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Artikel „Rittershaus, Emil“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 673–679, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rittershaus,_Emil&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:42 Uhr UTC)
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Band 53 (1907), S. 673–679 (Quelle).
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Rittershaus *): Friedr. Emil R., Lyriker, geboren am 3. April 1834 zu Barmen als Sohn eines Bandfabrikanten, stammte aus einem alteingesessenen Geschlechte des bergischen Landes, und es mischt sich in ihm die mehr ins nahe Westfalen – wo die nächsten Vorfahren unseres Dichters auf Gut Korthausen bei Schwelm gesessen – weisende biedere, feste Art des Vaters mit der echt rheinischen Frohnatur, Lebensfreude, Fabulirlust der sichtlich ästhetisch veranlagten Mutter, Karoline geb. Graan, Tochter eines wohlhabenden Manufactur- und Specereihändlers. Innig hing der Knabe, das einzige Kind bleibend, an dieser seiner anregenden Liedervorsängerin und Märchenerzählerin und bewahrte ihr, die er im sechsten Jahre schon verlor, und ihrem tiefen Einflusse treueste Dankbarkeit: der 19jährige, zum Dichter richtig erwacht, bekennt, die Unvergeßliche habe ihm die Saat der Lieder in die Brust gesät. Dem Vater dankte er zwar Liebe und Verständniß der freien Natur, auch wohl den ersten anspornenden Beifall zur Pflege der Poesie; aber schließlich, als der strebsame Sohn, nach der überaus tief greifenden Vorbildung durch den durch verschiedene Zonen verschlagenen ehemaligen österreichischen Officier Frdr. v. Borckel, den von ihm noch später in einem poetischen Blüthenkranz Gefeierten, und dem Besuche der „Barmer Höheren Stadtschule“ (seit 1859 Realgymnasium), dermaleinst Naturwissenschaften oder Medicin studiren wollte, bestimmte er ihn nach alter Wupperthaler Sitte zum Kaufmannsstande. Der 14jährige fügte sich und ward ohne innere Neigung 1848 Lehrling im väterlichen Geschäft, für das er dann seit 1853 Reisen durch ganz Deutschland, nach den Niederlanden, Belgien, England und der Schweiz unternahm. Ueber den entsagungsvollen Verzicht, über das Einspannen in eine prosaische Lebensarbeit tröstete ihn regelmäßige Beschäftigung mit der Muse, zunächst durch abendliches fleißiges Studium der gediegensten Vorbilder neudeutscher Poesie, indem er sich allmählich von Herder’s, Klopstock’s , Hölty’s Eindrücken, welche die Mutter und Borckel in ihn gepflanzt, frei machte und sich wesentlich an Goethe, Geibel, Rückert, Freiligrath, Herwegh heranbildete. Der zwei Letzteren freisinnige Dichtungen, sowie die verwandten Anastasius Grün’s, Dingelstedt’s, R. Prutz’ waren dem Jünglinge schon ins Blut übergegangen, daneben der gemüthstiefe Geibel, der gerade damals die gefühlvollen deutschen Herzen eroberte und R. zeitlebens im Banne hielt. Unter Hugo Oelbermann’s Präsidium thaten sich mit Emil R. Karl Siebel, K. G. Wilh. Wens, W. Langewiesche d. J. u. A., noch halbe Knaben, zum „Wupperbund“ für theoretische und praktische Pflege der „schönen Wissenschaften“ zusammen. Während R. sich besonders mit dem frühgeschiedenen genialen Siebel zu vertrautem Verkehr aneinanderschloß, fanden diese jüngeren Talente des Wupperthales in den schon vorher aufgetretenen Frdr. Röber, Adolf Schults, Gust. Reinhard Neuhaus würdige Ehrenmitglieder des Clubs, im Erstgenannten und seinem später für die Zusammenkünfte eingerichteten „Sonntagskränzchen“ einen bedeutsamen förderlichen Mittelpunkt, endlich in dem vielseitigen Künstlergenie J. Richard Seel, dem originellen Bildner des „deutschen Michel“, einen wirkungsvollen Berather und Illustrator. Am „Album aus dem Wupperthale“, das Seel 1854 herausgab, betheiligten sich die Freunde alle, desgleichen an den sofort folgenden „Dichtergarben aus dem Wupperthale“ des Elberfelder Verlegers F. W. Lucas. Bevor R. zu diesen Anthologien Lyrisches beisteuerte, hatte er sich schon seit den 1848er Stürmen in heimathlichen Localblättern mit actuellen poetischen Ergüssen (so damals einem Aufsehen erregenden wider Rußland) und anderen als „Friedr. Emil Viggo“ hervorgewagt. Unablässige Selbstzucht sowie sichere, selbständige Aufnahme der bunten Eindrücke aus [674] Litteratur und Gedankenwelt, aus den großen und kleinen Lebenskreisen bereicherten und verfeinerten sein dichterisches Schaffen ungemein rasch, und als sich der 20jährige noch in jenem Jahre 1854 mit Lucas’ Tochter Hedwig verlobte, blühte ihm nicht allein ein köstlicher Liebes-, sondern auch ein voller Liederfrühling auf.

