ADB:Stroth, Friedrich Andreas
Joh. Jak. Rambach (siehe A. D. B. XXVII, 201) als Rector an das Quedlinburger Gymnasium berufen und am 28. Januar 1774 in sein Amt eingeführt. Nach einer fünfjährigen Wirksamkeit folgte er dem Rufe des eifrigen Freundes und Beschützers der Wissenschaften Herzog Ernst II. (1772–1804) nach Gotha und übernahm dort am 1. September 1779 mit dem Titel Kirchenrath das Rectorat des Gymnasiums, das bereits durch seinen Amtsvorgänger Joh. Gottfr. Geißler (s. A. D. B. VIII, 528) aus tiefem Verfalle zu erfreulicher Blüthe gelangt war. Wie in Quedlinburg, so erwarb sich St. auch an seinem neuen Wohnorte in hohem Maaße Vertrauen und Anerkennung; aber der Tod setzte seiner segensreichen Thätigkeit ein frühes Ende. Ein Lungenübel, an dem er litt, wurde durch seine sitzende Lebensweise – statt sich in der freien Luft Bewegung zu machen, verbrachte St. seine Erholungsstunden meistens am Spieltisch – nur allzu sehr befördert. Um, wenn auch nicht völlige Heilung, so doch Linderung zu finden, trat er am 12. Juni 1785 eine Reise in seine Heimath an. Er kam aber nur zu dem Bade Lauchstädt und starb dort am 25. Juni, im 36. Jahre seines Alters.
Stroth: Friedrich Andreas St. gehört zu den bedeutendsten deutschen Schulmännern der Aufklärungszeit. Er wurde am 5. März 1750 zu Tribsees in dem damals unter schwedischer Herrschaft stehenden Theile Pommerns geboren und erhielt seine theologische und philologische Vorbildung auf den Universitäten Greifswald und Halle. Im J. 1773 wurde er von der Aebtissin von Quedlinburg an Stelle des durch seine Schriften berühmtenSt. besaß eine sehr umfassende und gründliche Gelehrsamkeit. „In mehreren [625] Wissenschaften,“ so heißt es in der Gothaischen Gel.-Ztg. vom 6. Juli 1785, „hat er es zu der Vollkommenheit gebracht, die Menschen möglich ist, und wir wüßten keine einzige, in der er Fremdling gewesen wäre“. Seine zahlreichen Schriften, von denen sich ein Verzeichniß in Meusel’s Lexikon der von 1750 bis 1800 verstorbenen Teutschen Schriftsteller XIII, 488–490, befindet, bewegen sich vorzugsweise auf dem Gebiete der Philologie, Kirchengeschichte, Patristik und neutestamentlichen Exegese; einige behandeln pädagogische Zeitfragen. Als Theologe huldigte St. der Aufklärung, wie sie zur Zeit seiner Studien in Halle ganz besonders im Schwange war. Seine „Freimüthigen Untersuchungen, die Offenbarung Johannis betreffend“, mit denen er als Einundzwanzigjähriger dem Professor C. F. Schmid in Leipzig entgegentrat, erschienen mit einer Vorrede des bekannten Rationalisten Joh. Sal. Semler. Von seiner Ausgabe der Kirchengeschichte des Eusebius Pamphili und der der Vita Constantini desselben wurden noch nach seinem Tode 1788 und 1796 neue Auflagen veranstaltet. In seinen philologischen Schriften hat St. weniger die Kritik als die Erklärung gefördert. Am bemerkenswerthesten sind darunter eine lateinische und eine griechische Chrestomathie, die zwei bezw. vier Mal aufgelegt worden sind, Anmerkungen zu Herodian, eine Auswahl aus Cicero’s Briefen, eine Sammlung ausgewählter, auf Aegypten bezüglicher Stellen griechischer Schriftsteller unter dem Titel „Aegyptiaca“, schließlich Ausgaben von Xenophon’s Memorabilien des Sokrates, Theokrit’s Idyllen und von Livius. Das letztgenannte Werk, das erst von Stroth’s Amtsnachfolger Fr. Wilh. Döring (s. A. D. B. V, 289) zu Ende geführt wurde, galt seiner Zeit als die beste Handausgabe des römischen Historikers. St. ist auch Verfasser eines zweibändigen pädagogischen Romans: „Karl Weißenfeld, ein Lesebuch für Mütter, angehende Erzieher und junge Leute“, in dem die unglücklichen Folgen einer fehlerhaften Erziehung und eines unmoralischen Verhaltens dargelegt werden.
