ADB:Otto IV. (römischer Kaiser)

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Artikel „Otto IV., römischer Kaiser“ von Eduard Winkelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 621–634, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Otto_IV._(r%C3%B6mischer_Kaiser)&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 13:22 Uhr UTC)
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Otto IV., römischer Kaiser, † am 19. Mai 1218, war der dritte Sohn Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin Mathilde, der Tochter König Heinrichs II. von England und der Schwester Richards Löwenherz und Johanns ohne Land. Das Jahr seiner Geburt steht nicht fest: Böhmer nahm 1175 an, Langerfeldt nicht später als 1176, L. v. Heinemann 1177, während ich 1182 und als Ort seiner Geburt Argentan, Dep. Orne zu erweisen suchte. Jedenfalls wuchs er in englisch-französischer Umgebung auf und hatte sich, als 1189 sein Großvater und seine Mutter starben, der besonderen Gunst des Oheims Richard zu erfreuen, der von Anfang an ihm eine Zukunft bei sich zu gründen beabsichtigt zu haben scheint. Er ernannte ihn 1190 zum Grafen von York und als diese Verleihung nicht ausgeführt werden konnte, zum Grafen von Marche, versuchte eine Zeit lang, ihm in Schottland die Nachfolge zu verschaffen, und verlieh ihm 1196 Poitou und die Landschaften bis zur Garonne, für welche O. den Titel eines Herzogs von Aquitanien annahm. Die Fehden des englischen Königs gegen seine festländischen Barone und Frankreich wurden des jungen Welfen Schule. Von hohem Wuchse, mit großer Körperkraft ausgestattet, kühn und tapfer, galt er früh als ein vollendeter Krieger, an dem Richard wohl Gefallen haben mochte und vielleicht um so mehr, als er auch in seinen Charaktereigenschaften vielfach ihm ähnlich sich entwickelte. Bald fand Richard Gelegenheit, dem Neffen zu Größerem zu verhelfen. Als nach dem Tode Kaiser Heinrichs VI. die um den Erzbischof Adolf von Köln gesammelte Opposition gegen das staufische Haus um jeden Preis dem von der staufischen Partei zum König erwählten Philipp von Schwaben einen Gegenkönig entgegenstellen wollte, aber auf den zunächst dazu ausersehenen älteren Bruder Otto’s, den Pfalzgrafen Heinrich, der von seiner Kreuzfahrt noch nicht zurückgekehrt war, nicht länger warten konnte und über andere Candidaten nicht verfügte, da beschloß man O. selbst zur Krone zu berufen, mit der vollen Gewißheit, daß ihm die Unterstützung Richards nicht fehlen werde. Das englische Geld war es, was ihn am meisten empfahl und förderte, als er im Mai 1198 nach Deutschland ging, wo er sonst so gut wie fremd war, da er vorher kaum anders deutschen Boden betreten hatte, als in den paar Monaten des Jahres 1194, in welchen er für seinen Ohm bei dem verstorbenen Kaiser Geisel gewesen war. Von Besitzungen hatte er dort nichts als einen Antheil an den welfischen Allodien und Kirchlehen: umsomehr mochten die Fürsten, welche ihn am 9. Juni in Köln erwählten: der Erzbischof von Köln, die Bischöfe von Paderborn und Minden, einige Aebte und die Regentin von Brabant im Namen ihres abwesenden Gemahls, in dem landfremden ohnmächtigen und ganz auf ihre Unterstützung angewiesenen Welfen sich ein gefügiges Werkzeug zu erziehen hoffen. Er selbst aber bewährte seinen Ruf als Krieger auf der Stelle. Während Philipp, dem unzweifelhaft eine weit überlegene Macht zur Seite stand, in unbegreiflicher Unthätigkeit verharrte, warf O. sich auf Aachen, nahm am 10. Juli die Stadt ein und ließ sich hier an der rechten Krönungsstätte, allerdings mit nachgemachten Insignien, zum Könige krönen. Damit hatte er vor seinem Gegner einen bedeutenden Vorsprung gewonnen: schon war sein Anhang gewachsen und umfaßte fast den ganzen Nordwesten, schon knüpften sich Beziehungen mit den reichsfeindlichen Mailändern an und, was wichtiger war, seine Freunde zweifelten schon nicht mehr, daß Innocenz III., da auch König Richard für seinen Neffen wirkte, sich für ihn erklären werde, bei welchem viel eher ein Eingehen auf die Wünsche des Papstes, [622] namentlich in Bezug auf die Abtretung der mittelitalischen Reichslande, vorauszusetzen war als bei dem Bruder und Nachfolger eines Heinrich VI., gegen welchen Innocenz auch sonst allerlei Beschwerden hatte. Aber dieser hütete sich doch vor offener Parteinahme, solange alle Wahrscheinlichkeit für einen schließlichen Sieg des Staufers zu sprechen schien, der den größten Theil Deutschlands auf seiner Seite hatte und über reichere Hilfsmittel in seinen bedeutenden Hausbesitzungen verfügte.

Die ersten Zusammenstöße beider Parteien stellten dies Verhältniß sogleich klar. O. vermochte seine Anhänger im Elsaß nicht zu schützen, wurde im October 1198, als Philipp mit überlegenem Heere rheinabwärts vordrang, nach heftigen Kämpfen an der Mosel selbst auf Köln zurückgeworfen und mußte am Ende des Jahres, als Philipp zum Entsatz des belagerten Goslar herbeieilte, ebenfalls das Feld räumen. Das folgende Jahr verlief noch unglücklicher. Der Tod König Richards (6. April 1199) beraubte den Welfen seines wohlwollenden Beschützers, da dessen Nachfolger König Johann anscheinend die Vorliebe seines Bruders für den Neffen nicht theilte und in seinem Frieden mit Frankreich auf jede Unterstützung desselben verzichtete. Ein Versuch Otto’s, seinen Freunden im Elsaß Luft zu machen, kam nicht über Boppard hinaus; jene wurden von Philipp vollständig unterworfen und er mußte, als dieser nun an den Niederrhein vordrang, wiederum sich in Köln bergen und so bekennen, daß er nicht die Macht besaß, dem Erzbischofe von Köln, der ihm zur Krone verholfen, ausreichenden Schutz zu gewähren. Schon begann dieser zu schwanken, während Landgraf Hermann von Thüringen, dessen Anschluß O. das Jahr zuvor mit der Abtretung Nordhausens erkauft hatte, unbedenklich zum Staufer übertrat, um dadurch noch mehr Reichsgut zu gewinnen. Das war eben eine der schlimmsten Folgen des welfischen Gegenkönigthums, daß auch der Staufer mit diesem in einen Wettbewerb um die Unterstützung der Fürsten eintreten mußte, diesen selbst aber politische Moral ganz abhanden kam. Wie wenig aber O. sogar in seinem Heimathlande galt, zeigt Philipps glänzendes, von Walther von der Vogelweide gefeiertes Weihnachtsfest 1199 in Magdeburg: fast alle Großen Sachsens, die meisten Bischöfe, selbst Erzbischof Hartwich von Bremen, dem doch Innocenz von seiner persönlichen Geneigtheit für O. Kenntniß gegeben hatte, schaarten sich dort um den staufischen König. An dessen baldigem Siege schien trotz der Tapferkeit, welche O. auch in diesen deutschen Kämpfen bei verschiedenen Gelegenheiten bewährte, kaum mehr zu zweifeln.

