ADB:Reitemeier, Johann Friedrich

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Artikel „Reitemeier, Johann Friedrich“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 154–159, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reitemeier,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:16 Uhr UTC)
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Reitemeier: Johann Friedrich R., Rechtsgelehrter, ein Mann von ausgezeichneten Anlagen und bester Schulung, dessen umfassende Thätigkeit und Gedankenoriginalität durch eigene Verschuldung in Charakter und Lebensführung fast fruchtlos bleiben sollte, so daß sein Name heute schon fast verschollen, seine persönliche Geschichte in theilweise nicht mehr aufklärbares Dunkel verfallen ist, wurde geboren zu Göttingen 1755, erhielt dortselbst seine gelehrte Vorbildung und studirte sodann an der dortigen Universität zunächst Philologie unter Heyne, von dessen tiefwirkendem Einflusse auf ihn alle seine Werke zeugen, wie er denn auch selbst diesem seinen Lehrer seine Dankbarkeit auch noch in spätesten Schriften auszusprechen liebt. Er hat demgemäß als Philologe nicht Unerhebliches geleistet; so ist seine Ausgabe des Zosimus, griechisch und lateinisch, noch jetzt in Fachkreisen geschätzt und seine Geschichte des Bergbaues bei den Alten eine für ihr Gebiet grundlegende Studie. Als er nun von der Philologie zum Studium der Jurisprudenz überging, nahm er als dauernden Gewinn mit hinüber eine gründliche Kenntniß und Auffassung des Alterthums, welche ihm den Blick nicht bloß für die Entwicklung des Römischen Rechts, sondern überhaupt für historische Processe so erschloß, daß er daraus für die Gruppirungen und Würdigung der rechtsgeschichtlichen Ereignisse auch der mittleren und neuen Zeit reichen Gewinn ziehen sollte. Lediglich schon durch diesen Standpunkt erschien er den Rechtsgelehrten seiner Zeit fachlich ebenso überlegen, wie äußerlich durch den wohlgepflegten und philologisch durchgebildeten Stil der Darstellung; wie sich dies sofort erwies, als er unmittelbar nach Erlangung des Doctorhutes (1783) seine ersten kleineren juristischen Arbeiten veröffentlichte. Wohl selten hat ein Erstlingsproduct so allgemeine Beachtung und schmeichelhafte Anerkennung seitens der öffentlichen Kritik gefunden, wie solche besonders seinem „Conspectus iuris Romani“, 1784, entgegengebracht worden sind; den großen Erwartungen, welche man bei dieser Gelegenheit in ihn zu setzen allgemein erklärt hatte, entsprach er bereits im [155] folgenden Jahre 1785 mit seiner „Encyclopädie und Geschichte der Rechte in Deutschland“, demjenigen seiner Werke, welches zu einer bleibenden litterarhistorischen Wirksamkeit gelangt ist dadurch, daß es zum ersten Male die synchronistische Methode nicht nur für die äußere, sondern auch für die innere Rechtsgeschichte anwendete, ein Verfahren, welches sogleich nicht bloß von Tafinger (1780) u. A., sondern vor allen auch von Hugo (1790) unter ausdrücklicher Hervorhebung der Vorgängerschaft Reitemeier’s adoptirt wurde. Jedoch gibt diese in die bibliographischen Uebersichten unserer Rechtsgeschichten tralaticisch übergangene Notiz nur einen geringen Begriff von dem betreffenden Buche, wie denn ja auch die bloß äußerlich synchronistische Eintheilung ein „Fortschritt“ von sehr zweifelhaftem Werthe wäre; der wahre Werth der Reitemeier’schen Arbeit liegt vielmehr in der innerlichen Auffassung des Umstandes, daß die Fort- und Durchbildung des Rechts Hand in Hand