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Artikel „Stäudlin, Gotthold“ von Hermann Fischer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 514–516, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:St%C3%A4udlin,_Gotthold&oldid=- (Version vom 14. Dezember 2024, 13:15 Uhr UTC)
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Band 35 (1893), S. 514–516 (Quelle).
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Stäudlin: Gotthold Friedrich St., Dichter, 1758–1796. – St. wurde am 15. October 1758 (nicht 1760) in Stuttgart als Sohn eines Regierungsraths geboren. Er folgte der juristischen Laufbahn des angesehenen Vaters und wurde am 2. August 1776 in Tübingen als Studirender der Rechte immatriculirt; dagegen ist er nach den Facultätsacten niemals (wie Meusel, s. u., angibt) Dr. jur. geworden. Nach seiner Universitätszeit machte er Reisen und lebte dann in Stuttgart, die ersten Jahre nur mit litterarischen Arbeiten beschäftigt, dann als Advocat: das württembergische Adreßbuch führt ihn von 1786 an als Kanzley-Advocatus extraordinarius auf. Sein erstes selbständig erschienenes Werk war das begeisterte, viel Talent verrathende Gedicht in drei Gesängen „Albrecht von Haller“ (1780); darauf folgten 1781 die „Proben einer deutschen Aeneis, nebst lyrischen Gedichten“. In den Mittelpunkt der damaligen Production Schwabens setzte er sich durch die Herausgabe seines „Musenalmanachs“, der theils unter diesem Titel, theils unter dem einer „Schwäbischen Blumenlese“ erschien, zuerst für 1782, dann weiter bis 1787; nach einer längeren Unterbrechung folgten noch die beiden Jahrgänge 1792 bis 1793 nach unter dem Titel „Musenalmanach“ und „Poetische Blumenlese“; diese zwei letzten Jahrgänge sind werthvoll dadurch, daß sie Hölderlin’s lyrische Erstlinge enthalten. Im J. 1782 erschien die Sammlung „Vermischte poetische Stücke“. In dieser und in den zwei ersten Jahrgängen des Musenalmanachs findet sich die bekannte Polemik mit Schiller. Es ist nicht ganz sicher, wie diese entstanden ist. Eine 1781 in B. Haug’s „Zustand der Wissenschaften und Künste in Schwaben“ erschienene abfällige Recension von Stäudlin’s Aeneis rührte wohl von Schiller her. Zu gleicher Zeit erschien Stäudlin’s Musenalmanach auf 1782, in welchem sich ein Gedicht Schiller’s, aber, wie es scheint, verstümmelt aufgenommen fand. Schiller setzte dem Musenalmanach seine „Anthologie“ [515] gegenüber, welche neben den polemischen Vorreden auch zwei Gedichte gegen St. enthielt. Eine Satire „Das Kraftgenie“, die sich in Stäudlin’s Vermischten poetischen Stücken findet, geht deutlich auf Schiller. Dieser wiederum kritisirte St. im ersten Hefte des „Wirtembergischen Repertoriums“. Damit hatte die Polemik von Seiten Schiller’s ein Ende, welcher kurz nachher seine Heimath verließ. St. hörte noch nicht auf. Er polemisirte zunächst noch im zweiten Jahrgang seines Musenalmanachs in der Vorrede und in zwei Gedichten gegen Schiller; ob die Figur des Originalgenies Hilling in seinem Roman „Wallberg“ Bezug auf Schiller hat, kann dahin gestellt bleiben; ein erst 1788 veröffentlichtes „Lied eines Vagabunden“ hat auch vielleicht Züge Schiller’s an sich. – Im J. 1783 erschien der eben genannte sentimentale Roman „Wallbergs Briefe an seinen Freund Ferdinand“, von dem aber nur eine erste Abtheilung erschienen ist. Das Vorbild des Werther ist deutlich. Der Roman spielt in Tübingen, auf dessen Personen und Verhältnisse zahlreiche oft kaum mehr verständliche Anspielungen zielen; man darf aber nur Seybold’s fünf Jahre früher erschienene Klostergeschichte „Hartmann“ vergleichen, um zu sehen, wie sentimental verschwommen und ideologisch St. zeichnet. – 1783 veröffentlichte St. Bodmer’s „Apollinarien“, d. h. nachgelassene Gedichte, Aufsätze, Uebersetzungen, mit deren Herausgabe ihn Bodmer selbst beauftragt hatte; erst 1794 erschienen die „Briefe berühmter Deutscher an Bodmer“, von 1744 bis 1773 reichend, welche von Bodmer selbst geordnet und zur Herausgabe durch St. bestimmt worden waren. 1785 erschien als Einzeldruck das Gedicht „Zum Gedächtnisse Herzogs Leopold von Braunschweig-Wolfenbüttel“. Ein paar Jahre später unternahm es St., seine Gedichte zu sammeln; sie erschienen in zwei Bänden 1788 und 1791; ein Versuch einer zweiten Auflage 1795 kam nicht zu Stande; die von 1827 s. u. – In Stäudlin’s Poesie vereinigen sich gewissermaßen die Ingredienzien, welche die Lyrik der vorromantischen Zeit und speciell seiner schwäbischen Landsleute charakterisiren. Individuelle Physiognomie hat sie nicht, aber sie ist angenehm, vielseitig und gewandt, und so mochte sich St. besser als ein anderer (jedenfalls mehr als Schubart oder der junge Schiller mit ihren starken Individualitäten) zum Anführer der lyrischen Jugend Schwabens eignen. Neben Klopstock und den Anakreontikern, welche etwas entfernter und besonders in der metrischen Form nachwirken, sind Bürger und Wieland die Hauptmuster Stäudlin’s, jener in seiner echten Lyrik, aber auch in seinem Bänkelsängerton, dieser in Erzählungen und anderen größeren Gedichten, soweit sie nicht dem Vorbilde der Vossischen Idyllen folgen. Aus dem Boden dieses Zeitgeschmacks ist Hölderlin herausgewachsen, in manchen Jugendpoesien bewegt er sich noch ganz darauf; während er aber dieser Manier entwuchs, sind seine Freunde Neuffer und Magenau in derselben verblieben.