Da war es für O. schon immer ein Vortheil, daß der eben damals aus dem Oriente heimkehrende Erzbischof von Mainz, Konrad von Wittelsbach, wenn er auch ebensowenig für ihn war, als er die Entscheidung des Thronstreites dem Papste zu überlassen gedachte, doch auch nicht auf die Seite Philipps sich stellte. Es scheint, daß er noch immer den jungen Friedrich, Kaiser Heinrichs Sohn, den er selbst gewählt hatte, als den einzig rechtmäßigen König betrachtete und zu dessen Gunsten eine Vereinbarung unter den Fürsten anstrebte, durch welche beide hadernde Könige beseitigt worden wären. Am 28. Juli 1200 sollten je acht Fürsten von jeder Seite zu einem Schiedsgericht unter seinem Vorsitze zusammentreten. Nun ließ sich O. diesen Plan gefallen, vielleicht weil er darauf rechnete, daß der Papst, an den er deßhalb schrieb, die Mitglieder des Schiedsgerichts zu seinen Gunsten gefügig zu machen wissen werde, – aber nicht die Fürsten von Philipps Seite. In ihrer Erklärung aus Speier von 28. Mai, wie ich meine, des Jahres 1200, bezeugen sie vor dem Papste, daß ihr König rechtmäßig gewählt sei, ihren Willen, ihm die Kaiserkrone zu verschaffen, ihr Veto gegen des Papstes Uebergriffe in das italische Reichsgut. Aber die Thätigkeit der Staufischen ist unverkennbar durch die vom Mainzer Erzbischofe ausgehenden Verhandlungen gelähmt worden, und als man wieder zu den Waffen [623] griff, wendete sich das Kriegsglück. Ein Angriff Philipps auf Braunschweig, welches von Otto’s Bruder Heinrich vertheidigt ward, scheiterte vollständig (21. August) und, was noch wichtiger war, zu Weihnachten gelang es O., sich mit Hilfe einer ihm günstigen Partei in Mainz, welche nach dem Tode Konrads von Wittelsbach dort gegen den von Philipp geförderten Wormser Bischof Lupold von Scheinfeld den Eppensteiner Sigfrid zum Erzbischofe erwählt hatte, dieser großen Rheinstadt unerwartet zu bemächtigen und dann an Speier vorbei wo Philipp stand, bis nach Weißenburg vorzudringen. Es ist der südlichste Punkt, den er als Gegenkönig je erreicht hat, und seines Bleibens war auch dies Mal dort nicht lange. Das Vorrücken Philipps in seinen Rücken nöthigte ihn zum Abzuge wieder an den Niederrhein.

Immerhin hatte das Jahr 1200 O. einige Erfolge gebracht und dieser Umstand im Verein mit der Thatsache, daß die staufische Partei die Gültigkeit der von Innocenz III. ins Werk gesetzten neuen Gestaltung Italiens rückgängig zu machen drohte, seinen durch Revolution und Gewalt geschaffenen Kirchenstaat nicht anerkennen wollte, bestimmten den Papst jetzt offen zu Gunsten des Welfen einzutreten. In einer ausführlichen Denkschrift, der deliberatio papae super facto imperii de tribus electis, nämlich Friedrich, Philipp und O., erörterte er die aus dem Anschlusse an den einen oder den anderen für die Kirche zu erwartenden Vortheile und kam zu dem Schlusse, daß es „erlaubt, geziemend und nützlich“ sei, gerade dem Welfen die apostolische Gunst zuzuwenden. Er dachte sich anfangs als den besten Weg dazu, wenn die Fürsten, durch die Erkenntniß der Unmöglichkeit sich untereinander über einen der Thronbewerber zu vereinigen, bestimmt werden könnten, seine Entscheidung anzurufen: das Ergebniß wäre natürlich, wie das die Instruction des nach Deutschland abgeordneten Cardinalbischofs Guido von Präneste geradezu durchblicken ließ, die Anerkennung Otto’s von Seiten der Kirche gewesen. Aber Innocenz überzeugte sich wohl sehr bald, daß eben jene Anrufung seiner Entscheidung von den Staufischen nicht zu erreichen sein werde, und so änderte er seinen Entschluß und erkannte schlechtweg am 1. März 1201 O. als König und künftigen Kaiser an. Die Fürsten wurden einfach zum Gehorsam gegen diese Entscheidung ermahnt, Philipp aber und sein Anhang gebannt. Die Aufgabe jenes Legaten wurde jetzt demgemäß die Durchführung der päpstlichen Entscheidung, in erster Linie die Zähmung der ja zum größten Theile auf Philipps Seite stehenden Bischöfe.

„In Staub und Asche“, schrieb O. später an den Papst, „hätte sich mein Königthum aufgelöst, wenn nicht eure Hand die Wagschale zu meinen Gunsten gesenkt hätte.“ So war es in der That: seine Stellung war trotz jener Erfolge am Mittelrhein kaum bedeutender als zur Zeit seiner Wahl. Erst durch die päpstliche Autorität, kraft deren der Legat am 3. Juli zu Köln ihn als rechtmäßigen König proclamirte, wurde sie eine bessere. Der Herzog von Brabant wurde dadurch fester an seine Sache gekettet, daß der Legat zur Ehe seiner Tochter mit O., der sich mit ihr schon 1198 verlobt hatte, Dispens ertheilte; andere Große in Niederlothringen wurden durch andere Vortheile zu entschiedener Parteinahme bestimmt; streitige Bischofswahlen, wie in Lüttich und Mainz, stets zu Gunsten derjenigen Candidaten entschieden, welche sich für O. erklärten, und alle Mittel der kirchlichen Disciplin angewendet, um die Philipp getreuen Bischöfe zu bearbeiten und zu seinem Nebenbuhler herüberzuziehen. Aeußerlich wurde damit freilich zunächst noch nichts erreicht und Philipps Reichstag, den er am Jahrestage seiner Krönung (8. September 1201) zu Bamberg hielt, zeigte noch keine Lücke in den Reihen seiner Anhänger. Im Geheimen aber trat doch der eine und der andere aus besonderen Rücksichten mit dem Papste in Verbindung und der Legat rechnete manchen schon zu den Freunden [624] Otto’s, der noch die Tage Philipps zu besuchen fortfuhr. Es mag damit zusammenhängen, daß seit dem Februar Philipp die Waffen ruhen ließ.

Was war aber der Grund, der Innocenz das Emporkommen Otto’s in so nachdrücklicher Weise zu fördern veranlaßte? Nichts anderes als die schon seit der Wahl desselben bestehende Gewißheit, daß von ihm nicht blos im Allgemeinen Gefügigkeit, sondern vor Allem die Abtretung der mittelitalischen Reichslande zu erlangen sein werde, welche Innocenz mit seinem alten Besitz zum Kirchenstaate vereinigt hatte. Es ist bezeichnend, daß der Proclamation zu Köln die Urkunde Otto’s vom 8. Mai 1201 vorausgeht, in welcher er diese Besitzungen der Kirche zu erhalten schwört, – ein Zugeständniß, welches zunächst zwar nur ein rein persönliches war, aber in seinen Folgen zu der reichsrechtlichen Anerkennung des Kirchenstaates durch Friedrich II. in der Goldbulle von Eger 1213 geführt hat.

O. gab hier um seines persönlichen Vortheils willen allgemeine Reichsinteressen auf und dasselbe that er auch in anderer Beziehung. Daß die Dänen 1201 Holstein erobert hatten, um es nun für mehr als zwei Jahrzehnte in ihrer Gewalt zu behalten, hinderte ihn nicht, 1202 mit dem Eroberer in Familienbeziehungen zu treten, eine Nichte mit dem dänischen Thronfolger Waldemar und dessen Schwester Helene mit seinem Bruder Wilhelm zu verloben. Denn abgesehen davon, daß der Verlust Holsteins einen bisherigen Gegner, Adolf von Schaumburg traf, wurden die Dänen durch den Besitz dieses deutschen Landes den Welfen ein wichtiger Rückhalt gegen die noch übrigen Anhänger Philipps in Niedersachsen, von denen Hartwich von Bremen ihm zuerst erlag: zu thätiger Theilnahme am Thronstreite ließ sich aber weder König Knud VI. noch trotz der Mahnungen des Papstes Waldemar II. herbei: nicht die Beendigung, sondern die Dauer des deutschen Bürgerkrieges war ihren Interessen am förderlichsten. Uebrigens hängt mit jener Verlobung und bald darauf folgenden Heirath Wilhelms auch wohl die Erbtheilung zusammen, welche die welfischen Brüder am 1. Mai 1202 vornahmen. Ausgeführt wurde sie aber anscheinend doch nur in Bezug auf die Ausscheidung dessen, was Wilhelm zufallen sollte, der sich seitdem von Lüneburg nannte, während rücksichtlich des Restes O. sowohl als Heinrich auch fernerhin, ohne sich an jene Theiiung zu binden, Befugnisse übten, der letztere aber vor Allem mit dem Schutze dieser Hausbesitzungen beauftragt blieb, für welche O., dessen Königthum am Niederrhein seinen Schwerpunkt hatte, wenig geeignet war.

