ADB:Oesterlein, Nikolaus (Musikwissenschaftler)

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Artikel „Oesterlein, Nikolaus“ von Moritz Wirth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 718–725, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oesterlein,_Nikolaus_(Musikwissenschaftler)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 13:45 Uhr UTC)
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Oesterlein: Nikolaus Johannes Oe., der Begründer des Richard Wagner-Museums in Eisenach, entstammt einer in Oesterreich nicht unbekannten Familie. Der Großvater Joh. Nikolaus (1747–1809) gründete die erste österreichische Feuergewehrfabrik und machte als Besitzer bedeutender Fabrik- und Eisenwerke 1805 und 1809 beträchtliche Waffenlieferungen. Einer seiner Söhne, Nikolaus (1804–1838), von Beruf Comtorist, war Dichter und Belletrist und als solcher ein feinsinniger Beobachter der Natur. Er unternahm [719] und redigirte seit 1836 das „Oesterreichische Morgenblatt“, das bis 1845 bestand, eines der besten Blätter Oesterreichs vor 1848. (Vgl. Dr. Constant v. Wurzbach’s Biograph. Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 21. Theil, 1870, S. 24 f.) Ein Bruder des Vorigen, Aloys, am 27. Mai 1801 in Wien geboren, war 1820–25 Fähnrich im venetianischen Infanterieregiment Nr. 26, errichtete, als er den Dienst verlassen, sowie sich 1826 mit Karoline Khel v. Khelburg (geboren am 6. Februar 1803 in Linz a. D., † am 14. April 1870 in Wien) vermählt hatte, in Wien eine Eisenhandlung und kaufte, nachdem er kurze Zeit die Eisenwerke eines verstorbenen anderen Bruders, Karl, in Lilienfeld bei St. Pölten geleitet hatte, 1850 die Eisenwerke, Bergwerke und Waldungen in Au, Seebach und Kreith bei Aflenz in Obersteiermark, mit dem Wohnsitze in Aflenz. Er starb, als der Geschäftsgang schon ungünstig wurde, am 20. August 1856 am Herzschlag.

Von den Kindern von Aloys und Karoline Oe. überdauerten das erste Kindesalter: Aloys Oe. d. Jüngere (1822–1871), Official im Wiener Landesgericht für Civilsachen, Geschäften abgeneigt und darin ungewandt, durch Augenschwäche an der Entfaltung vieler seltenen Anlagen behindert, einem stillen, ästhetischen Leben ergeben; Charlotte (1826–1885), Gattin L. M. v. Bernuth’s (1818–1881), Besitzers einer Eisengewerkschaft in Hohenmauthen (Steiermark); Antonie, geboren 1836, vermählt mit dem französischen Hütteningenieur Julius Cäsar Andrieu (1821–1869); endlich:

Nikolaus Johannes, der die Fähigkeiten dieser aus Eisengeschäftsmännern und für das Schöne veranlagten weichen Seelen merkwürdig zusammengesetzten Familie in schöpferischer Mischung in sich vereinigte. Er wurde geboren in Wien am 4. Mai 1841 und erhielt durch des Vaters Berufswechsel 1850 seine Heimath in dem kleinen Markte Aflenz. Schon im 10. Jahre zeigte er sich, neben aller Munterkeit dieses Alters, sehr empfänglich für alles Weihevolle und Erhabene. Die brausenden Töne einer Kirchenorgel entzückten ihn; zwei Jahre hindurch ministrirte er bei der heiligen Messe. Zu Hause las er, nach einer von der Kirche gestatteten Sitte katholischer Länder, jeden Abend in Gegenwart der Familie mit ungeweihten Geräthschaften seine Messe. Später blies er während der Instrumentalmessen auf dem Chore die Flöte. Daneben machte sich der Trieb zum Sammeln, Sichten und Einordnen geltend, den Oe. an einer systematischen Tafel einiger hundert Bildnisse deutscher Dichter, an einer Mineraliensammlung bethätigte, alles dies schon verbunden mit der peinlichen Pedanterie des späteren Verfassers der Museumskataloge.

