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Artikel „Tilgner, Viktor Oskar“ von Friedrich Pollak in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 703–705, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tilgner,_Viktor_Oskar&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 14:11 Uhr UTC)
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Tilgner: Viktor Oskar T., Bildhauer, geboren am 25. October 1844 in Preßburg, † in Wien am 16. April 1896. T. war an der Akademie der Schüler Franz Bauer’s , arbeitete aber nebenbei privat bei dem „Heiligenmacher“ J. v. Gasser. Den größten Einfluß auf ihn gewann der Medailleur J. D. Böhm. Dieser hatte in seinem Heim eine Riesensammlung von schönen Kunstwerken, besonders Holzschnitzereien angesammelt; im Kreise dieser immer begeistert verehrten Schätze, docirte er seinen Jüngern die „wahre“ Kunst. Das farbige, polychrome Element kam durch den Franzosen Déloye, der 1870–73 in Wien arbeitete, in Tilgner’s Werk – siehe die Büste des Architekten Kayser, des genialen Mitschöpfers von Graf Wilczek’s Kreuzenstein. Auch die Griechen beachtete er, bevorzugte da Tanagra, wie die entzückende Marmorstatue von Frau Adele Brody zeigt. Das Meiste aber verdankte er sich selbst, oder wenn man will, dem Geiste seiner Zeit. Die große Wiener Bauthätigkeit in Tilgner’s Entwicklungszeit brachte ihm auch einige bedeutende Staatsaufträge. Er meißelte (alles überlebensgroß) für die neue Hofburg die Statuen der „Treue“, der „Tapferkeit“, für den Giebel des kunsthistorischen Museums die Standbilder: „Rubens“, „Cornelius“, „Schwind“, „Raffael“, „Rauch“, „Homer“ und „Phidias“, sämmtlich in Sandstein, für den Giebel des Naturhistorischen Hofmuseums (Sandstein) „Varro“, für das Treppenhaus (in Marmor) „Galilei“, „Linné“, „Archimedes“, für das Künstlerhaus den „Rubens“, „Rembrandt“ (Sandstein), endlich für das Hofburgtheater die großen Sandstein-Nischenfiguren: Phädra, Don Juan, Falstaff, Hanswurst, die acht Dichterbüsten am Mittelrisalit der Fassade, die Künstlerbildnisse an der Bogenbrüstung, endlich die beiden humorvollen Faunhermen als Treppencandelaber in Marmor und Bronze. Als 1873 der „Krach“ kam, stockten seine Dekorationsaufträge, und er begnügte sich mit Grabdenkmälern. Es entstehen da: die Grabdenkmäler seiner Eltern, das Ehrengrab für die Maler Leopold Carl Müller und Aug. v. Pettenkofen, der Familie Faltis, der Gräfin Radetzky, der „Christus“ für die Gruft Holly, für den Bürgermeister Dr. Prix, der Familie Friedmann, des Herzogs von Coburg in Ebenthal, endlich die Grabausschmückung für die Gefallenen von Königgrätz. Auch im Kunstgewerbe leistete T. Bedeutendes. Zwei schöne Bronzeuhren, eine Krystallschale mit Bronzefiguren, die „Arbeit“, ein silberner Tafelaufsatz, sowie die Silbergruppe „Adam und Eva“ sind da zu nennen. Ueberdies sei einer Gußmedaille in Silber zur Erinnerung an die Vereinigung der Erblande unter dem Hause Habsburg, sammt Revers mit dem Bildniß des Kaisers (jetzt Kunsthistorisches Museum) gedacht. Seine Hauptschöpfungen in Brunnen sind: der Tritonenbrunnen im Wiener Volksgarten (Bronze), der große Tritonenbrunnen [704] im Schloß zu Lainz (Marmor), ein Lieblingswerk der Kaiserin, endlich der entzückende kleine Brunnen mit Putten, Gänsen und Fröschen vor der evangelischen Schule in Wien, ein nachgelassenes Werk. Das Originalmodell des Lainzer Brunnens steht im Park des Malers Franz Matsch, Hohe Warte, Wien. Auch für Privatarbeiten freier Composition fand er noch Zeit. So ein kleiner Mozart in Marmor (Moderne Galerie), ein junger und ein alter Goethe (von der Denkmalsconcurrenz her), ein „Rembrandt“ für Amerika, „Pan und Psyche“, „Die Ringer“ u. s. w. Nun aber zu seinem Lebenswerk, seiner Hauptstärke, dem Porträt. Alle Kreise sind da vertreten, Fürsten von Geburt und des Geistes, Gelehrte, Musiker, Dichter, Staatsmänner, Politiker, Schauspieler, Finanziers, Mäcene. Den Reigen eröffnen viele Porträts des Kaisers, eine Büste der Kaiserin, die er in der Reitschule beobachten