Es war entschieden im Steigen, obwohl weder im Jahre 1201 noch im Jahre 1202 die Gegenkönige selbst Gelegenheit hatten oder suchten, sich im Kampfe zu messen. Die Agitation der päpstlichen Organe bei den Reichsfürsten begann Früchte zu tragen und nicht blos Böhmen und Thüringen ließen sich gewinnen, sondern sogar Philipps Kanzler, der Bischof Konrad von Würzburg, der in offener Empörung gegen seinen königlichen Gönner stand, als unzufriedene Dienstmannen ihn am 6. Decbr. 1202 ermordeten. Freilich gab es zu derselben Zeit auch auf welfischer Seite allerlei Unbotmäßigkeit: der Herzog von Brabant kam in Streit mit dem Grafen von Geldern, und der König selbst mit Adolf von Köln. Aber die Autorität des päpstlichen Legaten half dann über solche Schwierigkeiten hinweg und befestigte zum Beispiel dem Erzbischofe gegenüber Otto’s Stellung in dem Maße, daß dieser am Ende des Jahres dem Papste schreiben konnte, selbst wenn jener wolle, könne er nicht mehr abspringen. Geistlichkeit und Volk von Köln haben sich geradezu mit dem Könige für den Fall der Untreue des Erzbischofs gegen denselben verbündet. Die kölnische Bürgerschaft fand eben ihren Vortheil auf der Seite Otto’s, des Neffen des englischen Königs, der seit der Erneuerung des Krieges mit Frankreich nun seinerseits das Bündniß mit O. suchte, ihm gelegentlich Geld zukommen ließ [625] und, um die Kölner für die Unterstützung Otto’s zu belohnen, ihnen Handelsprivilegien gewährte.

O. war damals in sehr gehobener Stimmung und erwartete noch Größeres vom folgenden Jahre, ohne Zweifel, weil er schon von der Absicht Böhmens und Thüringens, sich ihm anzuschließen, unterrichtet war. Die Verhandlungen darüber sind offenbar im tiefsten Geheimniß geführt worden, so daß Philipp erst im Frühling 1203 vor der Nothwendigkeit stand, einen Schlag gegen Thüringen führen zu müssen, um jenes bedrohliche Bündniß zu sprengen und die gefährdete Verbindung mit seinen Freunden im Osten und an der Elbe herzustellen. Aber dieser Schlag mißlang. Ein überlegenes böhmisch-ungarisches Heer kam dem Landgrafen zu Hülfe, so daß Philipp sich vor demselben nach Erfurt zurückziehen und schließlich das Land räumen mußte. Andererseits vermochte O., der nun auch auf diesem Kriegsschauplatze erschien, das dem Erzbischofe von Magdeburg gehörende Halle nicht einzunehmen, wohl aber wurde Meißen, das Magdeburgische und Halberstädtische mit fürchterlichen Verwüstungen heimgesucht und das bedrängte Goslar zu der Zusage gebracht, wenn Philipp nicht innerhalb eines Jahres Hülfe schaffe, dem Welfen sich unterwerfen zu wollen. Graf Heinrich von Anhalt, mächtiger als sein Bruder Herzog Bernhard von Sachsen, that es jetzt schon. Eine Entscheidung war allerdings wiederum nicht gefallen, aber Otto’s Machtgebiet hatte sich bedeutend erweitert, während das seines Gegners durch den Zusammenschluß von Thüringen und Böhmen auseinandergerissen war. Der Rückgang, der die Sache Philipps seit dem Jahre 1202 betroffen, wird auch dadurch gekennzeichnet, daß derselbe jetzt von sich mit dem Papste anzuknüpfen suchte und in seinen Anerbietungen soweit ging, daß Innocenz sie wenigstens nicht abwies und mit ihm wirklich verhandelte. Erst die großen im Jahre 1203 errungenen Erfolge seines Schützlings bestimmten ihn, diese Verhandlungen abzubrechen und seine Autorität noch rückhaltloser als früher für O. einzusetzen. Es handelte sich jetzt darum, die Bischöfe der staufischen Partei so mürbe zu machen, daß sie bekannten, ihr bei der Weihe dem Papste geleisteter Eid des Gehorsams schließe auch den Gehorsam gegen die päpstlichen Befehle in der Reichsangelegenheit in sich, und eine ziemliche Zahl von Bischöfen hat in der That diesen Eid geleistet oder wenigstens ihre frühere Zustimmung zu den politischen Kundgebungen der staufischen Partei zurückgezogen.

O. glaubte am Ende des Jahres 1203 des Sieges vollkommen sicher zu sein. Er wollte im nächsten Februar in Fulda die Huldigung der von Rom aus bearbeiteten Fürsten des Südostens empfangen, dann seinen Nebenbuhler durch einen Vorstoß nach Schwaben vernichten, endlich seinem Oheim gegen Frankreich zu Hilfe ziehen. Da übersah Innocenz die Lage doch richtiger, wenn er meinte, daß Otto’s Stellung sich zwar ziemlich gebessert habe, aber noch nicht so fest gewurzelt sei, daß auf seinen baldigen Sieg gerechnet werden könne, und Innocenz behielt Recht. Seit dem Anfange des Jahres 1204 ging es mit O. reißend schnell abwärts.

Von der Huldigung der Herzöge von Baiern und Oesterreich und des Erzbischofs von Salzburg ist keine Rede, geschweige denn von dem Feldzuge nach Schwaben oder gar nach Frankreich. Der Unterschied zwischen ihm und Philipp beruht darauf, daß letzterer auch ohne den Zuzug seiner Anhänger vermöge seiner großen Hausbesitzungen ein nicht zu verachtender Gegner, O. aber ohne seine Partei im Grunde gar nichts war. Nun geschah es, daß der ganze ihm anhangende Nordwesten durch den holländischen Erbfolgestreit in Anspruch genommen ward und somit für die welfische Politik nicht verwendet werden konnte. Und das in einem Augenblicke, da Philipp, über die Nutzlosigkeit weiterer Verhandlungen [626] mit dem Papst belehrt, bevor die Thatsachen für ihn sprachen, alle Macht zusammennahm und dem Welfen unmittelbar auf den Leib rückte. Im Frühlinge 1204 wurde Goslar entsetzt; dann wandte sich das staufische Heer östlich gegen Otto und seinen Bruder Heinrich, welche vor Wolfenbüttel bei Burgdorf standen: in diesem Augenblicke fiel Heinrich von O. ab.

