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Artikel „Pipping, Heinrich“ von Gotthard Lechler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 168–171, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pipping,_Heinrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 16:28 Uhr UTC)
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Pipping: D. Heinrich P., ein hervorragender Kirchenmann am Schluß des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts, wurde am 2. Januar 1670 zu Leipzig geboren, als Sohn des aus Gera stammenden Handelsherrn und Oberältesten der Tuchhändlerinnung, Jakob Pipping; die Mutter war eine geborene Mohr. Nachdem Heinrich durch Privatlehrer im Vaterhause den ersten Unterricht erhalten hatte, wurde er auf der Nicolaischule zur Universität vorbereitet, und bezog die Universität seiner Vaterstadt im J. 1686. Nun hörte er philosophische Vorlesungen bei den Professoren Alberti, Rechenberg, Otto Mencken und anderen. Schon im Juni 1687 vertheidigte er eine selbstverfaßte Dissertation „De curioso novitatis studio“, unter dem Vorsitz des Prof. Westphal mit Beifall, promovirte im folgenden Jahre zum Magister, und habilitirte sich noch im gleichen Jahr. Nun warf er sich auf die Theologie, begab sich aber zu diesem Behuf zunächst nach Wittenberg, hörte die Vorlesungen von Caspar Löscher, Deutschmann, Quenstedt und anderen Professoren, und schloß sein dortiges Studium mit einer Disputation unter D. Löscher’s Vorsitz am 11. September 1688 „De Saule per Musicam curato“. Jetzt kehrte er nach [169] Leipzig zurück, und setzte das theologische Studium fort unter den Professoren Valentin Alberti, Joh. Olearius, Joh. Benedict Carpzov und Gottlob Friedr. Seeligmann, während Rechenberg und Ittig seine Lehrer in der Kirchengeschichte waren. Zugleich übte er sich fleißig im Predigen und Disputiren, hielt auch einige Vorlesungen, wozu er als Magister berechtigt war. Er hatte erst das 23. Jahr erfüllt, als ihn der Magistrat seiner Vaterstadt zum Sonnabendsprediger und Subdiaconus zu St. Thomä berief (1693); sechs Jahre später (1699) wurde er zum Mittagsprediger und Diaconus an derselben Kirche, 1702 zum Vesperprediger an St. Thomä befördert. Aber neben seinen geistlichen Aemtern, die er mit großem Erfolg bekleidete, hielt er auch Vorlesungen an der Universität und gab einige gelehrte Abhandlungen heraus, promovirte zum Baccalaureus der Theologie, und war als Mitarbeiter an den Acta Eruditorum thätig. Als er zum Diaconus befördert war, verehelichte er sich im J. 1700 mit Johanne Katharine Seeligmann, einer Tochter des damaligen Pastors der Thomaskirche und Professors der Theologie D. Gottlob Friedrich Seeligmann, welcher nachher Oberhofprediger in Dresden wurde. Seine Gattin schenkte ihm fünf Kinder, von welchen zwei in frühester Kindheit starben, drei ihn überlebten. Sein Sohn Gottlob Heinrich studirte Theologie und war schon Magister; aber nach des Vaters Tode studirte er noch die Rechte, und wurde, nachdem er in Dresden und Naumburg als Rechtsanwalt thätig gewesen war, Bürgermeister in Naumburg. Die Gattin überlebte ihren Gemahl, lebte noch 11 Jahre als Wittwe in Dresden, wo sie 1734 starb. Im Anfang des Jahres 1709 erging an P. der ebenso überraschende als ehrenvolle Ruf nach Dresden als Oberhofprediger und Oberconsistorialrath, an die Stelle seines verstorbenen Schwiegervaters D. Seeligmann. Nach reiflicher Berathung mit erfahrenen Männern, sowohl