Die überaus innige Gemeinschaft mit seiner Gattin, als die er Hedwig 1856 heimführte, bot, und dies auf die Dauer, seiner Dichtung nun am regsten Halt und Anstoß. Hier, in dem seligen Glück, das sie ihm seit der ersten Anknüpfung schenkte, das sich in der zärtlichen Ehe und dem Verhältnisse zu den sieben Kindern (drei Söhne und vier Töchter überlebten ihn) fortpflanzte, liegt gewiß der Umstand begründet, daß R. von dem gährenden und schwankenden Charakter seiner Poesie um 1854 gar bald in harmonische Bahnen einlenkte, indem er als unermüdlicher Prediger der wahren und hohen Minne in der hingebenden Liebe zu Weib und Kind, in der Traulichkeit des Hauses und der Familie das Meiste und Beste geleistet hat. Und darum auch ist er ganz und gar, mit Bewußtsein übrigens, Lyriker geworden. Um so merkwürdiger, als die nächsten Vorkommnisse seines äußeren Daseins ihn von Beschaulichkeit und Zufriedenheit mit den Gaben des Schicksals wohl hätten abrufen können. Unmittelbar vor der Heirath stellte sich nämlich der 22jährige junge Mann in Elberfeld auf eigene Füße; aber sein Commissionsgeschäft in Bronzewaaren kam bloß durch geradezu aufopfernden Eifer des Paares in die Höhe. Jetzt bereiste er wieder deutsche und fremde Länder als Kaufmann und als Poet, der Bekanntschaft mit litterarischen und politischen Persönlichkeiten schloß und allerlei Eindrücke sammelte. Nun übersiedelte er 1862 nach Barmen, seitdem seinem dauernden Aufenthaltsorte, den Metall-Engroshandel ohne den frühern Theilhaber fortführend; doch gerieth er ohne eigene Schuld in arge geschäftliche Bedrängniß und vermochte bloß durch das Beispringen treuer Freunde seine persönlichen Verpflichtungen zu erfüllen und sich aus schlimmer materieller Sorge emporzuringen. War R. unter allem Ungemach immer in seiner häuslichen vollsten Befriedigung „tief beschämt inne, wie unaussprechlich reich“ er war (so der Ausgang seiner sinnigen Scene „Die Sonntagspuppe“), so ist es doch mit oft bewährtem Edelmuth Ernst Keil in Leipzig gewesen, der 1871 durch Vertrieb des in Paul Lindau’s schönem Aufruf dem Publicum warm ans Herz gelegten neuen Gedichtbandes dem sorgenbekümmerten Dichter wacker unter die Arme griff. Mittelbar trug dann Keil’s „Gartenlaube“ durch die darin erschienenen gelegenheitlichen, patriotischen und geselligen Gedichte stark zu Rittershaus’ Bekanntwerden und Beliebtheit in weiten Schichten der soliden Leserwelt bei, und dies hauptsächlich verschaffte ihm den Rang eines wirklichen deutschen Familien- und Hausdichters im ehrenvollsten Sinne. Seine und der Seinigen äußere Existenz fußte daher später keineswegs nur auf der Generalagentur verschiedener Versicherungsgesellschaften, die er bis zuletzt besorgte, sondern auch – eine in Deutschland seltene Thatsache – auf dem wachsenden Ertrage seiner Gedichtsveröffentlichungen, außerdem auf dem seiner Recitationen und Vorträge.