geht mit der politischen und Culturgeschichte, einer lebendig organischen Auffassung, welche in dem Synchronismus und seiner Periodisirung nur ihren nächstliegenden Ausdruck gefunden hat. Die Energie und der historische Scharfblick, mit welchen R. in den geschichtlichen Abschnitten der Encyclopädie für die ganze durchmessene Zeit von der Gründung Roms bis auf seine Tage den Zusammenhang herstellt zwischen dem Rechtsleben einerseits, und dem ökonomischen, politischen, culturellen Staatsleben andererseits, berechtigen ihn dazu, einen hervorragenden Platz als Vorläufer und Gesinnungsgenosse der historischen Rechtsschule in Anspruch zu nehmen; fast möchte man meinen, es hätte nur noch einer theoretischen Formulirung der praktisch, wennschon vielleicht noch rudimentär hier befolgten Methode bedurft, um unsern R. sogar statt Hugo’s oder Savigny’s zum Begründer einer neuen Epoche in der Rechtswissenschaft zu machen; auch hat es nicht an Zeitgenossen gefehlt, welche ihm, in ausgesprochener Gegnerschaft gegen Hugo, einen solchen Ruhm zusprechen wollten (s. „Ein letztes Wort über Göttingen“, a. a. O.); allein wirklich so weit zu gelangen haben ihm zwei Hindernisse verwehrt. Zunächst die Unterwürfigkeit, in welcher er noch zu den Anschauungen des Naturrechts steht, so daß er das Hauptgewicht legt auf die philosophirenden Abschnitte der Encyclopädie und vor allem auf die dort von ihm vorgetragene Unterscheidung zwischen „natürlichem“ und „allgemeinem positiven Recht“, durch welche er sich bemüht, seine geschichtlichen Ueberzeugungen mit den Traditionen des Naturrechts in Einklang zu setzten, indem er sondern will zwischen solchen Rechtssätzen, welche überall gleichmäßig durch die Natur des Rechts gelten und solchen, welche sich überall nach Gesittung, Culturzustand u. dgl. m. verschieden zu gestalten haben und in Bezug auf welche letztere er daher für jede Stufe je ein „positives allgemeines Recht“ construirten möchte. Läßt sich nun auch nicht leugnen, daß einer solchen Unterscheidung eine entwicklungsfähige Idee zu Grunde liegt, wie denn vielleicht die rechtsphilosophische Reaction unsrer Tage gegen die lediglich geschichtliche Auffassung auf etwas derartiges hin gravitiren dürfte; so tritt doch hier noch Alles dermaßen in der Form und Denkschablone des ausgeprägtesten Naturrechts auf, daß schon deshalb eine neue Schule, welche stets einen kräftigen, bewußten Gegensatz zu und Bruch mit dem Alten voraussetzt, daran anschließend sich nicht entwickeln konnte. Der zweite Grund, in Folge dessen R. an die Spitze der Bewegung zu treten nicht in der Lage war, ist die hier uns schon andeutungsweise, in den späteren Schriften immer mehr entgegentretende Eilfertigkeit, Hast, Unstätigkeit und Unfertigkeit des Mannes, welche in Verbindung mit unglücklichem Charakterhange zur Aufregung und wohl auch der Wirkung Anfangs zu reichlich genossener Lobeserhebungen ihn veranlassen, erst gestellte Aufgaben als gelöst zu betrachten, sich mit dem Reichthum der Gedanken über Armuth und Lücken des Stoffes hinwegzutäuschen, lieber in allgemeinen Zügen der geschichtlichen Entwicklung sich zu nähern, als sie in ihren Einzelheiten zu studiren und zu erfassen; so daß [156] gerade diejenige Anregung, durch welche die historische Schule vor allem segensreich gewirkt hat, die Anregung zum liebevollen Eingehen auf die Einzelheiten der Rechtsgeschichte, hier keinerlei Anhalt finden konnte; in dieser Beziehung steht Hugo weit über R., wennschon bei