ADB:Sengelmann, Heinrich Matthias
Rautenberg’s (s. A. D. B. XXVII, 457), der ihr auch Theilnahme für die Werke christlicher Liebe und für die Heidenmission einflößte. Als S. confirmirt worden war, bat ihn die fromme Mutter unter Thränen, dem Heiland die Treue zu halten, die er vor dem Altar demselben gelobt habe. Auf dem Johanneum wirkten Cornelius Müller’s (s. A. D. B. XXII, 522) Litteraturstunden, die deutschen wie griechischen und lateinischen, anregend auf ihn, während dessen „theologische Stunden“ manche Zweifel erweckten, gegen welche der Einfluß des [330] jungen Collaborators Röpe (s. A. D. B. LIII, 460) damals für S. besonders wichtig gewesen ist. Calenberg wußte ihm Lust und Liebe für die Orientalia einzuflößen: im Abgangsexamen mußte S. eine Fabel Lokman’s übersetzen. Ostern 1840 hatte S. als primus omnium das letzte Abschiedswort in den alten Klosterräumen des Johanneums zu sprechen und bezog darauf die Universität Leipzig, um Theologie zu studiren. U. a. hörte er hier Orientalia bei Fleischer; Fürst, dessen Famulus S. wurde, führte ihn in das rabbinische und aramäische Gebiet ein; bei dem Psychiater Heinroth (s. A. D. B. XI, 648) hörte S. Anthropologie, ohne zu ahnen, wie bedeutungsvoll dies Colleg einst für ihn werden sollte. Den berühmten Philologen Gottfried Hermann versäumte er nicht zu hören; unter den Theologen verdankte er Niedner und Winer manches für sein Fach. Auf Röpe’s ausschlaggebenden Rath wurde Ostern 1841–1843 Halle besucht. Den Hegelianer Erdmann schätzte er sehr um seines geistreichen Vortrages wie auch seiner Predigten wegen. Doch vor allem war ihm Tholuck’s Freundschaft von Werth, eine innige Verbindung zwischen ihnen bewährte sich ein Menschenalter hindurch. Tholuck rieth auch S., die akademische Laufbahn einzuschlagen und zwar für alttestamentliche Theologie; S. sollte mit den Psalmen und dem Leben David’s beginnen. Mit der Promotion zum Doctor der Philosophie beschloß S. seine Universitätsjahre. Die Dissertation hatte S. deutsch bearbeitet und in Halle unter dem Titel: „Das Buch von den sieben weisen Meistern, aus dem Hebräischen und Griechischen zum ersten Male übersetzt und mit literarhistorischen Vorbemerkungen versehen“ herausgegeben. Wie ganz anders aber gestaltete sich Sengelmann’s Lebensgang, als diese Dissertation erwarten ließ und Tholuck ihm gerathen hatte!
Sengelmann: Heinrich Matthias S., geboren am 25. Mai 1821 in Hamburg, † in Alsterdorf am 3. Februar 1899, war Pastor zu Moorfleth 1846–1852, dann bis 1867 an der großen Michaeliskirche in Hamburg. Aus diesem Amte schied er aus, um sich ganz der Leitung der von ihm gegründeten „Alsterdorfer Anstalten“ für die Idiotenpflege zu widmen. S. war das einzige Kind eines aus Holstein 1810 eingewanderten Viehhändlers, der zwar nur mit geringer Schulbildung ausgerüstet, doch sein Morgensegenbuch bis in sein hohes Alter täglich las. Von Charakter treu und wahr, erwarb er sich viele Geschäftsfreunde und brachte es zu einem ansehnlichen Wohlstande. Auf holsteinischem Gebiet besaß er einen Hof, wo in den Schulferien der Sohn das Landleben liebgewinnen lernte. Die Mutter besaß eine bessere Schulbildung, und besuchte gern die PredigtenUm Ostern 1843 in seine Vaterstadt zurückgekehrt und nach wohlbestandenem Candidatenexamen, wurde S. bald ein durch Privat- und Schulstunden viel beschäftigter und beliebter Lehrer. In Vertretung von Pastoren mußte er oft predigen, so daß er im Laufe seiner drei Candidatenjahre sich, sozusagen, eine eigene Predigtgemeinde sammelte; er