Man darf nicht vergessen, daß Heinrich rheinischer Pfalzgraf war. Für ihn stand dieses Fürstenthum auf dem Spiele, während O. nicht sich geneigt zeigte, ihn etwa durch Ueberlassung weiterer Antheile an dem welfischen Hausgute zu entschädigen. Der Uebertritt zu Philipp wäre aber sicher nicht erfolgt, wenn sich Heinrich nicht die Ueberzeugung gebildet hätte, daß das Emporkommen seines Bruders, wie es die Jahre 1202 und 1203 gezeigt hatten, doch nicht von Dauer sein werde, und eben deshalb machte dieser Uebertritt, der mehr Symptom als Ursache von Otto’s Niedergang war, weit und breit gewaltigen Eindruck, den größten wohl auf O. selbst. Unter solchen Verhältnissen mit Philipp zu schlagen, hätte keinen Sinn gehabt: so zog er sich nach Braunschweig zurück, das jener durch seine früheren Erfahrungen belehrt, nicht angriff, und er rührte sich auch nicht, als Philipp im Sommer mit Uebermacht über den treulosen Thüringer herfiel. Wohl kam auch dies Mal Otakar von Böhmen dem letzteren zu Hülfe, aber es ging anders als das Jahr zuvor. Philipp, der seine sämmtlichen Freunde aus dem Süden und dem Nordosten auf dem thüringischen Kriegsschauplatze vereinigt hatte, war auch dem Böhmen vollauf gewachsen, so daß dieser es gerathen fand, sich durch eiligen Rückzug der bevorstehenden Schlacht zu entziehen. Da hat sich dann am 17. September Landgraf Hermann dem Staufer unterworfen, bald darauf auch Otakar von Böhmen.

Zu gleicher Zeit waren auch schon Adolf von Köln und Herzog Heinrich von Brabant entschlossen, der Sache Otto’s den Rücken zu kehren, so lange ihr Uebertritt zu Philipp noch zu verwerthen war. Rasch einigte man sich über die Bedingungen desselben und am 11. November leisteten jene Fürsten dem Staufer in Koblenz den Eid der Treue. Vergeblich, daß O., um dem weiter um sich greifenden Abfalle zu steuern, jetzt selbst nach Köln ging: er konnte es nicht hindern, daß Philipp nach Aachen zog und sich hier nun, an der rechten Stelle – und mit den echten Insignien, die stets in seinem Besitze geblieben waren, am 6. Januar 1205 nochmals zum Könige krönen kieß. In kurzer Zeit war Alles anders geworden: nicht O., sondern Philipp hatte alle Anwartschaft auf endlichen Sieg, ja in der Hauptsache war der Thronstreit schon entschieden, da kein einziger Fürst, dessen Beistand in’s Gewicht hätte fallen können, auf Otto’s Seite geblieben war. Der aus Mainz vertriebene Erzbischof Sigfrid, der an Stelle des vom Papste abgesetzten Adolf in Köln erwählte Bruno, der Herzog Walram von Limburg, die westfälischen Bischöfe und Dynasten, – das war jetzt sein Anhang, zum großen Theile solche Leute, die nicht Schutz geben konnten, sondern beanspruchten, wie er selbst wieder vornehmlich auf den Schutz und die Unterstützung der kölnischen Bürgerschaft angewiesen war, welche mit ihrem neu erbauten Mauerkranze seine Krone schirmte. An diesem brach sich im Herbste 1205 ein directer Angriff Philipps, während ein von O. unternommener Ausfall höchst unglücklich ablief und ihm eine schwere Verwundung eintrug. Aber nun wandten sich auch die westfälischen Bischöfe von ihm ab. Seitdem das Kriegsglück ihm den Rücken gekehrt, hatten auch die zu seinen Gunsten fortgesetzten Mahnungen und Drohungen des Papstes ihre Kraft verloren.

Man kann Otto’s Zähigkeit in dem übermächtig auf ihn hereinbrechenden Unglücke nicht ein gewisses Mitgefühl versagen, obwohl sie die Greuel des Bürgerkrieges in den davon noch berührten Theilen Deutschlands, am Niederrhein und Harze, unnütz verlängerte. Hier fiel noch zu guter letzt das vielumkämpfte [627] Goslar am 8. Juni 1206 durch einen Handstreich in die Hand der Welfischen; dort aber hatte die kölnische Landschaft immer aufs Neue von staufischen Heereszügen zu leiden, bis Otto’s Niederlage gegen die Reichstruppen bei Wassenberg am 27. Juli hier dem Kampfe ein Ende machte. Schwer verwundet flüchtete er nach Köln zurück, das von allen Seiten der Zufuhr beraubt war und jetzt auf seine eigene Rettung bedacht sein mußte. Eine Unterredung, welche O. und Philipp vor den Mauern der Stadt hatten, blieb ohne Ergebniß, wahrscheinlich weil O. auch jetzt noch nicht zu einem Verzicht auf die Krone zu bewegen war; dann flüchtete O. weiter nach Braunschweig, während Köln im November seinen Frieden mit dem Staufer machte. Er konnte untergehen, aber nicht nachgeben. Und erforderte nicht das Interesse Dänemarks, Englands, des Papstes seine Erhaltung? Als ein landfremder Mann aus dem Auslande zur deutschen Krone berufen, war seine einzige Hoffnung eben das Ausland, da kein weltlicher Fürst, kein wirklich regierender Bischof des Reiches ihn ferner als König betrachtete.

Zunächst begab er sich nach Dänemark und er hatte hier den Erfolg, daß König Waldemar, der Grund hatte in Philipp einen Gegner seiner holsteinischen und livländischen Gelüste zu sehen, Truppen zum Schutze Braunschweigs hergab. Dann ging es im April 1207 nach England. Das Mißgeschick, welches König Johann in seinem Kriege mit Frankreich verfolgt hatte, brachte ihn auf den Gedanken, daß O. leistungsfähig gemacht werden müsse, um gegen Frankreich verwendet werden zu können, und er ließ sich zum ersten Male zu einer wirklich beträchtlichen Zahlung an denselben herbei. Mit englischem Gelde und dänischer Hülfe hätte also O. sich wohl noch eine Zeit lang in Braunschweig halten können, aber in Deutschland Geltung zu bekommen, wäre höchstens durch den Papst möglich gewesen und eben dieser gab ihn allen früheren Versicherungen zum Trotz jetzt auf: es war nach der Niederlage Otto’s nicht mehr mit ihm zu rechnen.

Es ist hier nicht der Ort, von den Verhandlungen zu reden, welche seit dem Anfang des Jahres 1206 Philipp mit dem Papste angeknüpft hatte, den Angeboten, die er machte, den Bedenken, welche Innocenz ihnen entgegenbrachte und unter denen das vornehmste war, daß Philipp sich nicht zu der von O. gewährten Abtretung der mittelitalischen Lande herbeiließ. Aber die Thatsache, daß Philipp nun einmal im Reiche Herr geworden war, die Erkenntniß, daß diese Thatsache zu läugnen die kirchliche Autorität den schwersten Schädigungen aussetzte, und die Nachgiebigkeit Philipps in solchen Dingen, welche eben diese kirchliche Autorität betrafen, haben Innocenz nach manchem Schwanken diesem näher geführt. Seine Legaten, die er im Frühlinge 1207 nach Deutschland schickte, nahmen nicht mehr wie Guido von Präneste im J. 1201, das welfische sondern das staufische Hoflager zum Ausgangspunkte ihrer Thätigkeit, hoben im August den von Guido über Philipp verhängten Bann auf und bemühten sich O. zu friedlicher Abdankung zu bestimmen. Aber dazu war er nicht zu bewegen: weder die Vermittelung der Legaten, denen er in scharfen Worten den Wankelmuth des Papstes vorwarf, noch das Zureden mancher Fürsten, welche von dem staufischen Reichstage in Nordhausen und Quedlinburg nach der Harlingsburg bei Goslar kamen, wo er fast verlassen saß, noch eine zweimalige Unterredung mit Philipp selbst vermochten seinen Trotz zu brechen. Die reichen Anerbietungen des Gegners, das Herzogthum Schwaben oder das Königreich Burgund, dazu mit der Hand einer Tochter Philipps die Aussicht auf einen Theil der staufischen Allodien, vermochten auf ihn gar keinen Eindruck zu machen. Nur der Tod könne ihm die Krone nehmen.

