ADB:Wagner, Rudolf (Publizist)

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Artikel „Wagner, Rudolf“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 575–578, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wagner,_Rudolf_(Publizist)&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 14:23 Uhr UTC)
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Wagner: Rudolf W., Publicist und (Theater-)Kritiker unter dem Pseudonym Rudolph Valde(c)k, wurde am 26. Septbr. 1822, Enkel niederösterreichischer Bauern, Sohn eines namhaften Professors der Chirurgie der Universität zu Lemberg, den, obzwar Neffen des Ministers v. Krauß, wissenschaftliche Eifersucht eines Vorgesetzten aus Wien verschickt hatte, ebendort geboren. 1829 übersiedelte die Familie wieder nach Wien und hier suchte sie den dem Rechtsstudium zugeführten W. für den höhern Staatsdienst zu bestimmen. Er aber, allem Bureaukratischen und Schablonenhaften Feind, war durch Naturanlage und Lectüre, besonders seines lebenslänglichen Lieblings Goethe zum Entschlusse gekommen, der Kunstwissenschaft sich zu weihen, und dachte damals noch am liebsten an das Ziel einer Professur der Aesthetik. Bis 1848 verhinderten diese Laufbahn die allgemeinen Verhältnisse, seitdem seine [576] Angehörigen. So ging er, wie zahllose deutsche, namentlich österreichische Litteraten im Vormärz auf Reisen – er soll sich auch als Hofmeister über Wasser gehalten haben – um, nachdem die Universitätsstudien absolvirt, die deutsche und die französische Bildungswelt möglichst allseitig kennen zu lernen. Berlin, Frankfurt a. M., Paris fesselten ihn, später Rom, wo er gründlich Bescheid wußte, er eignete sich in Geschichte und Philosophie eine außerordentliche Fülle positiven Wissens an, erwarb für sein ästhetisches Denken breiteste Grundlagen auf den Feldern antiker wie moderner Kunst und Litteratur und erzog sich zu einer Persönlichkeit. Anfangs der Fünfziger kehrte er nach Wien zurück, das er fürder nie länger verlassen hat. Ignaz Kuranda, in dessen „Ostdeutscher Post“ W. jahrelang das Burgtheater-Referat besorgte, war stets stolz darauf, ihn praktisch der Publicistik gewonnen zu haben; seit 1853 gehörte W. der Journalistik. Unter Zang, dem Besitzer der „(alten) Presse“, an der W. im Stabe von Friedrich Uhl’s Redactionspersonal einen ersprießlicheren Wirkungskreis erhielt, Landsteiner und anderen Zeitungschefs, hat W. lange ein gar kümmerliches Dasein gefristet, während gleichzeitig seine Theaterrecensionen und polemischen Aufsätze in Wien weiteste Aufmerksamkeit, ja unmittelbare Nachachtung hervorriefen. Ein viel bemerkter Aufsatz Wagner’s über Adelaïde Ristori verursachte 1856 seinen offenen Kampf wider die gehaltlose Frivolität des zeitweise schier allmächtigen Witzbolds M. G. Saphir (s. d.), dessen carikirenden Angriff er, von Ludwig Julius Semlitsch unterstützt, kühn und principiell siegreich parirte. Auch das überlebte Theaterorakel Altwiens, Ad. Bäuerle (s. d.), erfuhr den Ingrimm seiner schneidenden Feder. Hier sprach der erbitterte Pessimist in ihm, der sonst den reinen Idealismus seiner Kunstbegeisterung niemals gestört hat. Dämpfer von oben her versagten ihm, jenem „Gauner“, wie er den gemüthlosen Cyniker getauft hatte, den Todesstoß zu versetzen, und so wandte er sich mit ehrlichstem Ernste der kritischen Beleuchtung der Wiener Bühnen zu. Heinrich Laube, dazumal Director des Burgtheaters, gab viel auf Wagner’s Urtheil, und hat sich von ihm ins Carltheater führen lassen, um in dessen Vertreterin der Zöfchen, Charlotte Wolter, den künftigen Stern der Hofbühne zu entdecken. Auch den jungen Josef Lewinsky zog Wagner’s Auge zu glänzender Zukunft hervor, und der packenden Charakteristikerin (Wilbrandt-)Baudius hat er so demonstrativ Beifall zugejubelt, daß einer seiner Nekrologisten mit seiner Hyperbel von dem Vermögen reden kann, daß er zu ihren Gunsten – in Handschuhen zerklatscht habe.

