ADB:Quenstedt, Johann Andreas

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Artikel „Quenstedt, Johann Andreas“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 35–37, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Quenstedt,_Johann_Andreas&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 20:13 Uhr UTC)
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Quenstedt: Johann Andreas Q., lutherischer Theolog des 17. Jahrhunderts, geboren am 13. August 1617 zu Quedlinburg, † am 22. Mai 1688 in Wittenberg. – Von väterlicher und mütterlicher Seite gehörte er einem Quedlinburger Patriciergeschlechte an: sein Vater war Ludolf Q., Kanonikus von Halberstadt, seine Mutter Dorothea geb. Gerhard, eine Schwester des berühmten Jenenser Theologen Johann Gerhard (s. A. D. B. VIII, 500). Anfangs von Privatlehrern unterrichtet, besuchte er später vier Jahre das Gymnasium seiner Vaterstadt und war eben im Begriff, unter Leitung seines mütterlichen Oheims sein theologisches Studium in Jena zu beginnen, als Gerhard starb (20. August 1637). Um bei den obschwebenden Kriegsunruhen ihren Sohn möglichst in der Nähe zu behalten, schickte ihn seine ängstlich besorgte Mutter jetzt nach der nächstgelegenen, wenngleich damals bereits im Verdacht der Heterodoxie stehenden Universität Helmstedt.[WS 1] Sechs Jahre verbrachte er hier, 1637–44, als Zuhörer von Georg Calixt, als Tischgenosse von Konrad Hornejus, als gelehriger Schüler und Gesinnungsgenosse beider. Nachdem er 1643 zu Helmstedt Magister geworden und Vorlesungen über Geographie gehalten, kehrte er auf den Wunsch seiner Eltern nach seiner Heimath Quedlinburg zurück, wo er eine Zeitlang mit theologischen Privatstudien und mit Predigen sich beschäftigte. Zur Fortsetzung seiner Studien geht er 1644 nach Wittenberg, wo man den Schüler Helmstedts anfangs nicht ohne Mißtrauen empfing. Doch findet er bei Wilhelm Leyser,[WS 2] einem Schüler und Schützling Johann Gerhard’s, freundliche Aufnahme als Haus- und Tischgenosse, wird von ihm wie ein Sohn gehalten, privatim informirt und ihm die Benutzung seiner Bibliothek gestattet. Weichen Gemüthes wie er war, wurde er bald durch die Wittenberger Gnesiolutheraner Martini, Röber,[WS 3] Leyser, Hülsemann für die dort herrschende streng orthodoxe Richtung gewonnen und in Wittenberg festgehalten. Er las zuerst mit großem Eifer und Beifall über Geographie, Moral, Metaphysik, wurde [36] 1646 Adjunct der philosophischen Facultät, 1649 aber außerordentlicher Professor der Theologie, 1650 Dr. theol., 1660 vierter, 1662 dritter, 1684 zweiter Ordinarius, 1686 nach Calov’s Tod professor primarius der Theologie und Propst an der Stiftskirche, auch Consistorialassessor und Ephorus der Alumnen. Aber schon damals war seine körperliche und geistige Kraft durch Kränklichkeit und Hypochondrie gebrochen: nach zwei Jahren erlag er seinen Leiden im 71. Lebensjahre. Er war dreimal verheirathet, zuerst 1650, dann nach fast zweijähriger Trauerzeit 1653, endlich zum dritten Mal 1656 mit der Tochter seines Wittenberger Collegen D. Scharf, die ihn mit 12 Kindern beschenkte; seine Tochter Johanna wurde 1684 die sechste Gattin des 72jährigen Theologen Abraham Calov (s. A. D. B. III, 714).