Höher noch als Stroth’s litterarische Thätigkeit ist die Wirksamkeit zu schätzen, die er als praktischer Schulmann entfaltet hat. Friedrich Jacobs, der vom 1. September 1779 bis Michaelis 1781 zu seinen Schülern gehörte, hat sich wiederholt auf das vortheilhafteste darüber ausgesprochen. Wo er in der Abschiedsrede, die er 1807 im Gymnasium zu Gotha vor seiner Abreise nach München gehalten hat, den Abgang des Rectors Geißler nach Schulpforta erwähnt, läßt er sich folgendermaßen vernehmen (Vermischte Schriften, Th. I [1823], S. 92f.): „Als die Schule Geißler’s Verlust als unersetzlich betrauerte, wachte Gothas guter Schutzgeist und setzte an die Stelle des Verlornen einen andern trefflichen Mann, der, wo es galt, an Festigkeit und Strenge, noch mehr aber an Milde und väterlichem Sinn seinem Vorgänger glich, an Genialität aber ihn übertraf. Die freundliche Güte, mit welcher St. mich behandelte, indem er mir häufigen Zutritt zu sich erlaubte, gewann mich gänzlich dem Stande des Schulmannes, den ich mit entschiedener Vorliebe, obgleich nicht ganz nach den Wünschen der Meinigen ergriff.“ Und mit derselben Wärme und Dankbarkeit äußert sich der vortreffliche Humanist über seinen Lehrer noch ein Menschenalter später, als derselbe schon mehr als ein halbes Jahrhundert im Grabe lag. „Seine Persönlichkeit“, so sagt er in den Nachrichten aus seinem Leben (Verm. Schr., Bd. VII [1840], S. 16 f.), „in der sich Ernst und Milde mischte, gewann ihm bald die Liebe seiner Schüler und die Achtung seiner Collegen; so wie auch seine angenehmen gesellschaftlichen Talente ihm in einem größern Kreise Freunde verschafften. Aus seinen großen, geistreichen Augen sprach sein lebendiger Geist, aus seinen Bewegungen die feine Bildung seiner Sitten … Aufmerksam auf jedes Talent, wußte er die Aeußerungen desselben durch einen freundlichen Blick [626] oder ein lobendes Wort zu belohnen, worauf bisweilen belehrende Gespräche oder der Auftrag einer angemessenen litterarischen Arbeit folgte. Die bessern Schüler der obersten Classe versammelte er wöchentlich einmal des Abends bei sich, wo keine andern als wissenschaftliche Unterhaltungen stattfanden, so wie auch an seinem Tische geschah, zu dem er bisweilen einige Schüler einlud.“ Auch der Litterarhistoriker Ludwig Wachler († 1838 als Professor zu Breslau) weiß es rühmend anzuerkennen, daß der „liebenswürdige“ St. „unstreitig entscheidend auf seine Bildung eingewirkt habe.“ (Vgl. Strieder’s Hess. Gel.-Gesch., Bd. XVI, S. 365.)
