ADB:Oldenbarnevelt, Johann von
Wilhelm von Oranien reorganisirten Gerichtshof fortsetzte und auch den holländischen Staaten, als deren Rechtsanwalt er fungirte, in manchen nicht immer gefahrlosen Geschäften seinen Dienst leistete; zugleich nahm er zweimal persönlich als Freiwilliger am Kriege Theil und betheiligte sich bei dem letzten Versuch zum Entsatz Haarlems und später bei der Befreiung von Leiden. Ein paar Jahre später, 1577, ernannte die Regierung von Rotterdam den fähigen Juristen, der schon damals die Aufmerksamkeit auf sich zog, zu ihrem Rath und Pensionär, und ward er als solcher in die Regierungsgeschäfte und namentlich in die Versammlung der Staaten von Holland eingeführt. Es war eben die Zeit, wo dieser eine gewaltige Machtvermehrung zufiel, weil der Prinz von Oranien Holland verließ, um sich im Süden des Landes an die Spitze der Gegner Spaniens zu stellen. Er konnte sich von jetzt an nur in geringem Maße an den holländischen Dingen betheiligen und mußte einen beträchtlichen Theil seiner Autorität als höchste Obrigkeit, wie er titulirt wurde, den Staaten und ihrem Executivausschuß, den Committirten Räthen überlassen. So sehr waren [242] aber damals die holländischen Regenten mit ihm eines Geistes, daß nur sehr selten Schwierigkeiten aus einer so unbequemen Lage erwuchsen, wie wichtige politische Ereignisse auch in Holland und überhaupt im Norden des Landes in jenen Jahren seiner fast fortwährenden Abwesenheit stattfanden.
Oldenbarnevelt: Johann v. O., niederländischer Staatsmann, wurde in Amersfoort, der zweiten Stadt der Provinz Utrecht, wahrscheinlich am 25. September 1547 geboren. Einem ansehnlichen Geschlecht der Stadt entsprossen, erhielt er die seinem Stande entsprechende Erziehung, studirte und reiste im Auslande und ließ sich 1570 als Rechtsanwalt bei dem Provinziellen Rath von Holland im Haag nieder. Zwei Jahre später begann mit dem Aufstand von Holland und Seeland der Kampf der Niederländer gegen die spanische Regierung. Vor den Geusen flohen die holländischen Behörden nach Utrecht, nur wenige der meistens sehr conservativ und königlich gesinnten Juristen und Beamten blieben, unter ihnen O., der damals für immer seine Partei wählte, die des Kampfes mit Spanien auf Leben und Tod. Freilich schon mehrere seiner Verwandten waren in die Religionswirren der vorigen Jahre verwickelt, wohl auch sein Vater, Gerhard von O., der, eines Todschlags halber, in jenen Zeiten verbannt wurde: dies hat später Oldenbarnevelt’s Feinden zu den giftigsten Schmähungen reichen Stoff geboten, nicht weniger als seine Heirath mit der unehelichen aber legitimirten Tochter einer vornehmen Patricierfamilie, Maria von Utrecht. Durch letztere legte er den Grund zu jenem colossalen Vermögen, das zu vermehren er auch in den wichtigsten politischen Zeiten keinen Augenblick versäumte, wenn er demselben auch nie die Interessen des Staats opferte. Eben das machte es seinen Gegnern so leicht, ihn zu verleumden, ihn der Bestechlichkeit, ja des Landesverraths anzuklagen, er gab sich dadurch Blößen, die auf’s Eifrigste benutzt wurden und gab Veranlassung zu Anschuldigungen, die, wie grundlos auch und wie oft auch siegreich abgewiesen, immer auf’s Neue noch lange nach seinem Tode Glauben gefunden haben. In jenen Jahren wohnte er in Delft, wo er seine Praxis bei dem vonWohl nicht allein weil er der ständige Vertreter einer großen Handelsstadt war, aber gewiß namentlich seiner bald überall anerkannten Fähigkeiten wegen hat sich O. fast an allen jenen Ereignissen mehr als die meisten seiner Collegen betheiligt. Kaum ein Jahr hatte er Sitz in den Staaten, als er schon einen hervorragenden Antheil hatte an der Stiftung der Utrechter Union (1578–79) und ebenso finden wir seinen Namen fortwährend unter den Mitgliedern der Ausschüsse der Staaten, welche die großen politischen Aenderungen jener Jahre zur Reife brachten, bevor dieselben der endgültigen Abstimmung unterlagen. Das war die neue Verfassung Hollands, oder, wie es bescheiden hieß, die neue Ordnung der Staatenversammlung und ihre spätere Umänderung (1581 und 1586), durch welche die Machtbefugnisse der Staaten und ihres Executivausschusses gesetzmäßig geregelt wurden und namentlich den Mitgliedern der städtischen Regierungen allein mit Ausschluß der übrigen Bürger Antheil an den Staatsgeschäften vorbehalten wurde; die Erklärung, daß der König seine Gewalt verwirkt habe (1581); die Erhebung Wilhelms von Oranien zum Grafen von Holland und Seeland (1582–84), und die engere Union jener beiden Länder mit dem angrenzenden Utrecht (1583–84). Doch die Art und Weise, wie die damaligen Geschäfte behandelt wurden, gestattet nicht, abzumessen, in wie weit der persönliche Antheil jedes Staatsmannes sich erstreckte. Immer sind es Collegien und Ausschüsse, die handelnd auftreten, nie vernimmt man, welches die Ansicht der Personen war. Und es fehlt allzusehr an Briefen und sonstigen persönlichen Documenten aus jenen Jahren, um diesem Mangel abzuhelfen. Namentlich gilt dies von Oldenbarnevelt’s Papieren aus jener ersten Zeit seines politischen Wirkens, von denen nur ein sehr geringer Theil bewahrt geblieben ist. Doch begegnen wir seinem Namen fortwährend bei allen einigermaßen wichtigen Verhandlungen, auch gibt es doch einige wichtige Aktenstücke von seiner ebenso leicht erkennbaren als schwer leserlichen Hand, welche von seiner persönlichen Thätigkeit zeugen. Das ist gewiß, daß er bald nach seinem Eintritt eines der mächtigsten und einflußreichsten Mitglieder der Staaten war, in allen Verhandlungen ebenso behend als fest auftrat, seine Politik im großen Ganzen der des Oraniers anpaßte und zu dessen festesten Stützen in Holland gehörte. Denn O. war weit entfernt ein Republikaner nach unseren heutigen Begriffen zu sein; nichts war ihm mehr zuwider als ein Eingreifen der seiner Ansicht nach unberechtigten Bürger in die Leitung der Geschäfte: wenn er auch Alles für das Volk thun wollte, Nichts sollte durch dasselbe geschehen. Dagegen wünschte er eine feste Autorität im Staat, im Ganzen so gut wie in den Theilen, und er stand nicht an, diese Autorität einem eminenten Haupte, am Liebsten einem erblichen, zuzuwenden, nur beschränkt von den gesetzlichen Befugnissen der Staaten, welche den Landeskörper, wie man es damals in Holland hieß, gesetzmäßig vertraten. Diesen Grundsätzen ist O. immer treu geblieben, er war nie gemeint, wie später Johann de Witt und die antioranischen Regenten, im Staatencolleg, ja wie so viele unter jenen, de Witt freilich durchaus nicht, in den städtischen Oligarchieen, die Staatsgewalt zu verkörpern. Im Gegentheil, er hat nicht allein den Willen der Mehrheit in den Staaten gegen den Einspruch der Einstimmigkeit fordernden Minorität immer aufrecht zu erhalten versucht, sondern auch öfter die Würde und die Autorität, welche Wilhelm von Oranien besessen hatte, selbst mit dem Grafentitel, dessen Sohne zuzuwenden sich bemüht. Ein Staat freilich war wohl Holland, im Anfang vielleicht noch das durch die Union des [243] J. 1576 verbundene Holland und Seeland, nicht aber die Union der vereinten Niederlande. Ihm galten die Vläminger, Brabanter, Friesen und wie sie alle hießen, nur als Bundesgenossen, mit denen man zwar auf Leben und Tod verbunden war, denen gegenüber man jedoch nur bestimmte Verpflichtungen zu erfüllen hatte, aber nicht die Interessen des eigenen Landes zu opfern brauchte. Allerdings schienen ihm die Interessen Hollands identisch mit denen der Gesammtheit, war es doch, wenigstens nach Oraniens Tod (1583) und der Eroberung Brabants und Flanderns die einzige Provinz, welche den übrigen den Widerstand gegen die Spanier ermöglichte; die anderen waren entweder zu klein oder zu arm, um auch nur ihre eigenen finanziellen Verpflichtungen zur Vertheidigung der Union, ja des eigenen Gebiets zu erfüllen. Doch war er damals keineswegs ein engherziger Particularist: wenn es Noth that, wollte er auch einer kräftigen Centralregierung der Union, wenn sie sich in ihren gesetzmäßigen Schranken hielt und nicht die Interessen Hollands schädigte, sehr weite Befugnisse ertheilt wissen. Mit einer Consequenz die fast zur Starrheit wurde, hat O. bis ans Ende an seinen Grundsätzen festgehalten. Es ist nicht zu bestimmen, ob O. in jenen Zeiten die Niederlande so fest an Frankreich verbunden wünschte, wie es immer die Absicht Wilhelms von Oranien gewesen war, der in Frankreich, dem Erbfeinde Spaniens, die einzige Schutzmacht der Niederlande erblickte. Als nach dessen Tode in den Provinzen heftiger Streit entstand zwischen der französischen und englischen Partei, in welchem erstere siegte, was den Rücktritt des Advocaten von Holland Buys (A. D. B. III, 676) zu Folge hatte, geschah nichts was einen Schluß auf seine Gesinnung gestattet. Jener Sieg der französischen Partei, welche auch jetzt noch ihre Rechnung auf den gehofften Anschluß des Hofes an die Hugenotten gründete, war ein unfruchtbarer; König Heinrich III wies die ihm angetragene Souveränität über die vereinten Niederlande ab. Da blieb nichts übrig als sich an England zu wenden, denn in jenen Tagen, als Antwerpen vom Prinzen von Parma mit jedem Tag enger eingeschlossen wurde und somit die letzte Vormauer von Holland und Seeland zu fallen drohte, konnten auch diese beiden Provinzen sich nicht mehr so ablehnend gegen fremde Einmischung verhalten, wie vorhin dem Herzog von Anjou und selbst noch Heinrich III. gegenüber. Im Gegentheil die holländischen Mitglieder waren in der an die Königin Elisabeth abgeordneten Gesandtschaft die Führer. O. war unter