R. hielt nämlich schon seit Mitte der 60er Jahre jeden Winter theils Selbstdeklamationen seiner und fremder Gedichte ab, theils fesselnde Vorträge über neuere deutsche Poeten, die ihm nach Richtung oder Persönlichkeit nahe standen, vornehmlich rheinländische: z. B. Freiligrath, Heine, Scheffel, Chamisso und Eichendorff, das Ehepaar Kinkel, Annette v. Droste-Hülshoff, seine Jugendgenossen K. Siebel und Ad. Schults. Stets würdigte er da seine Brüder in Apoll mit liebevollem Versenken in die Eigenthümlichkeiten der Individualität, wozu ihn eine ungewöhnliche Fähigkeit dichterischen Nachfühlens und ideale [675] Begeisterung für die Aufgabe, Sinn und Hochachtung für echte Poesie zu verbreiten, ausrüsteten. Damit stellte er sich in den Dienst der allgemeinen Volksbildung, welche er von jeher zu fördern bestrebt war. So stand er beim „Verein für wissenschaftliche Vorlesungen“ zu Barmen Gevatter, desgleichen beim „Allgemeinen Bürgerverein“, dessen Vorsitz er bis ans Ende innehatte. Dem in den kaufmännischen Vereinen ganz Deutschlands stets willkommenen rednerischen Berufsgenossen ward ja beim Ableben auch von der großen Gesellschaft für Volksbildung ein dankbarer Nachruf zu Theil. Auch an der Gründung von Spar- und Consumvereinen sowie des Verschönerungsvereins in seiner Vaterstadt nahm er Theil. Im J. 1885 packte ihn ein schmerzhaftes Herzleiden, von dem ihn eine Cur zu Wiesbaden genesen ließ. 1894, wo er einen neuen „Frühstücksverein für arme Kinder“ als Mitbegründer und humanitärer Dichter unterstützte, feierten zahlreiche Freunde und Verehrer nah und fern den 60. Geburtstag des allsympathischen Menschen und Dichters. Als aber 1895 die musterhafteste Gefährtin seiner vier Mannesjahrzehnte schied, lockte die Stimmung über solch unüberwindbaren Schlag jene bezwungene Krankheit neu hervor. Anfang 1897 stiegen die Athembeschwerden unerträglich, und so traf ihn am 8. März der Tod als Erlöser. Sofort trat in der Vaterstadt ein Denkmalausschuß zusammen. Am 20. Juni 1900 wurde von den Spenden der zahlreichen Anhänger aus dem Wupperthale wie dem weiten Vaterlande in den Stadtanlagen Barmens das prächtige Werk des Andenkens enthüllt, eine Leistung seines Schwiegersohnes, des ausgezeichneten Männerbildners Fritz Schaper in Berlin. Die deutschen Freimaurerlogen, deren eifrig thätiges Mitglied R. viele Jahre mit Idee und Dichterwort gewesen – lange Zeit auch Meister der Barmer Loge Lessing – hatten eine so ansehnliche Summe aufgebracht, daß nur wenig davon für das Bronzedenkmal verwendet, das meiste, durch 5000 M. der Stadt Barmen vermehrt, als Rittershaus-Stiftung für Frühstück armer Kinder angelegt wurde.

