ADB:Schelhorn, Johann Georg (Historiker)
J. Brucker) als Sohn des Memminger Handelsmannes Johann S., empfing er den ersten Unterricht von seinem Vater, der sich in seiner Jugend den schönen Wissenschaften gewidmet hatte, sowie von dem Superintendenten seiner Vaterstadt, Christian Erhart; außerdem besuchte er die öffentliche Stadtschule mit sehr gutem Erfolge, so daß er im J. 1712, trefflich vorbereitet, die Universität Jena beziehen konnte. Von den damaligen Professoren der genannten Hochschule übte der Theologe und Polyhistor Buddeus auf den strebsamen Jüngling einen sehr großen Einfluß aus, doch suchte dieser auch die Vorlesungen von Syrbius, Stolle, Foertsch und namentlich die philologischen Exercitien von Danz für seine Ausbildung nach Kräften zu verwerthen. Eine nicht ungefährliche Gliederkrankheit, welche ihn im März 1714 befallen hatte, bestimmte ihn aber, den Musensitz an der Saale zu verlassen und seine Studien in dem näher gelegenen Altdorf fortzusetzen; hier nahm sich insbesondere Zeltner, dem er empfohlen war, seiner an; derselbe stellte ihm seine Bibliothek zur Verfügung, ging ihm mit Rath und That zur Hand und unterstützte auch [757] in der Folge die gelehrten Bestrebungen seines Schülers, wofür ihm dieser zeitlebens die innigste Dankbarkeit bewies. 1716 kehrte er nach Memmingen zurück, wo er sich vor allem die Kenntniß der Stadtbibliothek angelegen sein ließ und sich an den Disputirübungen, die von dem im Griechischen und in der Kirchengeschichte bewanderten Superintendenten Wachter geleitet wurden, lebhaft betheiligte. Im J. 1717 treffen wir ihn zum zweiten Male in Jena, woselbst er ein Jahr hindurch verweilte, um unter der Leitung von Buddeus und Danz seine Studien zum Abschlusse zu bringen. Nun begab er sich wieder in seine Vaterstadt, um in derselben als Lehrer, Seelsorger, Bibliothekar und Schriftsteller eine ungemein fruchtbare Thätigkeit zu entwickeln. Seine ersten schriftstellerischen Versuche erschienen als Beiträge zu den „Miscellaneis Lipsiensibus“ und in der „Bibliotheca Bremensis“, und da dieselben achtenswerthe Gelehrsamkeit und glückliche Darstellungsgabe verriethen, wurde er von verschiedenen Seiten zur Fortsetzung seiner litterarischen Thätigkeit ermuntert. Wegen der Ungunst der Verhältnisse konnte S. vorerst mit einem Kirchenamte nicht betraut werden; erst im J. 1725 trat durch seine Ernennung zum Lehrer und Conrector an der Stadtschule in Memmingen eine Besserung seiner pecuniären Verhältnisse ein, infolge deren er sich bald darauf mit Jakobine Merz, einer Tochter des evangelischen Seniors Merz in Kaufbeuren, vermählte, mit welcher er in äußerst glücklicher Ehe lebte. Seine äußern Verhältnisse waren bedeutenden Veränderungen nicht ausgesetzt; 1732 wurde er zum Pfarrer in dem in der Nähe von Memmingen liegenden Buxach ernannt, sodann 1734 als Prediger in seine Vaterstadt berufen, welche seine Verdienste dadurch ehrte, daß sie ihn 1753 zum Superintendenten erwählte. 5 Jahre darauf wurde ihm seine Gattin, die ihm 12 Kinder geschenkt hatte, durch den Tod entrissen. Wenden wir uns wieder seinen gelehrten Bestrebungen zu, so müssen wir zunächst berichten, daß er die unfreiwillige Muße, welche ihm nach seinem Abgange von der Universität beschieden war, zuvörderst umfassenden Vorstudien auf dem Gebiete der kirchlichen und profanen Historie widmete. Die erste Frucht derselben waren seine „Amoenitates literariae“, 14 Bände umfassend, deren 1. Theil 1724 ohne Nennung des Verfassers in Ulm erschienen war, und die sich allgemeinen Beifalls zu erfreuen hatten. Hierauf befaßte er sich mit der Erforschung der Geschichte seiner Vaterstadt. Da es bekanntlich im J. 1630 den Protestanten Memmingens wegen der Anwesenheit Wallenstein’s unmöglich gemacht worden war, den Tag festlich zu begehen, an welchem 100 Jahre vorher die Uebergabe der Augsburger