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Artikel „Pippin II., König von Aquitanien“ von Bernhard von Simson in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 166–168, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pippin_II.&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 10:25 Uhr UTC)
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Pippin II., König von Aquitanien, war der ältere der beiden Söhne Pippin’s I. von Aquitanien, welcher sich im J. 822 vermählt hatte (s. o.); seine Geburt dürfte um das J. 823 fallen. Nach dem Tode Pippin’s I. beschloß Ludwig der Fromme seinen Enkel zu übergehen und Aquitanien für seinen Sohn zweiter Ehe, Karl den Kahlen, in Anspruch zu nehmen, welchem er dasselbe schon früher (832) einmal zugesprochen hatte. In der Reichstheilung, durch welche auf dem Reichstage zu Worms (Juni 839) das ganze Reich, mit Ausnahme Baierns, zwischen Lothar und Karl getheilt wurde, ward dem letzteren auch Aquitanien, Wasconien und Septimanien zugesprochen. Im Herbst 839 brach der Kaiser in Begleitung Karls in Aquitanien ein. Aber P., der ganz die Art und Weise des leichtfertigen aquitanischen Volkscharakters angenommen hatte, hatte die stärkere und rührigere Partei im Lande für sich. Der Kaiser hatte zwar keinen Kampf im offenen Felde zu bestehen, aber seine Streitkräfte wurden von den Gegnern durch Streif- und Beutezüge belästigt. Auch leisteten dieselben in den Felsenburgen der Auvergne, besonders in Carlat bei Aurillac, ziemlich nachhaltigen Widerstand. Außerdem wurde ein sehr großer Theil des kaiserlichen Heeres von Krankheit hingerafft; als der Winter bevorstand, entließ der Kaiser den Rest des Heeres und zog sich nach Poitiers zurück. Von hier mußte er im folgenden Jahre (840) wider Ludwig den Deutschen aufbrechen, ohne Karl’s Stellung in dem Lande befestigt zu haben, jedoch ließ er diesen mit der Kaiserin und einer Heeresabtheilung in Poitiers zurück. Nach dem Tode des alten Kaisers bildete sich ein Bündniß zwischen P. und Lothar. Beide kämpften und unterlagen gemeinsam in der Schlacht bei Fontenoy (25. Juni 841); P. trug keine Schuld an dem Verluste der Schlacht; er hatte vielmehr durch sein Eintreffen in der Schlachtlinie den rechten Flügel Lothar’s wieder zum Stehen gebracht und dem linken Flügel der Truppen Karl’s erhebliche Verluste zugefügt. Später vereinigten sich Lothar und P. wieder in Sens, aber der Winterfeldzug des ersteren an der Seine und Loire blieb ganz erfolglos; P. trennte sich zu Tours mißmuthig, „von Reue darüber ergriffen, daß er sich mit ihm verbunden hatte“, von ihm und zog nach Aquitanien zurück. Hatte Lothar die Sache seines Neffen stets nur aus egoistischen Gründen unterstützt und schon wiederholt gezeigt, daß er eventuell bereit sei, dieselbe preiszugeben, so that er dies nun vollständig. Im Vertrage von Verdun (August 843), der auch Aquitanien an Karl überließ, wurde P. völlig übergangen. Wiederholte [167] Feldzüge Karl’s gegen Aquitanien hatten allerdings ihr Ziel mehr oder minder verfehlt. Auch im J. 844 gelang es Karl zwar, nach einem Strafgericht über den berüchtigten Markgrafen Bernhard (A. D. B. II, 454 f.) seine Oberhoheit über Septimanien und die spanische Mark herzustellen. Aber die von ihm unternommene Belagerung von Toulouse, der bedeutendsten Stadt Aquitaniens, wollte keine Fortschritte machen. Ein Verstärkungsheer, welches unter seinem Oheim, dem Abt Hugo, und anderen heranzog, wurde sogar in der Nähe von Toulouse, als es im Begriff war, den Agout zu überschreiten, am 14. Juni 844 von den Aquitaniern unter P. und Wilhelm, dem jungen Sohne Bernhard’s, überfallen und in die Flucht getrieben. Abt Hugo selbst, der Bastard Karl’s d. Gr. und ehemalige Kanzler Ludwig’s des Frommen, fand den Tod; ebenso der Abt Richboto von St. Riquier, ein Enkel Karl’s d. Gr.; viele andere angesehene Männer, darunter das Haupt der Partei Karl’s in Aquitanien, der Erzbischof Ebroin von Poitiers, fielen in Gefangenschaft. Im October 844 wurde P. durch eine gemeinschaftliche Gesandtschaft seiner drei Oheime, der Söhne Ludwig’s d. Fr., aufgefordert, Karl alsbald die Huldigung zu leisten und eventuell mit ihrer vereinigten Heeresmacht bedroht. Aber im nächsten Jahre fand sich der von allen Seiten bedrängte Karl der Kahle veranlaßt, mit P. Frieden zu schließen. Auf einer Zusammenkunft zu Fleury (Juni 845) gestand ihm Karl die Herrschaft über Aquitanien mit alleiniger Ausnahme der nördlichsten Gaue zu, zwar gegen ein eidliches Gelöbniß, aber ohne directe Anerkennung seiner Oberhoheit. Dies hinderte nicht, daß ihn die Oheime einige Jahre später (847) wiederum auf einige Grafschaften, die für seinen und der Seinen Unterhalt einstweilen genügen sollten, zu beschränken suchten, und