Herbst 1854 kam Oe., um auf dem Realschulwege höhere Bildung zu erwerben, in eine für junge reiche Leute beliebte Wiener Privatschule, die er, als er nach des Vaters Tode die großen Besitzungen zu übernehmen hatte, um sich das für deren selbständige Verwaltung nöthige Fachwissen anzueignen, mit dem strengeren Unterrichte der allgemeinen Realschule vertauschen mußte. Doch erlangte er nur in den sogen. Bildungsgegenständen Vorzugsclassen und konnte mit knapper Noth durchgebracht werden. In diese Zeit fällt seine erste Bekanntschaft mit Wagner durch Nestroy’s Tannhäuserparodie (am 31. Octbr. 1857 im Karltheater zum ersten Male gegeben) und durch einen im Herbst 1858 wegen plötzlicher Erkrankung eines begleitenden Freundes nur halb gehörten Lohengrin, der in Oe. gleichwol einen ungewöhnlichen Eindruck hinterließ. Doch gab er sich rückhaltlos dem damaligen „Propheten“taumel und der Offenbachschwärmerei hin. Weitere Annäherung an Wagner verhinderte im Herbst 1860 sein Abgang auf die Bergakademie in Leoben, wo er während der Vorträge unter der Bank die deutschen Classiker las, wo Oberon und Werther den Doppelgipfel seiner Begeisterung bildeten und ein Professor vor [720] allen Hörern den Ausspruch that: „Sie sollen lieber ein Aesthetiker werden, als ein Bergmann!“ Zugleich übte Oe. eifrig Gesang, Clavier, Flöte und Stockflöte (Czakan) und legte sich eine kleine, auserlesene Bibliothek der schönen Litteratur in guten Ausgaben und feinen Einbänden an.

Diesen Zwiespalt zwischen persönlicher Befähigung und von Außen aufgedrängtem Berufe löste der schwere wirthschaftliche Druck, der damals auf Oesterreich lastete. Weder dem Schwager Andrieu, der seit des Vaters Tode die Werke leitete, noch dem jugendlichen Oe. gelang es, den Rückgang aufzuhalten; in der Liquidation verschwand das Familienvermögen.

Oe. kehrte, um sich dem kaufmännischen Berufe zu widmen, im Mai 1865 mit seiner Familie nach Wien zurück. Er selbst sah später dieses Heruntersteigen in beschränkte Verhältnisse als die entscheidende Hinwendung seines Geschicks nach seiner Lebensaufgabe an. Hätte er die Besitzungen bis nach dem Kriege von 1866 halten können, so wäre er ein reicher Mann geworden, da die Eisenwerke dann förmlich gestürmt wurden. Aber, meinte er, die umfangreichen Geschäfte hätten ihn in Steiermark festgehalten und hätten ihn zu Wagner höchstens in ein oberflächliches Verhältniß gelangen lassen. Die großen Mittel, die ihm dann zu Gebote gestanden hätten, hätten ihm noch sicherer den Weg zu den kostspieligen Zerstreuungen seines Standes, als zu irgend welchen Großthaten für Wagner geebnet.

Ein Jugendfreund, Bosch, Mitchef der „Nußdorfer Bierbrauerei von Franz X. Bosch’s Erben“, die seit 1883 „Nußdorfer Bierbrauerei von Bachofen & Medinger“ firmirt, brachte Oe. in seinem Geschäft unter und damit in ein Dienstverhältniß, dem Oe. nachmals reichliche Mittel zur Erwerbung seiner Sammlungen verdankte. Vorerst war er Kanzleibeamter mit 100 Kronen Monatsgehalt. Doch ließ ihm diese Stellung bereits manche freie Zeit für seine geistigen und künstlerischen Lieblingsneigungen. Er nahm Unterricht in der Harmonielehre, componirte kleinere Sachen und musicirte praktisch eifrig weiter, indem er sogar noch das Violoncell erlernte.

