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Artikel „Müller, Leopold Karl“ von Arpad Weixlgärtner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 524–527, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Leopold_Karl&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 21:12 Uhr UTC)
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Müller: Leopold Karl M. Der Künstler wurde auf einer Reise seiner Eltern am 9. December 1834 in Dresden geboren. Da sein Vater Leopold M. in Wien ein lithographisches Atelier besaß, lernte er die Kunst schon im Elternhause kennen. Obwol der Knabe frühzeitig künstlerisches Talent offenbarte und auch dem Vater gelegentlich bei der Arbeit helfen durfte, z. B. an den Lithographien zu den 1851 von Rivero und Tschudi herausgegebenen Antigüedades Peruanas, so mußte er doch, nachdem er die Realschule absolvirt hatte, auf das Polytechnikum gehen. Ludwig Ferdinand Schnorr v. Karolsfeld, der damalige erste Custos an der Gemäldegalerie im nahe gelegenen Belvedere, interessirte sich lebhaft für das Zeichentalent des jungen Menschen, der es seiner und des im selben Hause wie die Familie M. wohnenden Historienmalers Karl Blaas Fürbitte zu danken hatte, daß sein Herzenswunsch in Erfüllung ging und er sich der Malerei widmen und die Akademie besuchen durfte. Von seinem 18. Jahre an der Schüler von Blaas, der ihn schon 1854 an den Fresken in der Kirche zu Fóth in Ungarn mitarbeiten ließ, trat er, 20 Jahre alt, in die damals von Christian Ruben geleitete Meisterschule ein, wo Sigmund L’Allemand, Arthur Grottger, Ferdinand Laufberger, Karl Swoboda, Michael Rieser und Josef Trenkwald seine Mitschüler wurden. 1855 malte er sein erstes größeres Bild „Friedrich der Schöne im Kerker“. Eine knappe Chronik, die M. in seinem Todesjahre als Grundlage einer – leider nicht zu Stande gekommenen – Autobiographie seiner Schwester Luise diktirte und deren Einsicht mir von der Familie in liebenswürdiger Weise gestattet wurde, berichtet, daß er 1856 während eines Aufenthalts in der Ramsau mit Laufberger seine ersten Landschaftsstudien machte. 1857 besuchte er mit Trenkwald zum ersten Male Venedig, wo ihn „Farbenskizzen nach alten Meistern“ beschäftigten. Im folgenden Jahre entstehen das Aquarell „Ramsauer Bauern“ und die beiden Oelgemälde „Soldaten aus dem 30jährigen Kriege“ und „Philippine Welser“. Für letzteres erhielt er den Reichel-Preis. 1859 malte er die „Zigeuner im Dorfe“, die „Hl. Elisabeth“, die „12 Apostel“ und die „Tigerfamilie“. Ungarischen Aufenthalten in den Jahren 1860 und 1861 verdanken die Bilder „Bettelnde Zigeuner“, „Fischende Knaben“ und „Mädchen mit Enten“ [525] ihre Entstehung. Nachdem M. 1860 die Mutter verloren hat, legt ihm der Tod des Vaters im J. 1862 die Verpflichtung auf, für die vier unverheiratheten Schwestern zu sorgen. Um sich ein festes Einkommen zu verschaffen, wird er Illustrator des Wiener politischen Witzblattes „Figaro“. Diese Stellung, in der er seinem Freunde Laufberger nachfolgt, hat er bis 1870 inne. Seine Beobachtungs- und Charakterisirungsgabe, sein satyrisch gefärbter Humor und schließlich wol auch sein lebhaftes und verständnißvolles Interesse an den großen und kleinen politischen Ereignissen jener bewegten Jahre machen ihn zum vorzüglichen Caricaturenzeichner. Selbstverständlich erlaubt es ihm die anstrengende Tätigkeit beim „Figaro“ nicht, viel auf Reisen zu gehen und viel zu malen. Doch fällt immerhin in das Jahr 1867 ein Aufenthalt in Paris, der gewiß seinen Entschluß, so bald als möglich wieder ganz zur Malerei zurück zu kehren, befestigt und gezeitigt hat, und es sind auch in jenen Jahren nicht nur Bildnisse (1865: Dr. Pokorny und Frau Hock, 1866: Herr und Frau Waldheim, der Redacteur