Letzterem die Begabung wol die mächtigere, weitfassendere gewesen sein mag. Trotz ihrer Schwächen, vielleicht wegen ihrer mit der herrschenden Richtung transigirenden Schwächen machte die Encyclopädie einen gewaltigen Eindruck; die nächste Folge war, daß ihr Verfasser, welcher 1783–1785 als Privatdocent in Göttingen gewirkt hatte, einen Ruf als ordentlicher Professor nach Frankfurt a. d. O. erhielt; die durch seinen Abgang in Göttingen entstandene Lücke ist dann dort durch Berufung eben Hugo’s ausgefüllt worden. In Frankfurt, wo er sich zunächst ohne schriftstellerische Thätigkeit seinem Amte und dem Studium widmete, auch 1790 zum königl. preußischen Legationsrathe ernannt wurde, erhielt Reitemeier’s reicher und beweglicher Geist dadurch neue Anregung, daß er dem Leben und Organismus des preuß. Staates nahetrat, und da muß es als deutliches Zeichen seiner überlegenen geschichtlichen Begabung und seines Scharfblickes gelten, wenn ihm sofort der Sinn aufging für die Bedeutung und die große Zukunft dieses Staatswesens, welches er doch in seiner traurigsten Verfassung, der unmittelbar der Katastrophe von 1806 vorangehenden Epoche der Zersetzung und Auflösung, kennen lernte. So widmete er sich zunächst Untersuchungen über die politische Geschichte Preußens und ließ die Ergebnisse derselben in einer zweibändigen „Geschichte der preußischen Staaten vor und nach ihrer Vereinigung zu einer Monarchie“, 1801–1805 ans Licht treten, eine rein historische Arbeit, welche trotz ihrer Unvollständigkeit und „eigenthümlichen Anlage“ von späteren Bearbeitern desselben Stoffes (z. B. Helwing) ehrende Anerkennung gefunden hat, besonders in Bezug auf die hier zum ersten Male versuchte Würdigung der Culturmission Preußens in den slavisch-deutschen Gegenden des Nordostens. – Gleichzeitig aber wendete er sich der preußischen Gesetzgebung zu und ward von der Vortrefflichkeit derselben, wie sie besonders im Allgemeinen Preußischen Landrecht vorlag, so durchdrungen, daß er die Idee faßte, auf dieselbe ein allgemeines Gesetzbuch für ganz Deutschland zu gründen. Einen ausführlich motivirten Vorschlag dieser Art machte er in einer eigenen Schrift „Ueber die Redaction eines deutschen Gesetzbuches“ 1800, in welcher er sich weiter über Verfahren, Quellen, Eintheilung, volksmäßigen Ton u. dgl. m. verbreitet, wie sie ein Privater anzuwenden hätte bei dem Versuche, aus den vorhanden Materialien ein für ganz Deutschland subsidiär anwendbares Gesetzbuch herzustellen; ein kleines Beispiel ließ er sogleich nebenhergehen in seiner Darstellung der Abschoßgerechtigkeiten in Preußen und Deutschland; weiter aber schritt er unerschrocken zur eigentlichen Ausführung seines Programmes vor und 1801, 1802 erschienen die drei ersten Bände eines „Allgemeinen Deutschen Gesetzbuches“, welche, einem eigenthümlichen neu erdachten System folgend, große Partien des öffentlichen Rechts, zumeist Civil- und Criminalproceß, enthalten; die betreffenden Titel und Paragraphen sind zum geringeren Theile den Formeln des Naturrechts oder der allgemeinen deutschen Praxis, zum weit größeren Theile, besonders in allen positivrechtlicheren Bestimmungen, den preußischen Gesetzen, vielfach wörtlich, entnommen. So nahe war R. der Idee des preußischen Uebergewichts in Deutschland getreten; dennoch muß es uns überraschen und ihn uns fast als eine Art Seher erscheinen lassen, wenn wir schließlich finden, daß er in einer 1814 veröffentlichten, „Eine Betrachtung über Schutzvereine“ betitelten Studie über Deutschlands politische Vergangenheit und Zukunft geradezu einem preußischen Kaiserthum (allerdings nur über Norddeutschland) das Wort redet; ein Festhalten an dem einmal für richtig Erkannten, welches ihm um so höher angerechnet werden muß, als er inzwischen den preußischen Dienst in bitterem [157] Unfrieden verlassen hatte. Die Veranlassung dazu hat man wol in einer Streitigkeit zu vermuthen, in welche er sich verwickelt hatte, dem ersten Gliede einer langen Reihe von üblen Händeln, in welchen wir ihn nun immer häufiger treffen, und welche, regelmäßig mit collegialen oder ähnlichen Reibereien beginnend, bei der leidenschaftlichen Art des Mannes sich ebenso regelmäßig zu bedenklichen Injurienprocessen steigern. Wie über die meisten derselben, so auch über diesen ersten ist es außerordentlich schwer nur irgend welche Klarheit zu gewinnen, da die Acten, hier z. B. die des Berliner Kammergerichts, schon cassirt oder, z. B. die später in Betracht kommenden dänischen, mir unzugänglich sind, so daß man auf kurze Berichte der Zeitgenossen oder eigene wildparteiische Darstellungen angewiesen ist. Die Frankfurter Angelegenheit scheint ihren Anlaß darin gehabt zu haben, daß R. gegen eine an der dortigen Universität entdeckte geheime Verbindung schroffer als seine Collegen die Strenge des Gesetzes anzuwenden beabsichtigte; als diese ihm deshalb die Acten entzogen, erfolgte Beschwerde seinerseits beim Minister, welche abschlägig beschieden wurde; in einer Revisionsschrift ließ er sich sodann zu schweren, wennschon in eine bedingte Form gekleideten, Beleidigungen gegen den Justizminister v. Massow und andere höchste Staatsbeamte fortreißen; in dem deshalb gegen ihn anhängig gemachten Injurienproceß erging verurtheilendes kammergerichtliches Erkenntniß am 25. November 1808 und eine Beschwerde gegen dasselbe wurde am 23. September 1809 abgewiesen; die Execution aber mußte im Wege der Arrestanlage an sein in Preußen zurückgelassenes Vermögen eingeleitet werden, da er bereits 1805 einen an ihn aus Kiel gelangten Ruf angenommen und sich unverzüglich dorthin begeben hatte, wo er nunmehr als königlich dänischer Professor und, ein Jahr später, auch Etatsrath verweilte. In Folge seiner eben um jene Zeit entstandenen zahlreichen Schriften, welche außer den bedeutenden schon aufgeführten theils culturhistorischer, theils rechtsphilosophischer Natur sind, erfreute er sich damals einer solchen Werthschätzung, daß ihm selbst die durch Vermittlung der dänischen Behörden erfolgten Zustellungen wegen des in Preußen schwebenden Verfahrens nicht zu schaden vermochten; auf die akademische Jugend muß er eine starke Anziehung ausgeübt haben, wenigsten will A. W. Cramer (s. A. D. B. IV, 546) nach eigener bescheidener Angabe mit ihm nur dadurch „haben Schritt halten können“, daß R. „nicht las, um Zeit zu gewinnen, den Ruf der Universität durch Schriften zu glorificiren“, wie er denn auch aus diesem Grunde 1807 officiell vom Halten von Vorlesungen entbunden wurde. Trotzdem kam es auch hier wieder zu Händeln zwischen ihm und seinen Collegen; und der Injurienproceß vor dem holsteinischen Obergericht, zu welchem diese führten, endete mit seiner Verurtheilung zu einer Brüche (Geldstrafe) von 100 Thalern; dieselbe wurde allerdings durch (bei den Kielern Facultätsacten befindliches) königl. Schreiben vom 23. Januar 1811 ihm im Gnadenwege erlassen, er aber gleichzeitig durch dasselbe seiner Professur, wennschon allergnädigst und