Da blieb denn nichts anderes übrig, als Gewalt gegen ihn zu brauchen. Nachdem Philipp und Innocenz sich in den ersten Monaten des Jahres 1208 vollständig geeinigt hatten, wurden im Frühlinge große Heeresmassen von allen [628] Seiten her gegen Braunschweig in Bewegung gesetzt, während die Böhmen bestimmt waren, Meißen und Thüringen im Zaum zu halten, deren Fürsten wieder das „Dahin, daher“ früherer Jahre probiren zu wollen schienen. Wenn O. trotzdem noch zum Widerstande rüstete, so kann er nur noch an einen ehrenvollen Untergang gedacht haben. Da hat die Ermordung Philipps durch den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach am 21. Juni 1208 mit einem Schlage wieder die ganze Sachlage verändert, und dieses Mal zu Gunsten Otto’s. Darum hat doch Niemand ihn auch nur der entferntesten Betheiligung an jenem Verbrechen zu zeihen gewagt.

Von der Fortsetzung jener gegen ihn gerichteten Heerfahrt war selbstverständlich keine Rede mehr. Er ging vielmehr jetzt selbst wieder zum Angriffe über, zwang die Bischöfe von Halberstadt und Minden zur Unterwerfung und kehrte dann seine Waffen gegen den mächtigsten und eifrigsten Anhänger Philipps im Norden, den Erzbischof Albrecht von Magdeburg. Damit wäre der Bürgerkrieg verewigt, die staufische Partei zur Aufstellung eines neuen Hauptes gedrängt worden, während sie doch selbst des Friedens im höchsten Grade bedürftig war. Das ist nun Albrechts Verdienst, daß er den Welfen von der Zweckmäßigkeit einer friedlichen Verständigung überzeugte, und nicht blos das, sondern auch von der Nothwendigkeit, gewissermaßen in die politische Erbschaft des verstorbenen Staufers einzutreten, sich den bisher von diesem und seinen Freunden verfochtenen Anschauungen anzubequemen. In dem Vertrage, welchen O. mit Albrecht abschloß, machte er neben allerlei Zugeständnissen zu dessen und seiner Kirche Besten auch die Zusage, dem von den Dänen, seinen bisherigen Bundesgenossen, vertriebenen Schaumburger wieder zum Besitze Holsteins verhelfen zu wollen. So vollzog sich damals in O. der Uebergang vom Standpunkte des Gegenkönigs zu dem Bewußtsein der Pflichten des Reichskönigs. Wie aber Albrecht von Magdeburg, so begriffen auch andere Vertraute Philipps, der Hofkanzler Bischof Konrad von Speier, der Reichsmarschall Heinrich von Kalden, daß Otto’s Erhebung die beste Lösung sei; von allen Seiten zogen Boten auf Braunschweig zu; in verschiedenen Gegenden wurden Versammlungen zur Besprechung der Thronfrage gehalten, sämmtlich in einem für O. günstigen Sinne und diese Strömung nahm zu mit der Bereitwilligkeit desselben, den verschiedenartigsten an ihn gerichteten Ansprüchen zu genügen. Dazu kam, daß Innocenz durch nachdrückliche Förderung seiner Sache vergessen zu machen suchte, daß er ihn im vorigen Jahre fallen gelassen hatte; er empfahl ihm die schon früher angeregte Verbindung mit einer Tochter Philipps, vor Allem aber ein Betragen, das Freunde zu gewinnen und zu fesseln im Stande sei. Die Worte lassen einen Einblick in Otto’s Charakter zu und deshalb mögen sie hier stehen. Nachdem der Papst Wohlwollen und Herablassung gegen Alle anempfohlen, fährt er fort: „Enthalte dich harter Reden und gewaltthätiger Werke, bleibe Versprechungen treu, bilde dich heran zur Sitte und Würde eines Königs, hüte dein Leben, lege das gleichgültige Wesen ab und bethätige in allen Dingen Wachsamkeit und Sorgsamkeit.“ Glaubte Innocenz durch Otto’s Erhebung sein neues Territorium gegen die schon von Philipp begonnene Restauration der Reichsrechte in Italien sicher zu stellen, so war König Johann von England nicht minder über die unerwartete Wendung der Dinge erfreut und in demselben Maße, in welchem die Aussichten des Neffen und damit seine eigenen wuchsen, wuchs auch seine Bereitwilligkeit, jenem mit dem auszuhelfen, was ihm am Nöthigsten war, mit Geld. Die Bemühungen des durch die Verbindung zwischen England und dem künftigen Könige Deutschlands auf Höchste bedrohten Königs Philipp II. von Frankreich um die Wahl Heinrichs von Brabant, dessen Tochter von O. nach dem Abfalle des Vaters das Verlöbniß gekündigt [629] war, verliefen einfach im Sande, da die rheinischen Fürsten ohne Ausnahme sich schon für O. erklärt hatten. Nord-, Mittel- und Westdeutschland hatten sich auf ihn geeinigt und, obwohl Oesterreich und Böhmen noch zurückhielten, wurde die Gefahr eines neuen Gegenkönigthums vollständig beseitigt, als auch Herzog Ludwig von Baiern auf dem vom Mainzer Erzbischof auf den 11. Novbr. 1208 nach Frankfurt ausgeschriebenen Reichstage erschien.

Mit diesem Tage ward O. der legitime König. Indem er hier sich einer neuen Wahl unterzog, die Kanzleigeschäfte an Männer aus dem Kreise der bisherigen Gegner übertrug, die großen Hofämter ihren Inhabern am Hofe Philipps ließ, den Mörder desselben, aber auch die der Unterstützung des Verbrechens wahrscheinlich mit Unrecht beschuldigten Fürsten aus dem Hause Andechs ächtete, indem er ferner nach der Mahnung des Papstes und der Fürsten zur Verlobung mit Philipps Tochter sich bereit erklärte, sie und ihre Schwester in seine Obhut, ihr Erbgut in seine Verwaltung nahm, setzt er nicht sowohl sein eigenes früheres Königthum als vielmehr das staufische fort. An der rücksichtslosen Handhabung des in Frankfurt und auf den folgenden Hoftagen beschworenen Landfriedens merkte man, daß Deutschland nun wieder einen allgemeinen König hatte, dessen Anerkennung sich auch die anfänglich noch mißtrauischen Fürsten nicht entziehen konnten. Auf dem Hoftage zu Augsburg (6. Januar 1209) schloß sich der Patriarch Wolfger von Aquileja an, der für Philipp die Verhandlungen mit dem Papste geführt und in Italien die Gerechtsame des Reichs wieder nachdrücklich zur Geltung gebracht hatte, und zu Nürnberg folgten im Februar die Herzöge von Oesterreich und Kärnthen und der Erzbischof von Salzburg. Bei dieser allgemeinen Anerkennung darf es überraschen, daß O. die Zusicherung der Kaiserkrönung seitens des Papstes durch Zugeständnisse erkaufen zu müssen glaubte, welche noch weit über die von ihm 1201 gegebenen hinausgingen. Die päpstlichen Legaten – dieselben, welche 1207 mit ihm über seine Abdankung verhandelt hatten, waren jetzt gekommen, um seine Erhöhung vorzubereiten – empfingen am 22. März eine Urkunde, welche nicht nur den Verzicht auf das Spolienrecht enthielt, den er schon früher seinen geistlichen Wählern gewährt hatte, nicht nur eine erneute Anerkennung des Kirchenstaates und der päpstlichen Lehnshoheit über Sicilien, sondern nun auch das Gelöbniß der Hülfe zur Ausrottung der Ketzerei, unbedingte Gewährung der Appellation in Kirchensachen an die Curie und vor Allem die Preisgabe des gesetzlichen Einflusses der Krone auf die kirchlichen Wahlen. Es ist kaum wahrscheinlich, daß Innocenz mehr gefordert habe als er hier erhielt, aber sehr wahrscheinlich, daß O. diese Zusagen, auf Grund deren er nun die Vorbereitungen für seine Romfahrt traf, hinter dem Rücken der Fürsten, höchstens mit Wissen seines Kanzlers, des Bischofs von Speier, gemacht hat; ob schon damals mit dem Hintergedanken, bei späterer Gelegenheit sich von diesen Verpflichtungen zu befreien, muß dahingestellt bleiben. Für den Augenblick sonnte er sich in den bisher errungenen und den noch in Aussicht stehenden Erfolgen, auch darin seine staufischen Vorgänger nachahmend, daß er durch ein großes Fest, das Pfingstfest zu Braunschweig, der Welt seine Herrlichkeit kundgab. Diesem Feste folgte der große Reichstag zu Würzburg (24. Mai), auf welchem auch die letzten Fürsten welche noch mit ihrer Anerkennung zurückgehalten hatten, der König von Böhmen und die Herzöge von Lothringen und Zähringen, ja selbst der vor kurzem noch selbst nach der Krone trachtende Brabanter erschienen und das Eheverlöbniß mit der staufischen Beatrix abgeschlossen wurde. Als Termin für den Römerzug wurde hier der 25. Juli bestimmt, als Sammelplatz der Gunzenle bei Augsburg, und das Heer, welches von hier aus zu Ende des Monats [630] mit dem Könige über den Brenner nach Italien zog, war stattlich genug, um seinem Auftreten dort den nöthigen Rückhalt zu geben.