Nachdem ihm der Fliegende Holländer, Hans Heiling, Fidelio, die er auf gelegentlichen Geschäftsreisen von Steiermark nach Wien hörte, gezeigt hatten, daß es Höheres gebe, als Meyerbeer und Offenbach, brachte Strauß ihm Wagner im Concert nahe und immer hinterließ ihm diese Musik einen unsagbar tiefen Eindruck. Dazu kam Wagner im Theater. Oe. war jetzt der Durchschnittswagnerianer, der in dem aufgeführten Tonstück schwelgte, hinterher aber ebenso rasch in jedem andern Fahrwasser mitplätscherte. Als Beweis dafür erzählt er selbst, daß er, als die Meistersinger vom 21. Juni 1868 die ganze kleine engere Wagnergemeinde nach München zogen, mit größter Leidenschaft in Wien das 3. deutsche Bundesschießen mitmachte und sich einen Becher heraus schoß.

Allen Zerstreuungen, die Wien so reichlich bot, entriß ihn endgültig die schon 1868 herausgekommene 2. Auflage von Wagner’s „Oper und Drama“, dessen mit schlagender Ueberzeugungskraft vorgetragene Kunstlehre der Begeisterung Oesterlein’s Schliff und Fassung gab und durch ein im December 1868 eröffnetes Gastspiel Albert Niemann’s [WS 1], u. a. mit Tannhäuser und Lohengrin, seine anschaulich wirksamste Bestätigung erhielt.

Oe. ergab sich Wagner nunmehr gänzlich; dazu standen ihm von 1870 ab, wo er die Vertretung seines Hauses in Wien und die Eincassirung daselbst mit einem Jahrgehalt von 2400 Kronen nebst Provision erhielt, auch die Mittel zur Verfügung. Da half er die durch die neue Ausgabe des „Judenthums in der Musik“ 1869 herausgeforderten Gegner im Theater bekämpfen und trat mit einer weit geringeren Schar für Liszt’s in Wien einziehende [721] Compositionen (4. April 1869 heilige Elisabeth, 31. December 1871 Christus, 1. Theil, u. s. w.) ein, denen er sogar noch Antriebe für Wagner entnahm. Auch für Bruckner war er einer der Ersten. 1870 reiste Oe. nach München zu Rheingold und Walküre, welche damals noch so weite Fahrt, lediglich Wagner’s halber unternommen, Aufsehen erregte. Er sammelte Geld für das 1. Bayreuther Festspiel und warb für den „Wiener akademischen Wagner-Verein“ mit solchem Erfolge Mitglieder, daß er als einer der Ersten zu dessen Ehrenmitgliede ernannt wurde. Eine zweite Reise nach München zum Tristan des 6. September 1874 entflammte ihn zur Verlobung mit der am 4. Januar 1853 geborenen Louise Klimsch, mit der er sich am 16. März 1875 vermählte. Er war dabei, wo in Wien in Privatkreisen, in öffentlichen Concerten und auf der Bühne Wagner gespielt wurde; als „Patron von Bayreuth“ durfte er den Proben zu den von Wagner selbst geleiteten Concerten beiwohnen und schöpfte aus der unmittelbaren Nähe des „Meisters“ Eindrücke, die nicht zum wenigsten den Ausschlag für seine spätere Unternehmung gaben. Es folgte für Oe. das erste Bayreuther Bühnenfestspiel vom 13., 14., 16., 17. August 1876 mit einem fast übernatürlichen Dasein, einem Auf- und Untergehen in der „sublimen Welt“ des Nibelungenringes fast bis zur Auslöschung seines Ichs. Vielfach gedrängt, ließ er 1877 in 1. und 2. Auflage „Bayreuth. Eine Erinnerungsskizze“ erscheinen, in die er eine bemerkenswerth objective Kritik der Aufführungen einflocht. Hieran schloß sich 1878 „Die Walküre und das Rheingold in Wien mit Hinblick auf das Bühnenfestspiel zu Bayreuth 1876. Eine kritische Parallele“; es war eine Verwahrung gegen die den Werken Wagner’s, insbesondere den Nibelungen, in Wien bereitete Verwahrlosung.