ihnen und zeigte bei den Verhandlungen, die, nachdem die angetragene Herrschaft von der Königin abgeschlagen war, (es war freilich nur eine Formalität gewesen, man war jener Antwort im Voraus gewiß) über die Bestimmungen eines engen Bündnisses geführt wurden, schon jene diplomatische Gewandtheit, die ihm bald einen hervorragenden Rang unter den Staatsmännern der Zeit sichern sollte. Es gab keine geringen Schwierigkeiten zu überwinden, weil die Königin sich die freie Hand Spanien gegenüber zu erhalten versuchte und doch die Niederländer nicht ihrem Schicksal überlassen mochte, damit die Nordseeküste nicht wieder ganz und gar spanisch würde. Am Ende kam der Tractat von Westminster (Herbst 1585) zu Stande, welcher den Niederländern eine nach damaligen Begriffen beträchtliche Hilfsmacht und einen obersten Anführer sicherte, dessen sie fast noch mehr zu bedürfen meinten als der englischen Waffen. Dagegen hatten sie der Königin zwei Pfandstädte, Vliessingen und den Briel und ihren Beamten eine gewisse Ueberwachung ihrer Politik, ja ihrer Verwaltung einzuräumen. Die Bestimmung, „der englische Generalgouverneur“ sollte das Recht haben in den Provinzen, wo es keinen Gouverneur gab, selber einen zu stellen, veranlaßte bald nachher die Wahl des jungen Moritz von Oranien (A. D. B. XXII, 283) zum Statthalter und Generalcapitän und Admiral von Holland und Seeland, da die Holländer mit Recht fürchteten, sonst unter eine Creatur der Engländer zu [244] gerathen. Es war bekannt, wie es namentlich O. gewesen war, der jene Ernennung des Oraniers bewirkt hatte, ja es galt allgemein dafür, derselbe hätte demselben am liebsten die Würden seines Vaters aufgetragen, wenn er nicht noch gar zu jung zu einer solchen Stelle gewesen wäre. Im Ganzen gab es damals keinen unter den holländischen Staatsmännern, der sich des Hauses Nassau so annahm, wie er denn auch mit Wilhelms Wittwe, Louise de Coligny (s. A. D. B. XIX, 625) immer im besten Einverständnisse lebte. Die Wahl von Moritz war indessen keineswegs in der Absicht geschehen, um die Macht des englischen Generalgouverneurs, des Grafen von Leicester, zu beschränken: im Gegentheil, die holländischen Staaten waren nicht weniger bereit als die der anderen Provinzen, denselben mit allen Befugnissen auszustatten, welche er ihrer Ansicht nach beanspruchen konnte, und O. war mit unter den Abgeordneten der Generalstaaten, welche dem Grafen, als er von jenen einstimmig zu der Würde eines Generalgouverneurts der Niederlande, wie es der Erzherzog Matthias von Oesterreich gewesen war (sein englischer gleichlautender Titel war militärischer Natur) erhoben wurde, jene Stelle anbot, und er hat mitgearbeitet, ihm dabei eine Fülle von Befugnissen anzutragen, welche die des Erzherzogs nicht allein sondern auch des erwählten Fürsten, des Herzogs von Anjou, und die welche Wilhelm von Oranien je, entweder in Holland oder sonst irgendwo, besessen hatte, weit überragte. So gewiß achtete O. damals eine kräftige allgemeine Regierung nicht unverträglich mit seinen Ansichten der Sonderrechte der Provinz. Leicester war leider vielleicht der am wenigsten zu einer solchen Stellung befähigte Mann, den man überhaupt hätte auffinden können. Kaum hatte er die Macht, so wähnte er sich berufen dieselbe zu benutzen zur Bekämpfung aller holländischen Interessen und speciell der des holländischen Handels, und umgab er sich bloß mit den Gegnern der Holländer und der Staatenregierung, unter welchen bald die verrufensten bei ihm am meisten galten. Es begann der erste Kampf der beiden Parteien, welche zusammen die niederländische Revolution gemacht hatten, der calvinistisch-demokratischen oder vielleicht besser theokratischen und der Regentenpartei, oder wie ihre Gegner sie nannten, der Libertiner. Jene stellten die ausschließliche Herrschaft der reformirten Religion als erste Bedingung des Staats, während diese die Autorität der Staaten auch über die Religion vertheidigten und darum gewissermaßen die religiöse Toleranz vertraten. Leicester warf sich unbedingt der ersteren, der sich alle alten und neuen Gegner der Präponderanz Hollands anschlossen, in die Arme, und war von jetzt an der entschiedene Feind der einzigen Provinz, welche im Stande war, den Kampf ums Dasein gegen Spanien auszuhalten. Er eröffnete den Angriff, indem er eben die Säulen der holländischen Macht zu zerstören suchte, die Interessen des Handels und die Autorität des Regenten.
Die Holländer setzten sich gleich entschlossen zur Wehr, und O. trat von jetzt an an ihre Spitze, fest entschlossen zu siegen oder unterzugehen. Kaum waren die ersten Maßregeln Leicester’s bekannt, so beschlossen die holländischen Staaten, die durch Buys’ Rücktritt erledigte Stelle eines Landesadvocaten aufs neue zu besetzen und boten sie O. an, als dem anerkannt fähigsten und rüstigsten unter ihren Mitgliedern. Nach langem Zaudern und unter heftigem Sträuben der Rotterdamer Regierung, welche ihren Pensionär nicht verlieren wollte, nahm O. sie an. Und weil Moritz, auch seitdem er Statthalter war, nicht aus dem Dunkel hervortrat und sich in allem Oldenbarnevelt’s Weisungen fügte, ward dieser ohne Widerreden das Haupt der Provinz und so factisch, sobald er den Gegner aus dem Felde geschlagen hatte, des ganzen Landes, das von jetzt an jene eigenthümliche Staatsform besaß, die die Republik der Vereinigten Niederlande zu einem Unicum in der Geschichte machte.
[245] Als Landesadvocat hatte O. die Leitung der Berathungen in der Staatenversammlung, deren Minister er hieß, und zwar mit sehr ausgedehnten Befugnissen in Betreff der Fassung des Beschlüsse; denn er war ständiges Mitglied ihres Executivausschusses, der Committirten Räthe und ihr ständiger Abgeordneter und meistens auch ihr Redner in den Generalstaaten; er mußte alle Briefe an die Staaten eröffnen und beantworten, und hatte ihnen in allen Geschäften mit seinem Rath zu dienen. So blieb ihm in der ganzen Verwaltung nichts unbekannt, und es liefen alle allgemeinen Geschäfte des Landes und namentlich alle die, welche sich auf die Verbindung mit den anderen Provinzen und der allgemeinen Regierung, ja auch alle die, welche sich auf die Beziehungen der verschiedenen Theile der Provinz untereinander bezogen, durch seine Hände, während die sonstigen Deputirten meistens nur abwechselnd in den Staaten und den Ausschüssen saßen und die Meinung ihrer Committenten zu vertreten hatten, während der Advocat sein persönliches Urtheil geltend machen konnte. Es hing aber sehr von der Bedeutung des Inhabers jener Stelle ab, ob das Amt wirklich solch ein einflußreiches war, und erst durch O. ist es das mächtigste der Republik geworden, und zwar durch die Umstände fast gleich mit dessen Eintritt, weil eben eine Krisis das Land bedrohte, gefährlicher als irgend welcher Angriff von Seiten Spaniens. Es würde zu weit führen, hier den Verlauf des Kampfes der Staaten mit Leicester und dessen Verbündeten, den Calvinisten, zu erzählen, um so mehr, da O. im Anfang desselben nicht hervortrat. Erst als Leicester am Ende des Jahres 1586 auf einige Zeit nach England zurückkehrte, fand ein Zusammenstoß zwischen beiden statt, da O. in einer Conferenz zwischen dem Generalgouverneur und den Abgeordneten der Generalstaaten, in welchen die holländische Partei noch immer die Oberhand hatte, jenem in langer Reihe alle Punkte, über welche die Staaten unzufrieden waren, vorhielt. Es kam aber damals noch zu keinem offenen Bruche. Erst als während Leicester’s Abwesenheit bekannt wurde, wie er dem ihn vertretenden Staatsrath durch geheime Befehle verboten hatte, irgend einen wichtigen Entschluß zu fassen und darum keiner der englischen Officiere, deren Verrath man fürchtete, von seinem Posten abgerufen werden konnte, was denn auch bald genug die übelsten Folgen hatte, da jene Offiziere sich mit sammt ihren Truppen und den ihnen anvertrauten Plätzen, namentlich Deventer und den Schanzen bei Zutphen, den beherrschenden Plätzen der Ysselinie, welche bis jetzt Utrecht und Holland gedeckt hatten, überlieferten, erst da griffen die Staaten zu, in einer Weise, welche zeigte, daß ein einziger kräftiger Wille ihre Entschlüsse beherrschte. Es war nicht viel weniger als eine Revolution, wie in jenen Beschlüssen im Monat Februar des Jahres 1587 die Staaten von Holland die Autorität des Generalgouverneurs, insoweit dieselbe in ihrer Provinz galt, an sich nahmen oder ihrem Statthalter zuwandten, sich also der alleinigen und unbeschränkten Souveränität über ihr Gebiet bemächtigten, aber es war eine durchaus nothwendige Revolution. Zu Anfang wagten auch die Gegner sich nicht zu widersetzen, aber als sie bald von England aus zur Gegenwehr aufgestachelt wurden, begann ein schonungsloser politischer Kampf, in welchem von keiner Aussöhnung der Parteien die Rede sein konnte. Doch so heiß der Kampf auch war, O. und seine Gesinnungsgenossen waren ihren Gegnern bei weitem überlegen. Nur Deventer (s. A. D. B. V, 94), der Brabanter, der jetzt als Bürgermeister von Utrecht der Führer der calvinistischen Demokratie war, zeigte sich ihnen gewachsen. Leicester selber und seine übrigen Parteigenossen häuften Fehler auf Fehler und erreichten meistens mit ihrer übereilten und unberathenen Thätigkeit das Gegentheil ihrer Zwecke. Aber namentlich war es die rücksichtslose Entschlossenheit des Regenten, die den Gegnern imponirte und wenigstens in Holland ein Aufkommen ihrer Partei [246] unmöglich machte. Nur in einem entlegenen Winkel Nord-Hollands wagte der alte Wassergeuse Sonoy den Staaten Trotz zu bieten, sonst war die