noch schlimmer war, daß P., dem man die mangelhafte Vertheidigung des Landes gegen die Normannen und auch sonst Trägheit und Untüchtigkeit vorwarf, 848 von dem größten Theil der aquitanischen Vasallen und Prälaten verlassen wurde. Karl der Kahle ward zu Orleans zum Könige von Aquitanien gewählt und gekrönt. Im nächsten Jahre (849) wurde Pippin’s jüngerer Bruder, Karl, der Pathe Karl’s des Kahlen, als er sich aus dem Reiche Lothar’s nach Aquitanien begeben wollte, unterwegs aufgefangen, auf der Reichsversammlung zu Chartres zu der Erklärung genöthigt, Geistlicher werden zu wollen, geschoren und nach dem Kloster Corbie gebracht *). Auch P. selbst traf einige Jahre später ein gleiches Schicksal. Im September 852 wurde er durch den baskischen Grafen Sancho, der sich seiner Person einige Zeit vorher bemächtigt hatte, an Karl ausgeliefert, und dieser ließ ihn mit Zustimmung Lothar’s in St. Medard bei Soissons – jenem Kloster, in welchem einst Ludwig d. Fr. zur Kirchenbuße genöthigt worden war – zum Mönch scheeren. Ein Fluchtversuch, den sodann zwei Mönche des Klosters mit ihm zu unternehmen gedachten, wurde vereitelt; P. mußte vielmehr Karl den Treueid schwören, die Mönchskutte anthun, ein förmliches Mönchsgelübde ablegen (853). Dennoch sollte der Unglückliche unter den Wirren der folgenden Zeit nochmals die Bühne des schwer heimgesuchten aquitanischen Landes betreten. Auch mit Karl’s des Kahlen Herrschaft höchst unzufrieden, wandten sich die Aquitanier zu wiederholten Malen an Ludwig den Deutschen mit der Bitte, ihre Regierung zu übernehmen oder ihnen einen seiner Söhne zu senden. In der That schickte Ludwig seinen zweiten, gleichnamigen Sohn nach Aquitanien, der jedoch dann die ihm erweckten Hoffnungen wenig erfüllt fand. Unter diesen Umständen entwichen beide Söhne Pippin’s I. von Aquitanien aus ihren Klöstern (854), und man vermuthet, daß Karl der Kahle selbst diesen Schritt Pippin’s gern sah und begünstigte, um den [168] ostfränkischen Ludwig zur Entfernung aus Aquitanien zu nöthigen. Wirklich sah sich Ludwig zu schleunigem Rückzuge gezwungen, da die Mehrzahl der Aquitanier sich an P. anschloß. Allein die Stimmung des höchst wankelmüthigen Volkes schlug alsbald von Neuem um. Im nächsten Jahre traten die Aquitanier wieder mit Karl dem Kahlen in Verbindung, und ein unmündiger Sohn desselben wurde im October 855 zu Limoges zu ihrem Herrscher erkoren und gekrönt. Während der folgenden Jahre schwankten die Aquitanier zwischen diesem königlichen Knaben und P., der auch zu einer bloßen Puppe herabgesunken war, hin und her. Eine Versöhnung Karl’s des Kahlen mit P. im Sommer 858 war wiederum nur durch die Noth veranlaßt und ohne Aufrichtigkeit. Auf der Seineinsel Oscel, wo er die Normannen belagerte, empfing Karl der Kahle damals die beiden Gegenkönige von Aquitanien, seinen Sohn Karl und P., welche gemeinsam zu ihm kamen, und sprach P. den Besitz einiger Grafschaften und Klöster in Aquitanien zu. Schon früher war P. in einen Bund mit den Normannen getreten, von denen Aquitanien zu seiner Zeit, außer durch Bürgerkrieg und Anarchie, auf das schwerste heimgesucht worden war. Sie waren in früheren Jahren die Garonne bis Toulouse aufwärts gefahren, hatten den Baskenherzog geschlagen und getödtet, die Stadt Saintes zum Standquartier für ihre Beutezüge gemacht, Bordeaux und Perigueux in Asche gelegt. Nicht genug, daß er sich mit diesen furchtbaren Feinden seiner Landsleute und Unterthanen verband, schwor P. sogar auch seinen christlichen Glauben ab und bekannte sich zu ihren heidnischen Göttern. Sein Abenteurerleben fand aber ein Ende, indem ihn der Graf Ramnulf von Poitou auf hinterlistige Weise gefangen nahm. Im Juni 864 wurde der entlaufene Mönch vor einen Reichstag gestellt, welchen Karl der Kahle damals zu Pitres (im Sprengel von Rouen) hielt, und von den Großen, denen sich dann auch die übrigen anschlossen, als Verräther an dem Vaterlande und der Christenheit zum Tode verurtheilt. Auf den Rath des Erzbischofs Hinkmar von Reims vom Tode begnadigt, wurde P. jedoch der Kirchenbuße unterworfen, abermals in die Mönchskutte gesteckt und zu Senlis in strengster Haft gehalten. Weiter hört man nichts von diesem „entarteten Urenkel Karl’s des Großen“, der übrigens auch körperlich zerrüttet gewesen zu sein scheint.

Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reichs. I. Berlin 1862, 2. Aufl. Leipzig 1887. – Meyer v. Knonau, Ueber Nithard’s vier Bücher Geschichten. Leipzig 1866. – Wenck, Das fränkische Reich nach dem Vertrage von Verdun. Leipzig 1851. – Böhmer, Regesta Karolorum. Frankfurt a. M. 1833.

[167] *) Er wurde später, im J. 856, nach dem Tode Raban’s, durch Ludwig den Deutschen zum Erzbischof von Mainz erhoben und starb am 5. Juni 863.