Will man für das Wesen dieses vortrefflichen Mannes und Dichters einen sicheren Boden finden, so vergegenwärtige man sich zunächst den ihm eigenthümlichen Adel der Gesinnung und den klar bestimmten Hang zum dankbaren Genusse des Daseins, wie er sein litterarisches Debütbuch unter das Motto von Goethe’s „Gedenk zu leben!“ gestellt hat. Sodann aber vergesse man nicht, wie vollbewußt er zugleich in rheinländischer Sphäre und im Banne der Rothen Erde stand. Strömt er seine unversiegbare Begeisterung für den herrlichen Fluß immer erneut und verändert, am augenfälligsten in dem Schatzkästlein „Am Rhein und beim Wein“ aus, so erwachte das Blut seiner väterlichen Ahnen in dem mannhaft stolzen „Lied des Westfalen“ (1868 in Iserlohn gedichtet und alsbald in Peters’ Composition von Dr. Hugo Rademacher in Altena gesungen), in gewissem Sinne auch in der feinen poetischen Würdigung der ihm wohlvertrauten Annette v. Droste-Hülshoff.

Emil R. hat seit Anbeginn seiner Theilnahme an der Wirksamkeit jener dichterischen Gemeinde, die, wie Gottschall sagt, inmitten einer durch Missionstractätlein und sociale Wühlereien zerspaltenen Fabrikbevölkerung den Cultus der Musen pflegte, unablässig Vers und Lied gehandhabt. Währte es ja auch nach dem ersten Auftreten mit dem Band „Gedichte“ 1856 eine geraume Weile, bis der durch Geschäftsdrang und -kummer mit Beschlag Belegte mit weiteren Sammlungen seiner Musenkinder aufwartete, so folgten sich diese Bände doch alsdann in kurzen Pausen, desgleichen wiederholte Neuauflagen aller, und Einzeldrucke kamen dazu. Die lyrischen Sammelbände sind: die soeben genannten „Gedichte“ (1856, 10. Aufl. 1906), die von E. Keil zum Druck geleiteten „Neuen Gedichte“ (1871, 6. Aufl. 1899); „Am Rhein und beim Wein“ [676] (1884, 3 Auflagen innerhalb eines Jahres!; 4. Aufl. 1900); „Buch der Leidenschaft“ (1886, 4. Aufl. 1889); „Aus den Sommertagen“ (1886, 4. Aufl. 1889). Besondere Töne erklingen in den „Freimaurerischen Dichtungen“ (1870, 5. Aufl. 1897) und den Gedichten gleichen Stils „In Bruderliebe und Brudertreue“ (1893, 3. Aufl. 1897), welch letztere den hochsinnigen Standpunkt edelster Humanität und echten Menschenthums jenes älteren mehrfach erweiterten Gebindes, bisweilen unter dem Zeichen einer wahrhaft innerlichen Frömmigkeit, zu der er sich von kühlem Rationalismus durchgerungen, noch abgeklärter zeigen, wie er selbst hier offen dahertritt „allen freimaurerischen Bestrebungen in ihrem besten Sinne stets geneigt“ (Hey’l). In demselben Fahrwasser bewegen sich die Poesien „Dem Bruder Heil, dem Kaiser!“ (1887) und „Zur Trauerloge für Kaiser Wilhelm I.“ (1888), die im übrigen, nebst der Begrüßung „An Kaiser Wilhelm II.“ (1888), seinem ehrlichen Patriotismus in ähnlicher mannhafter Huldigung Luft machen wie das Schlußgedicht „Getreu dem Reich, dem Kaiser“ hinter dem Gruß zur Einweihung des Niederwald-Denkmals, zu dessen Errichtung er Ende April 1872 zu Rüdesheim einen Aufruf erlassen hatte. Auch das Heftchen „Zur Sedanfeier“ (1875), natürlich auch die enthusiastische Anfeuerung und frischen Gesänge der Flugschriften „Vorwärts! Nach Paris! 