ganze Provinz und ebenso Seeland ihnen gehorsam, und nicht allein die Regenten, sondern auch die Bürger, welche sich nicht von den Calvinistenpredigern verführen ließen zu glauben, die Religion sei in Gefahr. Und letztere bekamen die Hand der Regierung schwer zu fühlen. Als eine Deputation derselben, unter Führung des Leydener Professors Saravia, den Staaten ihre Beschwerden vorlegte, wurden sie von O. in unerhörter Weise angefahren: „Die Herren (d. h. die Staaten) wissen Alles, was Ihr zu sagen habt, und noch Vieles dazu, sie kümmern sich ebensoviel wie Ihr um das allgemeine Interesse. Geht also nach Hause und laßt die Herren die Staatsgeschäfte führen“, soll er ihnen als Antwort zugerufen haben. Das waren die öfters gefürchteten und damals von den Behörden nicht selten verhätschelten geistlichen Herren nicht gewohnt, und Saravia nahm in seiner Erbitterung bald Theil an einer Verschwörung, um seinen Wohnort dem Grafen von Leicester in die Hände zu liefern, was mehreren seiner Genossen den Kopf und ihm, dem es zu entkommen gelang, natürlich seine Stelle kostete. Und so fuhren die Staaten fort, ohne Rücksicht auf Gesetzmäßigkeit oder auf persönliches Ansehen zu handeln gegen Jedermann, der sich ihnen entgegenstellte. Als Leicester Truppen in einige holländische Städte legte und dann eine Rundreise durch die Provinz versuchte, ließ sich O. eine Indemnitätsacte von den Staaten ausstellen und verließ den Haag, da er in dem offenen Ort sich nicht sicher achtete. Freilich er war gewarnt, der Graf wolle ihn mit samt dem Statthalter aufheben lassen oder gar ermorden. Aber zu Rücknahme irgendwelchen Entschlusses war die Staatenpartei nicht zu bewegen. Als auch Amsterdam sich fest entschlossen zeigte, sich gegen jeden Staatsstreich zur Wehr zu setzen, gab Leicester den Kampf auf, der völlig aussichtslos geworden war, seitdem das Volk wußte, daß England Frieden mit Spanien wollte, und daß Leicester beauftragt war, auch die Niederländer dazu zu zwingen. Denn eben das ermöglichte O. und seinen Genossen so schroff aufzutreten, sie fühlten, daß Alle, welche ausharren wollten im Kampfe gegen Spanien, am Ende zu ihnen, nicht zu den Engländern stehen würden, daß am Abscheu des Volkes gegen das spanische Joch auch das Toben der Calvinisten scheitern würde, da nicht diese, sondern sie, die Genossen Wilhelms von Oranien und die durch den Krieg groß gewordenen Kaufleute das Princip jenes Kampfes auf Leben und Tod verkörperten. Wie war das Volk bald enttäuscht und wendeten sich auch die eifrigsten Reformirten von ihren Führern ab, als sie die bittere, ihnen so lange wie möglich verhüllte Wahrheit vernommen hatten: die Königin von England wolle Frieden mit Spanien. Nichts hat wol O. und seine Freunde mehr in ihrer entschlossenen Politik bestärkt, als die von ihnen schon recht bald durch Mittheilungen aus England erhaltene Gewißheit dieser Friedensabsichten der Königin. Und dazu war der Kampf von Niederländern gegen Hollands Interesse, damals, als nur Holland den übrigen Provinzen die Möglichkeit bot den Kampf ums Dasein fortzusetzen, ein geradezu widersinniges Unternehmen, das auch nur Beifall fand bei den um die Herrschaft der Kirche kämpfenden Predigern, den thörichter Weise vom Bürgerrecht in ihrer neuen Heimath ausgeschlossenen und darüber unzufriedenen Emigranten und den vielen unruhigen und ehrgeizigen Köpfen, die im Trüben zu fischen meinten. Selbst das Heer, insoweit es nicht aus Engländern bestand, und selbst diese theilweise, stand zu den Staaten und mit wenigen Ausnahmen thaten dies gleicherweise alle alten Genossen Oraniens und, ohne Rücksicht auf ihre religiöse Meinung, die Masse der Bürger in den Städten. Darum gelang es O. eine so rücksichtslose Politik zu führen, die sonst gewiß zu seinem eigenen Verderben hätte ausschlagen müssen. Als Leicester Anfang 1588 aufs Neue [247] den niederländischen Boden verlassen hatte, war bald die Staatenpartei und durch sie ihr Führer unbestrittener Meister im Staat. Doch denselben von unten auf zu reorganisiren, aus den verschiedenen Provinzen eine politische Einheit aufzubauen, dazu fehlte ihm wahrscheinlich sowol die Gelegenheit als auch der Wille. Zu versuchen, die Ursachen jener Widersprüche zu entfernen, die den Kampf veranlaßt hatten und nur allzu leicht aufs Neue veranlassen konnten, ist ihm wol nie in den Sinn gekommen. Die Gegenwart nahm ihn zu sehr in Anspruch, eine solche weitreichende Maßregel, die dazu kaum richtig beurtheilt werden konnte, anzuregen. Es blieb eigentlich alles beim Alten. Er war von jetzt an zwar der Leiter der niederländischen Politik, doch er blieb bloß der Minister von Holland und meinte als solcher die Union zu lenken. Das hat sich schwer gerächt; er selber sollte noch die bitteren Früchte ernten. Obgleich die calvinistisch-demokratische Partei vollständig geschlagen war und im Jahre 1588 in ihrem Hauptquartier, der Stadt Utrecht, angegriffen, mit ihrer letzten Festung auch für lange Jahre allen Einfluß verlor, und dazu die Armada auch den verbittertsten Gegnern der Staaten bewies, wie vollkommen dieselbe in ihrer Politik Recht gehabt hatten, so war doch der jetzige niederländische Freistaat so innerlich von jenen Kämpfen zerrüttet und so von allen Seiten bedroht, daß seine Erholung fast ein Wunder schien. Glücklicherweise hatte der König von Spanien in seiner Verblendung es seinem genialen Vertreter in den Niederlanden, Alexander von Parma, unmöglich gemacht, den elenden Zustand der niederländischen Streitkräfte zu benutzen und O. konnte Zeit gewinnen, zusammen mit Moritz und Wilhelm Ludwig von Nassau dieselben aufs Neue zu ordnen. Wenn man seine Papiere, oder was davon übrig ist, aus jenen Jahren einsieht, so möchte man glauben die eines Generals oder Kriegsministers vor sich zu haben, so vieles findet sich darin über die Armeeverwaltung, die Organisation, Verpflegung u. s. w. Freilich in jenen Jahren als außer Holland und Seeland nur Utrecht und Friesland an die Generalitätskasse contribuirten und Gelderland und Overyssel (die siebente Provinz, die Stadt Gröningen und ihre „Ommelanden“, war noch spanisch) kaum einige Garnisonen zu bezahlen verpflichtet waren, hatte Holland fast die Gesammtkosten der Vertheidigung zu bezahlen. Und da der Advocat in Allem seine Hand hatte, war auch das Heerwesen ihm gewissermaßen untergestellt, wenn es auch bei der Reorganisation des Staatsraths, welche, als endlich Leicester officiell abgedankt hatte, fast die erste Sorge der Staaten war, dieser Centralbehörde fast als einzige Befugniß verblieb. Dazu war es eben das Heer, welches damals der Regierung die schwerste Sorge bereitete; in jenen Jahren, 1588 und 1589, waren Soldatenmeutereien an der Tagesordnung, und es kostete schwere Mühe dieselben ohne bleibenden Schaden zu dämpfen. Die wichtige Festung Geertruidenberg gerieth dadurch den Spaniern in die Hände. Doch endlich sahen O. und Moritz, die in jenen Jahren enger als je verbunden waren, ihre Arbeit belohnt; nach drei Jahren war das niederländische Heer eine, wenn auch kleine, so doch ausgezeichnete Armee, welche alle anderen, auch die spanische, übertraf und bald allgemein als eine Mustertruppe galt. Wenn das auch gewiß im großen Ganzen das Werk von Moritz und Wilhelm Ludwig von Nassau war, ohne den Beistand Oldenbarnevelt’s wäre es ihnen wol nie gelungen und hätten diese namentlich auch keine Gelegenheit gehabt, die Truppe so unausgesetzt im Felde zu verwenden, wie dies in den neunziger Jahren der Fall war. Wie sehr O. und Moritz damals zusammenhielten, zeigte sich auch noch in den nächsten Jahren, als O. es vornehmlich war, der die Wahl des letzteren zum Statthalter der drei früher dem Grafen von Neuenahr unterstellten Provinzen veranlaßte, und dadurch einen so engen Anschluß der Provinzen erzielte, wie nur bei dem unbesiegbaren Sonderungstrieb der Provinzen möglich war. Denn [248] dem, was von jetzt an als Hauptfehler des niederländischen Freistaates gelten konnte, dem Mangel an Autorität der Centralbehörde, war nicht abzuhelfen, solange die Bestimmungen des Tractates des Jahres 1585 in Kraft blieben, welche den Staatsrath theilweise von England abhängig machten. Dazu kam noch eine Schwierigkeit: die Union bestand aus einer großen und mächtigen Provinz, welche immer mehr als die Hälfte, damals selbst zwei Drittel aller Gesammtlasten trug und sechs schwachen und armen, welche gleichwohl jener keinen Augenblick irgend ein gesetzliches Uebergewicht einzuräumen gesonnen waren und dies auch nicht konnten, wenn sie ihre Interessen nicht denen der Holländer preisgeben wollten. Denn das ist gewiß, die Holländer waren eben so particularistisch als die anderen Bundesgenossen und fühlten sich wie diese immer zuerst als Holländer, nicht als Niederländer, ein Gefühl, das immer wieder verstärkt wurde durch die Opposition der anderen Provinzen und dann wieder diese aufstachelte. So drehte man sich in einem vitiösen Cirkel, ohne irgendwelche Hoffnung, dem Zustand ein Ende zu machen.
O. war am wenigsten der Mann, zu versuchen, wie dieser gordische Knoten wol gelöst werden könnte, er hatte ja viel zu viel zu thun mit den Forderungen der Politik des Tages, den Sorgen für die Vertheidigung, den Finanzen und bald auch mit den auswärtigen Angelegenheiten. Hier hatte glücklicherweise seit den Leicester’schen Wirren der ganze Staat ein und dasselbe Interesse. Die Zeiten waren für lange Jahre vorbei, da die Holländer ihres Handels oder auch wol ihrer eigenthümlichen Lage wegen andere Verbindungen wünschten, als die übrigen Niederlande.