In seiner pädagogisch-didaktischen Anschauung blieb St. von der Bewegung, die von Basedow und dessen Philanthropin ausging, nicht unberührt; aber dieses hinderte ihn nicht, in den oberen Classen des Gymnasiums zu Gotha – die unteren wurden als eine eigentliche Bürgerschule betrachtet – besonders das Studium des Griechischen und Lateinischen zu fördern. Auf seinen Antrag wurde die Zahl der dafür bestimmten Stunden vermehrt. Basedow selbst gab er den Rath, im Dessauer Philanthropin das Griechische einzuführen. Hinsichtlich des Unterrichts legte er das Hauptgewicht nicht auf methodische Kunststückchen, sondern auf die Persönlichkeit des Lehrers. „Es ist eine bekannte und unleugbare Wahrheit“, so berichtet er an das Oberconsistorium im J. 1783, „daß ein Schulmann nicht allein gute Kenntnisse und Gelehrsamkeit, sondern auch die Gabe eines guten, deutlichen und gründlichen Vortrags besitzen und drittens im Stande seyn müsse, sich die Liebe und Achtung seiner Schüler zu erwerben. Wenn nicht alle drei Eigenschaften mit einander verbunden sind und nur eine derselben fehlt, so werden die übrigen dadurch völlig unnütz und unbrauchbar, und die Schule, welche mit Lehrern geplagt ist, die, bei aller Kenntniß, sich nicht das nöthige Ansehen bei den Schülern erwerben können, leidet dadurch unglaublichen Schaden.“ Diese so einfache und unwiderlegliche, aber leider auch heute noch nicht mit der nöthigen Entschiedenheit maßgebend gewordene Wahrheit für Gotha schon vor länger als hundert Jahren zur Anwendung und Geltung gebracht zu haben, ist Stroth’s großes und dauerndes Verdienst. Auf seinen Betrieb wurde die Verfügung getroffen, „daß solche, die sich noch nicht im Schulfache versucht hätten, nicht auf eine unwiderrufliche Art, sondern nur als Candidaten der Collaboratur auf einige Zeit, bis man sich von der Art ihrer Wirksamkeit überzeugt hätte, angestellt werden sollten“. Zeigten solche „Seminaristen des Schulamts“ sich unbrauchbar, so sollten sie nach einem oder höchstens zwei Jahren wieder entlassen werden. Ja, St. ging noch weiter. Er bewirkte, daß zwei untüchtige Lehrer, die er bei seinem Amtsantritte am Gothaer Gymnasium vorgefunden hatte, in Pfarrämter versetzt und für die auf diese Weise erledigten Stellen tüchtige junge Candidaten herangezogen wurden. Unter diesen befand sich auch der schon erwähnte Friedrich Jacobs, der später Jahrzehnte lang den Mittelpunkt des glänzenden Gelehrtenkreises, der sich in Gotha zusammenfand, gebildet hat. Als freilich Jacobs am 29. August 1785 in seine Stelle eingewiesen wurde, hatte der, auf dessen Betrieb er berufen worden, schon seit zwei Monaten seine Augen zum ewigen Schlafe geschlossen.
Verheirathet war St. seit dem 3. Juli 1774 mit Christiane Boysen, einer Tochter des wegen seiner umfassenden Kenntniß der orientalischen Sprachen bekannten Inspectors des Quedlinburger Gymnasiums, Consistorialrath Friedr. Eberh. Boysen[WS 1] (s. A. D. B. III, 226 f.). Sie überlebte ihren Gatten und starb am 20. Januar 1799 zu Hamburg, wo der Mann ihrer Schwester, der oben erwähnte J. J. Rambach, seit 1780 als Hauptpastor zu St. Michaelis angestellt war. Außer einigen Gedichten in verschiedenen Zeitschriften ist von ihr 1781 erschienen: „Julie von Rheinstein, eine Geschichte aus dem Bayrischen Successionskriege.“
[627] Ein Bildniß Stroth’s findet sich vor dem 62. Bande der Allg. Deutschen Bibliothek (1785).
- Vgl. außer den bereits erwähnten Werken: Meusel, Lex. der von 1750 bis 1800 verstorbenen Teutschen Schriftsteller, Bd. XIII (Leipz. 1813), S. 487 bis 490. – Hirsching-Ernesti, Hist.-litter. Handbuch, Bd. XIII, Abth. 2 (Leipzig 1809), S. 93–97. – Allg. Deutsche Bibliothek, Bd. 64, S. 308. – Saxii Onomast. liter. P. VII, p. 246. – A. Düning, Gesch. des Gymnas. zu Quedlinburg (Quedlinburg 1890), S. 32 f. – Chr. Ferd. Schulze, Gesch. des Gymnas. zu Gotha (Gotha 1824), S. 282-286. – Zwei Briefe von Stroth an Basedow aus dem J. 1776 sind abgedruckt in den Jahrbb. f. Phil. u. Päd., 1893, II S. 497 f. und 486.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Joh. Eberh. Boysen