der faule Punkt bei W.; diese innerliche Unwahrheit, dieses beständige Sensationsbedürfniß, dieses schauspielerische Wesen haben die besseren Jugendfreunde Waiblinger’s bald erkannt und namentlich Rapp hat sich richtig darüber geäußert. W. begann als Schüler Hölderlin’s; er kannte ihn persönlich genau und seine Schrift über Hölderlin ist zwar in den biographischen Angaben voll von Fehlern, zeigt aber eine sehr gute Beobachtung; der Phaethon ist wie dem Titel, so auch dem Inhalt nach ein Nachbild des Hyperion und die Lieder der Griechen gehen auf Hölderlin’s Wegen. Dagegen sind die Erzählungen aus Griechenland schon eine Frucht des Studiums Byron’s, dessen Muster von da an die größte Rolle bei W. spielt. Eine zu breite, aber großentheils gut gelungene Satire, namentlich auf die Romantiker, sind die „Drei Tage in der Unterwelt“. Von den späteren Werken, deren Schauplatz Italien ist, mögen noch die humoristischen Erzählungen „Die Briten in Rom“ und „Das Abenteuer von der Sohle“ erwähnt sein, deren zweite voll von gutem Galgenhumor ist. Die andern Prosaschriften aus Italien können jetzt nicht mehr befriedigen. Sie sind zu breit, zu eigenliebig, zu wichtigthuerisch und vor allem viel zu panegyrisch. Die ewigen Klagen über das düstere, pedantische, unwirthliche, undankbare Deutschland sind widerlich im Munde eines jungen Mannes, dem sein Vaterland auch nicht das Mindeste zu leid gethan hatte, und nicht erfreulicher sind die positiven Seiten der Schilderung. W. ist einer von denen, die die Verhimmelung Italiens als des Landes unverfälschter Natur, Sinnlichkeit und Nichtsthuerei bei uns eingebürgert haben. Seine Bildung ist nicht tief genug, um diejenigen Charakterzüge wahrzunehmen, welche unter der Oberfläche liegen. Viel erfreulicher, zum Theil vortrefflich, ist Waiblinger’s Lyrik; wenn auch ihr dieselben Merkmale in Beziehung auf den Inhalt eigen [599] sind, so ist er doch in gebundener Form stets würdiger, conciser und gerundeter als in Prosa, wo er dem Bogen nach schreibt. Sein einziger erhaltener Versuch im Drama, Anna Bullen, ist eine unbedeutende Nachahmung Shakespare’s und der Maria Stuart Schiller’s.
Waiblinger: Wilhelm Friedrich W., Schriftsteller, 1804–1830. W. wurde am 21. November 1804 in Heilbronn als Sohn eines württembergischen Beamten geboren, der schon 1806 nach Stuttgart, 1817 nach Reutlingen versetzt wurde. Für das Studium der Rechte bestimmt, sollte er, wie damals oft vorkam, zunächst den praktischen Dienst erlernen und kam im Frühjahr 1819 in die Schreibstube des Oberamtsgerichts Urach. Der Jüngling, der schon damals große Gedanken an eine poetische Laufbahn genährt zu haben scheint, fand sich vom Bureaudienst abgestoßen und durfte von Ostern 1820 an das obere Gymnasium in Stuttgart besuchen, um sich für das Studium der Theologie vorzubereiten. In Stuttgart kam W. in Berührung mit Dichtern und Künstlern wie- Biographie und Bibliographie am genauesten am Schluß von Grisebach’s Ausgabe der Gedichte Waiblinger’s. Porträt vor Band 1 der Ausgabe von 1839.