des „Figaro“ Sitter und Johannes Nordmann, die Schwestern Luise, Bertha und Marie), sondern auch Compositionen entstanden: 1866 die im Auftrag des Unterrichtsministeriums gemalte „Ueberschwemmung Wiens im Jahre 1862“ (Akademie der bildenden Künste in Wien), „Gereizte Mutterliebe“ (Hunde) und das Aquarell „Mariazeller Prozession“, 1869 „Flickschneider“, „Engländer“, „Hausmütterchen“ (Kunsthistorisches Hofmuseum in Wien), „Wandersmann“, „Fischer“, „Kleine Hunde“, „Mädchen an der Theiß“ und „Trauernde am Grabe“. Das folgende Jahr verbringt der nunmehr freie Künstler, den es mit immer klarerer und stärkerer Sehnsucht nach dem Süden zieht, größtentheils in Italien. Bedeutungsvoll für seine weitere künstlerische Thätigkeit, ja für sein ganzes ferneres Leben ist der Aufenthalt in Venedig, wo er mit Pettenkofen im Palazzo Rezzonico in demselben Atelier arbeitet, das sie auch im Winter 1871 auf 72 wieder vereint. Hier gedieh die Bekanntschaft der beiden Wiener Künstler zu einem Freundschaftsbündniß seltener Art, das für Beide die schönsten Früchte bringen sollte. Sicherlich trug damals der intime Verkehr mit Pettenkofen nicht weniger als der Aufenthalt in der italienischen Natur und das Studium der alten Meister dazu bei, in M. den feinfühligen Coloristen zu erwecken. 1870 malt M. die „Spielenden italienischen Knaben“, das Bild „Carità, un centesimo, Signore!“ (Akademie der bildenden Künste in Wien), einen decorativen Plafond und mehrere Porträte, 1871 das „Mädchen am Altar“, die „Letzte Tagesmühe“ (Kunsthistorisches Hofmuseum in Wien), das Bild „Im Portikus“ (der Markuskirche) und „Die Lautenschlägerin“, 1872 die „Scheune“, den „Hühnerhof“, den „Alten Hahn“, den „Weinkeller“ und den „Bauernhof“. Den Winter 1872 auf 73 verbringt er in Palermo, wo er den „Rothen Sakristan“, die „Streitenden Pfaffen“ und den „Strand von Palermo mit dem Monte Pellegrino“ malt. Nachdem er in Wien, das damals in der Weltausstellung aufging, noch ein paar palermitanische Reminiscenzen festgehalten hat („Blühende Aloe“ und „Palmenhof“), folgt er dem Zug seines Herzens und reist nach dem Orient. Ueber Smyrna und Constantinopel geht es nach Cairo, und hier findet er die Quelle fast aller seiner späteren Werke, zu denen seine früheren gewissermaßen nur Vorbereitungen sind. Die ägyptischen Bilder sind es, woran man denkt, wenn Müller’s Name genannt wird. M. ist nicht nur wie kein Zweiter im Stande, die Farbenwunder, die Aegyptens Sonne wirkt, wiederzugeben, sondern er versteht auch, in der Seele des Volkes zu lesen und dessen Leben und Treiben unübertrefflich zu schildern. Dabei wächst seine Darstellungskraft von Jahr zu Jahr. Zeichnung und Colorit, Composition und Charakteristik reifen zu gleicher Meisterschaft heran. [526] Von nun an bis zum Jahre 1885 bringt M. jeden Winter am Nile zu. Den Winter von 1874 auf 75 ist er mit Makart, Lenbach, Huber und dem Architekten Gnauth, der nachmals seine Bekanntschaft mit Ebers vermittelt hat, in Cairo. Ein altes Mamlukenschloß wird da zur fidelsten Künstlerherberge. 1879 dringt er bis Assuan vor, wo ihn Kronprinz Rudolf durch seinen Besuch auszeichnet. Außer in Aegypten hielt er sich fast jedes Jahr längere Zeit in Wien, in Italien und in den Alpen auf. 1875, 76 und 82 reist er nach London. In dem dortigen Kunsthändler Wallis hat er einen Käufer seiner Bilder gefunden, der ihm Preise zahlt, wie sie sonst auf dem Continent nur wenige Künstler erzielen. So kommt es, daß die meisten und bedeutendsten von Müller’s Arbeiten in englischen und amerikanischen Privatbesitz gewandert sind. 1876 soll M. den Prince of Wales nach Indien begleiten, doch zerschlagen sich die Verhandlungen. 