Im Jan. 1791 wurde in Württemberg ein neues Kirchengesangbuch eingeführt; St. war bei der Redaction desselben mit thätig. Unglück hatte er mit der Fortsetzung von Schubart’s († am 10. Oct. 1791) „Vaterländischer Chronik“; das Blatt wurde bald von verschiedenen Regierungen verboten. Auch in mehreren Gedichten Stäudlin’s zeigt sich Hinneigung zur französischen Revolution, welche gerade in Württemberg damals die Gemüther lebhaft bewegte. Im Oct. 1793 kamen mit dem Regierungsantritt des Herzogs Ludwig Eugen kirchlich und politisch conservativere Grundsätze zur Geltung, und kurz nachher erhielt St. als „enragé“ den Rath, Württemberg zu verlassen; das Adreßbuch führt ihn aber noch bis zu seinem Tode fort. – In die letzte Zeit seines Stuttgarter Aufenthalts fällt seine Wiederanknüpfung mit Schiller. In der „Blumenlese“ auf 1793 stand ein vom Sommer 1791 datirtes Gedicht Stäudlin’s „An Schiller, als eine falsche Nachricht von seinem Tode erschollen war“, worin diesem die Eigenschaften [516] eines Shakespeare und eines Hume vereinigt zugeschrieben waren. Dann haben wir vom 20. Sept. und 26. Oct. 1793 zwei Briefe Stäudlin’s aus Stuttgart an Schiller, worin St. sein Gedicht erwähnt, Hölderlin empfiehlt und die Absicht ausspricht, 1794 eine „der Geschichte und den schönen Redekünsten“ gewidmete Zeitschrift Kalliope herauszugeben; vielleicht haben sich beide damals, bei Schiller’s Aufenthalt in Württemberg, auch persönlich gesehen. Jene Zeitschrift kam nicht zu Stande; dagegen hat St. im Breisgau, wo er nach seiner Entfernung aus Stuttgart lebte – 1795 soll er sich in Hohengeroldseck, 1796 in Lahr aufgehalten haben –, eine kurzlebige Zeitschrift „Klio“ herausgegeben. Mit der Entfernung aus der Heimath hatte St. offenbar den festen Boden verloren; weder die litterarische noch die advocatische Thätigkeit wollte ihm glücken. Der Mann, der ehedem als jovialer Gesellschafter und Improvisator voll Laune geschätzt worden war, entwich dem Druck seiner äußeren Lage, indem er sich am 17. Sept. 1796 bei Straßburg im Rhein ertränkte, – nicht zu frühe für seinen Ruhm, denn seine litterarische Bedeutung, eng umschränkt und in einer älteren Zeit wurzelnd, hätte durch weitere Werke nicht höher gehoben werden können. – An Stäudlin’s poetischem Talent nahmen auch ein paar seiner Geschwister Antheil: ein schon im 19. Jahr verstorbener Bruder Gottlieb Friedrich, der bekannte Göttinger Theologe Karl Friedrich (s. d.) und eine Schwester Charlotte; 1827 wurden mehrere Gedichte dieser Geschwister mit den seinigen zusammen herausgegeben unter dem Titel: „Vermischte Gedichte der Geschwister … Stäudlin“.

Neuer Teutscher Merkur 1797, II, 296–306: Nekrolog, unterz. S–t. (= Ludwig Schubart). – Meusel, Lexikon der 1750–1800 verstorbenen Teutschen Schriftsteller, XIII, 275 f. – Urlichs, Briefe an Schiller, Nr. 90. 96. – Weltrich, Schiller S. 483–500. 560–568. – Stäudlin’s Großneffe, der verstorbene Stuttgarter Hofbibliothekar W. Hemsen, hat lange für eine Biographie Stäudlin’s gesammelt; seine Materialien sind aber nicht veröffentlicht und standen mir nicht zu Gebote.