unter Gewährung des vollen Gehalts als Pension, entlassen. In gelehrter Muße, hautsächlich mit Abfassung staatsrechtlicher Brochüren, wie der schon erwähnten über die europäischen Schutzbündnisse und ähnlicher beschäftigt, lebte er nun in Kopenhagen, bis er dort abermals und dieses Mal in unangenehmster Weise mit dem Injurienrichter in Conflict gerieth. Eine ihn persönlich gar nicht berührende Angelegenheit war es jetzt, welche die Veranlassung bot, nämlich die Proceßsache eines Landsassen Kühl wider die gräflich Ranzauische Fideicommißadministration; indem R. sich des, wenn seinen Schriften irgend welcher Glauben zu schenken ist, wirklich übel gefahrenen Kühl lebhaft annahm, ließ er sich in einer für Letzteren abgefaßten Proceßschrift Beleidigungen der schleswig-holsteinisch-lauenburgischen Kanzlei zu Schulden kommen, wegen deren er vom höchsten Gericht [158] in die infamirende Dreimarksbrüche verurtheilt und als Etatsrath cassirt wurde; und als ihn nun gar die Leidenschaft fortriß, auch gegen dieses höchste Gericht seiner scharfen Feder freiesten Lauf zu lassen, ward er von einer zur Untersuchung dieses Verbrechens allerhöchst ernannten Commission 1822 zu fünfjähriger Karrenstrafe verurtheilt. – Gegen dieses Urtheil legte er die Appellation ein, auf welche ein aus außerordentlichen Assessoren bestehendes höchstes Gericht ernannt wurde, um diese Sache in letzter Instanz zu entscheiden; über den weiteren Verlauf derselben ist es mir nicht gelungen, irgend etwas Bestimmtes zu erkunden; überhaupt ist Reitemeier’s Leben von diesem Augenblicke an und besonders für die nächsten Jahre zu verfolgen mir trotz aller Bemühungen unmöglich gewesen; sicher ist nur, daß aus dieser Epoche eine Reihe von Pamphleten herrühren, in welchen er, während seine eigentlich wissenschaftliche Thätigkeit seit ungefähr 1818 vollständig versagt, sich immer ungebundener über alle Staatsbehörden äußert, an welche er diese, meist ohne Angabe von Drucker und Verleger erschienenen Schriftchen in Form von Protesten u. dgl. adressirt. Dieselben machen in ihrer bunten Mischung von Allgemeinem und Persönlichem, von Reformvorschlägen und Schmähungen, von berechtigtem Tadel über die Heimlichkeit des schriftlichen Strafverfahrens und unberechtigten Invectiven gegen die handhabenden Behörden einen um so traurigeren Eindruck, als sie mit alter Kunst geschrieben sind und gelegentlich selbst aus ihnen der alte Geist uns entgegenleuchtet; in derartigen Machwerken, hoffnungslosen Reclamationen, Anpreisungen haltloser Reformen, um Andere vor dem Schicksale zu retten, welches er für ein ihm ungerechter Maßen bereitetes hielt, erschöpft sich jetzt die Thätigkeit desjenigen, der sich einst als berufenen Gesetzgeber ganz Deutschlands angesehen hatte; wenigstens aber besitzt er immer noch genügende Energie, um selbst während der schweren dänischen Processe sich, gelegentlich der preußischen Justizrevision, mittels einer Immediateingabe um Wiederaufnahme der alten Frankfurter Angelegenheit zu bemühen, und als ihm eine solche natürlich, durch Justiz-Ministerialrescript de dato Berlin, 26. Juni 1826, abgeschlagen wurde, sich abermals 1827 in einer längeren Druckschrift an den preußischen Justizminister Dankelmann deshalb zu wenden. Aus dem folgenden Jahre 1828 erfahren wir wenigstens wieder etwas über seine persönliche Existenz, daß er nämlich nach Kiel zurückkehrte, und weiter erhalten wir die Nachricht, daß er unterm 27. August 1829 wegen frevelhafter Schmähungen