ADB:Schmid, Johann Christoph von
J. G. Rosenmüller, welcher den begabten Jüngling als Hofmeister und Hausfreund vertrauensvoll aufnahm und seinen Studien die vorwiegende Richtung auf Exegese, Dogmen- und Kirchengeschichte gab. Indem S. diesem Gönner auch nach Gießen und Leipzig folgte, erwarb er sich eine vielseitige wissenschaftliche Bildung und kehrte namentlich mit umfassenden Sprachkenntnissen ausgerüstet im J. 1788 nach Ulm zurück, um dort zunächst als Lehrer am Gymnasium und als – Neuerer gegenüber dem verrotteten reichsstädtischen Schulwesen zu wirken. Seit 1792 aber bekleidete er – eine Zeitlang neben dem Schuldienst – Kirchenämter, zuletzt als erster Frühprediger am Münster (1809–27). Als Ulm aufgehört hatte Reichsstadt zu sein, eröffneten sich für S., ohne daß er deswegen dem städtischen Kirchendienst entsagen mußte, Wirkungskreise von weiterem Umfang, indem ihn zunächst die bairische Regierung im J. 1804 zum Consistorialrath ernannte und mit dem Referat über das protestantische Kirchen- und Schulwesen für die Provinz Schwaben betraute, hierauf die württembergische im J. 1810 ihn zum Prälaten und Generalsuperintendenten für den oberschwäbischen Sprengel bestellte. Verdienstvoll und hochgeschätzt als Kanzelredner wie als geistlicher Oberhirte hatte S. doch seine wahre Bedeutung auf dem Gebiete der Wissenschaft, nicht sowohl der Theologie, in welcher er sich zu frühe als Lehrer und Schriftsteller versucht hatte, als vielmehr der Sprachkunde und der Geschichte. Auf eine Anregung Fr. Nicolai’s hin hatte S. angefangen, „die in verschiedenen schwäbischen Ländern und Städten gebräuchlichen Idiotismen“ zu sammeln und zu erklären; [674] diesen „Versuch eines schwäbischen Idioticons“ (erschienen in Nicolai’s Reisen, Bd. 9 Beil., auch bes. im J. 1795) zu einem umfassenden „Wörterbuch“ auszugestalten betrachtete S. fortan als seine Lebensaufgabe; nach fünfmaliger Umarbeitung lag es fertig da, als der Verfasser starb, und erschien erst vier Jahre nachher (Stuttgart 1831 und wieder mit neuem Titel 1844). S. schöpfte in diesem Werke nicht bloß aus dem Sprachschatz der gleichzeitigen Schwabengeneration, welche er nach einer Bemerkung Jac. Grimm’s (Kleinere Schriften 5, 130 ff.) wohl noch in vollerem Maße hätte zum Wort kommen lassen sollen, sondern deutete zugleich die sprachlichen Denkmäler der Vorzeit aus, damit einerseits das Idiom auch in seinen früheren Entwicklungsstufen vertreten sei, andererseits die gegenwärtig gebräuchlichen Worte und Redensarten durch die früher üblichen ihre Beleuchtung und Erklärung finden. Daran knüpfen sich eine Menge Erörterungen über Recht und Brauch, Handwerk und Geräthe, Tracht und Kost der alten Zeit. Wenn die Etymologie gleich zu Anfang als die schwache Seite des Werks erkannt wurde, das Sprachwissenschaftliche daran überhaupt der eben aufblühenden Grimm’schen Doctrin gegenüber nicht standhalten konnte, so steckt gerade in jenen Realien manches Goldkorn, das S. aus einer ihm in seltenem Maße zugänglichen Fülle von Archivalurkunden zog. Noch mehr als der Sprachkunde kam diese Quellenforschung der Geschichte zu Gute. Eine umfassende urkundliche Grundlage erachtete S. als unerläßlich für jede Geschichtschreibung und er konnte sich darin nicht genug thun bei den zwei großen Aufgaben, welche zu lösen er sich vorgenommen: dies war einerseits eine Geschichte des Schwäbischen Bundes, andererseits eine Geschichte des großen Bauernkriegs vom Jahre 1525. Allein über dem Sammeln von Urkundenabschriften und Regesten, von zeitgenössischen Berichten und Denkschriften kam der zu kleineren Arbeiten allezeit fertige Mann nicht zum Ausarbeiten der geplanten Bücher, das dem Bauernkrieg zugedachte schrumpfte zu einem freilich sehr stoffreichen Artikel der Ersch- und Gruber’schen Encyklopädie zusammen. So kam das von ihm gesammelte Material, jetzt ein geschätzter Bestandtheil des Stuttgarter Archivs, Andern zu statten. Daraus schöpfte Klüpfel, als er Urkunden des Schwäbischen Bundes zusammenstellte, W. Zimmermann, als er den großen Bauernkrieg schilderte, aber auch Ch. F. Stälin für die „Wirtembergische Geschichte“ und manche Andere. Gleichzeitig bereitete S. durch viele Jahre hin eine Geschichte von Ulm vor. Es gelang ihm hier größere Partien fertig zu stellen: eine „Ulmische Reformationsgeschichte“ (bis 1531) erschien im J. 1817 als zweiter Theil von seinen und Pfister’s „Denkwürdigkeiten der württembergischen und schwäbischen Reformationsgeschichte“; eine längere Abhandlung: „Ulm in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts“ ging durch eine Reihe von Heften der Württ. Jahrbücher (1819–22). Aber zu einer vollständigen Stadtgeschichte kam es nie. Der für den mittelalterlichen Theil reichlich bereit liegende interessante Stoff fand erst seine Verwerthung in dem wesentlich auf Schmid’s Vorarbeiten ruhenden Buche Karl Jäger’s: „Ulms Verfassungs-, bürgerliches und commercielles Leben im Mittelalter“ (Stuttg. 1831).
Schmid: Johann Christoph v. S., Prälat in Ulm, geboren am 25. Juni 1756, † am 10. April 1827. Die Kinderjahre brachte er in seinem Geburtsort, dem gewerbreichen Ebingen (bei Balingen, Württemberg) zu, wo sein Vater Schönfärber und Theilhaber einer Zeugfabrik war. In der Folge betrachtete er aber zeitlebens Ulm als seine eigentliche Vaterstadt. Dorthin siedelte er nämlich schon als zwölfjähriger Knabe mit seinen Eltern über, dort empfing er seine Gymnasialbildung und in der Absicht, später dieser Stadt in Kirche oder Schule Dienste zu leisten, bezog er die Universität Erlangen als Studirender der Theologie. Hier war es Professor- Wagenseil, Prälat v. Schmid zu Ulm nach seinem Leben, Wirken und Charakter (mit Bildniß). Augsburg 1828. – G. H. Moser, Lebensabriß des württemb. Prälaten v. Schmid in der Tüb. Zeitschrift für Theologie. St. 1 (1828), S. 265–291. – Neuer Nekrolog der Deutschen. Jahrg. 5, 1827, Thl. 1, S. 371 ff. – Pahl in den Württ. Jahrb., Jahrg. 1828, H. 1, S. 40 ff. – Gradmann, Das gelehrte Schwaben, S. 71 ff.