Doch genügte sich Oe. mit diesem Allem nicht. In dem lebhaften Drange, daß er nach Maßgabe seines Dankgefühles hülfreich für Wagner’s weitere große Pläne eingreifen müsse, kam ihm der Gedanke, seinen kleinen Bestand von Schriften Wagner’s und über ihn zu einer förmlichen Bücherei aller für und wider die neue Kunst fechtenden Schriften zu erweitern und ein Verzeichniß derselben nach dem Muster von Hirzel’s „Neuestem Verzeichniß einer Goethebibliothek“ (1874) in reichster Ausstattung und kleiner Auflage drucken zu lassen. Indem sich alle seine früheren Liebhabereien und Eigenheiten, seine Sammel- und Systematisirungssucht und seine Peinlichkeit in der Ausführung von derlei Vorhaben mit Bewußtsein in den Dienst dieses mit hochgespannter Leidenschaft für Wagner ergriffenen Gedankenkeimes stellten, erwuchs aus ihm in schrittweise sich aufdrängender Erweiterung das Fächerwerk seines 3373 Nummern umfassenden „Kataloges einer Richard Wagner-Bibliothek, nach den vorliegenden Originalien systematisch-chronologisch geordnetes und mit Citaten und Anmerkungen versehenes authentisches Nachschlagebuch durch die gesammte Wagner-Litteratur“. Die späteren Bände brauchten nur wenig neue Abtheilungen; der Grundsatz, daß jede in dem Verzeichnisse enthaltene Nummer auch in der Sammlung vorhanden sein müsse, wurde unverbrüchlich festgehalten. Der 1882 erschienene 1. Band durfte Wagner gewidmet werden, der kein Verständniß der hiermit seiner Sache errungenen neuen Seite bezeigte, recht kühl durch Frau Wagner für den „ungemeinen Fleiß der Begeisterung, welcher sich darin kund giebt“ danken ließ und wünschte, daß „die Verbreitung des Buches … die große Mühe lohne“. Dieser 1. Band war für Oe. untrennbar mit der schmerzlichen Erinnerung an das Hinscheiden seiner Frau verknüpft. Sie litt die letzten fünf Jahre an einer Kniegelenkentzündung und mußte die letzten zehn Monate meistens im Bette zubringen, gerade während der Zeit der Vollendung des Bandes. Sie starb am 19. September 1881.

[722] Kaum begann Oe. von der Arbeit am 1. Bande aufzublicken, so mußte er gewahren, daß er sich an etwas gewagt hatte, das noch unabsehbar lange nicht abgeschlossen war. Die Menge des bis zum Abschlusse des 1. Bandes, November 1881, Erschienenen, aber noch nicht Erworbenen und Verzeichneten wuchs mit jeder Umschau. Dazu kam, was der Tag brachte, dazu die Sturmfluthen des 2. Festspiels, des Todes Wagner’s, Ludwig’s II. und Liszt’s, des ersten Pariser Lohengrins, dazu die regelmäßigen Hochfluthen der Festspiele. Nur bei den Notenwerken beschränkte er sich auf Wagner’s Erstlingswerke, kleinere und seltnere Sachen, da die größeren Werke in den Katalogen und Archiven ihrer wenigen Verleger gesichert sind, und sparte Zeit und Geld für die ungleich gefährdeteren übrigen Gegenstände.