wieder die Justizverwaltung und die höchsten Behörden und Beamten in Dänemark zu dreijähriger Festungshaft nebst Kostenerstattung verurtheilt wurde, ohne nähere Angabe über Veranlassung oder erkennendes Gericht, so daß die Annahme nahe liegt, es sei dies die endliche Entscheidung der Kühl’schen Sache mit einer immerhin gegen das erstinstanzliche Urtheil wesentlich gemilderten Strafe. Wie dem auch sei, ob das Erkenntniß von 1829 nun in der alten oder in irgend welcher neuen uns weiter gar nicht bekannten Verfolgung gegen R. ergangen ist, jedenfalls wußte er sich der Vollstreckung durch die Flucht zu entziehen, auf welcher er sich, wahrscheinlich unmittelbar, nach Hamburg begab, wo wir ihn wenigstens in den dreißiger Jahren antreffen, ohne daß über sein Leben dort etwas Weiteres bekannt wäre, als daß er von Kiel hinter ihm her erlassenen Monitorien, welche ihn unter Androhung schwerer in sein dort zurückgebliebenes Vermögen vollstreckbarer Geldstrafen zur Rückkehr behufs Strafantritt auffordern, Folge eben nicht zu leisten vorzog. So wird er wol seine letzten Jahre wenigsten ruhig und still in Hamburg verlebt haben; auch litterarisch verlautet von da ab nichts mehr von ihm; schließlich scheint doch selbst seine Willenskraft im Kampfe um sein vermeintliches Recht durch die Furcht, auch sein letztes Asyl zu verlieren, oder durch die Verzweiflung an jeglichem Erfolge, oder auch einfach durch das hohe [159] Alter gebrochen worden zu sein; ein 84jähriger Greis ist er nach Ausweis der Hamburger Kirchenregister in der Michaelispfarre (Neumannstr. 1) am 28. Aug. 1839 verstorben, vergessen und längst überholt in der wissenschaftlichen Entwicklung, als deren Vorläufer er einst geglänzt hatt.

Pütter, Göttinger Gelehrten-Geschichte II, 104. – Saalfeld, Fortsetzung zu Pütter, S. 223, Nr. 8. – Weidlich, Geschichte der jetzt lebenden Rechtsgelehrten 4, 170 (1785). – Neuer Nekrolog der Deutschen, Jahrgang 1839, 2. Theil, S. 841 f. – Kritische Jahrbücher für Deutsche Rechtswissenschaft, von Richter und Schneider, Jahrgang 1840, Miscellen, 3 Todesfälle. – Lübker und Schröder, Lexikon der Schleswig-Holstein-Lauenburg’schen und Eutin’schen Schriftsteller bis 1829, Nr. 943. – Schröder, Nachträge zu dem Vorigen, Nr. 943. – Alberti, Lexikon der Schleswig-Holstein’schen etc. Schriftsteller von 1829 bis Mitte 1866, Nr. 1743. – Poggendorff, Biographisch-Litterarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften II, 601. – Letztes Wort über Göttingen und seine Lehrer (anonym, von dem Kieler Privatdocenten Makensen) S. 28 f. – Hugo, Lehrbuch der Geschichte des Römischen Rechts seit Justinian, dritter Versuch (1830) S. 581 f. – A. W. Cramer, Hauschronik, S. 73. – Ernst Helwing, Geschichte des brandenburgischen Staates bis zum Anfange des dreißigjährigen Krieges I, Vorrede S. XIII. – Zimmern, Geschichte des Römischen Privatrechts I, 2. – Staatsbürgerliches Magazin, mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig-Holstein und Lauenburg, herausgegeben von F. C. Carstens und und Dr. N. Falck, Bd. 2 (1823), erstes Heft, Chronik, S. 237. – Ratjen, Geschichte der Universität Kiel, S. XVIII u. 164. – Außerdem gefällige schriftliche Mitheilungen: aus Berlin von Herrn Geheimrath Stölzel (Kammergerichtsacten); aus Kiel von den Herren Oberlandsgerichtspräsidenten Florschütz (Holstein’sche Acten), Professor Schloßmann (Facultätsacten) und Dr. Alberti (Universitätsbibliothek); aus Hamburg von Herrn Dr. R. Kayser (Kirchenregister).