Es ist ein Jammer, daß er die Ergebnisse seines Kennerblicks um des kargen Brotes willen in den Spalten verwehender Feuilletons ablagern mußte, da ihm seine Schriftstellerei nie ein einigermaßen genügendes Einkommen trug und selbst mehrere Erbschaften ihn nicht auf die Dauer sicher stellten. Zu Ende der sechziger Jahre trat er in den ständigen Mitarbeiterkreis der „Neuen Freien Presse“, danach für länger in den der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ seit deren Gründung, später war er, inzwischen manches Jahr feuilletonistischer Mitarbeiter am „Neuen Wiener Tagblatt“ gewesen, wiederum als Theaterreferent, bei der „Oesterreichischen Volkszeitung“ beschäftigt. Seit etwa 1864 zog er bisweilen auch brennende Fragen des localen und socialen Lebens wuchtig vor sein Forum, worunter namentlich die mit einem erfolgreichen Proceß gegen ein paar geistliche Herren auslaufende Fehde wider das Jesuitenthum auffällt. Namentlich verfolgten aber in allen jenen Organen der öffentlichen Meinung der Donau-Kaiserstadt die Ausübenden und Genießenden der Kunst eifrig die Ausflüsse seines unbestechlichen Beobachtens. W. hat da viel Gutes gestiftet, aufkeimende Talente wärmstens empfohlen, vordringliches Streberthum derb gezüchtigt. Für sich hat er dabei freilich nur billigen Tagesruhm sammt dem aufrichtigen Lob weniger Einsichtiger von damals und heute errungen; gerade während Kunstfreunde [577] Wiens die vernichtende Kritik Saphir’s begrüßten, verbrachte der obdachlose W. die Nächte bei guten Freunden oder im Kaffeehause, und am Schlusse mußte gar der Unterstützungsfonds der, durch ihn hauptsächlich mit begründeten Wiener „Concordia“ ihn vor dem grauen Elend beschützen. Längst verschiedentlich kränkelnd, der Augenschwäche wegen vom Arzte zu wochenlangem Arrest im dunkeln Zimmer verdammt, ist der trotz der Pflege einer befreundeten Familie Vereinsamte in der Nacht vom 2. auf den 3. October 1894 rasch, ohne Zeugen eines Todes gestorben, der dem seltsamen Wesen Wagner’s entsprach. Am Tage vorher hatte er noch am Schreibtische gearbeitet, und wenige Stunden darauf berieth Wiens Stadtvertretung über ein communales Ehrengrab.

Die ganze Selbständig- und Vielseitigkeit von Wagner’s Geist kommt in dem, was von ihm gedruckt hervortrat, nicht genügend zum Ausdrucke. In den Zeugnissen seiner Freunde, zu denen Emil Kuh, Ferd. Kürnberger, Betty Paoli, Marie v. Ebner-Eschenbach, Anton Bettelheim u. A., wohl auch Friedrich Hebbel, zählten, hören wir Näheres von seiner ausgebreiteten und tiefen Bildung. Immer zwar lockte es ihn zu seiner alten Liebe, dem Theater, zurück, und gerade in dessen Behandlung hat er, vor allem in den anläßlich der Gastspiele T. Salvini’s, E. Rossi’s sowie der Meininger gebrachten Kritiken, Essays von classischem Werthe geliefert, ja, zum Weltrufe des Wiener Feuilletonreferats ganz wesentlich beigetragen. Die deutsche Dramatik, als deren Gipfel ihm Goethe, den er genau kannte, und Grillparzer galten, hat er wieder und wieder mit seiner Lupe beschaut, mit deutlichem Griffel abgespiegelt, den Franzosen dagegen einen leichteren Maßstab angelegt. Trotz der schon früh bei ihm herausentwickelten