So drohte das Werk mehr und mehr durch die gesteigerten Anforderungen die Mittel des einfachen Privat- und Geschäftsmannes zu übersteigen. Dies ließ ihm den schon im 1. Katalogbande (S. VIII) leise angeschlagenen Gedanken eines Museums oder Wagner-Hauses als Eigenthum und Sehenswürdigkeit einer größeren Stadt, etwa Wiens, Münchens, Berlins, Leipzigs, reifen und in dem Schriftchen: „Entwurf zu einem Richard Wagner-Museum. Mit 4 Bildern in Lichtdruck“, 1884, darlegen. Zahlreiche Blätter erklärten sich für Oe.; die „Bayreuther Blätter“ (1884, Umschlag des Maistücks) waren für Unterbringung in „einer großen Staatsbibliothek“ und das „einige Sachverständige das massenhafte Material leicht sichten“ würden. Die Geschwister v. Bülow-Wagner wünschten brieflich, Oesterlein’s Absichten „möge dem Eifer der Freunde unserer Sache zu vollbringen gelingen“. Die große Masse der Wagnerianer nahm als „selbstverständlich“ an, daß eine solche Anstalt ihren Sitz in Bayreuth haben müsse. Gegen diesen Wahn, der den Wünschen Oesterlein’s viele in den Großstädten vorhandene Nützlichkeitsrücksichten zu entfremden drohte, schrieb Oe.: „Das Richard Wagner-Museum und sein Bestimmungsort“, 1884. Hier bezifferte er den Werth seiner Sammlungen auf 33 350 Mk. Wiederum viel allgemeines Wohlwollen und keine That. Liszt antwortete aus Rom 1884, daß zur Ausführung Frau Wagner „kraft ihrer Würde“ berufen sei, und wich, 1886 von Oe. persönlich angegangen, unsicher aus. Der „Wiener akad. Wagner-Verein“ erklärte, für solche Zwecke kein Geld zu haben, da er Alles nach Bayreuth schicken müsse. Doch rissen in den „Bayr. Bl.“ bis 1895 die Aufrufe zu allen möglichen anderen Geldzahlungen nicht ab. Oe. kam auf den Gedanken, mittels einer Ausstellung seiner Schätze durch Augenschein zu wirken; aber einige dazu von der „Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens“ erbetene Säle des Künstlerhauses wurden abgeschlagen. Doch brachte er 1886 den 2. Katalogband heraus, der bis Nr. 5567 reichte und wiederum nur bis November 1881 Erschienenes enthielt.

Im September 1886 beschloß Oe. die Einrichtung einer eigenen kleinen Ausstellung, die später allgemein, ebenso wie die Gesammtheit der Sammlungen, „Museum“ genannt wurde und wozu sich ein fünffenstriges Hochparterre im Hofe des von ihm bewohnten Hauses eignete. Die Familie Wagner lehnte ab, aus ihren Sammlungen einen Ehrenbeitrag zu geben. Der „Wiener akad. Wagner-Verein“ veranstaltete am 2. April 1887 eine Vorfeier der Eröffnung, deren halbe Kosten Oe. tragen mußte, und wo der Redacteur der „Bayr. Bl.“, Hans v. Wolzogen[WS 2], die Festrede hielt (umgearbeitet abgedruckt in der Neuen Zeitschrift für Musik, 1888, Nr. 14–16, 18–20, 22, 23). Er urtheilte: „Oesterlein’s Sammlung hat den Werth eines Culturbildes“ (S. 164) und „nach Bayreuth ruft uns der Klang der Festspiel-Fanfaren! Das Recht des Museums künden uns dort die Musen“ (S. 236). Bei der feierlichen Eröffnung am 3. April wurde von einer zahlreichen Versammlung hervorragender [723] und sonstiger Personen, worunter ein Vertreter des Ministers für Cultus und öffentlichen Unterricht, Oe. viel Ehre erwiesen. Es schien wieder Einer am Ziele. Und doch fühlte Oe. sich versucht, mit Schiller’s Du Chatel auszurufen: „Was ich denke, darf ich nicht sagen“! Eine Reise nach Dresden September 1887 belohnte sich reichlich durch neue Erforschungen und Erwerbungen. Am 12. Januar 1888 hielt Oe. im „Wiener akad. Wagner-Verein“ einen Vortrag mit Vorweisung zahlreicher Belegstücke aus den Sammlungen, der zu nichts führte. Er gab am 3. April 1888 einen kurzen „Bericht“ über das Museum heraus, das auch während der folgenden sieben Jahre aus sehr mangelhafter Beachtung durch die Wiener nicht herauskam. Die höchste Wiener Gesellschaft, die sich von der als Wagnerianerin gepriesenen Fürstin Pauline Metternich und von Nikolaus Dumba den Ton angeben ließ, blieb dem Museum ebenso fern, wie die vom „Wiener akad. Wagner-Verein“ geführten Scharen. Im allgemeinen lag das Museum nicht Wienerisch bequem genug gleich an der Ringstraße. Die Fremden aller Länder und Zonen wußten die Nr. 19 der Alleegasse zu finden, ebenso, als Oe. am 13. Februar 1889 den Eintritt frei gab, das unbemittelte Volk mit so beängstigendem Andrange, wenngleich würdigster Haltung, daß Oe. den Versuch nicht wiederholte. Auch Frau Wagner kam bei ihrem Besuche Wiens nicht ins Museum, wol aber ihre Kinder. Die Wiener und auswärtige Zeitungen blieben fortwährend günstig gestimmt; Oesterlein’s Unternehmungen waren etwas geworden, worüber von Zeit zu Zeit, bei Gelegenheit neuer Erwerbungen u. s. w., berichtet werden mußte.