Wie in Deutschland der Gegensatz der staufischen und welfischen Interessen, so war in Italien der der reichsfreundlichen und der reichsfeindlichen Städte für den Augenblick aufgehoben. Alle schaarten sich um O., jene weil sie in ihm den Rechtsnachfolger der Staufer, diese weil sie in ihm den geborenen Gegner derselben sahen. Er selbst aber eignete sich durchaus die Auffassung an, welche Wolfger von Aquileja erst bei seiner im Dienste Philipps und dann bei der zweiten im Auftrage Otto’s übernommenen Thätigkeit als Reichslegat sich zur Richtschnur genommen hatte, daß nämlich Alles auf den zur Zeit des Todes Kaiser Heinrichs VI. im J. 1197 bestandenen Rechtszustand zurückgeführt, das Reichsgut im damaligen Umfange hergestellt werden müsse. Wurde diese Auffassung den Städten gegenüber geltend gemacht und durchgeführt, so mußte sie, auf die vom Papste in Besitz genommenen mittelitalischen Reichslande angewandt, auf jene Urkunde vom 22. März stoßen, durch welche O. eben diesen Besitz anerkannt hatte, allerdings auf Grund der nicht zutreffenden Voraussetzung, daß dieser Besitz ein rechtmäßiger und alter der Kirche sei. Ob nun durch Wolfger eines besseren belehrt, ob durch den Einspruch der ihn begleitenden Fürsten überhaupt an der Ausführung des Versprechens vom 22. März behindert, O. hat sich jedenfalls durch dasselbe nicht mehr für gebunden erachtet und jene Restauration der Reichsrechte, ganz wie Philipp es geplant und Wolfger in dessen Auftrage angebahnt hatte, auch auf die vom Papste beanspruchten Theile ausgedehnt, welche bis 1197 Reichsland gewesen waren. Die Vorstellungen päpstlicher Abgesandter änderten daran ebenso wenig als die des Papstes selbst, als er mit dem nach Rom ziehenden Könige in Viterbo zusammentraf. Innocenz konnte eben für seine Ansprüche keinen Rechtstitel nachweisen, mußte sie fallen lassen und sich damit begnügen daß O. wenigstens in dem vor 1197 zwischen der Kirche und dem Reiche streitigen Theile wie es scheint, die Ansprüche des ersteren zu achten, auch die Lehnshoheit über Sicilien nicht anzutasten versprach. Daraufhin wurde O. am 4. October 1209 in St. Peter gekrönt, ohne weitergehende Zusagen gemacht zu haben. Innocenz hatte eben den Irrthum begangen, zu glauben, daß ein welfischer König an der Spitze des Reiches mehr geneigt oder im Stande sein werde, als ein Staufer, seine persönliche Dankbarkeit auf Kosten des ihm anvertrauten Reiches zu beweisen. Er erkannte seinen Irrthum und ließ ihn O. nicht entgelten. Ihr Verhältniß war, als Innocenz am Abende des Krönungstages das ihm von O. in seinem Lager hinter dem Monte Mario gegebene Festmahl verließ, durchaus ein herzliches und es war auch noch durch nichts getrübt, als die meisten Deutschen aus dem Gefolge des Kaisers zu Ende des Monats heimkehrten.

Bald aber trat eine Spannung ein, zu der zunächst die Unmöglichkeit, über die Ansprüche des Reichs und der Kirche in Tuscien zu einer befriedigenden Auseinandersetzung zu gelangen, beigetragen hat, dann aber vor Allem die feindliche Haltung, welche O. gegen den päpstlichen Lehnskönig von Sicilien Friedrich, Kaiser Heinrichs Sohn, annahm. Daß O. gegen diesen vom Geschlechte der früheren Kaiser allein übrigen Sprossen Mißtrauen hegte, ist ebenso begreiflich, wie daß es wachsen mußte, wenn Friedrich Ansprüche auf Schwaben geltend machte und dadurch die Absicht kundgab, mit dem Heimathlande in Verbindung zu bleiben. Aber zu offer Feindschaft steigerte es sich doch erst, als der aus den Zeiten Heinrichs VI. in Unteritalien zurückgebliebene deutsche Kapitän Diopuld von Schweinspeunt (s. A. D. B. V, 248) vom Papste und Friedrich befehdet, Anschluß an O. suchte und fand. Ihm ist es doch wohl zuzuschreiben, daß O. daran dachte, jene Restauration kaiserlicher Rechte auf Unteritalien auszudehnen und dieses ebenfalls für das Reich in Besitz zu nehmen, [631] weil auch Kaiser Heinrich es besessen hatte. Damit aber war nun auch der Conflict mit Innocenz unvermeidlich, dessen ganzes politisches Verhalten von der entgegengesetzten Absicht beherrscht war, keine Erneuerung der das Papstthum umklammernden Union zuzulassen. Wir wissen jetzt aus einem erst kürzlich zum Vorschein gekommenen Briefe des Papstes (Acta imp. ined. II, 676) vom 18. Januar 1210, daß er schon damals entschlossen war, wenn O. die Hand nach Sicilien ausstreckte, Bann und Eideslösung gegen ihn auszusprechen. Die Erhebung Diopulds zum Reichsherzoge des dem Papste entrissenen Spoleto im Februar zeigt, daß O. auf eine friedliche Lösung kaum mehr Gewicht legte; im Juni schloß er mit Pisa einen förmlichen Bund gegen Friedrich. Die deutschen Fürsten, obenan Wolfger von Aquileja, scheinen mit ihren Warnungen auf ihn gar keinen Eindruck gemacht zu haben. Im August und September wurden die streitigen tuscischen Gebiete gewaltsam besetzt, und im November, nachdem Innocenz durch die Androhung des Bannes vergeblich eine Sinnesänderung des Kaisers zu erwirken versucht hatte, brach dieser von den Abruzzen her, ins Königreich ein, aber am 18. November sprach Innocenz nun wirklich den Bann gegen ihn aus.