Herbheit ward die Form seiner Meinungskundgabe nirgends bissig, sondern blieb stets sachlich, lief auf klaren, die Alltagsphrase überwindenden Stil hinaus. Zu einem ausgeführten Vortrage seiner ästhetischen Ansichten hat man ihn nie vermocht. Falls ihm je litterarischer Ehrgeiz innegewohnt hatte, so war er zeitig verflogen. Die Vollendung der „Biographie Friedrich Hebbel’s von Emil Kuh“, deren Herausgabe und Drucküberwachung er übernommen hatte, mußte ihm geradezu abgezwungen werden, und auch dann hat er sich weder auf dem Titel noch unter dem, jeden Datums entbehrenden „Vorwort“ noch bei den von ihm auf Grund der Originalmateralien schlicht verfaßten Seiten 671–723 – bezeichnend bemerkt der letzte Satz des Vorworts hierfür: „Alles Aesthetische, die Analyse und Beurtheilung der beiden in diese Jahre fallenden Dramen, ist vermieden worden, weil eine Stellvertretung in solchen Dingen nicht möglich ist“ – mit Namen oder Andeutung vorgestellt. So hat er, ein Mann umfänglichster Gelehrsamkeit und Belesenheit, geschickter Combination, schlagenden Richterspruchs, ebenbürtiger Charakterisirungskraft, bedauerlicherweise kein selbständiges Buch geschrieben.

Außer jener Drucklegung und in der Hauptsache chronistischen Vervollständigung von Kuh’s „Hebbel“ (1877), welches Werks schroffer Bekämpfung (z. B. in K. Gutzkow’s „Dionysius Longinus“) er kein öffentlich vertheidigendes Wort entgegensetzte, deckt sein Name nur den VI. Band der „Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters herausgegeben von R. Eitelberger von Edelberg“, nämlich „Das Leben des Michel Angelo Buonarotti, geschrieben von seinem Schüler Ascanio Condivi. Zum ersten Male in deutsche Sprache übersetzt durch Rudolph Valdeck“ (Wien 1874). Die Beigaben dazu (darin einiges von Dr. A. Ilg), auch die „Einleitung“, stammen vom Herausgeber, der S. V bemerkt, die unbedeutende Form von Condivi’s „Vita di Michel Angelo“ (1553) erschwere die Uebertragung, „insbesondere, wenn man, wie Herr Dr. [!] Rud. Valdeck bemüht ist, den Charakter des Styles, die bezeichnenden Unebenheiten der Prosa in deutscher Sprache möglichst getreu wiederzugeben“. Also auch hier wieder Wagner’s wundersame Fähigkeit, fremde Individualität [578] zu verstehen und nachzuzeichnen. Er verleugnete darob aber nicht in seinem eigenen Schaffen die durchgebildete Eigennatur. Im Zeitungsartikel belletristischer Farbe nicht selten moralistisch angehaucht, in Aperçus und Stimmungsskizzen (z. B. „Eine verkannte Gegend“, d. i. das Franzensbader Idyll) schuf er reife Blätter voll Ursprünglichkeit der Idee und Darlegung. Dabei baute er seinen positiven Reichthum stetig aus, obzwar er, wie Karl Goedeke, ein ihm nicht unverwandter, wiederholt die angesammelte prächtige Bibliothek veräußern mußte. Excerpte aller Art, compositionelle Ansätze und Theilausarbeitungen hatten ihm die Jahre aufgestapelt, und eine sorgfältige Auswahl daraus könnte im Bunde mit einer gesichteten Lese der gedruckten Aufsätze seinem Wunsche Befriedigung, uns eine Fülle willkommener Beiträge zur praktischen Aesthetik geben; denn W. war ein classischer Vertreter moderner Kunst-, besonders dramaturgischer Kritik.