übernahm die Leitung einer Anzahl junger Männer, die den ersten Jünglingsverein in Hamburg bildeten, gleichwie er Frauen veranlaßt hatte, sich der Confirmandinnen aus der Sonntagsschule Rautenberg’s anzunehmen, denen S. eine Bibelstunde hielt. Eine Erholungsreise nach Ems im J. 1844 wurde für ihn bedeutungsvoll, indem er sich daselbst mit der Tochter des russischen Generals v. Saß, gebürtig auf der livländischen Insel Oesel, verlobte, einer Dame, die gleich manchen Balten in jener Zeit, ihre christlichen Anregungen herrnhutischen Einflüssen verdankte. S. gelangte früher als es damals gewöhnlich war, in ein Pfarramt, indem er am 10. Juli 1846 zum Pastor in Moorfleth, einer hamburgischen Gemeinde im Marschgebiete zwischen Elbe und Bille erwählt wurde. Es ist bezeichnend, daß er die Stimmen der vier Gemeindeglieder erhielt, während die drei städtischen an der Wahl betheiligten Herren dem Usus gemäß den ältesten Candidaten wählten. Sengelmann’s Vorgänger war ein strenger Rationalist gewesen, der sich rühmte, als der erste in Hamburg die natürliche Erklärung der Wunder auf die Kanzel gebracht zu haben. Durch die Predigten, die S. während der Vacanz gehalten hatte, hatte er die Herzen der Gemeinde gewonnen, die er sich durch seine unermüdliche Seelsorge und Bibelstunden Zeit seines Lebens erhielt. Er stattete den Gottesdienst durch liturgische Theile reichhaltiger aus. Etwas Neues war ein Gottesdienst am Charfreitag- und am Sylvesterabend; der letztere mit einem Gemeindebericht nach Art der in der Brüdergemeinde üblichen Memorabilien. Schon von seiner Studienzeit her fühlte sich S. zu manchen Einrichtungen der Herrnhuter [331] hingezogen. Von dauernder Bedeutung für die Folge wurde die am 16. April 1850 im Pastorat eingerichtete Arbeitsschule. Sengelmann’s eigene Kinder waren in früher Jugend gestorben. Er nahm in das Pastorat einige Knaben auf, die von den Eltern – mangels jeglichen Schulzwanges – im Hause behalten wurden, um in Haus und Garten zu helfen und daher keinen Schulunterricht genossen. Im Pastorat erhielten sie Vormittags Unterricht, aßen und spielten dort und wurden dann geübt Holzpantoffeln zu schnitzen, Körbe zu flechten u. dgl. Abends kehrten sie zu den Eltern zurück. Immer mehr Kinder, auch solche aus Hamburg, meldeten sich, und bald wurde ein eigenes Haus für sie unter einem Hausvater erworben. Nach dem Schutzpatron der Moorflether Kirche wurde die Anstalt „St. Nicolaistift“ genannt. Bei Sengelmann’s Abgang von Moorfleth wurde es einem Vorstande, zu dem auch Mitglieder aus Hamburg gehörten, übergeben. Trotz der vielseitigen pastoralen Thätigkeit hatte S. doch noch Muße gefunden, sich mit wissenschaftlichen Studien zu befassen. Eine Frucht derselben war „Das Buch Tobit“, freilich erst in den ersten Jahren seines Hamburger Aufenthalts veröffentlicht. Noch als er in Moorfleth war, wurden ihm andere Stellungen angeboten: nur der Antrag des Missionsdirectors Graul, nach Leipzig zu kommen, sei hier erwähnt.
Im December 1852 wurde er zum Diakonus an die Große St. Michaeliskirche berufen, die größte Gemeinde Hamburgs (55 000 Seelen), an der drei Diakonen wirkten neben dem Hauptpastor, der aber nicht die Sacramente zu verwalten hatte. Schon früher hatte der Diakonus an derselben Kirche, D. Geffcken (s. A. D. B. VIII, 494) zu S. gesagt, er müsse sein College werden, ohne daß S. darauf einging. Als S. sein Amt antrat, war Staat und Kirche noch innig mit einander verwachsen. Die ersten Schritte wurden damals unternommen, der Kirche eine gewisse Selbständigkeit zu gewähren, ohne eine radicale Scheidung beider herbeizuführen. An den Arbeiten zu diesem Zweck betheiligte sich auch S. litterarisch. Er regte den Gedanken an, die großen Gemeinden zu theilen, Gedanken, die erst später zur That wurden. „Wir wollen nicht“, so ließ er sich in einem Aufruf hören, „daß Hamburgs kirchliches Leben an der Kolossalität seiner Gemeinden zu Grunde geht.