Es währte nicht lange, so trat jene diplomatische Wirksamkeit des Advokaten dermaßen in den Vordergrund, daß seine Geschichte identisch ist mit der der niederländischen Politik, so daß in der leider nicht vollständigen Quellensammlung des Herrn van Deventer, welche bestimmt ist die Wirksamkeit Oldenbarnevelt’s so bloßzulegen, wie die Arbeiten Groen’s und Gachard’s es für die von Wilhelm von Oranien gethan haben, nach den Leicester’schen Zeiten die auswärtigen Angelegenheiten fast den einzigen Inhalt des Buches ausmachen. Lange Jahre, bis zum Anfang der Unterhandlungen über den zwölfjährigen Stillstand, ist das so geblieben, und wenn sich auch von da an andere Einflüsse geltend machten und die inneren Angelegenheiten sich mit den auswärtigen verwickelten, so blieb doch bis ans Ende Oldenbarnevelt’s Politik im großen Ganzen die des Staates und blieb er dem Auslande der Führer der Union. Doch war die auswärtige Politik nur ein Theil, wenn auch der wichtigste Theil seines Wirkens. Jede irgendwie wichtige militärische Unternehmung wurde zwischen ihm und Moritz, dann und wann mit Hinzuziehung von anderen Staatsmännern, namentlich auch des friesischen Statthalters, Graf Wilhelm Ludwig von Nassau, vereinbart. Oft erschien er in jenen glorreichen neunziger Jahren persönlich im Kriegslager (er rühmte sich zu fünfundzwanzig verschiedenen Malen als Deputirter der Staaten im Felde gewesen zu sein) und er sorgte selber für die Herbeischaffung von Truppen, Lebens- und Transportmitteln und Kriegsmaterial. Und ebenso hielt er die Finanzen unter seiner Aufsicht, was in einer Zeit, wo Holland bald nicht allein von den anderen Provinzen, sondern auch vom Auslande um Geld und immer wieder Geld angegangen wurde, sehr nothwendig war. Einem so ausgezeichneten Finanzmann durfte diese Sorge vollständig anvertraut werden. Am meisten vielleicht sorgte er aber mit unermüdlichem Fleiß für die Handelsinteressen. Da wußte er, lag der Nerv des Staates, aus den „Commerzien“ zog derselbe jene merkwürdige Kraft, welche ihm nicht allein den Kampf mit Spanien zu führen gestattete, sondern ihn auch nach wenigen Jahren in ganz Europa als eine Schutzmacht des Protestantismus erkennen ließ. Unermüdlich war er beschäftigt, dem [249] Handel alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu schieben, oder gar demselben mit Hilfe des Staates neue Wege zu eröffnen. Wie lebhaft betheiligte er sich bei den Unternehmungen zur Auffindung eines neuen Weges nach Indien, auch die damaligen Polarfahrten fanden an ihm einen Gönner; wie sorgsam überwachte er nicht alle Pläne, dem niederländischen Handel im fernen Orient die Herrschaft zu gewinnen. Nirgends hat er vielleicht die Klarheit seines Geistes so erwiesen als hier. Er ersah deutlich wie das Monopolsystem der Spanier und Portugiesen den indischen Handel bei weitem nicht die Früchte abwerfen ließ, welche die freie Concurrenz erzielen konnte, doch er kam dabei auch bald zur Einsicht, da wo die Niederländer mit anderen Nationen in öffentlicher oder geheimer Feindschaft zusammenstießen, seien die Freihandelsprincipien noch nicht recht am Platze. Denn nicht allein, daß die vielen kleinen Handelsgesellschaften einander eine drückende Concurrenz machten und sich dadurch oft um allen Vortheil brachten, sondern sie vergeudeten durch Zersplitterung auch ansehnliche Kräfte, die, richtig angewandt, ausreichten, um dem niederländischen Handel den ersten Platz zu sichern. Daher hat O. hier nach wenigen Jahren der Versuche von seinen freihändlerischen Ideen, die er sonst überall hochhielt, abgesehen, und er bewirkte im J. 1602 die Errichtung der Vereinten Ostindischen Compagnie, der großartigsten Handelsgesellschaft jener Zeit. Er erreichte damit die doppelte Absicht, dem holländischen Handel das Uebergewicht in Indien zu sichern, dem Staate im fernen Osten eine dem Feinde überlegene und doch ihn nichts kostende Kriegs- und Seemacht zu schaffen und die niederländischen Kaufleute gegen die Concurrenz der Landsleute zu sichern. Wenn man bedenkt, wie ein so mächtiges Haus, wie das der Moucherons (s. A. D. B. XXII, 410) durch jene Concurrenz seinem Untergange zueilte, da es zur Ueberanstrengung seiner Kräfte in verwegenen, aussichtslosen Unternehmungen aufgestachelt wurde, so kann man Oldenbarnevelt’s verständiges Einlenken in einen sonst von ihm gemiedenen Weg nicht anders als gut heißen. Daß die Compagnie später der Sitz eines schädlichen Monopolgeistes wurde, das ist nicht seine Schuld gewesen; und wie überhaupt unter jenen Umständen, als der indische Handel zugleich ein Krieg, und keineswegs einer mit friedlichen Waffen, gegen die Concurrenz des Auslandes war, die Holländer sich ohne monopolisirende Compagnien hätten behaupten können, läßt sich kaum absehen.
Indessen so gewiß O. auch den Handel so viel als möglich aller Fesseln entledigte und selbst dann und wann demselben von Staatswegen Vorschub zu leisten nicht anstand, ohne doch dabei denselben einer Beaufsichtigung zu unterwerfen, so soll man doch nicht denken, er habe ein System des Freihandels fix und fertig im Kopfe gehabt und dasselbe zur Ausführung zu bringen gesucht. Im Gegentheil, O. war durch und durch ein praktischer Staatsmann, der seine Politik nach den Bedürfnissen des Augenblickes änderte und dadurch vielleicht wol einmal in Widersprüche gerieth. Er griff im Kampfe nach jeder Waffe, die ihm am besten für den Moment paßte, wenn er dabei nur meinte, den Vortheil des Staates und in erster Reihe der Provinz Holland zu erreichen und namentlich die Autorität der Herren Staaten von Holland unerschüttert zu erhalten. So galt bald seine Politik als eine unzuverlässige, eigennützige (als ob es je eine uneigennützige Politik geben könnte!) und klagten In- und Ausländer über den herrischen, schlauen und unberechenbaren Barnevelt, wie er gewöhnlich hieß, wenn alle auch zugeben mußten, daß er eine Fähigkeit entwickelte, welche die Hilfsquellen des kleinen, wenn auch durch den Handel immer reicher werdenden Staates, so verwerthete, daß dieselben unendlich größer schienen als wirklich der Fall war. Freilich die Umstände blieben ihm lange Zeit außerordentlich günstig. Spanien war erschöpft und König Philipp zwang seine Feldherren, die letzten [250] ihm zu Gebote stehenden Kräfte in Frankreich zu vergeuden. Und Frankreich konnte die anwachsende Republik nicht als Bundesgenossen entbehren. Wenn auch der Uebertritt Heinrich’s IV. zum Katholicismus die protestantischen Niederländer empfindlich verletzte, so blieben die Beziehungen zu ihm doch immer, auch nach dem Frieden von Vervins, entschieden bequemer und freundschaftlicher als die zu England. Da war es nicht allein die Schaukelpolitik Elisabeth’s, die jeden Augenblick ihren Frieden mit Spanien abzuschließen auf dem Punkt schien, sondern namentlich die Concurrenz der Handelsinteressen, welche die größten Schwierigkeiten bereiteten. Ein paar Mal hat sich denn auch O. dazu bequemen müssen, persönlich in England zu erscheinen, wenn es schien, daß die beiderseitigen Gesandten allein nicht mehr die Schwierigkeiten bewältigen konnten. Wenn es ihm auch im J. 1603 dabei so wenig den Frieden zwischen Spanien und England zu verhindern gelang als 1598 den von Frankreich und Spanien, so brachte er doch jedesmal einen neuen Tractat, mit für die Staaten günstigen Bedingungen zu Stande, so daß es dem Volke schien, als ob die Mächte die niederländische Sache noch nicht aufgegeben hätten. In jenen Jahren, als der gewaltige Entscheidungskampf in Deutschland sich vorzubereiten anfing, begannen die deutschen Protestanten auch in nähere Verbindungen mit den Staaten zu treten. Es waren nicht allein die Fürsten und Reichsstände am Niederrhein und Westfalen, die in den Niederländern ihre natürlichen Freunde und Beschützer erblickten, und es waren auch nicht allein diejenigen, welche in der Jülicher Erbfolge interessirt waren, welche damals die Freundschaft der Staaten suchten. Auch in den Unionsbestrebungen jener Zeit spielten dieselben schon eine Rolle, wenn auch eine untergeordnete. Es geschah eben in jenen Jahren vor dem Stillstand, was man so gerne zwanzig Jahre zuvor hätte geschehen sehen; die deutschen protestantischen Fürsten opferten Geld, um den Staaten den Krieg führen zu helfen, der ja auch ein Krieg in ihrem Interesse war. Es war überhaupt der Staatskunst Oldenbarnevelt’s gelungen, die Alliirten, auch nachdem sie ihren Frieden mit Spanien gemacht hatten, zu veranlassen, die Republik, die so zu sagen zum allgemeinen besten den Krieg führte, so lange zu unterstützen, bis Spanien endlich einem Frieden, sei es auch nur einem auf kurze Zeit geschlossenen, zustimmte, der der Republik eine factische Anerkennung ihres Besitzes und ihrer Unabhängigkeit brachte. Denn ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich als Ziel der Oldenbarnevelt’schen Politik, wenigstens nach dem Frieden von Vervins ein Abkommen mit Spanien auf ehren- und vortheilhafte Bedingungen nenne. Darauf blieben unter allen Umständen in den Jahren 1598–1609 alle seine Bestrebungen gerichtet. Freilich durchaus nicht jedes Abkommen; so sehr er den Frieden nothwendig erachtete, so sehr wollte er auch bloß einen auf Bedingungen, die er selber dictirt hatte. Eben das charakterisirt seine Wirksamkeit in den bangen Jahren 1607–1609, als über den Stillstand gehandelt wurde. Schon eine bloße Skizze dieser Wirksamkeit würde zu großen Platz einnehmen und muß also unterlassen bleiben; es sei nur bemerkt, daß eben in jenen Jahren sein persönliches Wirken viel mehr ins Auge fällt, weil er dabei nicht mehr auf die Unterstützung aller politischen Führer zählen konnte und namentlich, weil er hier nicht mehr eine Linie mit dem Prinzen Moritz inne hielt. Wenn er auch bis jetzt vielleicht weit öfter als erwiesen mit anderen Regenten in Conflicte gerathen war, dieselben waren immer in aller Stille wieder verglichen und der mächtige Advocat hatte fast immer, im großen Ganzen wenigstens, Recht behalten. Jetzt wurde es anders. Namentlich gab dazu die Einmischung der beiden verbündeten Mächte, Frankreich und England, Veranlassung. So behend die französischen Unterhändler und namentlich der alte Präsident Jeannin auch auftraten, eben ihr Erscheinen und Wirken brachte den [251] Zwiespalt zwischen dem Advocaten und seinen Gegnern an den Tag. Doch behielt derselbe auch hier das Feld; so wie der Stillstand geschlossen wurde, war er so, wie er denselben auffaßte, namentlich hatte er unerschütterlich darauf bestanden, den Niederländern ihre freie Action in Indien und auf allen außereuropäischen Meeren vorzubehalten.
O. hat damals den Gipfel seiner Macht und seines Ruhmes erreicht. Wäre er im J. 1609 vom politischen Schauplatz abgetreten, er hätte wol den Namen nicht allein des fähigsten und größten, sondern auch des glücklichsten Staatsmannes seiner Zeit und seines Landes geerntet. Denn das ward von jedermann erkannt: wie die Republik der Vereinten Niederlande damals in Europa als eine imponirende Macht dastand, nachdem sie erst vor einem Vierteljahrhundert zugleich mit den Wehen der Geburt im Todeskampfe gerungen hatte und dem Untergang nahe gewesen war, das war in erster Reihe sein Verdienst. O. war der Schöpfer der Republik. Jetzt aber folgte ein letztes Decennium dieses thatenreichen Lebens, das einen ganz anderen Charakter hatte, zwar reich an Arbeit und, dem Auslande wenigstens gegenüber eine sehr fruchtbare Arbeit, allein für ihn überreich an mühseligen Kämpfen mit ihm jedes Jahr mehr überlegenen Gegnern, die ihn endlich ins Verderben stürzten. Auch ersterer sei hier mit einigen Worten gedacht.