Theologen als Staatsdienern, und herzlichem Gebet, entschloß er sich, diesen Ruf anzunehmen. Der erste Schritt, den er nun that, war, daß er im April sich nach Wittenberg begab, um an der dortigen Universität sich die theologische Doctorwürde zu erwerben. Er disputirte pro Licentia, und wurde hierauf rite zum Doctor der Theologie promovirt. Dann kehrte er nach Leipzig zurück, hielt am dritten Pfingstfeiertag seine Abschiedspredigt in der Thomaskirche und siedelte sofort nach Dresden über. Am 23. Mai kam er mit seiner Familie glücklich in Dresden an. Tags darauf wurde er verpflichtet, und sowohl in dem Kirchenrath als in dem Oberconsistorium feierlich eingeführt. Am Trinitatisfest hielt er seine Antrittspredigt in der Hofkirche. Von da an kam er den Pflichten seines hohen Amtes gewissenhaft und mit aller Treue nach. Die Huld des Kurfürsten August des Starken (als König von Polen August II. betitelt) blieb ihm stets zugewandt, während die Königin ihn zum Beichtvater hatte, wie auch die Königin Mutter, deren Leiche er nach ihrem Ableben 1717 als Oberhofprediger einzusegnen hatte. Am 7. August 1721 hatte er den damaligen Kronprinzen von Dänemark, nachmaligen König Christian VI., mit der Prinzessin von Brandenburg-Kulmbach, in Gegenwart der Königin-Kurfürstin und anderer Fürstlichkeiten in Pretzsch an der Elbe zu trauen. Bei den sächsischen Landtagen nach alter ständischer Verfassung, die er erlebte, hatte er jedesmal, nämlich 1711, 1716 und 1718, als Oberhofprediger die Landtagspredigt zu halten. D. P. war ein Theologe und praktischer Kirchenmann von Mäßigung und Milde, allem Streit und Gezänke aus Grundsatz abgeneigt. Sein Leben fiel in die Zeit des aufkommenden Pietismus, endete aber, bevor die erste Generation der Pietisten abstarb. Er selbst äußerte sich im Vertrauen über Spener als einen unvergleichlichen Theologen; es schmerzte ihn tief, daß „so Viele sich an ihm versündigten“. Er war, wenn wir einem persönlich mit ihm befreundeten Mann glauben dürfen, ein Nikodemus und heimlicher Jünger [170] Spener’s, sprach sich aber nicht öffentlich darüber aus, nur um nicht in Unruhe und Streit verwickelt zu werden. Denn er ließ sich niemals in Lehrstreitigkeiten ein, weder mit protestantischen noch mit römisch-katholischen Theologen. Dabei aber hielt er sich treu an die evangelische Lehre, wie dieselbe in den Bekenntnißschriften lutherischer Kirche niedergelegt ist. P. besaß schöne Gaben, besonders für das Predigtamt, die er durch Studium und Uebung stets zu erhöhen bemüht war. So lange er in geistlichen Aemtern und in akademischer Thätigkeit zu Leipzig beschäftigt war, widmete er sich mit unausgesetztem Fleiße gelehrten Arbeiten. Dessenungeachtet ist nie ein größeres Werk von ihm im Druck erschienen, sondern nur kleinere Schriften, theils in lateinischer, theils in deutscher Sprache. Seine lateinischen Schriften tragen sämmtlich den Charakter gelehrter Dissertationen, akademischer Programme, beziehentlich wissenschaftlicher Kataloge. Die sieben ersten Dissertationen, welche er vom Jahre 1687 an bis 1704 herausgegeben hatte, ließ er im Jahre 1708 gesammelt aufs Neue erscheinen unter dem Titel: „Exercitationes academicae juveniles“, kl. 8°, 526 S. Seine gelehrten Erzeugnisse zeichnen sich sämmtlich durch methodische Anlage, logische Klarheit und gründliche Erörterung sowie durch umfassende Belesenheit aus, besitzen aber heutzutage keinen anderen als rein historischen Werth. Bemerkenswerth ist, daß er, als Geistlicher der Thomaskirche, im J. 1703 einen Bericht über die bedeutendsten Schätze der Kirchenbibliothek zu St. Thomä unter dem Titel herausgab: „Arcana Bibliothecae Thomanae Lipsiensis sacra“, nebst einem Verzeichniß sämmtlicher Superintendenten, Pastoren und Diaconen der Thomaskirche seit Einführung der Reformation. Einige seiner lateinischen Publicationen dienen nur dem ehrenden Andenken zeitgenössischer Theologen z. B. die memoriae theologorum aetate clarissimorum, decad. 