1891 erschien, diesmal mit reichlichen wörtlichen Anführungen ausgestattet, der 3. Band des Katalogs, der bis Nr. 9470, zeitlich bis zum 13. Februar 1883 ging. Die wissenschaftliche Würdigung der Arbeit Oesterlein’s von Sachverständigen blieb nicht aus. Prof. Franz Muncker in München erklärte (Münchener Allgem. Ztg. v. 2. October 1891), es könne Oe. „jetzt nicht mehr im Stiche gelassen werden, ohne daß wir es künftig schwer bereuen werden“. Das Institut de France (Académie des Beaux-Arts) in Paris nahm laut Zuschrift vom 5. April 1892 einstimmig die 3 Bände des Katalogs entgegen. Schwankend verblieben die „Bayr. Bl.“ (Glasenapp’s fast ablehnende Besprechung des 1. Katalogbandes 1884, S. 23 ff.; warme Anerkennung nebst Wunsch eines „Mäcens“ von H. v. Wolzogen, 1887, S. 125 f., sowie öfter Nachrichten über neue Erwerbungen u. dgl.).

Zu der 1892 in Wien veranstalteten „Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen“, an deren Spitze die Fürstin Metternich stand, erbot sich Oe., eine „Wagner’s des Großen“ würdige Abtheilung herzustellen. Da man ihm die Tragung der Kosten zumuthete, so lud er nur durch das (vom Unterzeichneten verfaßte, unter Oesterlein’s Namen erschienene) Schriftchen: „Ueber Schicksale und Bestimmung des Richard Wagner-Museums in Wien. Festschrift zur Feier seines fünfjährigen Bestehens … zum Besuche des Museums“ ein. Am 1. December 1892 erhielt Oe. vom Prinzregenten von Baiern den Michaelsorden IV. Classe. Zugleich sei erwähnt Oesterlein’s Ernennung zum Ehrenmitgliede des „Neuen Richard Wagner-Vereins“ in Wien, des „Akademischen Richard Wagner-Vereins“ in Leipzig, des „Wagner-Vereins“ in Brünn. Um Wagner’s Todtenmaske zu erlangen, fuhr Oe. 1898 nach Venedig; doch gewann er es nicht über sich, das weihevolle Stück in Wien auszustellen. Entdeckungreisen nach Zürich, Luzern, Paris mußte er sich versagen.

Persönlich verhandelte Oe. wegen Erwerbung des Museums mit den Behörden Wiens, die entschieden ablehnten; 1886 und 1891, gelegentlich einer [724] Anwesenheit, in Leipzig, sowie von dort aus 1891 persönlich in Berlin, Anfang 1890 kaufte Dr. Heinrich Pudor, Director des Kgl. Conservatoriums in Dresden, das Museum für 60 000 Mk., trat aber gegen ein Reugeld von 10 000 Mk. zurück. Auf sehr verlockende Anträge aus New-York und Philadelphia einzugehen, konnte Oe. sich nicht recht entschließen, ohne sie vorerst zurückzuweisen.