“ Eine specielle Seelsorge war kaum möglich bei der Größe der Gemeinden; Anstalten, die heute durch die Innere Mission und die weibliche Diakonie hervorgerufen sind, waren kaum im Entstehen begriffen. Die meisten Trauungen und alle Taufen wurden nur in den Häusern der Gemeindeglieder vollzogen und zwar meistens am Sonntage, so daß beliebte Prediger, zu denen auch S. gehörte; vom Mittag bis zum Abend von Haus zu Haus, von der Kellerwohnung bis zur Dachstube wandern mußten. S. trug darauf an, daß diese Handlungen, wenigstens am Sonntage, auch in der Kirche stattfinden durften. Es gab bei dem Confirmandenunterricht Abtheilungen von über hundert Schülern, und wenn auch S. sie auf neun bis zehn Abtheilungen vertheilte, so beklagte er doch, daß er dem Einzelnen nicht gerecht werden konnte. Mit den Confitenten war es ähnlich bestellt: es gab sogenannte Privatbeichten, die im sogenannten Beichtstuhle in der Kirche abgehalten wurden, einem kleinen Gemach, das nicht mehr als zehn Personen fassen konnte. Hier mußten oft zehn bis zwölf Beichtreden hinter einander gehalten werden. Wegen dieses Uebelstandes wurde dann die allgemeine Beichte in der Kirche und die Beichte im Hause der Pastoren eingeführt. S. suchte auch die Nebengottesdienste zu vermehren, u. a. durch den Abendgottesdienst; allein es war auch „als eine der Kirche nicht würdige Concurrenz mit den Vergnügungsorten bezeichnet worden, wenn man Abends Gottesdienst halten wollte“. Dies [332] hinderte ihn aber nicht, daß er sie zuerst in seinem Hause hielt; hernach räumte ihm die französisch-reformirte Gemeinde ihr Gotteshaus ein; erst am Sylvesterabend 1863 wurde der erste Gottesdienst in St. Michaelis gehalten.
Durch die schmerzlichen Erfahrungen, die er auch in seinen „Sprechstunden“ gemacht hatte „von der Hohlheit dessen, was man von der Kirche wollte und von der Veräußerlichung der Kirche, durch welche ihr Heiliges gleich dem Goldschnitt geworden war, welcher ein Briefchen weltlichen Inhalts umrandet“, reifte in ihm der Entschluß, aus seinem Amte an St. Michaelis freiwillig zu scheiden. In seinem im October 1866 an den Senat eingereichten Entlassungsgesuche erklärte S., er würde sich schon längst an das Kirchencollegium gewendet haben, die bezeichnete Sachlage zu ändern, wenn er nicht die Ueberzeugung gehabt hätte, daß auch diesem dazu keine Mittel zu Gebote standen; die Ursachen der Uebelstände lägen in den allgemeinen Verhältnissen der hamburgischen lutherischen Kirche, und die Umgestaltung derselben würde wohl erst einer fernliegenden Zukunft vorbehalten sein. Es sei ihm schwer, diesen Schritt zu thun, da er namentlich der Predigt und dem Beichtstuhl liebe Erinnerungen verdanke und weil außer dem Wohlwollen der Gemeinde und ihres Vorstandes eine ungetrübte Verbindung mit seinen Specialcollegen sein Loos gewesen sei. Zu diesen gehörte auch der Diakonus v. Ahsen, dessen Tochter Jane Elisabeth im J. 1859 S. nach dem Tode seiner ersten Gattin geheirathet hatte. Sein Entlassungsgesuch wurde ihm gewährt unter voller Anerkennung seiner Amtsarbeit durch den ersten Kirchspielherrn von St. Michaelis, den Senator Rücker.