Confession an Karl V. erfolgte, so gestaltete sich die Gedenkfeier anläßlich des 200jährigen Bestehens der erwähnten Glaubensschrift in Memmingen um so großartiger. S. veröffentlichte als Festschrift seine „Kurtze Reformations-Historie der Kayserlichen freyen Reichs-Stadt Memmingen“, welche, auf gründlichen archivalischen Studien beruhend, in fesselnder Weise die Wechselfälle, denen das protestantische Bekenntniß in Schelhorn’s Vaterstadt bis 1555 unterworfen war, erzählt und noch heutzutage den Anspruch geltend machen darf, von den Historikern des Reformationszeitalters[WS 1] berücksichtigt zu werden. S. war in jener Zeit außerordentlich emsig; schon 2 Jahre nach der Herausgabe der Memminger Reformationsgeschichte erschien in Leipzig: „Jo. Georgii Schelhornii de Religionis Evangelicae in Provincia Salisburgensi ortu, progressu et fatis Commentatio Historico-Ecclesiastica“ in lateinischer Sprache, eine Schrift, die sich eines geradezu Aufsehen erregenden Erfolges rühmen durfte. In ganz kurzer Zeit waren die Exemplare der ersten Auflage vergriffen, und der Wunsch nach einer deutschen Uebersetzung war ein so allgemeiner, daß sich Friedrich Stübner, „der Philosophie und der freyen Künste Magister und des Akademischen Concilii in Leipzig Assessor“ veranlaßt sah, ungesäumt die Verdeutschung des beliebten Buches vorzunehmen, welche noch im J. 1732 bei Bernhard Christoph [758] Breitkopf in Leipzig veröffentlicht werden konnte. Aus der ziemlich umfangreichen Vorrede des Uebersetzers wollen wir nur folgende, das Schelhorn’sche Original kennzeichnende Stelle hervorheben: „Diese Schrift giebt weder an der Ordnung, in der sie geschrieben ist, noch an Gründlichkeit und Deutlichkeit, noch an der Zierlichkeit des Ausdruckes der Gedanken, noch an irgend einer andern guten Eigenschaft eines historischen Buches anderen Schriften der Art etwas nach. Ich kan solches Urtheil desto freymüthiger bekennen, weil ich weder den Herrn Verfasser von Person zu kennen, noch sonst in einiger genauen Bekandtschaft oder auch in einem Briefwechsel mit ihm zu stehen biß daher die Ehre gehabt habe.“ S. hatte seinem Werke auch einige lateinische Gedichte einverleibt, deren Uebertragung in deutsche Alexandriner (S. 142, 284, 416, 425 der Uebersetzung) auf Ansuchen Stübner’s „Herr Professor Gottsched, Mitglied der Berlinischen Societät der Wissenschaften“ bethätigte. 1733 erschien auch eine Uebertragung der erwähnten Schrift ins Holländische zu Amsterdam. Bei Bartholomäus und Sohn in Leipzig und Frankfurt veröffentlichte hiernach S. sein bedeutendstes Werk, die „Amoenitates historiae ecclesiasticae et literariae“, in 2 Bänden (1737–1738), welche, für Gelehrte bestimmt, ebenfalls in lateinischer Sprache verfaßt sind, in wissenschaftlichen Kreisen hervorragende Beachtung fanden und den Verfasser auch mit dem gelehrten Cardinal Quirinus in Beziehung brachten. Derselbe nahm nämlich in seinen (1744 in Brescia erschienenen) Anmerkungen zu den Episteln Poli Veranlassung, Mehreres gegen die im 1. Theil (S. 1–190) der vorgenannten amoenit. unter dem Titel „Historia operis, quod Reginaldus Polus adversus Henricum VIII. Angliae Regem, pro unitatis ecclesiasticae defensione olim conscripsit“ veröffentlichten Auseinandersetzungen zu erinnern, was S. zu zwei Erwiderungen bestimmte, welche der Cardinal seinen Bemerkungen zu den erwähnten Briefen anfügte. Quirinus nahm mehrmal Veranlassung, S. mit Beweisen seiner Werthschätzung zu erfreuen, was wir nur deshalb hier bemerken, um zu zeigen, welche Achtung sich S. auch bei seinen litterarischen Gegnern zu erwerben verstand. An dieser Stelle möge auch derjenigen Männer ehrend gedacht werden, welche den gelehrten Bemühungen Schelhorn’s die weitgehendste Förderung angedeihen ließen; es sind dies vornehmlich die Memminger Bürgermeister Lupin und Tobias v. Hermannsburg, der Ulmer Bürgermeister Raymund Krafft v. Dellmensingen, der Frankfurter Schöffe Konrad v. Uffenbach und Ebner v. Eschenbach in Nürnberg; auf Ansuchen des letzteren verfaßte S. eine Biographie von Philipp Camerarius, dem dritten Sohne des berühmten Humanisten Joachim Camerarius, erschienen in Nürnberg 1740. 