3 Kriegslieder“, „Marschlieder“, „Den Frauen und Jungfrauen in der Kriegszeit. 3 Lieder“ (alle 1870), denen sich danach Freuden- und Danklieder anschlossen, gehören hierher. Hatte doch R., unter dem mitdurchkosteten Rückschlag nach dem religiösen und politischen Kehraus der 40er Jahre ein für alle Mal zum maßvoll freiheitlich Gesinnten bekehrt, es mit seiner ständigen äußeren Zugehörigkeit zur Fortschrittspartei sehr wohl vereinbart, wie er 1859 sogleich dem Nationalverein beigetreten war, schon 1861 in einem Aufsehen erregenden Neujahrsprolog des Elberfelder Stadttheaters eine Neugestaltung der deutschen Verhältnisse durch Kampf an der Westgrenze mit Straßburgs Wiedergewinnung zu Einigkeit, Freiheit und Größe und zur Kaiserkrönung zu prophezeien, 1866 sein poetisches Veto gegen Zweitheilung Deutschlands und Ende der 60er Jahre eine Lanze für ein Vaterland eines in seinen Stämmen, frei im Geiste einzulegen. Prologe, Aufrufe, Festpoeme nationaler wie humanitärer Farbe dichtete R. wieder und wieder, ungewöhnliches Anschmiegen an den Einzelfall mit begeisterten Nachdruck auf der idealen Tendenz geschmackvoll vermählend. So stellte sich seine Muse in deutschvölkischem Gewand allein 1865 dreimal bei öffentlichen Anlässen ein: auf dem Bremer Schützen-, dem Kölner Abgeordneten-, dem hannoverschen Turnfest. Dem Componisten Ferd. Hiller lieferte er auf dessen Bitte für die Festcantate zur Vollendung des Kölner Doms am 15. October 1880 den schwungvollen Text, der „mit dem altehrwürdigen Bau und seiner Geschichte hinfort für alle Zeiten verbunden bleiben wird“ (Rob. König). Anno 1866 rief er „Zu Hilfe!“ für die Verwundeten nebst deren Frauen und Sprößlinge, 1867 „Für die armen Cholerakranken“, 1869 für Witwen und Waisen der beim Düsseldorfer Brückenbau verunglückten Arbeiter, ebenso für die Hinterbliebenen Herm. Marggraff’s, der kritisch zuerst auf des jungen Rittershaus’ Erstlinge aufmerksam gemacht hatte, 1880 rührte er „Für Oberschlesien“, 1882 „Für die Nothleidenden am Rhein“, 1878 „Für die Ferien-Colonien“ die Leyer. Erstaunliche Energie entfaltete R. namentlich zu Gunsten seines hochverehrten Meisters Freiligrath, den er im Londoner Exil besuchte und nicht nur als ein dichterisches Vorbild, sondern auch als Rathgeber über seine öffentliche Stellungnahme betrachtete. R. erließ 1867 als Sprecher des rheinländisch-westfälischen Comités den zündenden „Aufruf für die Freiligrath-Dotation“, die rasch in Höhe von 62 000 Thalern zusammenkam, bewillkommete den Dichter auf dem Bielefelder Empfangsfest 18. Juli 1869 [677] namens der Heimath. Er verfaßte auch den Prolog, den Freiligrath’s Tochter Käthe ins Englische übertrug, zum damaligen New-Yorker Humboldtfest, wie er noch zwei Jahrzehnte später auf dem deutschen Sängerfest zu Chicago mit seinem deutschbrüderlichen Liede zum Wort gelangte.