S. hatte auf sein Amt verzichtet, nicht um Ruhe, sondern um Stille zu suchen. Auch in Hamburg hatte er die Entwicklung des Nikolaistiftes in Moorfleth im Auge behalten. Im Haushalt war ein Deficit eingetreten. Der Aufenthalt im Marschgebiet erwies sich für die Kinder wegen der Wechselfieber ungünstig; auch war die Bearbeitung des schweren Bodens für sie zu mühsam. So entschloß sich S. mit dem Vorstand, das Stift auf die Geest zu verlegen. S. kaufte in Alsterdorf, nicht zu nah der großen Stadt und auch nicht allzu fern, ein Gewese an der Alster mit einem Wohnhaus und Scheune und achtzehn Scheffel Land. Am 5. August 1860 konnte das bisherige Moorflether Stift hier seinen Einzug halten, kein Rettungshaus, sondern eine Bewahranstalt für Knaben und Mädchen, um Schulunterricht zu erhalten und, wie bisher, allerlei Handfertigkeiten und besonders auch Gärtnerei zu lernen. Der Anstalt wurden Corporationsrechte verliehen. Der von S. herausgegebene Monatsbote hieß von nun an „Der Bote aus dem Alsterthal“, und diente dazu, Hamburg in Verbindung mit der Anstalt zu erhalten. S. selbst hatte sich vom Vorstand ein kleines Haus gemiethet und kam von Hamburg oft hinaus zur Freude der Kinder „nicht im Amtsrock, sondern in langen Stiefeln und Joppe“ und wenn die, welche die Kinder anweisen sollten, nicht recht Bescheid wußten, griff er selbst ein. Hierbei, sowie bei den ländlichen Arbeiten und Festfeiern kam ihm sein einstmaliger Landaufenthalt zu statten. Wenn das Erntefest gefeiert wurde, bewillkommnete ein Posaunenchor die Gäste und Freunde aus Hamburg; von S. verfaßte Lieder ertönten; manchmal im Freien wurde zum Anfang ein Festgottesdienst gehalten, worauf die Erfrischung erfolgte und die Jugend sich an Spielen vergnügte oder die stattlichen Erntewagen begleitete. Seit 1870 wurde die Feier des Sedantages mit dem Erntefest verbunden, denn „Vaterlandsliebe, Freude an dem wiedererrichteten Deutschen Reich sind in S. stets mächtig und innig geblieben“. Bei diesen Veranstaltungen unterstützte ihn seine Gattin, deren verständnißvolle [333] Antheilnahme sich nicht auf die Außenseite derselben beschränkte, sondern sich ebenso sehr in der hingebenden Fürsorge für die Kinder bethätigte. Zu den Arbeitsschülern kamen 1863 eigentliche Idioten hinzu. Der Anblick eines Idioten in einem der Hamburger Höfe, „der ein Kreuz für seine armen Eltern, ein Spielball für die rohen Buben der Nachbarschaft war“, ging ihm zu Herzen, und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, ehe etwas für solche Idioten geschehen sei. Am 19. October 1863 konnte ein kleines, für zehn Idioten bestimmtes Haus von vier Pfleglingen bezogen werden. Klein und unscheinbar war der Anfang dieses „Asyls für schwache und blödsinnige Kinder“, das allmählich zu einer ganzen Colonie ausgewachsen ist. Bis dahin gab es in ganz Deutschland nur zwölf Anstalten zu gleichem Zweck für „diese Aermsten der Armen“. Neben den Knaben öffnete sich das Asyl auch Mädchen. Hatte man bisher nur solche aufgenommen, bei welchen Hoffnung auf irgend eine Fortbildung zu hoffen war, so nahm man auch die noch Bedürftigeren auf, bei denen man sich auf Pflege beschränken mußte. Infolge eines Aufrufs, den S. um Weihnacht 1865, in seinem vorletzten Hamburger Amtsjahre, erlassen hatte, steigerten sich die Jahresbeiträge für die Alsterdorfer Anstalten von etwa 200 Thalern auf fast das fünffache, und die einmaligen Beiträge beliefen sich auf 24 000 Mark. So konnte ein geräumiger Neubau mit fünfzehn Zöglingen bezogen werden.
Als S. 1867 im Frühjahr aus dem städtischen Amt geschieden war, hörte er damit nicht auf, Prediger zu sein: 1867 wurde eine Capelle für die Alsterdorfer Anstalten errichtet, 1889 eine Kirche mit hübschem, schlankem Thurm. Die Gottesdienste wurden liturgisch ausgestaltet. Uebrigens erinnerte sich die Michaelisgemeinde gern ihres einstmaligen Predigers: am außerordentlichen Buß- und Bettage, der dem Kriege 1870 vorausging, hatte S. die Predigt in St. Michaelis zu halten. Die Anstalten erweiterten sich: 1869 wurde das Mädchenheim erbaut und 1874 erweitert, 1869 ein Pensionat für schwach begabte Kinder höherer Stände, zwei Jahre später ein Kinderheim für körperlich leidende Kinder errichtet. Sengelmann’s Arbeit nahm gleichfalls zu, denn wenn ihm auch der Vorstand half, so war doch S. „das Herz des Anstaltslebens“. Für alle Mitarbeiter galt die Losung: „Die Liebe Christi dringet uns also“. Um der Anstalt den Grundcharakter der freien christlichen Liebe zu erhalten, deren Walten sich S. nur unabhängig vom Staate denken konnte, wurde dem Vorstand ein Beirath von Männern aus den nächstliegenden Theilen Norddeutschlands zugesellt. Es machte ihm wohl öfters Sorge, die sich vergrößernden Anstalten zu erhalten; allein er verlangte keine Staatshülfe. Nur einmal hat S. vom Senat einen Betrag von 10 000 Thalern empfangen, den der Senat selbst „als Aequivalent für zu wenig bezahlte Verpflegungsgelder“ bezeichnet hatte, unter der Anerkennung seiner Verdienste um die Pflege und Ausbildung der Elendesten. Sengelmann’s eigene Stellung blieb eine durchaus unbesoldete. „Die Anstalten sollten öffentlich bleiben, geleitet von einer freien Genossenschaft, beaufsichtigt von den betreffenden staatlichen Behörden“. Unter den 1821 Zöglingen, die bis zu Ostern 1896 in die Anstalten eingetreten waren, befanden sich 891 aus Hamburg, die übrigen aus anderen deutschen Gebieten. Schon aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß Sengelmann’s Wirksamkeit sich bis weit in die Ferne erstreckte.