durfte, des Kronprinzen Rudolf, des Fürsten Salm, des Cardinals Schönborn, des Herzogs von Teschen, eine Büste Kaiser Ferdinand des Gütigen, der Gräfin Bombelles, Madame Chandeaus, zwei Statuetten Josephs II., Graf Edmund Zichy, Prinzessin Salm, Fürstin Auersperg, Fürst Alfred Liechtenstein, Freiherr v. Chlumecky, Graf Colloredo-Mansfeld, Baron v. Haymerle, Fürst Ghika, Baron Gautsch v. Frankenthurn, Herzog von Coburg, endlich R. v. Schmerling. Die Gelehrten Hofrath Oppolzer (2 Mal), Rokitansky, W. Exner, Dr. Ami Bouée Hebra und Gemahlin, der Mäcen L. Lobmeyr, der kühne Nordpolfahrer Karl Weyprecht. Die Finanziers und Großkaufleute resp. deren Gemahlinnen: Franz v. Wertheim, Frau Marie Thonet, Frau Ditmar, Victor Silberer, Wittgenstein, Wertheimstein, Baron Drasche, Frau v. Doblhoff, Mauthner von Markhof, Donat Zifferer, David R. v. Guttmann, Ernst Wallis, Vincenz Miller v. Aichholz, Moriz Frhr. v. Königswarter, Wilhelm Neuber. Die Musiker Johannes Brahms (2 Mal), O’Sullivan, Charlotte Wolter’s Gemahl, Domcapellmeister Gottfried Preyer, Hofrath Hanslick, Anton Bruckner, Johann Strauß (2 Mal), Franz Liszt, Karl Goldmark. Die Dichter und Schriftsteller: Bauernfeld, Halm, Julius Stettenheim (Wippchen), der kühne Vertheidiger und Retter des Wienerwaldes Joseph Schöffel. Die Schauspieler: Jauner, Charlotte Wolter mit dem römischen, Emmerich Robert mit dem griechischen Profil, Frau Biedermann und Blasel, Bailon und Alexander Girardi, Jenny Groß, Julius Bauer, endlich Altmeister Sonnenthal (2 Mal). Die bildenden Künstler: Otto Wagner und Frau, die Maler Eugen Felix, Hans Makart, Leop. Carl Müller, Alois Schönn, Frau Wiesinger-Florian, der russische Phantast B. Wereschtschagin, V. Brozik (Prag), J. v. Führich (2 Mal), Altmeister R. v. Alt, Heinrich v. Angeli, Baurath Streit, Frau Baurath Wessely, die großen Architekten Karl Kayser, Baron Ferstel, Friedrich v. Schmidt, und Baron Hasenauer.

Spät nur gelangte der unermüdliche Mann zum großen Denkmal. Sein erstes Werk dieser Art ist das Hummel-Denkmal für Preßburg, eine Colossalbüste mit Putten am Sockel. Dann folgt das Bronzestandbild des Hamburger Bürgermeisters Petersen für eben diese Stadt. Dann entsteht das marmorne Makart-Denkmal im Wiener Stadtpark, das uns den großen Zauberer von Wien im Rubenskostüm, wie er es an seinem stolzesten Tage, dem des historischen Festzuges, getragen hatte, zeigt. Die völlige Fertigstellung des Denkmales hat T. jedoch nicht mehr erlebt. Es blieb im Atelier, in Kleinigkeiten unvollendet stehen, bis sein Schüler Fritz Zerritsch die letzte Hand anlegte. T. betheiligte sich auch an der Concurrenz für das Wiener Goethe-Denkmal mit zwei Entwürfen, einem thronenden alten, und einem frisch ausschreitenden jungen Dichter. Beide Entwürfe sind in kleinem Maßstab gegossen und in den Handel gebracht worden. Ein Entwurf für ein Preßburger Krönungsdenkmal [705] blieb auch unausgeführt. Seine umfangreichste Schöpfung ist das Werndl-Denkmal für Steyr. Auf hohem Sockel steht der Selfmade-man Werndl, zu dessen Füßen vier höchst realistisch gesehene Arbeiterfiguren. Alle Gestalten überlebensgroß. Seine letzte Schöpfung ist das marmorne Mozart-Denkmal für Wien. Mozart im Louis XVI.-Kostüme stützt die Linke auf ein Notenpult, während die Rechte, lebhaft bewegt, wie zum Takt ausholend gedacht ist. Der Kopf ist übermüthig keck zurückgebeugt. Am Sockel sind zwei Flachreliefs angebracht. Vorne der Comthur und Don Juan, hinten der junge Mozart am Clavier. Der ganze Sockel ist jedoch überfluthet von aufwärtsstrebenden und musicirenden „Kindln“. Begeistert durch das Rococo schuf er noch zu guter Letzt eine lebensgroße Sèvrefigur „Der Hausfrieden“. Am 20. April 1896 sollte der Mozart im Beisein des Kaisers enthüllt werden, da kam unmittelbar vorher, am 16. April, die Schreckenskunde von dem plötzlichen Ableben Tilgner’s. Der Mann hatte zu viel gearbeitet. Gleich Makart und Schindler starb auch T. vorzeitig in der Blüthe seiner Kraft.

Ludwig Hevesi, Oesterreichische Kunst des 19. Jahrhunderts.