10); Schriften, welche theils biographischen theils litterar-historischen Werth besitzen. Die deutschen Schriften, welche P. während seiner Leipziger Amtsführung erscheinen ließ, waren theils nur Ausgaben fremder Werke, z. B. sein „Christliches Concordienbuch“, d. h. der Sammlung evangelisch-lutherischer Bekenntnißschriften mit geschichtlicher Einleitung, 1704. 4°, eine Predigtsammlung über Jesaiastexte von Joh. Benedict Carpzov II., theils kleine Gelegenheitsschriften. Seitdem aber P. auf seinen hohen Posten in Dresden gestellt war, nahmen ihn seine Aemter und kirchenregimentlichen Arbeiten dermaßen in Anspruch, daß er auf wissenschaftliche Leistungen völlig verzichten mußte und sich mit der Herausgabe einiger wenigen Casualreden und Predigten zu begnügen hatte; so erschienen von ihm einige Reden bei Einweisung von Superintendenten, Landtagspredigten, Leichenpredigten. In früheren Jahren hatte sich P. einer kräftigen Gesundheit zu erfreuen. Allein in Folge vieler Nachtarbeit und übermäßiger Anstrengung seiner Gedächtnißkraft stellte sich ein Kopfleiden ein und außerdem eine Anschwellung an der rechten Seite, so daß er vom J. 1715 an beständig kränkelte und sich schwach fühlte. Sein Gedächtniß, auf das er sich hatte sicher verlassen können, wurde so schwach, daß bei gewissen Gelegenheiten, z. B. als er 1721 die fürstliche Trauung in Pretzsch zu vollziehen hatte, die Abnahme seiner Geisteskraft in bedenklicher Weise zu Tage kam. Im J. 1716 mußte er sich einer Operation unterwerfen: die erwähnte Geschwulst wurde geöffnet und glücklich geheilt. Allein die allgemeine Schwäche und das Kopfleiden nahm nicht ab; Athemnoth und andere Uebel stellten sich ein. Dessenungeachtet predigte er noch am Neujahrstage 1722, wurde aber auf der Kanzel vom Schlag gerührt, unter Lähmung der Zunge. Von da an konnte er das Haus nicht mehr verlassen, Wassersucht trat ein; darin erkannte er einen Vorboten des Todes, verwandte seine Zeit zu frommen Betrachtungen, nahm gerne Besuch von Dresdener Predigern an, besonders von seinem Beichtvater, dem Hofprediger D. Gleich, der ihm am [171] 22. Januar und am 12. März das heilige Abendmahl reichte. Am 19. April traf ihn ein Stickfluß, von heftigem Fieber begleitet. Von da an sah er seinem Tode fest aber mit großer Freudigkeit entgegen. Am 22. April 1722 früh 1 Uhr entschlief er sanft, nachdem er sein Leben nur auf 52 Jahre und einige Monate gebracht hatte. Am 25. April wurde er in der Sophienkirche beigesetzt. Die feierliche Gedächtnißpredigt wurde aber erst am Sonntag Exaudi, dem 17. Mai, vor zahlreich versammelter Gemeinde, vom Hofprediger Gleich über den von dem Vollendeten selbst gewählten Text Joh. 5, 24 gehalten. Aber auch in Leipzig und Wittenberg folgten Gedächtnißpredigten zu seiner letzten Ehre.

Außer den Schriften Pipping’s selbst s. Mich. Ranfft, Leben und Schriften der kursächsischen Gottesgelehrten u. s. w. Leipzig 1742. II, S. 917–936.