Einen starken, kennzeichnenden Bestandtheil seiner Zettelsammlungen stellten die Kataloge aller Autobiographien, soweit er ihrer habhaft werden konnte, nebst Glossen; nicht nur in der Güte der Leistung – „Dichtung und Wahrheit“ dünkte ihm die Krone – auch in der Ziffer stellte er da die Deutschen obenan. Zu diesen unermüdlichen, hoffentlich unverlorenen Forschungen gewährt das selbstschildernde Bruchstück „Wie ein Oesterreicher Pessimist wird“ ein anziehendes Vor- und Beispiel, das zugleich seinen ertrotzten Entscheid für den schöngeistigen Beruf fein erhellt. Sonst fehlt uns für diesen merkwürdigen Menschen, der auch im äußern Auftreten und im, meist vermiedenen Gesellschaftsverkehr den Sonderling nie verleugnete, jeder selbstgesponnene Faden. Auf Anfragen für Nachschlagewerke scheint er nie reagirt zu haben: Wurzbach, Biogr. Lexik. d. Kaiserths. Oesterr. 52, 124–126 (ebd. 48, 211b s. v. Valdeck Verweis auf Wagner) muß sich für die Entwicklungsperiode mit „wissen wir nichts“ begnügen und überspringt die meisten nachherigen Thatsachen; L. Eisenberg, Das geistige Wien, I (1893) S. 594 f., schöpfte kaum aus Authentischem; Kürschner’s Litteraturkalender verzeichnet ihn 1882–92 ganz nackt, streicht ihn später als hartnäckigen Schweiger. Werthvolle Mittheilungen über Wagner’s äußeres und inneres Dasein bieten A. Bettelheim in seinem anonymen Gratulationsblatt zum 70. Geburtstag ([Münchener] „Allgem. Zeitung“, 28. Septbr. 1892, Morgenbl., darin beide Mal das Versehen ‚Wagen‘) und in seinem Nekrolog (ebd. 1894, Beil. 230, S. 7) sowie der „Wiener Brief“ (Johannes Meißner’s) i. d. Köln. Zeitung v. 13. Octob. 1894, 2. Morgen-Ausgabe, daneben auch der kurze Nachruf i. d. „Kleinen Chronik“ im Abendblatte der „Neuen Freien Presse“ vom 3. October (Nr. 10816), alle drei sichtlich aus persönlicher Kenntniß. Für den Saphir-Scandal und die Preßconflicte lieferte Wurzbach das meiste, hier nur berührte Material. Die Namensform Valdeck vertreten Wurzbach, Eisenberg, Eitelberger (s. o.); „Valdek“ schreiben der Titel der Condivi-Uebersetzung, sämmtliche genannten Nekrologe; Bettelheim, E. Kuh’s „Hebbel“ II 554 u. 743 (also von W. revidirt!), „Die Dioskuren“ in Titel und Register, Ad. Stern in „Meyer’s Deutschem Jahrbuch 1879–80“ (1880) S. 372. Ueber die Wahl des Pseudonyms ist nichts bekannt. Der Unterzeichnete hat W. als „Ein classischer Veteran der Theaterkritik“ behandelt in der Zeitschrift „Bühne und Leben“ III (1895) Nr. 21, S. 287 f., einige Kleinigkeiten bringt er i. d. „Oesterreich-Ungar. Revue“ 1896.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 578. Wagner, Rudolf: Ernst Wechsler, Wiener Autoren (1880), schreibt im Register S. VIII Valdek, im Texte S. 187 Valdeck, erwähnt ihn übrigens bloß. Ein Anonymus B(erthold) M(olden) [= Moldauer] schildert ihn im „Wiener Fremdenblatt“ 1894 Nr. 273 als edle, unabhängige Persönlichkeit, berichtet von seinem Urtheil über Goethe, Grillparzer, Gerh. Hauptmann, und zählt seine litterarischen Freunde auf (R. M. Meyer i. d. Jhrsber. f. neuere dtsch. Literaturgeschichte V. Bd. IV 5, 536). Der angekündigte Detailnachtrag erschien nicht in der „Oesterreich.-ungar. Revue“ für 1896, sondern findet in des Verfassers Buch „Vergessene deutsch-österreichische Litteraten“ Aufnahme. Von der durch W. kundig verdeutschten classischen Michelangelo-Biographie Condivi’s erschien 1898 (München) eine neue geschickte Uebersetzung von Justizrath Herm. Pemsel. [Bd. 44, S. 573]