Es sind zwei sehr verschiedene politische Actionen, die dabei in erster Reihe in Betracht kommen und die zwar mit den inneren Angelegenheiten zusammenhingen, aber hier doch besser jede für sich besprochen werden: die erste ist Oldenbarnevelt’s Wirken zur Lösung jener Verbindung der Republik mit England, die aus dem Vertrage des Jahres 1585 entsprungen war. So lange England das Recht hatte, für seine Abgeordneten Sitz und Stimme im Staatsrath der Republik zu fordern und zwei Häfen, die damals beide als wichtige Festungen galten, den Briel und Vlissingen, besetzt zu halten, so lange war die Republik kaum unabhängig zu nennen. Es ist O. gelungen, in langen und schwierigen Unterhandlungen diese drückenden Verpflichtungen im J. 1616 abzuthun gegen eine Entschädigungssumme, die, so beträchtlich sie auch heißen konnte, dieses Resultat wol werth war. Es war dies um so schwieriger, weil eben damals die commerciellen Verhältnisse beider Länder sich keineswegs günstig gestalteten, und ihre Concurrenz im Polarmeer sowie in Indien nicht weniger wie der Streit um das Recht der Heringsfischerei zu äußerst gehässigen Anschuldigungen von beiden Seiten, ja nicht selten zu Thaten sehr gefährlicher Natur führten. Die großen Handelskriege des Jahrhunderts meldeten sich damals schon an. Dabei hatte O. es mit einem ziemlich unberechenbaren Gegner zu thun, dem Könige Jacob I., der noch dazu schon längst mit Spanien liebäugelte und der in jenen Jahren sich schon von seinem theologischen Eifer zu Einmischung in die religiösen Zerwürfnisse innerhalb der Republik hatte verführen lassen. Es ist wol niemals ein so vortheilhafter Tractat unter so ungünstigen Umständen von ihm erreicht worden, wie glücklich er auch sonst in seiner diplomatischen Action war. Kaum geringer waren die Schwierigkeiten, welche die deutschen Verwicklungen, namentlich die Jülicher Erbfolge, ihm bereiteten. Es galt da den Spaniern Halt gebieten, ohne mit ihnen in Kampf zu gerathen, und die weit auseinandergehenden Interessen und Ansichten der beiden Großmächte, die gegen Spanien Front machten, Frankreich und England, mit denen der deutschen Protestanten, namentlich der an der Erbschaft mitberechtigten Fürsten und denen der Staaten zu vereinbaren.
O. war hier fest entschlossen, der habsburgischen Partei keinen Raum zu lassen und so wies er alle Versuche des immer mit Spanien liebäugelnden englischen Königs ab, den Spaniern eine denselben vortheilhafte Deutung des 1614 mit großer [252] Schwierigkeit in Xanthen geschlossenen Tractats zu gestatten. Es war seiner festen Haltung namentlich zuzuschreiben, daß der spanische Einfluß nicht schon damals so festen Fuß im Reich faßte, als später in den ersten Jahren des dreißigjährigen Krieges. In jenen Jahren (1616) war es auch, daß er ein Bündniß herbeiführte mit den Hansestädten, nicht allein zu commerciellen Zwecken und damit dem dänischen Könige und den norddeutschen Fürsten ein Gegengewicht geschaffen würde, sondern auch im Interesse der Religion. Schon in jenen Jahren erschienen die staatlichen Agenten, Peter van Brederode und Foppe van Aitzema der österreichischen Partei als gefährliche Gegner, suchten sie doch überall die Vereinigung der sämmtlichen Protestanten, ohne Unterschied des Bekenntnisses anzubahnen. Denn O. hatte das richtige Verständniß für die deutschen Dinge; er wußte wie namentlich damals, als in Frankreich und England von den schwachen unzuverlässigen Händen der Maria de Medicis und Jacobs I. die Zügel geführt wurden, und daselbst die spanischen Einflüsterungen nur zu leichtes Gehör fanden, jeder Angriff auf das protestantische Deutschland zugleich eine dringende Gefahr für die Republik war; wie die katholische Liga, die Kräftigung des Hauses Oesterreich und der kaiserlichen Macht am Ende nur Verstärkung der spanischen Macht bedeutete. Deshalb war es ihm nicht bloß darum zu thun, die Spanier sich nicht an der Grenze des Landes festsetzen zu lassen, wenn er auch die Besetzung Wesels und mehrerer anderer festen Orte nicht verhindern konnte, sondern auch überall denselben entgegen zu treten, ihnen überall Gegner zu erwecken. So sehr er den Stillstand mit Spanien als seine kostbarste Errungenschaft betrachtete, so wenig wollte er denselben, wie seine Feinde verbreiteten, ihnen zum Vortheil gedeihen lassen und dulden, daß den Staaten die Hände gebunden würden. Doch widersetzte er sich schon jetzt allen Bestrebungen, den Stillstand zu brechen und den Krieg zu erneuern, weil er auch ohne Krieg seine Ziele zu erreichen meinte. Aber leider waren es in jenen Jahren schon nicht mehr die auswärtigen Angelegenheiten, die den alternden Staatsmann am meisten beschäftigten, die inneren Zerwürfnisse hatten sich so gestaltet, daß eine Revolution nur durch die äußerste Behutsamkeit und auch durch sie kaum verhütet werden konnte. Schon seit den ersten Jahren des Jahrhunderts hatte der kirchliche Frieden erhebliche Störungen erfahren. Dogmatischer Streit fing schon damals an den alten Zwiespalt, der in den Tagen Leicesters so gefahrdrohend gewesen, aber seitdem so ziemlich beseitigt schien, aufs Neue zu beleben. O. und seine Gesinnungsgenossen, die sogenannten Libertiner, welche die Kirche der Oberaufsicht der Obrigkeit unterstellt wissen wollten, hatten, der Utrechter Union gemäß, welche die Provinzen und namentlich Holland und Seeland, in der Ordnung der Religionsangelegenheiten völlig frei ließ, im J. 1591 eine provinzielle Kirchenordnung für Holland aufgestellt, jedoch dieselbe nicht eingeführt, da sie es wohlweislich unnöthig erachteten, durch Neuerungen Widerstand zu erwecken, während die kirchlichen Autoritäten sich überall factisch den Wünschen der weltlichen Obrigkeit fügten, und der Regierung also die von derselben geforderte Oberaufsicht nicht streitig machten. Da entstand nun der weltbekannte Dogmenstreit an der Leidener Universität, der namentlich die Prädestinationslehre betreffende Streit zwischen Arminius und den Calvinisten. Bald nahm derselbe Dimensionen an, welche dem Staat in mancher Beziehung gefährlich zu werden drohten. Die Staaten von Holland verharrten jedoch so lange, als irgend thunlich, in der Neutralität. Im J. 1610 war das aber nicht mehr möglich. In der Stadt Utrecht erhoben sich Calvinisten und Katholiken zusammen und brachten die Regierungsgewalt an sich, ohne sich an die Staaten der Provinz zu kehren, in Holland entstand Streit zwischen der Regierung und der dort kleinen aber rührigen calvinistischen Partei, in welchen Statthalter und Staaten hineingezogen wurden und schon damals die entgegengesetzte Partei [253] stützten, ersterer aber sich bald zurückzog. Das war auch in der Utrechter Revolution geschehen, wo O. und seine Freunde die Generalstaaten, deren Intervention von den Utrechter Staaten, damals Hollands treuesten Bundesgenossen, angerufen war, mit sich fortrissen, um, als Moritz sich nicht anschließen wollte, ohne denselben einzuschreiten und dessen Bruder Friedrich Heinrich an die Spitze der Executionsarmee zu stellen, welche in kurzem die Stadt zwang, sich zu unterwerfen. Es war ein Pyrrhussieg, denn, wenn auch die staatische Partei ihren Erfolg keineswegs mißbrauchte, ihr Auftreten hatte die Gegner arg verbittert und namentlich Moritz tief beleidigt; es war, wenn sie auch Nichts gethan hatten als die Macht, welche ihrer Ansicht nach der Regierung zukam, aufrecht erhalten, doch in beiden Fällen eigentlich gegen die Calvinisten gerichtet gewesen, welche sie von jetzt an der Parteinahme für ihre Gegner beschuldigten, und in ihrem Auftreten immer arminianische Bestrebungen sahen. Und ihr Verhalten war allerdings dazu angethan, einen solchen Verdacht zu erwecken. Es wurde Fehler auf Fehler gehäuft. Damit an der Gesetzlichkeit ihrer Verordnungen nicht mehr gezweifelt werden konnte, wurde jetzt von den holländischen Staaten jene Kirchenordnung des Jahres 1591 publicirt, welche den Calvinisten jede Hoffnung auf Lösung der Frage nach ihrer Gesinnung benahm. So ward Oel ins Feuer gegossen. Als erst die Arminianer bei ihnen remonstrirten und nachher die Calvinisten, hatten sie sich begnügt, beiden Frieden zu gebieten und am Ende jede Erörterung des Dogmenstreites geradezu verboten, eine Anordnung, die allerdings von den letzteren nicht befolgt werden konnte, da sie eben die Kirche von der arminianischen Ketzerei zu säubern, als ihre erste Pflicht betrachteten. Sie lehnten sich dagegen auf und zwangen dadurch an vielen Orten die Obrigkeit zum Einschreiten. Da letztere nun öfters fast ausschließlich aus Arminianern, also aus ihren Gegnern bestand, hatten sie wirklich oft schwere Noth und wurden zu Märtyrern, was natürlich ihre Zahl wachsen machte und sie zu weiterem Widerstand anspornte. Wie mächtig die conservative Gesinnung der Holländer war, ist wol selten so stark an den Tag getreten: so sehr die Unzufriedenheit zunahm und alle Stände ergriff, so blieb der Widerstand immer ein passiver. Die Calvinisten erhoben nun den einstimmigen Ruf nach einer Nationalsynode, um die Angelegenheit ins Reine zu bringen. Freilich eben damit stellten sie wieder eine Forderung, welche die Staaten, solange Oldenbarnevelt’s Ideen darin vorherrschten, nimmermehr erfüllen konnten. Denn die provincielle Autonomie vertrug sich kaum mit einer dergleichen allgemeinen Regulirung jener Differenzen. Das Recht, in Religionssachen zu handeln nach Belieben, wie die Union es ausdrückte, achtete O. eines der kostbarsten Privilegien, als eines der