Die verschiedenen Empfindungen aus Rittershaus’ nicht übermäßig bunter, aber innerlich reichhaltiger Skala drücken sich entsprechend den Lebensaltern ihres Ursprungs in den fünf Sammlungen seiner Lyrik außer den beiden freimaurerischen mannichfaltig aus. Den Grund seiner poetischen Anschauungen und Ausdrucksweise legten schon die „Gedichte“ in ihrer Erstausgabe der Früchte eines bereits vielfach lebenserfahrenen 22jährigen: ernste, tüchtige Ergüsse über zeitliche und ewige Dinge, frei und frisch und in der Regel optimistisch durchweht, seinen Braut- und jungen Ehestand preisend. Den wenigen erzählenden Stücken darin stehen zahlreichere unter den „Neuen Gedichten“ gegenüber, wo sich auch die vaterländische Ausbeute von 70/71 findet, im übrigen aber dieselbe Stimmung wie anderthalb Jahrzehnte früher vorwaltet, mag sich auch zum nicht mehr überwiegenden sangbaren Lied großstrophiger erhabenerer und pathetischer Stil gesellen, der großen Künstlern und Forschern, aber auch der vielgetreuen Hausfrau Hedwig gilt: Niemand anders steckt in der Zuleika, die in dem glühenden Cyklus nach dem Muster von Goethe’s „Westöstlichem Diwan“, wohl auch Bodenstedt’s „Mirza Schaffy“ regiert. „Am Rhein und beim Wein“ geräth R. in die Daseinsfreude und Lebenslust, die ihm, von Mutterseite her angeboren, auch praktisch gar wohl ansteht, und schwärmt oft heiter beim Glase Rebensaft, dessen Sorten er gleichsam in einem Brevier zu classificiren weiß, da und dort den Schalk köstlichster Laune im Nacken. Wer war berufener, das anmuthige Werk „Rheinlands Sang und Sage“ (1891) mit einem Leitgedicht auszustatten? Das schwerblütigere „Buch der Leidenschaft“ spiegelt brennendere Sehnsucht und heißere Seelenkämpfe wieder, jedoch ohne etwa erwartete realistische Anwandlungen, im Gegentheil scheint Nachempfundenes hier das Selbstdurchkämpfte in den Schatten zu stellen. Gottschall hebt darin mit Recht „Ein Reuiger“ und „Die Gerüchte“ als ergreifende Gemälde, „Die Abendglocken“, wo die Leidenschaft zu friedlichster Idylle beruhigt ist, als höchst anmuthig, ferner die jedes Sturms- und Drangs baren „Im Maimond“ und „Wär’ ich bei dir“ hervor. „Aus den Sommertagen“ quoll dann ein breiter Strom von Liedern und gemüthvollen Betrachtungen reifer Ideenfülle, die ihm geläufigen Beziehungen des Herzens und Hauses vervollständigend. Den Rahmen seines Stoffgebiets und seiner Auffassung verläßt er fast nie. Selten gestaltet er einmal ein – dann wohlgelungenes – sociales Lebensbild oder eine erzählende Nummer; er selbst urtheilte, in solchen sei ihm wenig Gediegenes aus der Feder gekommen, als beste jedenfalls „Der Henker“ und „Ein deutsches Herz“. Größere epische Dichtungen („Marie Stuart und Elisabeth“, „Der Maler“, „Thomas Münzer“) und Romane, so einen später geplanten humoristischen, ernstlich anzupacken, blieb ihm versagt; deren Fragmente sollen nie die Druckerpresse erblicken. Gesund, wahr, harmonisch ist R. als Dichter stets wie im Leben und er weist, obwohl Geibel’s Jünger und bei manchem Größeren in die Schule gegangen, viele eigene Töne und eine große Menge vortrefflicher reflectirender, keineswegs rhetorischer Gedichte und melodiöser Lieder auf. Eine ganze Reihe davon ist musikalisch bearbeitet worden, noch mehr vertrügen und verdienten es. Seine „Spruchperlen heiterer Lebenskunst“ (1893) ordnen Sprüche und Aussprüche aus Dichtermund in erquicklicher Auslese, wählen aber aus den eigenen vielen gehaltvollen nur neun. In jenen Sammlungen stehen an Zahl und Stärke die der Liebe im weitesten Umfange gewidmeten Gedichte voran, die bis zur Tendenz [678] allumfassenden Menschheits-Zusammenhanges aufsteigen. Das Innenleben breitet der Dichter ungeschminkt, doch in verklärendem Zauber der Hingabe an Fügung und Weltordnung aus, nie süßlich, nie wehklagend verloren. Vernünftige Freiheit verficht er, und „gut deutsch alleweg!