Zur Beschwörung der amerikanischen Gefahr sicherte sich am 21. December 1892 Dr. Rudolf Götze in Würzburg, nachmals in Leipzig, das Vorkaufsrecht zum Preise von 90 000 Mk. bis zum 1. April 1895 gegen Zahlung einer bei Nichteinhaltung der Frist verfallenden Summe von 10 000 Mk. Es bildete sich am 8. Januar 1898 eine „Gesellschaft zum Ankauf des Oesterlein’schen Richard Wagner-Museums für Deutschland“, in der Dr. Götze, der durch die in dieser Sache bewiesene Thatkraft und Aufopferung für immer mit der Geschichte des Museums und des Wagnerthums verknüpft ist, die thatsächliche Leitung hatte. Frau Wagner blieb jedem Annäherungsversuch unzugänglich. Die Generalversammlung des Allgem. R. Wagner-Vereins lieh den Ankaufsbestrebungen „im Princip eine moralische Unterstützung“ („Bayr. Bl.“ 1892, IX. Stück, Beilage). Dies die einzige Erwähnung jener Bestrebungen in den „Bayr. Bl.“; ja, es wurde, als die Sammlungen zu stocken schienen, von Bayreuth aus „mit besonderer Geschicklichkeit ein förmlicher Kampf gegen die Erwerbung des Museums entfaltet“ (Brief Dr. Götze’s an Frau Wagner im „Kunstgesang“, hrsg. von Schultze-Strelitz 1897, S. 286 und Allgem. Musik-Ztg., 1895, S. 59, 102 f.). Die Entscheidung brachte der Geh. Hofrath Prof. Joseph Kürschner in Eisenach, der den jetzigen kgl. preuß. Commerzienrath, Parfümeriefabrikanten Leichner in Berlin, zu seiner großen Spende vermochte. Das schließliche Gelingen des Ankaufs glich sehr dem Aufkommen Wagner’s überhaupt. An die eine königliche Hülfe Leichner’s von 40 000 Mk. reihen sich wenige Große. Es spendeten: kgl. württemb. Hofcapellmeister Dr. Obrist 8000 Mk., Dr. Rudolf Götze 5000 Mk., jetziger Professor Dr. Prüfer in Leipzig 5000 Mk., die Stadt Eisenach (als Stadt) 3000 Mk., Commerzienrath Schmidt in Viersen 1500 Mk., Kaiser Wilhelm II. 1000 Mk., kgl. Oberförster Timäus in Unter-Wiesenthal i. S. 1000 Mk., Regierungsbaumeister E. Peters in Berlin 1000 Mk., Agénor Boissier in Genf 1000 Mk., Richard Wagner-Verein in London 1000 Mk., Akad. Richard Wagner-Verein in Leipzig 1000 Mk. Hierzu kommen, die Würdigung des Oesterlein’schen Gedankens in der breiten Masse des Volkes bezeugend, die Menge der mittleren, kleinen und kleinsten Beiträge, zusammengefaßt in den Ergebnissen der Ortsausschüsse Eisenach (Beiträge von Privatpersonen) 8450 Mk., Leipzig 2255 Mk., Dresden 1445 Mk., Weimar 1001 Mk., in gegen 30 Einsendungen von 600–100 Mk., in gegen 70 Einsendungen unter 100 Mk. Gesammtsumme: 91 651 Mk. Das Museum wurde am 31. März 1895 für 85 000 Mk. angekauft und mit seinen 10 180 katalogisirten, sowie gegen 12 000 unkatalogisirten, nach Wagner’s Tode fallenden Nummern der opferwilligen Stadt Eisenach zum im Sinne seiner Begründung pfleglichen Eigenthum überwiesen. (Vgl. Joseph Kürschner, Das Richard Wagner-Museum in Eisenach.)

Die Mittel zu seinen Sammlungen hatte Oe. den Erträgnissen seiner Berufsthätigkeit entnommen. Die Provision, die er als Platzvertreter der Nußdorfer Brauerei, außer dem festen Gehalt von 2400 Kr., bezog, betrug in den letzten Jahren 5–6000 Kr. Dazu kamen 1–2000 Kr. aus der Verwaltung einiger Häuser, deren erste er um 1875, noch einige in den 80er Jahren übertragen erhielt. Die höchste Spende, die dem Museum zufloß, waren 100 fl, von dem Prinzen von Hanau im Mai 1889. Daher mußte Oe., [725] von den 80er Jahren angefangen, immer bedeutende Darlehen aufnehmen, die er von seiner Firma sowie von befreundeten Personen erhielt und zuletzt aus dem Kaufgelde deckte.