Souveränitätsrechte seiner Provinz, oder sagen wir lieber seines Landes. Es wird wol immer eine nutzlose Arbeit bleiben, nachzuforschen, in wie weit O. in jenen Jahren die Politik der Staaten in der Hand hatte. Unter seinen Gesinnungsgenossen waren gewiß mehrere, die kräftiger und rascher auftreten wollten und namentlich in der Dogmenfrage bei Weitem ausgesprochener Partei genommen hätten. O. gehörte einer Generation von Regenten an, welche die Religionswirren immer vom politischen Standpunkt betrachtet hatte und darum sich duldsam zeigte gegen jede Religion, welche dem Staat ungefährlich schien, wenn sie auch aus Rücksicht auf das Volk keine öffentliche Ausübung einer anderen als der reformirten Religion duldete. Oldenbarnevelt’s Auffassung der Religion vom Standpunkt des Glaubens brauchte also durchaus nicht in scharfem Contrast zum calvinistischen Dogma zu stehen, wie die seiner meisten damaligen Anhänger, wie z. B. des Grotius, und die Versicherung des Predigers Walaeus, er habe ihn, als er ihn zum Tode vorbereitete, dem Calvinismus ziemlich nahestehend gefunden, kann also recht glaubhaft sein; allein das änderte Nichts an seinem [254] politischen Verhalten dem Calvinismus gegenüber, da er sich dessen aus seinem innersten Wesen entspringender Forderung: vollkommener Freiheit der Kirche von der Obrigkeit und der Verpflichtung dieser, die Kirche zu schirmen und ihren Anordnungen den Arm zu leihen, nimmermehr fügen konnte, und dagegen die alte Forderung der Libertiner, die Kirche solle der Obrigkeit eine Oberaufsicht zulassen, mit aller Macht verfocht. Dazu wurde der Kampf je länger je mehr politischer Natur. Die alten Gegensätze und Streitfragen, die jedem föderalen Staatskörper eigen sind, aber in der Republik seit Leicester’s Abgang geruht hatten, traten wieder an den Tag, nur ungleich verwickelter und schwieriger, weil nicht bloß politische, sondern auch religiöse Motive auf dieselbe einwirkten. Das Uebergewicht Hollands, der alte Stein des Anstoßes, ward zwar von den anderen Provinzen bekämpft, aber nicht einstimmig, weil alle anticalvinistischen Elemente, die dort an der Regierung Theil hatten, sich Holland anschlossen. So hatten die Staaten von Utrecht selbst die holländische Kirchenordnung des Jahres 1591 eingeführt. Auch in Gelderland und Overyssel waren in mehreren Städten die Remonstranten oder wenigstens Anhänger des Advocaten in der Regierung. Aber ebenso gab es in den Staaten von Holland eine calvinistische Minorität, von Amsterdam geführt, welche jetzt keinen Theil nahm am Kampf für die Präponderanz der Provinz innerhalb der Union und bald manche Maßregel, für welche Einstimmigkeit gefordert wurde, lahm legte. Es ist hier natürlich nicht der Ort, den Verlauf des jetzt folgenden religiös-politischen Kampfes zu schildern. Alle, die sich gegen Oldenbarnevelt’s langgewöhnte Autorität auflehnten, stellten sich auf die Seite der Calvinisten. Und deren waren sehr viele, nicht wenige darunter, die vorher zu seinen treuesten Genossen gezählt hatten. Es scheint sich allmählich eine gewaltige Feindschaft gegen den Advocaten aufgehäuft zu haben. Irre ich nicht, so ist diese theilweise rein persönlicher Natur gewesen. Viele sonst einflußreiche Regenten empfunden es tief, daß sie in den Staaten, wo doch der Ausschlag über alle Angelegenheiten gegeben wurde, ihm gegenüber so gar nichts galten. Noch mehrere fühlten sich verletzt von seinem schroffen und herrischen Auftreten oder von der Art und Weise, wie er so viele Geschäfte factisch selber entschied und die Staaten nur gutheißen ließ, was er angeordnet. Nicht wenige nahmen die Bevorzugung seiner eigenen Familie gewaltig übel, sie konnten es nicht vertragen, daß der Advocat immer seinen Söhnen und Schwiegersöhnen die einfluß- und gewinnreichsten Stellen verschaffte, wie er gleich bei seinem Auftreten als Advocat die Rotterdamer Pensionärstelle seinem Bruder verschafft hatte. Von einem, wol seinem ärgsten und bösartigsten Feinde, François van Aerssens, wissen wir gewiß, es ist vorzüglich Rachsucht über erfahrene Kränkung gewesen, die ihn zu seiner Handlungsweise anfeuerte. O. hatte auf Ersuchen der französischen Regierung seine Zurückrufung vom Gesandtschaftsposten in Frankreich bewirkt und ihn dann durch eine seiner eigenen Creaturen ersetzt, was der immer niedrigdenkende Aerssens wol bloß rein persönlichen Motiven von Seiten des Advocaten zugeschrieben hat. Dazu hatte seit der Unterhandlung um den Stillstand seine Popularität im Allgemeinen bedeutend abgenommen, das Volk vermeinte in ihm das Streben, um jeden Preis Frieden zu erhalten, verkörpert, man glaubte ihn allgemein an Spanien verkauft. Er selber hatte dazu Veranlassung gegeben, da er sich seine Dienste an auswärtige Mächte gern bezahlen ließ, denn, wie schon gesagt, er unterließ keinen Augenblick für die Mehrung seines colossalen Vermögens Sorge zu tragen in jeder Weise, die nicht unehrlich war. Er ist nie zur Einsicht gekommen, ein Staatsmann solle nie Geschenke annehmen, damit auch nicht der leiseste Verdacht, der geringste Makel an ihm klebe, niemals stand er an, von jeder fremden Macht, mit der der Staat verhandelt hatte, das damals allgemein übliche Ehrengeschenk anzunehmen, dessen [255] Werth er genau bezifferte, wie es aus seinen eigenen Papieren hervorgeht. Freilich, er hat darum niemals den Vortheil der Republik aus den Augen gelassen, niemals um des eigenen Vortheils willen den des Staats geschmälert; doch wie sollte die Menge den Unterschied erkennen? Es ward schon in den Jahren des Stillstands allerlei gemunkelt und erzählt, wie ihm Säcke voll Gold von den Spaniern ins Haus getragen waren. Und als er jetzt für die Remonstranten eintrat, die Feinde der reinen evangelischen Lehre, des Calvinismus, hieß es natürlich, er thue dies als Diener Spaniens und des Katholicismus, die jetzt den Untergang der Kirche Christi in jener Weise zu betreiben suchten, nachdem ihre Waffen zu Schanden geworden. Sein Hinneigen zu Frankreich, seine geringe Wärme für England, dies allein echt protestantische Königreich, wurden ebenso erklärt, ja Alles was er that, bis auf seine umsichtige Politik im Jülicher Successionskampf. Mit wahrhaft dämonischem Eifer wurden die ärgsten Verläumdungen in den zahlreichen Pamphleten, die in Folge des Religionsstreites erschienen, gegen ihn geschleudert und fanden immer hie und da willige Ohren. Je weiter der Kampf sich verbreitete, je erbitterter er wurde, um so heftiger und zahlreicher wurden die Libelle, die seine Anhänger mit gleicher Münze bezahlten. Von jetzt an galt O., der wie keiner die Macht des Statthalters und die Interessen des Hauses Oranien gefördert hatte, dessen Politik immer die Fortsetzung jener Wilhelms von Oranien gewesen war, als beider ärgster Feind und principieller Gegner, und bald als der feile Landesverräther, der bloß seinen eigenen Vortheil suchte. Eben der Gegensatz zwischen ihm und Moritz, als letzterer endlich hervorgetreten war aus seiner lange gewahrten Neutralität, galt als Beweis, er habe nie etwas anderes betrieben als den Ruin des von Gott erwählten Führers des Staates, des wahren Beschützers des von dem Religion und Land verrathenden Regenten bedrückten Volkes. Um den Statthalter schaarten sich von jetzt an alle Gegner der holländischen Regentenpartei, alle offenen und geheimen Feinde des Advocaten und seines Anhangs in und außer Holland. Der politische Kampf war indessen je länger je heftiger geworden. Alle Maßregeln der holländischen Staaten fanden Widerspruch bei Amsterdam, während alle Versuche der calvinistischen Provinzen Zeeland, Friesland, und „Stadt und Lande“ (Groningen und Ommelanden) an dem Widerstande Hollands und Utrechts abprallten, während in Gelderland und Overyssel die Parteien sich die Wage hielten, wenn dieselbe auch immer mehr zu Gunsten der Calvinisten neigte. So hing es von den localen Zuständen ab, namentlich von der Gesinnung der Mehrheit des Magistrats, ob Calvinisten oder Arminianer bedrückt und verfolgt wurden. In manchem Orte, wo die Obrigkeit allzu strenge verfuhr, entstanden jetzt Tumulte; auch in den remonstrantischen Städten begann sich ein Theil der Bürgerschaft schwierig zu zeigen; im Haag selbst nahmen am Ende die Calvinisten mit Gewalt eine Kirche für sich. Da verfaßten die Staaten von Holland am 4. August des Jahres 1617 die sogenannte „scharfe“ Resolution, durch welche sie der Meinung der Mehrheit den schroffsten Ausdruck gaben und den Gegnern den Krieg offen erklärten. Dieselbe enthielt die Beschlüsse: 1) keiner Nationalsynode zuzustimmen; 2) die Religionsedicte zu bestätigen, welche namentlich die Calvinisten trafen, die die remonstrantischen Prediger nicht mehr anhören wollten und darum mit Vermeidung der öffentlichen Gottesdienste, mit einander, oft unter Vorgang von Predigern aus[WS 1] anderen Orten, ihre Gottesdienste abhielten in sogenannten Conventikeln, die, um die Katholiken an der geheimen Celebration der Messe zu verhindern, von jeher schwer verpönt waren; 3) den städtischen Regierungen zu erlauben, Truppen zur Aufrechthaltung der Ruhe anzuwerben und ihnen die Garnisonen ihrer Städte zu unterstellen, deren Befehlshaber den Staaten und ihren Committirten Räthen einen neuen Eid schwören [256] sollten; 4) den Staaten allein, mit Ausschluß der richterlichen Behörden, die Entscheidung aller Religionsdifferenzen vorzubehalten und, 5) den Prinzen Moritz aufzufordern, zur Ausführung dieser Entschlüsse die Hand zu bieten.