2 Jahre vorher wurden in Ulm bei Paul Roth Schelhorn’s „„Acta historico-ecclesiastica saeculi XV et XVI“ verlegt, wovon dem Referenten nur der 1. Theil vorliegt; nach Angabe Brucker’s sei eine Fortsetzung derselben wegen „dem Unvermögen des Verlegers“ nicht erfolgt. Mehr Erfolg scheint S. mit seinen 1762–64 bei Bartholomäus in Ulm und Leipzig veröffentlichten „Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie und Literatur“ erzielt zu haben, welche, 3 starke Bände umfassend, eine große Menge wichtiger Briefe, Urkunden, Bücherverzeichnisse und Biographien enthalten und schon deshalb beachtet werden dürften, als S. den genauen Abdruck der Urkunden mit peinlicher Gewissenhaftigkeit überwachte. – Schon aus der beträchtlichen Anzahl der erwähnten Schriften (S. soll gegen 40 verfaßt haben) geht der außerordentliche Eifer hervor, mit welchem der würdige Mann in seinen Mußestunden, sich die Förderung der Wissenschaften angelegen sein ließ. Daß aber S. auch die Obliegenheiten, welche ihm seine pfarramtliche Stellung auferlegte, mit aller Hingabe zu erfüllen bestrebt war, wird durch die Verehrung und Liebe bewiesen, welche ihm seine Gemeinde und deren Vorstände entgegenbrachten. Noch wenige Tage vor seinem am 31. März 1773 erfolgten Hinscheiden war er in [759] der Ausübung seiner priesterlichen Function begriffen, als ihn nach deren Erledigung ein Schlaganfall berührte, dessen Folgen sein sonst noch rüstiger Körper erlag.
Schelhorn: Johann Georg S., weiland Superintendent der Reichsstadt Memmingen, Doctor der Theologie, Mitglied der deutschen Gesellschaft in Leipzig, war einer der bedeutendsten süddeutschen Gelehrten des vorigen Jahrhunderts und ein überaus fruchtbarer Schriftsteller. Geboren am 8. des Christmonats 1694 (nach Angabe seines Zeitgenossen- Bildersal heutiges Tages lebender und durch Gelahrheit berühmter Schriftsteller von Jacob Brucker, II, Augspurg 1747, und Schelhorn’s Biographie, welche sich in den Lebensbeschreibungen einiger des Andenkens würdiger Männer von Memmingen vorfindet, verfaßt von Benedict Schelhorn, erschienen in Memmingen 1811.
Joh. Georg S., Sohn des oben genannten. Sein Vater wurde von seiner Gattin mit 12 Kindern beschenkt, aber nur mit dem einen Sohne. Geboren am 4. December 1733 in Memmingen, gestorben allda am 22. November 1802, oblag er dem Studium der Theologie auf den Universitäten zu Göttingen und Tübingen, war hierauf einige Jahre hindurch als Pfarrer in verschiedenen zum Gebiete der Reichsstadt Memmingen gehörigen Landgemeinden thätig, wurde sodann als Geistlicher in seiner Vaterstadt angestellt und 1793 (also 20 Jahre nach dem Tode seines Vaters) zum Superintendenten dieser Stadt erwählt. Von seinem Vater erbte er die Freude an litterarischer Beschäftigung, und das Verzeichniß seiner Schriften (vgl. Meusel, Gel. T.) ist ein recht langes. An Bedeutung aber steht er hinter dem Vater weit zurück, obgleich einzelne seiner Arbeiten oft irriger Weise dem Vater zugeschrieben worden sind, da sie sich auf gleichen Gebieten bewegen. Neben zahlreichen Predigten, theologischen Aufsätzen und Recensionen, Beiträgen zur Geschichte, Kirchen- und Gelehrtengeschichte gab er eine „Sammlung geistlicher Lieder aus den Schriften der besten Teutschen Dichter zur Beförderung der Hausandacht“ (1772 u. ö.) heraus, auch eine „Anweisung für Bibliothecare und Archivare“ 2 Thle. (1788. 91). Er selbst war, wie sein Vater, Memminger Bibliothekar.
- Vgl. Gradmann, Gel. Schw. und Meusel, G. T.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Reformtionszeitalters