1877 und 78 verwendet er den größten Theil seiner Zeit auf die Illustrationen zu Ebers’ „Aegypten“. Die Verleihung einer Professur an der allgemeinen Malerschule der Wiener Akademie im J. 1877 läßt ihn diese Thätigkeit nicht ganz zu Ende führen, aber mehr als 40 Zeichnungen hat er für das Werk geliefert, und darunter finden sich ausgezeichnete Arbeiten. An Ebers gewinnt er einen treuen Freund. 1880 erkrankt er an einer Lungen- und Rippenfellentzündung, und nachdem er schon früher häufig an Augenentzündungen gelitten hat, muß er sich 1887, da er Professor der Specialschule für Historienmalerei wird, einer Staaroperation unterziehen. Trotz seines Augenübels aber obliegt er aufs gewissenhafteste und mit ausgezeichnetem Erfolge den Pflichten seines Lehrberufs. Unter seinen Schülern sind Bacher, Delug, Hirschl, Jovanovic, Krämer, Ottenfeld, Tichy und Wilda zu nennen. 1890 und 91 ist er Rector der Akademie. In letzterem Jahre erhält er auch das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft. Obwol auf einem Auge blind und auf dem anderen operirt, vermag er noch ein so wunderbares Werk wie die Skizze zu den „Aegyptischen Gauklern“ zu schaffen. Am 4. August 1892 erliegt er zu Weidlingau bei Wien einem Herzleiden, dem seine starke Natur lange Widerstand geleistet hatte. Er ruht mit seinem Freunde Pettenkofen in einem Grabe, dessen Denkmal nach einer Skizze des letzteren von Tilgner modellirt wurde. M. war nicht nur ein hervorragender Künstler, sondern vor allem ein ganzer Mensch, in dem seltene Gaben des Geistes und des Herzens den künstlerischen die Waage hielten.

Ich zähle nunmehr, abermals der schon erwähnten Chronik folgend, die natürlich nicht vollständig ist, aber eine vom Künstler selbst getroffene Auswahl gibt, die seit dem ersten Aufenthalt in Cairo geschaffenen Werke auf: 1873: „Beduinenlager bei den Pyramiden“, Zigeunerköpfe (entstanden in Szolnok). 1876: Studienköpfe, „Beduinenlager“, „Palmzweig“, „Sautina“, „Nilda“, Porträte des Kaufmanns Bircher, des Barons Seilern und des Barons Prokesch-Osten. 1877: die drei Studien „Beduinen“, „Ali-Moschee“ und „Palmenzweigverkäuferin“. 1878: „Beduinen“ (für Amerika), „Großer Markt“ (im Auftrag des Unterrichtsministeriums gemalt, heute in der Modernen Galerie zu Wien). 1879: „Arabischer Bettler“, „Schule“, „Flohsucherin“, „Interieur“, „Saugbrunnen“, „Sängerin“, „Trik-Trak-Spieler“, „Marktplatz in Cairo“. 1880: „Wasserträgerin“. 1881 „Wechsler“ (1883 in München mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet), „Bazar“. 1882: „Tänzerin“, „Saugbrunnen“. 1883: „Interieur“, „Garküche“. 1884: „Trik-Trak-Spieler“, „Spinner“, „Wasserträger“, „Porträt Tilgners“ (Akademie der bildenden Künste in Wien). 1885: „Trommlerin“, Bildnisse der Gräfin Clam-Gallas und Daniel Spitzers, des Wiener Spaziergängers; in diesem Jahre wird ihm in Antwerpen die außerordentliche Ehrenmedaille verliehen. 1886: „Limonadeverkäufer“, [527] Porträt der Frau Blum-Pascha. Andere Bildnisse aus ungefähr derselben Zeit sind die der Mimikerin Oberti und des Bauraths Streit. 1887: „Hamida“. 1888: „Kameelmarkt“ (wofür er im folgenden Jahre die Karl Ludwigs-Medaille erhält). 1889: „Betender Beduine“, „Kleinhändler“. Zum Schlusse seien noch folgende aus dem Nachlaß stammende Bilder erwähnt „Nafusa“ (Kunsthistorisches Hofmuseum in Wien), „Sphinxgesicht von heute“, „Aegyptische Sängerin“ (beide in der Modernen Galerie zu Wien) und „Junge Koptin“ (München, Neue Pinakothek).

Georg Ebers, Leopold Karl Müller (Die Kunst unserer Zeit. München. 1893. S. 57 ff.). Derselbe, Vorwort zum Katalog der Nachlaßauction (Wien. 1893). – Karl v. Lützow, Die Graphischen Künste (Wien. 1894. XVII, S. 1 ff.). – Friedrich von Boetticher, Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts (Dresden. II. 1898. S. 102 ff.).