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Artikel „Moucheron, Balthazar de“ von Pieter Lodewijk Muller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 410–412, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Moucheron,_Balthazar_de&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 15:17 Uhr UTC)
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Moucheron: Balthazar de M., niederländischer Kaufmann, war der Sohn eines aus dem adlichen normannischen Hause der Herren v. Bouley stammenden, nach Antwerpen ausgewanderten Hugenotten, der daselbst ein blühendes Großhandelsgeschäft gründete, das nach dessen Tode unter der Führung seiner beiden Söhne Balthasar und Peter bald zu den vornehmsten der Stadt gerechnet wurde. Immer von hochstrebenden Entwürfen voll, forderte M. schon 1584 den Prinzen von Oranien auf, eine Untersuchung einer nordöstlichen Durchfahrt anstellen zu lassen, einen neuen Weg nach Indien zu finden, da der alte von den Spaniern und Portugiesen verschlossen war. Jedoch die greuliche Noth jener Zeit, die am meisten Antwerpen heimsuchte, zwang ihn, seine Entwürfe fürs erste ruhen zu lassen. Als er im nächsten Jahre die Capitulation, welche die gefallene Handelskönigin den Spaniern überlieferte, mit unterschrieben hatte, siedelten die Moucheron’s wie die meisten ihrer Standesgenossen nach dem Norden und zwar nach Middelburg über, wo ihre Fähigkeit und Kühnheit ihrer reichen und mächtigen Handelsfirma bald eine erste Stelle sicherte. Das Haus der Moucheron’s umfaßte neben den beiden Brüdern, deren ältester bald die Führung dem jüngeren übergab, um als Factor den niederländischen Kaufleuten in London vorzustehen, mehrere meist aus dem Süden ausgewanderte, mit ihnen verwandte und verschwägerte Herren, deren Energie und Capital dem großartigen Geschäftsgang Moucheron’s gewachsen war. In allen ihnen zugänglichen Ländern in und außerhalb Europa’s hatte er seine Verbindungen und Agenten, eine förmliche Flotte mit eigener Flagge ward von ihm unterhalten. Lebhafter denn je betheiligte M. sich in diesen Jahren des Aufblühens an jedem Unternehmen des niederländischen Handels; fortwährend aber blieben seine Gedanken der Fahrt um Nordasien herum zugewendet. Das Studium derselben, bei welchem er die berühmtesten Reisenden, Seeleute und Geographen zu Rathe zog, betrieb er fleißig und er ließ nicht ab, bevor er die einflußreichsten Staatsmänner der Republik, am Ende auch Moritz von Oranien und Oldenbarnevelt, zu seiner Ansicht bekehrt hatte. Er erbot sich den Staaten von Holland und Seeland den vierten Theil der Kosten zu tragen, wenn sie ihm einen gleichen Antheil am Gewinnst zusicherten; doch als er sie überzeugt hatte, wollten sie die Vortheile für sich allein behalten, und nur die Stadt Amsterdam hatte neben den beiden Provinzen Antheil an dem Unternehmen des Jahres 1594. Die Ehre aber zu jenen denkwürdigen Polarfahrten den Stoß gegeben zu haben, gehört M. unzweifelhaft. Die erste Fahrt der Holländer nach Indien hatte bald nachher die Möglichkeit gezeigt, auch auf dem bekannten Wege mit den Portugiesen zu concurriren und gleich war M. bei der Hand, dem Beispiel der Amsterdamer folgend, eine Gesellschaft für die Fahrt nach Indien zu errichten. Der Sitz derselben war zu Veere, wohin M. in Folge eines Vertrags mit der Regierung jener Stadt übergesiedelt war, welche ihm ein Haus zur Wohnung und zum Waarenlager überließ, wogegen er die Verpflichtung einging, alljährlich 18 Schiffe daselbst ein- und auslaufen zu lassen. Das Geschäft in Middelburg wurde aber keineswegs aufgehoben. Dort trat Peter M. an seines Bruders Stelle. Am 6. März 1598 segelten die beiden Schiffe der Moucheron’schen Compagnie nach Ostindien, unter Führung der Gebrüder de Houtman (s. A. D. B. Bd. XIII S. 210) und des bekannten englischen Piloten John Davis, der nur um Kundschaften einzuziehen [411] sich anwerben ließ. M. scheint versucht zu haben den indischen mit dem afrikanischen und amerikanischen Handel zu verbinden und sandte darum im selben Jahre eine Expedition von fünf Schiffen und 500 Soldaten ab, die Insel del Principe zu erobern, wo er eine Station zu errichten gedachte. Der Kaufmann wagte es unter seiner eigenen grünen Flagge mit dem burgundischen Kreuze, den vereinten Kronen Spanien und Portugal Schach zu bieten. Jedoch das