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Artikel „Schmid, Johann Wilhelm“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 672–673, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmid,_Johann_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 15:30 Uhr UTC)
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Schmid: Johann Wilhelm S., protestantischer Theolog des 18. Jahrhunderts, geboren am 29. August 1744 in Jena, † ebendaselbst am 1. April 1798. – Sein Vater war der damalige Hofgerichtsadvocat Dr. juris Paul Wilhelm S., später Professor in der Juristenfacultät und sachsen-coburgischer Hofrath. Vorgebildet durch Privatunterricht und auf der Stadtschule zu Jena unter dem damaligen Rector Blasche, begann er schon 1758 im 14. Lebensjahre das akademische Studium der Philologie, Philosophie und Theologie, zu der er schon früh sich hingezogen fühlte. Seine theologischen Hauptlehrer waren J. G. Walch, bei dem er Dogmatik, Moral, Kirchengeschichte und Einleitung ins Neue Testament –, und J. Chr. Köcher, bei dem er Exegese, Homiletik und Katechetik hörte. Nach Beendigung seiner akademischen Studien wurde er 1764 Hauslehrer bei Amtmann Schlüter zu Nienburg a. d. Weser, in der Grafschaft Hoya. Nachdem er von da über Hamburg, Celle und Braunschweig nach Jena zurückgekehrt war, wurde er hier 1769 Adjunct der philosophischen Facultät, hielt Vorlesungen besonders über hebräische Sprache, schrieb 1770 eine Dissertation „De dignitate et splendore Confessionis Aug.“ und eine lateinische Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele („Immortalitatis animarum doctrina, historice et dogmatice spectata“, Jena 1770, 4°). Im Jahre 1772 wurde er zum Garnisons- und dritten Nachmittagsprediger an der Stadtkirche, 1776 zum zweiten Diakonus ernannt; 1783 wurde er dritter ordentlicher Professor der Theologie an der Universität, 1784 Dr. theol., 1793 rückte er in die zweite theologische Professur auf, die er bis zu seinem Tode bekleidete. – Anfangs orthodoxer Wolfianer, wurde er durch den Umgang mit Danovius (s. A. D. B. IV, 746), dem er bis zu seinem 1782 erfolgten unglücklichen Ende nahe befreundet war, in freiere Bahnen gelenkt, machte dann die Kantische Philosophie zum Gegenstand seines eifrigsten Studiums und war einer der ersten unter den deutschen Theologen, die von derselben „bei Entwicklung der christlich-moralischen Religionslehre einen vorsichtigen Gebrauch machten“. Ihm stand fest, daß das Moralsystem der kritischen Philosophie, weil es das einzig wahre sei, auch der Sittenlehre Jesu und seiner Apostel zu Grunde liegen müsse. Er freute sich dieser schönen Harmonie zwischen philosophischer und theologischer, kantischer und christlicher Moral, die er freilich nur durch eine laxe und zweideutige Exegese herzustellen vermochte. Die Vernunft ist ihm die Quelle der Moralität, die Offenbarung nur Mittel zur schnelleren Verbreitung sittlicher Begriffe, die Moralität Quelle der Religion. Diese Gedanken waren es, die er zuerst in verschiedenen kleinen Schriften aussprach, z. B. in zwei Programmen „De consensu principii moralis Kantiani cum ethica christiana“, Jena 1788/9; „Ueber den Geist der Sittenlehre Jesu und seiner Apostel“, Jena 1790; „De populari usu praeceptorum rationis practicae“, Jena 1792 und die er dann weiter ausführte in seiner „Theologischen Moral“ 1793/4, sowie in seinem letzten, 1798 begonnenen Werk „Christliche Moral“ 1798–1804 in drei Bänden (der letzte, als christliche Ascetik nach seinem Tode herausgegeben von Karl Christian Erhard Schmid, Jena 1804). Seine gleichfalls wesentlich von Kant beeinflußten dogmatischen Anschauungen hat er ausgesprochen in seiner 1797 zu Jena erschienenen Schrift: „Ueber christliche Religion, deren Beschaffenheit und zweckmäßige Behandlung als Volkslehre und Wissenschaft für das gegenwärtige Zeitalter“ (Auszüge daraus bei Manitius, Gestalt der Dogmatik in der lutherischen Kirche, Wittenberg 1806, S. 230 ff. und bei Gaß, Geschichte der Dogmatik IV, 311 ff.). Außerdem hat er von ähnlichen Gesichtspunkten aus die Homiletik und Katechetik in zwei größeren Werken bearbeitet: die erstere in seiner „Anleitung zum populären Kanzelvortrag“. 1787–90 in drei Theilen; 2. Aufl. 1795 (der dritte [673] Theil mit einem Abriß der Geschichte der Predigt und der Homiletik), die andere in seinem „Katechetischen Handbuch“ 1791–92.

Von seinen Zeitgenossen wurde der Jenenser Schmid, der „Moralschmid“, wie man ihn in Jena nannte, zu den „aufgeklärtesten Köpfen“ in Deutschland gerechnet, und in der That gehört er zu den ersten und consequentesten unter den „Kantianisirenden Theologen“ oder „theologischen Rationalisten und Moralisten“ des 18. Jahrhunderts, welche das Christenthum nebst seinem Stifter bei aller Anerkennung ihres sittlich-religiösen Werthes doch als eine menschliche, geschichtlich erklärbare Erscheinung behandeln, welche daher weder in der Geschichte desselben übernatürliche Thatsachen, noch in dem christlichen Glauben übernatürliche Wahrheiten erkennen, sondern durch Ausmerzung oder Umdeutung jener Zuthaten den Vernunftglauben in seiner Reinheit darzustellen, insbesondere aber die vollkommene Harmonie zwischen der praktischen Philosophie Kant’s und dem Christenthum nachzuweisen suchen.

Vgl. Beyer, Allg. Magazin für Prediger XI, St. 5 ff., 1795, S. 97 (Selbstbiographie). – Döring, Gel. Theologen Deutschlands III, 820 ff. – Meusel, Lexikon verstorbener Schriftsteller XII, 291 ff. – G. Frank, Gesch. der protest. Theologie III, 288 ff. – Gaß, Gesch. der protest. Dogmatik IV, 311 ff.; Geschichte der christl. Ethik II, 2, 126 ff. – E. Zeller, Gesch. der deutschen Philosophie, S. 521. München 1875.