“ klingts bei allen Anlässen aus seinem Munde. Die metrisch-rhythmische Form seines Dichtens hat sich allmählich ungemein vervollkommnet: in Versmaß, Reim und Strophenbau besiegte er mancherlei ihm anfänglich anhaftende Mängel und brachte es zu vorbildlicher Reinheit und Abwechslung, zu außerordentlichem Wohllaut, z. B. beim Refrain. Friedr. Kreyssig, der „die herrlichen Kriegs- und Siegeslieder“ von R. schon 1873, obwohl sie unter die besten rechnend, als „schon jetzt nahezu verklungen“ beklagt und seine poetischen Leistungen sogar unter diejenigen ersten Ranges zählt, die „ihren goldechten Klang nimmer verlieren werden“, meint in seinem letzten, eben R. geweihten Aufsatze, etwas überschwänglich von ihm, „dessen Stimmung in Gold und Azur strahlt“: „Die Virtuosität seiner Sprache, die leichte, freie Behandlung seines Reims wird von keinem Zeitgenossen übertroffen, von nicht mehr als vielleicht einem halben Dutzend erreicht.“ R. ist schon bei Lebzeiten warm und gerecht anerkannt und durch ausgedehnten Verkehr mit nennenswerthesten Litteraten und Künstlern in seinem gastlichen Heim wie auch brieflich die Uebereinstimmung des sympathischen Eindrucks seiner Persönlichkeit mit der Figur des Dichters, wie sie zwischen den Versen hervorlugt, bestätigt und in die deutschen Lande hinausgetragen worden. Sein markiges Wirken auf der Rednertribüne, sodann Verlegergeschick und eine günstige Empfänglichkeit der Zeit haben ein Uebriges gethan – doch war das ihm zugefallene Lob vollauf verdient; die schnelllebige Gegenwart hat dafür ihm schon manches Lorbeerblatt entrissen. Den Ruhm, die idealen Triebe deutscher Art geweckt und damit in poetischer Kunst ein durchaus volksthümlicher, wahrhaft deutscher Dichter geworden zu sein, darf ihm jetzt wie künftig kein noch so moderner Kritiker abstreiten.

Rittershaus’ Popularität einerseits, seine sociale und gewissermaßen culturhistorische Stellung als deutscher Hauspoet und „Rheinlands Sänger“ (wie er betitelt worden) andererseits neben der litterarhistorischen rechtfertigen ein genaueres Eingehen auf seine Entwicklung, seine Wirksamkeit, seine Leistungen. Die beiden kleinen Monographien „Emil R. Nach seinen selbstbiographischen Aufzeichnungen und nach Erinnerungen von Julius Rittershaus“ (1899) und „Emil R. Zur Enthüllungsfeier seines Denkmals in Barmen am 20. Juni 1900 allen seinen Freunden und Verehrern gewidmet von Lina Schneider“ (1900) ergänzen einander: der Sohn behandelt den Menschen, Vater, Freund, die gewandte Litteraturkennerin L. Schneider den Poeten und Wupperthaler. Essay über R. von Ferd. Hey’l i. Nord und Süd Bd. 52 (1890), S. 179/93 (vgl. ebenda Bd. 100, 1902, S. 10, bei Jos. Joesten, Zur Erinnerung an Fr. Roeber). Ausführlich behandeln ihn Alb. Herzog, Die neuere Litteratur im Wupperthale in Biographien und Charakteristiken (1888), bes. S. 90–112, 4 u. ö., und G. Köpper, Litteratur-Geschichte des rheinisch-westfälischen Landes (1899), S. 153–59 u. ö. (dieser aber ohne lebensvollere Porträtirung). Gründlicheres Lebens- und