Innocenz war, um Friedrich und damit den für die Unabhängigkeit des Papstthums nothwendig erachteten Bestand des sicilischen Reiches zu retten, zu Opfern bereit, aber auch zum Aeußersten entschlossen. Er suchte jetzt trotz der Demüthigung, welche ihm das Bekenntniß, sich in Otto’s Charakter den Warnungen Frankreichs zum Trotz getäuscht zu haben, kosten mochte, die Unterstützung des französischen Königs, namentlich um durch ihn auf die deutschen Fürsten einzuwirken, wo möglich die Wahl eines Gegenkönigs anzubahnen. Aber die darauf bezüglichen Verhandlungen schleppten sich hin, während in Italien die Gefahr wuchs. Denn die öffentliche und feierliche Excommunication Otto’s am 31. März 1211 änderte hier am Stande der Dinge nicht das Geringste, vermochte den Siegeslauf des Kaisers durch den Süden nicht aufzuhalten. Die Eroberung desselben war in der Hauptsache bis zum October vollendet und O. stand an der Meerenge, im Begriffe auf die Insel überzusetzen und dem letzten Staufer den Garaus zu machen, der schon Schiffe zur Flucht nach Afrika bereit hielt. Da kam aus Deutschland die Nachricht, daß ein großer Theil der Fürsten der kaiserlichen Autorität abgesagt und auf Betrieb Frankreichs eben diesen Friedrich als Gegenkönig aufgestellt habe. Nicht in Sicilien, sondern in Deutschland lag jetzt die Entscheidung und O. beschloß deshalb die Eroberung der Insel bis zur Niederwerfung der deutschen Empörung zu vertagen, an der er so wenig zweifelte, daß er sowohl im Süden als auch auf dem Rückwege in Mittel- und Oberitalien Vorkehrungen für sein späteres Auftreten traf. Vielleicht hätte er richtiger gehandelt, wenn er zuerst die Vernichtung Friedrichs vollendet hätte: mit dessen Falle wäre wahrscheinlich auch die deutsche Empörung in sich zusammengesunken.

Als O. im März 1212 nach Deutschland heimkehrte, war die Stimmung gegen ihn schon eine ziemlich erregte, theils durch die kirchliche Agitation, theils dadurch, daß mit der Nennung des staufischen Friedrich die Erinnerung an das alte Kaiserhaus wach wurde, vor Allem in Schwaben, wo O. trotz seiner Verlobung mit Beatrix im höchsten Grade unbeliebt war. Bei den geistlichen Herren war es natürlich auch keine Empfehlung, daß ihm, mit Recht oder Unrecht, von einem Manne, wie seinem früheren Kanzler, dem Bischof von Speier, die Absicht einer Kürzung des Kirchengutes beigemessen wurde. Indessen die meisten Fürsten, geistliche sowohl als weltliche, welche vorher der Erhebung Friedrichs zugestimmt hatten, hielten es nun wieder für zweckmäßig, ihren Frieden mit dem Kaiser zu machen, vielleicht nur, um bis zum Eintreffen Friedrichs [632] Zeit zu gewinnen, und von denen, welche es nicht thaten, war kaum anzunehmen, daß sie lange der Uebermacht Otto’s widerstehen würden. Dieser warf sich im Juli auf Thüringen und lag vor dem festen Weißensee, als er hörte, daß Friedrich die Berufung der deutschen Fürsten angenommen habe und schon in Genua angekommen sei. Wohl nahm O. die Miene an, als ob er keine Gefahr von dieser Seite fürchtete, und spottete über den Pfaffenkönig, der ihn vertreiben wolle; aber er hielt es doch für nothwendig, um sich die alten Freunde des staufischen Hauses fester zu verbinden, jetzt mitten im thüringischen Feldzuge die Hochzeit mit der schwäbischen Beatrix am 22. Juli zu Nordhausen zu vollziehen. Ihr plötzlicher Tod am 11. August riß jedoch das letzte Band entzwei, das die Schwaben an O. knüpfte, und wie diese sein Lager verließen, so thaten es die Baiern und viele Andere. Sie hatten vom Kommen ihres „rechten“ Herrn gehört und zogen ihm entgegen. Da gab auch O. die Belagerung des fast schon bewältigten Weißensee auf und zog gleichfalls nach dem Süden. Noch war im Grunde nichts verloren, wenn er den Nebenbuhler verhinderte, dort Fuß zu fassen.

Diese Hoffnung erfüllte sich ihm nicht. In Konstanz kam Friedrich ihm zuvor und von Breisach wurde O. durch einen Aufstand der durch die Zuchtlosigkeit seines Kriegsvolks erbitterten Bürgerschaft vertrieben. Der Anhang des Gegenkönigs wuchs nun so schnell und gewaltig, daß O. den ganzen Süden preisgab und nach dem Niederrhein zurückwich, in die Gegend, von wo sein Gegenkönigthum überhaupt ausgegangen war. Er stand wieder ungefähr so, wie im J. 1198. An Geld fehlte es ihm nicht, da Johann von England, immer noch in der Erwartung, von O. einst nachdrücklich gegen Frankreich unterstützt zu werden, jetzt nicht mehr kargte; aber der Nordwesten selbst stand keineswegs mehr geschlossen für den Welfen ein. O. dachte wohl daran, den Reichstag in Frankfurt, auf welchem Friedrich nun förmlich zum Könige erwählt wurde (5. December), durch einen Vorstoß zu sprengen, hat aber doch wohl nicht über dazu ausreichende Kräfte verfügt. Die Nothwendigkeit zugleich am Rhein und in Sachsen den Feinden die Spitze bieten zu müssen, zwingt ihn zur Zersplitterung seiner Mittel, ihn selbst zu einem unruhigen Hin- und Herfahren zwischen den beiden Schauplätzen, da sein Bruder Heinrich, der zwar die Pfalz zu Gunsten seines Sohnes aufgegeben und sich nach Braunschweig zurückgezogen hatte, wegen körperlicher Leiden dort kaum mehr eine Stütze für den Kampf abgab. Da tritt nun O. selbst ein und seine Nachbarn können merken, wie er an Rüstigkeit und kriegerischem Ungestüm durch das Unglück nichts verloren hat. Er schlug am 11. Juni 1213 den Erzbischof von Magdeburg bei Remkersleben, verwüstete das Stiftsland bis an die Mauern der Hauptstadt, wandte sich dann im August nach der Saale und Thüringen, und verwüstete dieses gleichfalls, bis Friedrichs überlegenes Auftreten ihn im October zum Rückzuge auf Braunschweig zwang. Freilich kehrte ihm nun auch der Markgraf von Meißen den Rücken.

Die Entscheidung des Thronstreites aber wurde von O. damals schon nicht mehr auf deutschem Boden gesucht, sondern in dem Ringen zwischen England und Frankreich, von denen jenes mit ihm, dieses mit Friedrich verbündet war. Von der Niederwerfung Frankreichs erwartete O. auch die Niederlage des staufischen Gegenkönigthums und, um diese zu erreichen, meinte er Alles an jene setzen zu müssen. Es scheint, daß in dieser Beziehung für ihn der Rath des Grafen Reginald von Boulogne ebenso verhängnißvoll geworden ist, wie in der sicilischen Sache der Diopulds von Spoleto: genug, nach mancherlei Verhandlungen meinte die englisch-niederländisch-welfische Coalition, im J. 1214 den vernichtenden Schlag gegen Frankreich führen zu können. Wenn derselbe großartig entworfen und mit sehr bedeutenden Mitteln ins Werk gesetzt, dennoch [633] mißlang, ist der Grund nicht am wenigsten darin zu suchen, daß König Johann von Poitou her den Feldzug begann und geschlagen war, bevor O. an der nordöstlichen Grenze überhaupt thätig werden konnte.