Hatte S. früher auf Reisen besonders Erholung gesucht, so kamen sie jetzt den Alsterdorfer Anstalten zu gute. Vorträge, z. B. in Ostfriesland und den Niederlanden, trugen ihnen reiche Liebesgaben zu. Andererseits benutzte S. seine Erfahrungen, auch in fremden Landen zur Pflege der Idioten aufzufordern, [334] z. B. die Schrift: „Norwegen und die ärmsten seiner Kinder“ (1880) ist die Frucht einer Reise nach Skandinavien. Er wurde nach verschiedenen Gegenden berufen, um über Einrichtung von Idiotenanstalten Rath zu erteilen, so 1887 nach der Lausitz; der Großherzog von Oldenburg und der von Mecklenburg-Schwerin gewährten ihm Audienzen, um von seinem Werke etwas zu erfahren. Im J. 1874 gründete S. die Conferenz für Idiotenpflege, die er zwanzig Jahre lang geleitet hat und und auf welcher Aerzte und Pädagogen ihre Ansichten austauschten. Seine Grundsätze über die Behandlung der Idioten hat S. in dem dreibändigen Werk; „Idiotenphilus“ (1888) niedergelegt.
Am 10. Juli 1896 fand Sengelmann’s fünfzigjähriges Amtsjubiläum statt. Es wurde in Alsterdorf und nach wenigen Tagen in Moorfleth gefeiert. Es zeigte sich hierbei, daß Sengelmann’s Wirken in der Ferne ihn nicht der Heimath entfremdet hatte. Die theologische Facultät von Halle-Wittenberg übersandte das Diplom eines Ehrendoctors der Theologie; der hamburgische Senat und der hamburgische Kirchenrath waren durch Deputationen bei der Feier vertreten; aus der Hamburger und aus der Lübecker Bevölkerung wurden zum Bau einer Krankenstation ungefähr 25 000 Mark überreicht, wozu die Bürgerschaft auf Antrag des Senats noch eine Ehrengabe von 15 000 Mark hinzufügte. Freilich wuchsen auch die Kosten der Anstalten. Etwa ein halbes Jahr vor Sengelmann’s Tod, im October 1898, waren in den Anstalten 73 männliche und 59 weibliche Angestellte beschäftigt für 583 Pensionäre und Zöglinge, 23 Hektar eigener Besitz und 125 Hektar gepachtetes Land dienten der Landwirthschaft. Die Gesammtausgabe betrug 300 000 Mark. „Was durch die Kostgelder und durch die eigene Arbeitsleistung der Anstalten nicht aufgebracht wird, trägt die freie Liebe zusammen.“ Hatten die körperlichen Kräfte des Stifters dieser Anstalten bald nach jenem Jubiläum auch angefangen, sich zu verringern, so tönten doch aus seinen Worten noch immer unerschütterlicher Glaube und unerschöpfliche Liebe hervor. In der Nacht des 27. Januars 1899 wurde er vom Schlagfluß getroffen an dessen Folgen er am 3. Februar gestorben ist. Seine Ruhestätte wurde ihm nach seinen Bestimmungen in Moorfleth bereitet.
- Sengelmann’s Schriften, soweit sie bis 1871 erschienen sind, sind im Hamb. Schriftst.-Lexikon Bd. 7, S. 156 f. verzeichnet. - Ueber sein Leben s. G. Behrmann in A. v. Broecker’s Zeitschrift für die ev.-luth. Kirche in Hamburg (1896) Bd. II, S. 138–241; Bd. III, S. 31 ff.; Bd. V, S. 52–65. – Briefe und Bilder aus Alsterdorf. Norden (Herausgeber: P. Stritter, Sengelmann’s Nachfolger), XXII. Jahrgang u. ff.