Unternehmen hatte einen traurigen Ausgang. Zwar ward die Insel erobert, aber bald nachher von den Portugiesen wieder gewonnen. Auch der Zug de Houtman’s mißlang völlig. M. ließ den Muth jedoch nicht sinken. Er plante ein neues Unternehmen, worüber keine bestimmten Andeutungen vorliegen, und ließ, nach verschiedenen Verhandlungen mit den Generalstaaten und denen von Seeland im Mai des Jahres 1601 eine Flotte unter dem berühmten Seefahrer Joris v. Spilbergh nach Brasilien, Afrika und Indien absegeln. Obgleich dieselbe eine ansehnliche Beute erwarb, sie scheint sich namentlich der Kaperei zugewandt zu haben, kehrte sie schon im Sommer heim, ohne weiter als in die afrikanischen und brasilianischen Gewässer gekommen zu sein. Im folgenden Jahre lief Spilbergh aber aufs neue mit drei Schiffen aus und trat eine der denkwürdigsten Fahrten der Holländer aus jenen Zeiten an, auf welcher es ihm namentlich gelang festen Fuß auf Ceylon zu fassen. Als er jedoch 1604 zurückkehrte, fand er seinen Herrn nicht mehr vor. Inzwischen hatte die Concurrenz der verschiedenen Compagnien die Niederländer so sehr um die Frucht ihrer Arbeit gebracht, daß Oldenbarnevelt, so sehr er die Monopole verabscheute, Hand anlegte sie zu einem engeren Körper zu verschmelzen. Auch mit M., der unterdessen von seinen Genossen verlassen worden war, wurden darüber Verhandlungen gepflogen, welche lange auf Widerstand stießen, da er außer seinem indischen, westafrikanischen und amerikanischen Handel einen nicht weniger lebhaften am Rothen Meere und in Ostafrika trieb, den er keineswegs aufzugeben gesonnen war. Er wollte nur einer Vereinigung zustimmen, wenn er letzteren noch reserviren, nach der Rückkehr seiner sechs jetzt in Indien befindlichen Schiffe mit einem Capital von 100 000 Gulden in den Verein eintreten dürfte, als Director anerkannt und dazu auf von ihm gestellte Bedingungen in die Middelburgische Compagnie gleich aufgenommen werde. Erst nach längeren Conferenzen mit den Deputirten der Staaten und den Directoren der sonstigen Compagnien ward am 22. Januar 1602 im Haag mit ihm abgeschlossen unter Bedingungen, welche zeigen, daß er damals finanziell sich in großen Bedrängnissen befand. Letztere häuften sich in diesem und dem nächsten Jahre dermaßen, daß M. dem Untergang nicht mehr entrinnen konnte. Die großartige Art und Weise, wie er seine Unternehmungen ins Werk setzte, die gewaltigen Verluste, welche bei mehreren erlitten waren, hatten seine Kräfte, so bedeutend sie waren, aufgezehrt. Die Concurrenz seiner Landsleute, namentlich der Middelburger, scheint geradezu eine gehässige gewesen zu sein, die Gunst des Statthalters, der an mehreren seiner Unternehmungen betheiligt war, ihn nicht dagegen geschützt zu haben. Was er that überschreitet entschieden das Maß der Kräfte eines Privatmannes, er war wie eine Macht im Staate aufgetreten. Jetzt wandte sich alles mit dem Glücke von ihm ab. Er konnte seinen Verbindungen der Stadt Veere gegenüber nicht länger nachkommen und die Stadtregierung nahm ihm sein Haus. Er ward mit Processen überhäuft. Schon 1603 verließ er plötzlich Veere und die Niederlande noch bevor die vereinte ostindische Compagnie ihr Wirken begann und wandte sich nach Frankreich. Als es bekannt wurde, daß er mit König Heinrich IV. über die Errichtung einer französischen Handelsgesellschaft auf Indien Unterhandlungen pflog, ward er als Verräther angesehen und behandelt, von den seeländischen Staaten des Landes verwiesen. Sein Bruder Peter blieb aber noch in [412] Middelburg, doch der Ruhm des Hauses M., das 15 Jahre es Königen gleich gethan hatte, war dahin. Er selbst war noch im J. 1609 mit Verhandlungen, seine Projecte betreffend, jedoch ohne Erfolg, beschäftigt. Dann ist er verschollen. Das Jahr seines Todes ist so unbekannt als das seiner Geburt. So endete der vielleicht merkwürdigste Kaufmann der Niederlande, der in seinen Bestrebungen zeigte, wie das abenteuerliche Blut der Normannen sich auch unter dem kaufmännischen Gewand nicht verleugnete, wie verwandt der niederländische Handelsherr seinen Vorfahren, den Vikingern und fahrenden Rittern des Mittelalters war.

Vgl. außer Bor und van Meteren, von den alten Geschichtschreibern: Le Petit, Grand Chronique de Hollande et Zeelande, von den neueren: Fruin, Tien Jaren und de Jonge, Opkomst I. II.