Quenstedt’s Schriften sind zahlreich (nach dem Verzeichniß bei Jöcher-Rotermund im Ganzen 71), aber meist von kleinem Umfang: sie sind theils theologischen (bes. exegetischen, dogmatischen, pastoral-theologischen), theils allgemeinen, archäologischen und litterarhistorischen Inhalts, z. B. eine Abhandlung „De Sepultura veterum s. de antiquis ritibus sepulcralibus“ 1648 und öfter gedruckt, „Dialogus de patriis illustrium doctrina et scriptis virorum“, 1654 u. ö., „Antiquitates biblicae et ecclesiasticae“, 1688, 1695. 4°. Weitere Titel siehe bei Rotermund a. a. O. Im Grunde ist es ein einziges Werk, welches den Ruhm Quenstedt’s in der Geschichte der lutherischen Theologie begründet hat, die reife Frucht einer mehr als 30jährigen Lehrthätigkeit, seine „Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum in duas sectiones didacticam et polemicam divisum“, erwachsen aus seinen Vorlesungen über das dogmatische Compendium des Rostocker Theologen Johann Friedrich König (s. A. D. B. XVI, 515), erschienen 1685 zu Wittenberg in einem stattlichen Folioband (2. Ausg. Wittenberg 1691; 3. Ausg. 1696; später in 2 Bänden Leipzig 1702 und 1715). In diesem Werke, das eine ganze dogmatische Bibliothek repräsentirt, hat der nicht eben geistvolle oder originelle, aber musterhaft fleißige und gelehrte, gründliche und gewissenhafte Mann als „Buchhalter und Schriftführer der lutherischen Orthodoxie“ und „Rüstmeister der lutherischen Polemik des 17. Jahrhunderts“ Alles zusammengetragen, was die altlutherischen Dogmatiker von L. Hutter bis auf A. Calov an didaktischem und polemischem Material zur Begründung der lutherischen Kirchenlehre und zur Widerlegung der Gegner erarbeitet hatten. So bildet das Werk durch die orthodoxe Correctheit seines Inhalts wie durch seine schematisch-schulmäßige Methode, durch die formalistisch-secirende Analyse der orthodox-lutherischen Kirchenlehre wie der gegnerischen Ansichten, freilich auch durch den Mangel an biblischer und geschichtlicher Kritik den Höhepunkt aber auch Schlußstein der altlutherischen Dogmatik und dogmatischen Scholastik, – dasjenige Werk, in welchem, nachdem bereits der Auflösungsproceß begonnen, der altorthodoxe Lehrbegriff sich noch einmal zusammenfaßt und abschließt. So scholastisch aber auch die Form seines Systems, so unerbittlich seine wider jede scheinbare oder wirkliche Heterodoxie geübte Polemik in diesem seinem Lebenswerk erscheint, so hat er doch selbst vor dem Uebermaß scholastischer Spitzfindigkeit gewarnt und in der Bekämpfung der Gegner Milde mit der Strenge zu verbinden empfohlen. Ihm selbst aber wird von den Zeitgenossen das Lob der moderatio, prudentia, lenitas und insbesondere der aphilargyria ertheilt, und in der That erscheint er in Allem, was wir von seinem Privatleben wissen, als ein frommer, anspruchsloser, milder und wohlwollender Mann, wenngleich es ihm bei seiner natürlichen Schüchternheit, Weichheit und zunehmenden Kränklichkeit in seiner streitsüchtigen Umgebung und besonders in seinem collegialen und verwandtschaftlichen Verhältniß zu dem streitsüchtigsten [37] aller lutherischen Theologen, A. Calov, gewiß nicht leicht wurde, jene von ihm selbst empfohlene Milde und Moderation allzeit zu bewahren.

Mehr noch als in seinem dogmatischen Hauptwerk, der „Theologia didactico-polemica“, kommt seine eigene Geistesrichtung und Gemüthsstimmung zum Ausdruck in seinem ethisch-pastoral-theologischen Werke unter dem Titel „Ethica pastorum et instructio cathedralis s. monita omnibus munus concionatorium ambientibus necessaria“. Wittenberg 1678. 8°. 3. Aufl. 1708, welches eine große Zahl durchaus verständiger und wohlgemeinter praktischer Rathschläge für theologisches Studium und geistliche Amtsführung enthält, und worin sich eine gewisse Verwandtschaft mit der Arndt-Spenerischen Richtung nicht verleugnet, wie denn auch von seinen Schülern bezeugt wird, daß er ihnen die Erbauungsbücher von Johann Arndt, Joachim Lütkemann, Heinrich Müller zur Privatlectüre eindringlich empfohlen habe.

Vgl. über sein Leben und seine Schriften: A. Sennert, Leichenrede, abgedruckt in Pipping, Memoria theol. S. 229 ff. – Erdmann, Lebensbeschr. der Wittenb. Prof. und Biogr. der Pröpste von Wittenb. S. 15. – Niceron, Theil 20, S. 130 f. – Schröckh, chr. K. G. s. der Ref. 8, 12. – Tholuck, Wittenb. Theologen. S. 214 ff. – Real-Enc. für prot. Theol. 2. Aufl. XII, 455. – G. Frank, Gesch. der protest. Theologie II, 30. – Gaß, Geschichte der prot. Dogmatik. I, 357 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Universität Helmstedt (Academia Julia) bestand von 1576 bis 1810.
  2. Wilhelm Leyser (1592–1649), in der ADB bei seinem Vater Polykarp Leyser d. Ä. erwähnt
  3. Paul Röber, 1587–1651