Oe. lebte der Hoffnung, daß das Museum noch einmal in einer deutschen Großstadt die Stätte seiner besten Ausnutzung finden werde. Nach dem Verkaufe veröffentlichte er 1895 den 4. Katalogband, der bis Nr. 10 180 und bis zum 13. Februar 1883 reichte. Das ihm vom Kaufpreise des Museums verbliebene Capital verlor er durch Differenzspiel im Börsenkrach von 1895. Er gab 1898 in den Leipziger „Redenden Künsten“ (Heft 14–17, 19/21, 22, 24–27, 29–32, 37, 39/41 des Jahrganges 1897/8, in Bearbeitung durch den Unterzeichneten) die Geschichte seines Lebens und des Museums. Sein tödtliches Leiden war Arterienverkalkung, die nicht seinem Berufe zugeschrieben werden darf. Er verstand es ganz vorzüglich, sich, ohne etwas zu trinken, bei der Kundschaft beliebt zu machen. Doch trank er Mittags 1/8 oder 1/4 Wein mit Soda, Nachmittags im Cafes seinen Schwarzen, Abends einige kleine Gläser Bier. Er rauchte viel, doch nicht stark. Entschieden mit in Rechnung zu ziehen sind die unaufhörlichen Gemüthtserregungen, gegeben durch den Genuß von mehr als 600 Wagnervorstellungen, durch die Parteigängerschaft und Werbung für Wagner, die Wechselfälle des Sammlerberufes, die Geldnöthe, verbunden mit der geheimen Sorge, die Firma möchte doch einmal das Vertrauen verlieren und ihn entlassen, was ihn vielleicht auch bestimmte, auf den ihm jedes Jahr angebotenen Erholungsurlaub, außer zu seinen kurzen Wagnerischen Reisen, zu verzichten, endlich durch die in den letzten Jahren eingerissene Leidenschaft zum Spiel am Turf und an der Börse; dies Alles vielleicht einwirkend auf dem Untergrunde einer vom Vater ererbten Anlage. Oe. starb, nachdem er am 23. September 1898, schon sehr unwohl, seine letzte Wagnervorstellung, den „Siegfried“, besucht hatte, am 7. October 1898.

Mit der Gründung des Oesterlein’schen Museums und seiner Erwerbung für Eisenach war wieder einmal die Erfahrung der Musikgeschichte (Kretzschmar, Musikal. Zeitfragen, 1903, S. 39) wahr geworden, daß „wichtige Wendungen und Entscheidungen als Thaten der Laienwelt ohne oder wider die Fachleute [hier Bayreuth] durchgesetzt worden“ sind. Zu einer Zeit, die Wagner ausschließlich mit dem musikalischen Gefühl erfaßte, und darin selber sicherlich Möglichstes leistend, war Oe. doch hinreichend veranlagt, geschult und gewillt zum Empfange des geistigen Funkens im Kunstwerk, dazu begabt mit dem weiten Geschäftsblick und dem harten Geschäftssinn seiner Familie und seines Berufes. So mußte unter knapp ausreichenden äußeren Umständen ein Werk entstehen, dem das Merkmal der Größe, der Schweiß und die Mühe der Unzeitgemäßheit, nicht fehlte. Sie bestand darin, daß Oe., gleich unparteiisch nach beiden Seiten, den Stoff für jede Behandlung dieser einzig merkwürdigen Kunstbewegung zusammentrug und damit zugleich das Nährgut für ein neues Geschlecht von Wagnerianern einbrachte, die das Leben Wagner’s und die Entstehung seiner Kunst mit weiteren Linien, als bisher noch einer gedacht hatte, umziehen, diese Kunst selbst mit ganz anderen Sinnen erfassen werden, als die von Feinden und Freunden Wagner’s gleichmäßig verhetzte und verfälschte Vergangenheit und Gegenwart.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Albert Wilhelm Carl Niemann (1831–1917); deutscher Opernsänger (Tenor) und Wagner-Interpret
  2. Hans Paul Freiherr von Wolzogen (1848–1938); deutscher Literat, Redakteur, Librettist und Herausgeber.