O. ist vielleicht niemals, auch nicht in den Tagen Leicesters, so schroff aufgetreten, als damals. Denn jene Resolutionen enthielten die äußersten Consequenzen seiner Politik, sie wahrten die Autonomie der Provinz fast in jeder Hinsicht. Selbst wenn die ganze Provinz, Volk und Regenten, einstimmig gewesen wäre, wäre eine solche Herausforderung eines Gegners eine Tollkühnheit gewesen, jetzt war sie etwas ärgeres, eine Thorheit. Denn die Gesetzlichkeit der an das Militär gestellten Forderung war sehr zweifelhaft, der Bestand der Union mußte ins Wanken gerathen, wenn jede Provinz und jede Stadt ihre eigenen Truppen zu befehlen bekam, und dazu wäre es mit der Autorität des Prinzen, der allerdings nicht die Würde, jedoch factisch die Stellung eines Generalcapitäns der Union besaß, aus gewesen, es sei denn, daß er sich den Staaten noch weit inniger und herzlicher, als er im J. 1587 gethan, angeschlossen hätte. Bei seiner bekannten Gesinnung ihn zur Mitwirkung aufzufordern, war, wenn auch dadurch die Form gewahrt blieb, eine Beleidigung, ja eine Verhöhnung. Es ist bekannt, welche Antwort er den Tag darauf in der Staatenversammlung gab; am nächsten Sonntag, 9. August, ging er öffentlich in die von den Calvinisten widerrechtlich eingenommene Klosterkirche. Der Handschuh war geworfen und aufgehoben. Von jetzt an waren alle Leidenschaften entfesselt und rasten unaufhörlich weiter. So der Stütze des Prinzen gewiß, dem, man wußte das, die Armee, trotz aller Eidschwüre, gehorsam sein würde, wagten es die Gegner Hollands, auch in den Generalstaaten zum Angriff zu schreiten. Da sah der Advocat wahrscheinlich den Abgrund, vor dem er stand, er wollte sich nicht unterwerfen, doch bot er an, seine Entlassung einzureichen. Doch seine Anhänger, denen er, wie einer später sagte, Kopf und Hand war und die sich ihrer unabwendbaren Niederlage noch immer nicht bewußt waren, zwangen ihn förmlich zum Ausharren. Es war eine Wiederholung des im J. 1587 Geschehenen, mit dem Unterschied, daß er damals den Staaten die Wahl ließ, entweder ihm ganz zu vertrauen oder ihn zu entlassen, und daß er jetzt nur blieb auf ihre flehentlichen Bitten. In wie weit er von jetzt an aber ihre Beschlüsse inspirirt hat, ist einigermaßen ungewiß; man sollte dann und wann meinen, er wollte eingelenkt haben. Doch er that fortwährend was seines Amtes war und blieb so fest im Einhalten einer Richtung, die seiner Ansicht nach die einzig richtige, wenn auch vielleicht nicht die vorsichtigste war. Zwar suchte O. durch den Vorschlag, erst solle eine provincielle Synode in Holland den Kirchenstreit zu beenden versuchen und nur dann, wenn dieses nicht zum Ziele führte, eine Nationalsynode berufen werden, zu vermitteln, doch bei der Erbitterung der Calvinisten, die ihren Sieg voraussahen, war eine solche Verzögerungspolitik resultatlos. Schon hatte der englische Einfluß sich wieder geltend gemacht, hatte das unter den Städten in der Versammlung vorstimmende Dordrecht sich Amsterdam und den drei nordholländischen Städten angeschlossen, und die Mehrheit in den Generalstaaten die Berufung der Nationalsynode beschlossen, da trat Moritz ein, setzte die Regierung in Nimwegen ab (Januar 1618), wodurch er dem Schwanken Gelderlands ein Ende machte, und bewog dann die Provinz Overyssel, sich der Mehrheit anzuschließen, so daß jetzt fünf Provinzen gegen zwei standen und nur in Overyssel eine beträchtliche remonstrantische Minorität sich dann und wann geltend machte. Den Calvinisten in Holland schwoll der Kamm; kaum waren die Regenten in Haarlem und Leiden ihrer Bürgerschaft noch Meister, die Mannschaften der Bürgerwehr (Schuttery) daselbst drohten mit den „Waardgelden“, den von den Städten geworbenen Soldaten, handgemein zu werden und mußten, weil sie den neuen Eid nicht [257] schwören wollten, fast sämmtlich entlassen werden, was man kaum noch ertrug. Doch die Libertiner, fast alle zugleich eifrig remonstrantisch gesinnt und darum kaum weniger fanatisch wie ihre Gegner, wollten weder zurückweichen noch einlenken, als O. vorschlug, eine Synode zuzulassen. Auf die Bedingung, daß sie versöhnende Maßregeln anberaumen sollte, konnte er nur den ziemlich nichtssagenden Entschluß bewirken, daß keiner Nationalsynode zugestimmt werden sollte, aber als weiteste Concession freilich, daß eine provinzielle Synode mit Zuziehung von Deputirten der anderen Provinzen zugelassen werden sollte. Namentlich die Haarlemer Regenten, deren Bürger doch so energisch ihre Meinung kundgegeben hatten, trieben zu Kraftmaßregeln, die bei der wirklichen Schwäche einer Partei, die je länger je mehr bloß aus Anführern d. h. Regenten und remonstrantischen Predigern bestand, fast lächerlich hätte heißen können, wenn die Folgen nicht so tief tragisch gewesen wären. Namentlich wollten sie die Sicherheit Oldenbarnevelt’s verbürgt wissen, was, wenn es, wie 1587, ausführbar gewesen wäre, seinen Nutzen gehabt hätte. Aber wohin hätte sich O. zurückziehen sollen, da selbst in den alten remonstrantischen Städten, wie Rotterdam und Alkmaar, die Bevölkerung mehr und mehr zu der anderen Seite hinneigte, und was sollte das überhaupt helfen, wenn der Statthalter und die Masse des Volks gegen ihn waren? Nie ist wol der Zwiespalt im Staat crasser zu Tage getreten als an jenem 28. Juni des Jahres 1618, als die Staaten von Holland in corpore in der Sitzung der Generalstaaten erschienen und auch die beiden Statthalter, Moritz und Wilhelm Ludwig, letzterer seit Jahren ein Führer der Calvinisten, sich da einfanden. O. hielt da im Auftrag der holländischen Staaten eine große Rede, die Unzulässigkeit und Verkehrtheit einer Nationalsynode darzulegen, bekam aber schon gleich den Protest einer Achtung gebietenden Minorität seiner Provinz zu hören; auch Schiedam hatte sich derselben angeschlossen, so daß dieselbe aus einem Drittel der stimmführenden Städte bestand. Es half natürlich Alles nichts, beide Parteien bestanden auf ihrem Rechte. Da entschied Moritz durch sein Einschreiten in Utrecht und die Entlassung der von den Staaten angeworbenen „Waardgelden“ kraft seines Statthalteramtes. Es fand kein Widerstand statt. Kein Schwert wurde gezogen für die Sache der Staaten. Die Deputation der holländischen Staaten, welche die Utrechter Collegen zum Ausharren bewegen sollte, war Zeuge, wie ihre Partei ohne Kampf überwunden wurde. Seitdem war auch ihnen das Herz gesunken, ihr Widerstand knüpfte sich nur noch an Formalitäten, wenn auch dann und wann noch ein Aufschwung stattfand und z. B. mit Verweigerung der Gelder für die Generalität gedroht wurde und einige Regenten unerschüttert blieben. Auch die Ritterschaft, in welcher O. seine zuverlässigste Stütze erblickte und in welcher seine Autorität unbestritten war (der Advocat war Secretär ihres Collegs, dessen Votum nicht selten als dessen eigene Meinung galt, und dazu vor dem der Städte ausgesprochen wurde, wie denn auch die kleineren Städte öfters bloß wie die Ritterschaft stimmten), stellten den Antrag, bedingungsweise in die Abhaltung der Synode, welche doch nicht mehr zu verhindern war, zu willigen. Es hat allen Anschein, als ob O. selber des Kampfes müde, den Ausweg begehrte, die Staaten sollten jener freiwillig zustimmen, damit nur nicht das Recht, in einer solchen Angelegenheit nach Pluralität zu verfahren, anerkannt würde, wenn die Mehrheit Holland sich nachträglich, als z. B. die Synode schon zusammentrat, fügte, wie solches am Ende doch geschehen mußte, bei dem immer deutlicher ausgesprochenen Willen der Bevölkerung und dem allmähligen Abfall der Regenten, in so weit dieselben nicht zu sehr compromittirt waren. Doch eine Stadt, Gouda, blieb fest, und die Resolution des 25. August zur Gutheißung der Abhaltung einer Nationalsynode konnte kaum legal erscheinen. Aber der Widerstand war gebrochen. Da geschah [258] es drei Tage später, daß Moritz, unter Autorisation der Generalstaaten, den Befehl gab, O. und drei seiner intimsten Freunde gefangen zu nehmen, wie es auch am 29. August 1619 auf ziemlich hinterlistige, damals aber nicht seltene Weise geschah. Er wurde auf dem „Binnenhof“, wo die Behörden ihren Sitz hatten und auch die Statthalter Hof hielten, gefangen gehalten und verließ sein Gefängniß nur, um vor einem Gerichtshof, dessen Competenz er nicht anerkennen konnte, zu erscheinen und von demselben als Hochverräther, der crimen laesae majestatis begangen habe, zum Tode verurtheilt, das Schaffot zu besteigen. Es ist kaum der Mühe werth, diesem Rechtsgang nachzuforschen, wie historisch wichtig auch die Acten des Processes sind. Denn es galt hier, wie überhaupt in jenem ganzen inneren Streit in der Republik, der fast einer Revolution ähnlich sah, keiner Rechts-, sondern einer Machtfrage. O. sollte verurtheilt werden, was vom Standpunkt des Rechtes vielleicht zulässig und rechtsgiltig heißen konnte, damit er und seine Partei vollkommen vernichtet seien. Gerne hätte Moritz ihm wol Gnade gespendet, O. hätte dann die Gesetzlichkeit seines Urtheils anerkennen müssen; er wäre auch moralisch vernichtet worden. Das haben seine Frau und Töchter so recht verstanden, als sie verweigerten, Gnade zu erbitten. „Mein Sohn ist schuldig“, sagte Maria von Utrecht später, als sie sich für ihren unglücklichen Sohn, den Herrn von Groeneveld, der sich zu einem Anschlag gegen den Statthalter verschworen hatte, verwendete, und Moritz sie fragte, warum sie jetzt für den Sohn that, was sie vorhin für ihren Mann verweigert hatte, da ihr doch fast gewiß gewesen war, sie rette dadurch dessen Leben. „Ich werde verurtheilt nach Principien, die zu meiner Zeit nicht galten“, hat O. selber zu seinen Richtern gesagt. Das enthält den ganzen Proceß. Es war ein politischer Actus; der Gerichtshof war zusammengesetzt für einen politischen Zweck, er vertrat eine Macht, die legaliter nicht bestand, aber factisch die herrschende war, die Souveränität des niederländischen Volkes, regiert von der Dynastie Oranien, und er verurtheilte ihn, weil er dagegen angekämpft hatte bis zum letzten Augenblick, als Vertreter einer Partei, die bloß den provinziellen Staaten, jedem für sich, die Souveränität zuerkannte und darüber keine Macht sich erheben ließ, auch nicht die Macht der Gesammtheit der Provinzen. O. war der Märtyrer des Föderalismus oder, um uns eines modernen amerikanischen Ausdrucks zu bedienen, der Staterights, des Staatenrechts. Seine Verurtheilung war so natürlich als die von Strafford, Karl I. oder Ludwig XVI. Es war eigentlich einerlei, wessen er beschuldigt wurde. Das Arge war vielleicht, daß die entsetzlichen Verleumdungen und die unbegreifliche Parteihitze im Volke den Glauben erregten, er sei des Verraths schuldig und verdiene also die Strafe, die er litt, nicht als der im politischen Kampf überwundene Gegner, sondern als Missethäter. Die französischen Revolutionäre wußten wenigstens, warum sie verurtheilten, erkannten die Außerordentlichkeit ihrer Rechtspflege an, die niederländischen und englischen haben dieselben Handlungen mit sophistischen Gründen als nach dem Herkommen und den Gesetzen rechtsgiltige Actionen darzustellen versucht und haben wirklich gemeint, sie seien als Richter aufgetreten, während sie nur als Sieger handelten. Durch die Acten des Processes sind wir aber im Stande, die Handlungen der beiden Parteien näher zu prüfen, es werden eine Unmasse von Details dabei an den Tag gebracht, die sonst für immer verborgen geblieben wären, die Motive mancher Handlungen werden besprochen, die Verbindung der inneren und auswärtigen Politik klärt selbst lang vorübergegangene Ereignisse auf. Sie sind eine wahre Fundgrube für die Geschichte. O. benahm sich dabei mit Würde und Geschick, es ist richtig bemerkt worden, daß er sich nicht zu beklagen brauchte, ihm werde Rechtsbeistand verweigert, weil er sich so vertheidigte, wie es kein anderer hätte thun können. Es braucht kaum bemerkt [259] zu werden, O. hatte den Buchstaben des Gesetzes immer für sich, er hatte sich nie bestechen lassen, wenn auch oft Geld angenommen, er hatte in seiner ganzen Laufbahn immer nur auf Geheiß der Staaten von Holland, deren Diener er war, oder ihrer committirten Räthe gehandelt, und also legaliter auch an der Abfassung so staatsgefährlicher und fraglicher Entschlüsse, wie der dritten Resolution des 4. August, jener über die Gehorsamkeit des Militärs, keine Schuld gehabt; er hatte nie seine Instruction übertreten, und überhaupt nichts gethan, was ihm in ruhigen Zeiten irgend eine Rüge hätte zuziehen können. Aber dies Alles ließen seine Richter nicht gelten, nicht wie man angenommen, weil sie fast alle seine persönlichen Feinde waren, sondern weil sie von ganz anderen Ideen ausgingen, welche sie die Dinge eben anders ansehen ließen, als den Angeklagten. Darum hat sich auch der Utrechter Greffier Ledenberg das Leben im Gefängniß genommen. Daß O. zum Tode, de Groot und Hogerbeets bloß zu lebenslänglicher Haft verurtheilt wurden, ist natürlich. O. war das Haupt der Partei seit vielen Jahren, der bestgehaßte Mann in den Niederlanden.