Man muß doch auf diese Unternehmung große Hoffnungen gesetzt haben, da Herzog Heinrich von Brabant, der Schwiegersohn des französischen Königs, dem er vor kaum einem Jahre Beistand gegen den Kaiser geschworen hatte, jetzt sein Geschick ganz an O. knüpfte, der seinerseits jetzt endlich die schon ein Mal ihm verlobte, später verschmähte Tochter des Herzogs Maria am 19. Mai zu seiner Gemahlin machte. Zwistigkeiten unter den niederländischen Großen verzögerten den Anfang des Feldzugs und erst am 12. Juli erfolgte zu Nivelle die Vereinigung aller Betheiligten um den Kaiser, der mit englischem Gelde zahlreiche Grafen, Edle und Ritter aus Norddeutschland geworben hatte. Englische Hilfstruppen unter dem Grafen Wilhelm von Salisbury verstärkten dessen Heer, das in langer Linie von Courtrai bis Valenciennes, wo O. am 23. Juli sein Hauptquartier hatte, die Reichsgrenze überschritt. Schon am 25. kam es zu Zusammenstößen mit den Franzosen, welche Tournai besetzten, aber als die Kaiserlichen am 26. sich zur Schlacht aufstellten, derselben auswichen und am 27. in der Richtung auf Lille zurückzogen. Auf diesem Rückzuge von den Kaiserlichen noch vor der bei Bouvines über die Marque führenden Brücke ereilt, mußten sie am Nachmittage die Schlacht in wenig günstiger Lage annehmen. Jedoch nach dreistündigem Kampfe wandte sich das Glück ihnen zu, hauptsächlich durch das Eintreffen der städtischen Milizen, und O., welcher mit dem Centrum seines Heeres am längsten sich hielt, kam in arges Gedränge. Er selbst stürzte mit dem Pferde und wurde nur durch die Aufopferung des treuen Bernhard von Horstmar gerettet. Seine Niederlage war so entscheidend, daß er auch nicht einmal den Versuch machte, nach derselben den Krieg fortzusetzen, ebenso wenig wie König Johann, der am 18. September auf längere Zeit mit Frankreich Stillstand schloß.

Damit war eigentlich Otto’s Rolle ausgespielt. In seinem eigensten Machtbereiche nördlich der Mosel blieb ihm, als Friedrich im August dorthin vordrang, Niemand treu, als die Bürgerschaften von Aachen und Köln. Die Herzöge von Brabant und Limburg, die Grafen von Jülich, Cleve und Kassel traten zum Staufer über, wahrscheinlich auch der von Holland. O. selbst scheint von dem Einsturze seiner Hoffnungen so völlig betäubt worden zu sein, daß er keinen Versuch machte, dem Feinde im Felde entgegenzutreten, sondern ruhig in Köln blieb, wo seine Gemahlin, vom Dämon des Spiels ergriffen, vergeudete, was ihm etwa von England noch zufloß. Um dieselbe Zeit ging auch die Pfalz seinem Hause verloren, da sein Neffe, der jüngere Heinrich, kinderlos starb und das Fürstenthum nun von Friedrich den Wittelsbachern zur Belohnung gegeben wurde. König Waldemar von Dänemark aber, der bis dahin im Thronstreite eine für O. wohlwollende Neutralität beobachtet hatte, erkannte seitdem Friedrich II. als den eigentlichen Reichskönig an und ließ sich von ihm seine nordalbingischen Eroberungen förmlich abtreten. Von kleineren Herren abgesehen, hielten in Sachsen jetzt nur noch die Ascanier zum Kaiser, vielleicht gerade deshalb, weil Friedrich sich mit den Dänen verbündet hatte. Das Jahr 1215 brachte ihm einen weiteren Rückgang. Am 24. Juli fiel Kaiserswerth und am selben Tage öffnete auch Aachen dem Staufer die Thore zur Krönung. Da war der Niederrhein für O. endgültig verloren. Als Friedrich gegen Köln anrückte, haben die dortigen Bürger, des wegen ihres kaiserlichen Gastes auf ihnen lastenden Interdicts müde, ihm seine Schulden erlassen, ja ihm noch Geld dazu gegeben, um ihn zu entfernen: wie im J. 1206 endete sein Aufenthalt in Köln mit unwürdiger Flucht nach Braunschweig.

[634] Das Beharren auf seinen Ansprüchen zeigt, daß er trotzdem einen Umschwung zu seinen Gunsten immer noch für möglich hielt. Ein solcher konnte erfolgen, wenn die Curie ihm günstiger gestimmt wurde oder wenn deutsche Fürsten nach dem Grundsatze des „Dahin, daher“ ihre Rechnung wieder einmal auf seiner Seite zu finden hofften. In der That ist in beiden Beziehungen agitirt worden, bei der Curie durch England und die italienischen Anhänger des Kaisers, welche sogar auf dem großen Lateranconcile vom November 1215 seine Sache zur Sprache brachten, aber nach stürmischen Scenen nichts erreichten als die Bestätigung des von Innocenz gegen ihn gefällten Spruches und der Erwählung Friedrichs zum künftigen Kaiser. Auch in Deutschland hat es nicht an Zettelungen gefehlt, wie denn namentlich der alte Ränkeschmied Landgraf Hermann von Thüringen noch kurz vor seinem Tode (25. April 1217) wieder in geheimem Verkehr mit O. gestanden zu haben scheint. Inzwischen aber schloß sich auch in Sachsen der Kreis um diesen enger und enger. Die Dänen eroberten Hamburg, überschritten die Elbe und halfen dem Erzbischofe Gerhard von Bremen gegen den von O. begünstigten, längst gebannten Gegenbischof Waldemar; schon ward der Verkehr mit England schwierig, von wo übrigens nach dem Tode König Johanns (19. December 1216) so wie so keine Unterstützung mehr zu bekommen war, und mit dem Uebertritte der Stadt Bremen zu Gerhard am Anfange des Jahres 1217 war auch die Weser für O. geschlossen.

Noch ein Mal hat er sich aus der Unthätigkeit aufgerafft, in welche er seit dem Unglückstage von Bouvines verfallen war, aber die Schläge, die er austheilt, sind nur Zuckungen eines sterbenden Löwen. Im Sommer 1217 warf er sich wieder auf den Erzbischof von Magdeburg, aber wieder wie 1213 hielt er nicht Stand, als Friedrich heranzog, barg sich hinter den Mauern Braunschweigs und verlor so seine treuesten Freunde, den Markgrafen von Brandenburg und den Grafen von Anhalt. Nur des letzteren Bruder, der ziemlich ohnmächtige Herzog Albrecht von Sachsen, hielt noch bei ihm aus. Otto’s letzte Kriegsthat war im Frühlinge 1218 ein Rachezug gegen den Anhalter, dem er Aschersleben verbrannte. Bald nachher erkrankte er während eines Aufenthaltes auf der Harzburg und hier ist er am 19. Mai 1218 gestorben, nachdem er vor Geistlichen der Nachbarschaft den Eid des Gehorsams gegen den Papst, allerdings mit einer seine Rechte als Kaiser wahrenden Clausel, geleistet, die Lossprechung vom Bann empfangen und ein Testament gemacht hatte, welches unter Anderen seinem Bruder die Auslieferung der Reichsinsignien an den einmüthig erwählten König auflegte. Er wurde in St. Blasien in Braunschweig bestattet, wo auch seine erste Gemahlin Beatrix von Schwaben ruht. Kinder hinterließ er nicht. Seine Wittwe Maria von Brabant kehrte bald zum Vater zurück, heirathete 1220 den hochbetagten Grafen Wilhelm von Holland, verlor auch diesen am 4. Febr. 1222 durch den Tod und starb selbst im J. 1260.

Vgl. die in Böhmer, Regesta imperii V, 1198–1272, neu bearbeitet von J. Ficker. Abth. I, Innsbruck 1881 verzeichneten Urkunden Otto’s. – Die ältere Litteratur über ihn ist aus den neuesten Darstellungen seines Lebens zu ersehen: Langerfeldt, Kaiser Otto der Vierte, der Welfe, Hannover 1872, und Winkelmann, Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig, 2 Bde., Leipzig 1873 u. 1878.