Charakterbild von G. Hörter im Biogr. Jahrbuch und Deutschem Nekrolog II, 327/32; K. L. Leimbach, Die deutschen Dichter der Neuzeit und Gegenwart IX, 67–69 (80). Brümmer, Lexikon d. deutschen Dichter des 19. Jahrh.5 III, 325 u. 544. Knappe Autobiographie bei Hinrichsen, Das literarische Deutschland² (1891), S. 1110. – Nachrufe: Rheinisch-Westfäl. Zeitung 1897, Nr. 69 (M. Lehrs); Kölnische Zeitung 1897, Nr. 216; Elberfelder Zeitung 1897, Nr. 57; W. Goldbaum, Neue [679] Fr. Presse 11692 (nach Sauer eine „temperamentvolle Ehrenrettung gegen die Literarhistoriker“ [von denen gerade die modernsten, wie Vogt-Koch, R. M. Meyer, Ed. Engel, R. ignoriren], mit ein paar ungedruckten Improvisationen); J. Prölß, Gartenlaube 1897, S. 226/8; H. v. Windeck (d. i. J. Joesten), Frankf. Zeitung 1897, Nr. 102 (mit 3 anziehenden Briefen); L. Jacobowski, Magazin für Litteratur 66, 361/68; K. Stelter, Gegenwart 51, 202/4; π, Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung 1897, Nr. 60; L. Salomon, Illustrirte Zeitung Bd. 108, 389/92; J. Schrattenholz, Rosegger’s Heimgarten Bd. 21, 829/35; Berliner Illustr. Zeitung VI, 361/8; Münch. Neueste Nachrichten 1897, Nr. 113. Andere Journalartikel: Hannoverscher Courier 10070 (7. Decbr. 1879); Barmer Zeitung 19. Juni 1900, 2. Blatt. Vgl. Frdr. Kreyssig, Litterarische Studien und Charakteristiken (1882), S. 13 u. 14 und Rob. König, Deutsche Literaturgeschichte25 II (1898), 380 und 344. Von Litterarhistorikern würdigen ihn ausführlich Hnr. Kurz IV, 306–8 (4, 24, 53), Gottschall7 III, 105 u. II, 665. Bildnisse u. a.: bei Kurz, Köpper, in den Nachrufen der Gartenlaube, Illustr. Zeitung, Berliner Illustr. Zeitung, den zwei Monographien, „Neuen Gedichten“, „Aus den Sommertagen“ (dies von Ludwig Knaus), „Bildende Geister“ (hg. v. Abshoff) I (1905), 196. – Vielerlei vereinzelte poetische Spenden Rittershaus’, besonders gelegenheitliche im wörtlichen Sinne, sind da oder dort gedruckt und nicht in den Sammlungen enthalten, eine lange Reihe ebensolcher überhaupt ungedruckt, mögen sie auch beim bestimmten Anlasse festerhebende, feiernde, begeisternde Wirkung gethan haben. Von seiner Prosa, die wohl nur Skizzen und Bilder litterarischer Persönlichkeiten seiner Periode oder weiteren Bekanntschaft betraf, dürfte fast nichts gedruckt sein, außer den theilweise scharfen Artikeln, die er seit 1852 für Rob. Prutz’ „Deutsches Museum“ als „Correspondenzen aus dem Wupperthal“, sowie den in jener Früh- und Drangzeit im „Bremer Sonntagsblatt“ u. a. Zeitungen erschienenen wenigen Aufsätzen, Kunstberichten für „Ueber Land und Meer“, Referate für deutsch-amerikanische Zeitungen und Recensionen über das Elberfelder Stadttheater: dies alles in den 50er bis in die 60er Jahre. So bedarf es denn nicht der ausdrücklichen, übrigens irreführenden Versicherung Martin Maack’s in seinem Compendium „Die bekanntesten deutschen Dichter der Gegenwart“ (1895), S. 37, der als „Urtheile anderer Autoren über Rittershaus“ nur einen Satz aus Meyer’s Konversations-Lexikon und folgenden eigenen hinzuzusetzen weiß: „Als Prosaschriftsteller hat sich R. nur in feuilletonistischer Form versucht, sonst ist er der erzählenden Dichtung fast gänzlich fern geblieben“; vielmehr kommt er auf diesen beiden Gebieten ernstlich nicht in Betracht. 1877 wurden des geliebten Jugendgenossen „Carl Siebel’s Dichtungen. Gesammelt von seinen Freunden. Herausgegeben von Emil Rittershaus“.

[673] *) Zu S. 405.