Er ward am 13. Mai 1619, trotz aller Bemühungen der französischen Regierung, die seit längerer Zeit zu vermitteln gesucht und dann eine Bitte um Begnadigung für ihn gethan hatte, im Binnenhof vor dem großen Saal in Haag enthauptet und starb ruhig und gelassen, nachdem er 72 Jahre gelebt, mehr als 40 im öffentlichen Dienst und 33 Jahre Führer der holländischen Staaten und der ganzen Republik gewesen war. Ein Mann, wie die damals ihm keineswegs freundlichen holländischen Staaten (denn Moritz hatte die Städteregierungen verändert) es ausdrücken, „singulär“ in Allem, nach Wilhelm I. und dessen großem Urenkel die gewaltigste und größte Persönlichkeit der niederländischen Geschichte. Nur ihm war es zu danken, daß die Selbständigkeit der wenigen noch nicht von Parma zurückeroberten Provinzen erhalten blieb, nur er war im Stande durch seine unerhörte Arbeitskraft und Energie, seine außerordentlichen Fähigkeiten aus dem losen Gefüge derselben einen Staatskörper zu erhalten, der, so schlecht zusammengesetzt er war, doch Bestand hatte, nur einem Staatsmann wie er war, konnte es gelingen, schon gleich vom Anfang die Verbindung mit Frankreich und England zur Basis einer politischen Stellung in Europa zu machen, in welcher in wenigen Jahren die Republik sich zu einer Achtung gebietenden Macht erhob, und in welcher sie ein Jahrhundert verharren konnte, ein Wunder in den Augen der Mit- und Nachwelt. Seine Geschichte ist 33 Jahre lang die Geschichte der Republik, deren Haupt er so gewiß war, wie Moritz nur ihr Arm gewesen ist. Einen Mann der so Großes geleistet hat, thut es weh, so untergehen zu sehen. Doch es war nicht anders möglich. O. hätte sein ganzes System fallen gelassen, wäre seinem ganzen politischen Leben untreu geworden, wenn er sich nicht den Forderungen der Calvinisten widersetzt hätte. Und was der Nachwelt so leicht ist, war ihm, wie erfahren er auch war, vielleicht unmöglich, einzusehen, daß die Umstände in jenen Jahren so ganz andere waren als damals, als er an der Spitze der Staaten, gestützt auf alle Sympathien des Hauses Oranien und der Handelswelt, auf allen Haß und Kriegseifer gegen Spanien und allen Eifer für die Unabhängigkeit, die Calvinisten und ihren englischen Führer überwunden hatte. Weder er noch einer seiner Genossen hat angestanden, den Kampf zu führen, als sei ihnen der Sieg gewiß, hatten sie ja die Gesetze für sich, standen doch die Mehrheit der Städteregierungen und der Adel der Provinz treu zu ihnen und galten die Meinungen der Menge ja nicht, wenn sie von denen der Regenten abwichen. Sie sahen natürlicherweise nicht ein, daß der Stillstand mit Spanien, den sie dem Volke auferlegt hatten, Alles geändert hatte, daß seitdem zwischen ihnen und dem Prinzen Moritz, ja allen, die den Krieg als einen Religionskrieg auffaßten, eine breite Kluft [260] war, daß alle jene Sympathien, die in jenen achtziger Jahren auf ihrer Seite gewesen waren, jetzt die Kräfte der Gegner verdoppeln halfen. Wie er selber noch im letzten Moment nicht an die Möglichkeit einer persönlichen Gefahr glauben wollte, weil er seine Gegner zu einem solchen Schritt nicht fähig achtete, so konnte er auch nicht an jene Veränderung glauben, bevor sie eintrat, und wurde er trotz aller Erfahrenheit, vielleicht eben wegen derselben vollständig überrascht von den Ereignissen. Doch auch dann blieb er ein ganzer Mann, der ungebeugt vom Unglück sein Schicksal, so hart und unverdient es ihm und uns auch scheinen mag, getragen hat. Freilich, O. war kein liebenswürdiger Charakter, selbst kein makelloser. Herrschsucht und Habsucht waren zwei seiner hervorragendsten Eigenschaften. Doch er war, wie er selber auf dem Schaffot sagte, kein Landesverräther, sondern ein treuer Patriot, der mehr als 40 Jahre dem Land Holland und den Niederlanden dazu treu gedient hatte. Die beste Grabschrift auf ihn haben die Staaten von Holland verfaßt, als sie an seinem Todestage in ihr Register die Notiz seines Sterbens eintrugen, mit Hinzufügung der Worte: „Ein Mann von großer Thätigkeit, Sorgfalt, Gedächtniß und Weißheit, ja einzig in Allem.“ Leider haben seine ältesten Söhne den Tod ihres Vaters und die namentlich für ihre Vermögensverhältnisse schädlichen Folgen davon – Oldenbarnevelt’s Güter waren confiscirt worden, weil er wegen Majestätsverbrechen verurtheilt war –, durch ein schlecht angelegtes und schlecht ausgeführtes Attentat zu rächen versucht, das dem einen das Leben kostete, den anderen ins Exil, ja in die Reihe der Spanier trieb. Die remonstrantischen Fanatiker suchten es ihren calvinistischen Gegnern gleich zu thun. Doch O. ist bald auf andere und bessere Weise gerächt worden. Es hat nicht viele Jahre gedauert, bevor alle die Principien, die er vertheidigt hatte, in der Republik wieder die allein maßgebenden waren, und die Männer, die ihn gestürzt und getödtet, in seinen eigenen Fußstapfen einhergingen. Und sein Tod hat unter den Regenten der Republik und namentlich in Holland eine Partei großgezogen, die von jetzt an das Haus Oranien mit tödtlichem Haß verfolgte und die Vernichtung von dessen politischer Machtstellung als den ersten Artikel ihres Glaubensbekenntnisses hütete. Johann de Witt hat ihn gerächt am Geschlechte seines Schützlings, der seinen Tod zugelassen hatte.
Die Geschichte eines Staatsmannes wie O. sollte eigentlich nach seinen eigenen Papieren geschrieben werden. Leider ist dieses unmöglich. Zwar füllen dieselben noch mehrere Bände im Haager Reichsarchiv, jedoch es sind nur traurige Bruchstücke. Sie waren, wie alles was er hinterließ, confiscirt und scheinen dann so ziemlich geplündert worden zu sein, man begreift, zu welchem Zweck. Von dem was übrig geblieben, ist ein beträchtlicher Theil in den „Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd“, Haag 1860–65, durch Herrn M. L. van Deventer herausgegeben. Leider sind nur 3 Bände erschienen, die Ereignisse bis zum Jahre 1609 incl. umfassend, und ist die Herausgabe nicht immer fehlerfrei, was sich bei der beispiellos undeutlichen Handschrift Oldenbarnevelt’s zwar erklären, jedoch nicht immer entschuldigen läßt. Unglücklicherweise tragen viele der da abgedruckten Documente einen officiellen oder wenigstens officiösen, nicht confidentiellen Charakter. Von Oldenbarnevelt’s Privatbriefen und sonstigen derartigen Papieren ist nur sehr wenig übrig. Wie schon gesagt enthalten die Proceßacten Vieles, was früher unbekannt war. Die Verhooren van J. v. O. sind 1850 durch die historische Gesellschaft in Utrecht herausgegeben und die Intendit tegen J. v. O. (die Anklageacte der Fiscalen, der öffentlichen Ankläger) durch den Herrn Reichsarchivar van den Bergh im J. 1875 mit den dazu gehörigen, sehr interessanten Beilagen, meist vertrauliche Briefe an die Gesandten im Ausland enthaltend, publicirt. Der Herausgeber resumirte nachher [261] sein Urtheil über den Proceß in seinem Het proces van J. v. O. getoetst aan de wet. Er achtet die Rechtsgiltigkeit nach den damaligen Gesetzen erwiesen. Ueberhaupt gibt es eine sehr reichhaltige Litteratur alten und neuen Datums über Oldenbarnevelt’s Proceß und Alles, was damit zusammenhängt. Dazu wird der Streit der beiden Parteien während des Stillstands in fast allen Werken, welche die niederländische Geschichte berühren, mit mehr oder weniger Ausführlichkeit und Leidenschaft pro et contra behandelt. Ebenso gibt es zahlreiche Lebensbeschreibungen Oldenbarnevelt’s; die erste, die Waerachtige Historie van J. v. O., erschien schon 1620, später als Historie van het leven en sterven van J. v. O. umgearbeitet und namentlich zu Johann de Witt’s Zeiten öfters aufs Neue herausgegeben. Dieselben sind sämmtlich, wie namentlich die oft citirten Werke von G. Brandt, sehr parteiisch für ihn eingenommen und theilen über Oldenbarnevelt’s persönlichen Antheil an den Geschäften, seine Beziehungen zu den anderen hervorragenden Personen nur wenig mit. Beides gilt auch von seiner letzten Biographie, Motley’s Life and Death of John of Barnevelt; dieselbe rief Groen van Prinsterer’s Gegenschrift, Maurice et Barnevelt hervor.
- Weiter sind hier zu nennen die bekannten Geschichtschreiber der Zeit, Bor, van Meteren, Grotius etc., die Memoiren von Carleton, Jeannin und du Maurier; die Gedenckwaerdige Geschiedenissen und die Aenteekeningen van Vervou; die ersten Bände der 2. Serie der Archives de la Maison d’Orange. – Vreede, Inleiding tot eene geschiedenis der Nederlandsche Diplomatie; dessen Correspondance de Buzanval et Aerssens. – Fruin, Tien Jaren uit den Tachtigjarigen Oorlog. – Motley, History of the United Netherlands. – Wagenaar, der stark für ihn eingenommen ist. – Arend, van Res und Brill, Alg. Gesch. des Vaderlands. – Wenzelburger, Geschichte der Niederlande. – Naber, Calvinist of Libertynsch? – van der Kemp, Maurits van Nassau. – de Jonge, Opkomst van het Nederlandsch gezag in Oost-Indie, Bd. 1–3. – S. Müller, Mare Clausum. – Mein Staat der Vereenigde Nederlanden in de jaren zijner wording und eine Masse anderer Schriften und Artikel, nebst fast allen Memoiren und Briefen der Zeit, und den Büchern, welche auf dieselben gebaut sind, wie z. B. Ritters Union und Heinrich IV.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: ans