ADB:Hirzel, Heinrich (evangelischer Theologe)

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Artikel „Hirzel, Heinrich“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 493–494, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirzel,_Heinrich_(evangelischer_Theologe)&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 11:55 Uhr UTC)
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Hirzel: Heinrich H., zürcherischer Chorherr und Professor, geb. am 17. August 1766, gest. am 7. Februar 1833. Der Vater Hirzel’s, Hans Heinrich, in vierter Generation ein Nachkomme des Bürgermeisters Hans Kaspar, geb. 1729, war ein begabter und sehr unterrichteter Schüler Hans Kaspar Füßli’s (vgl. Bd. VIII. S. 258 u. 259) und übte seine Kunst vorzüglich in Pferdestücken und Landschaften; doch als er in zweiter Ehe der Schwiegersohn des Fabeldichters und Kunstdilettanten Joh. Ludwig Meyer von Knonau (s. d. Art.) geworden war und auf dessen Gerichtsherrschaft Weiningen mit den Angelegenheiten der Landschreiberei sich beschäftigte, blieb, obschon das originelle Wesen des Schwiegervaters der Anregung auch ferner genug bot, für die Kunst wenig Zeit mehr übrig; er starb 1790. – H. verlebte, ein Sohn der ersten Ehe des Vaters, die Jugendzeit in Weiningen, und dieses erfrischende Landleben hatte auf seine ganze künftige Entwicklung einen wohlthätig förderlichen Einfluß; eine in seinen späteren litterarischen Schöpfungen hervortretende an die Erscheinungen der Natur sich anschließende, religiös empfindende Auffassung zog aus diesen Jugendeindrücken ihren Ursprung. Am Carolinum zu Zürich von 1782 an, wandte er mehr als den steif behandelten theologischen, eigenen philosophischen Studien seine Aufmerksamkeit zu. 1787 lernte er als Erzieher in längerem Aufenthalte Italien, voran Florenz, kennen und kehrte darauf 1790, als Professor der Kirchengeschichte berufen, nach Zürich zurück. Nach der damaligen eigenthümlichen Reihenfolge der höheren akademischen Stellen stieg er zu anderen Professuren empor, bis er 1809 Professor der Philosophie am Carolinum und zugleich Chorherr am Großmünsterstifte, auch Mitglied des Kirchen- und Erziehungesrathes wurde. In diesen sehr ansehnlichen Functionen und wiederum daraus sich ergebenden Aemtern blieb er bis zur Aufhebung des Chorherrnstiftes 1832, infolge der Umgestaltungen der Julirevolution, die in ihren Aeußerungen für den Kanton Zürich einen entschiedenen Gegner in ihm fanden. – H. war ein sehr vielseitig gebildeter Mann, von großen gesellschaftlichen Anlagen und sehr anregenden Geistes, seine Chorherrenwohnung „zum grünen Schloß“ eine bekannte Stätte lebhaften intellectuellen Austausches. Ganz besonders war er mit der Entwicklung der deutschen Litteratur wohl vertraut, und andererseits pflegte er mit Vorliebe seine auf frische Jugendeindrücke zurückgehenden Erinnerungen an Italien, von wo ihn 1814 die Ernennung zum correspondirenden Mitgliede der Società Italiana di scienze, lettere ed arte erfreut hatte. Hierauf beziehen sich auch unter seinen litterarischen Schöpfungen, Uebersetzungen und Sammlungen, die sich auf Italien beziehen: 1820 und 1821 „Briefe des Lullin de Chateauvieux über Italien“ (2 Bde.) und 1823–25 „Ansichten von Italien“ (3 Bde.). Eine höchst bestimmt ausgeprägte Persönlichkeit, sah sich H. durch den Wandel der Dinge in Zürich aus einer liberalen Anerkennung der Verhältnisse gegen das Ende seines Lebens in das scharf kritisirende Lager der Opposition gedrängt; aber überhaupt waren sein scharfes Urtheil und sein schlagender Witz schon bekannt, wohl auch gefürchtet gewesen. Um so mehr ist zu betonen, daß Hirzel’s Hauptwerk, die formal vollendet abgerundeten „Briefe Eugenia’s an ihre Mutter“ (zuerst 1809, dann 1811 ff., wieder 1819 und 1820, erweitert mit „Episoden und Beylagen“ in weiteren Auflagen) der sentimentalen Litteratur angehört. H., der aus mit Vorliebe durchgeführten Fußwanderungen die Schweiz genau kannte, hatte an den Faden einer Reisegeschichte nach dem Bade Leuk Beobachtungen des Naturlebens, philosophische Gedanken und Ausführungen in ausgesprochener [494] Neigung zum Transscendentalen angeknüpft und ein in sich wenig geschlossenes Ganzes voll weicher Empfindung geschaffen, das zu seiner Zeit vielfach dem Zeitgeschmacke entsprach und günstig aufgenommen wurde, obschon urtheilsfähige Zeitgenossen, wie z. B. Hegner, auch schon nicht für diesen Grad von Gefühlsseligkeit sich aussprechen wollten. Daneben hinwieder zeigte jedoch H. seine stete Bethätigung für verschiedene Wissensgebiete in der Mitarbeiterschaft an Zeitschriften, wie der Allgemeinen Litteratur-Zeitung. Das Erscheinen der „Briefe Goethe’s an Lavater“ (1833) erlebte er nicht mehr. Noch weniger hatte er das von ihm beabsichtigte Leben Galilei’s vollenden können. Die geistige Frische und Liebenswürdigkeit, welche H. bis in sein hohes Alter sich bewahrte, war zumeist in seinem wohlgeordneten, reichentwickelten Haus– und Familienleben, das ihn hinwieder durch die Verpflanzung und Verheirathung von Söhnen nach Deutschland in neue Verbindungen brachte, hervorgetreten. Neben dem ältesten Sohne Heinrich (1794–1843), reformirtem Prediger zu Leipzig, waren besonders der Hebraist Ludwig (s. d. Art.) und der als Buchhändler und feiner Litteraturkenner hervorragende Salomon (s. d. Art.) Träger der in dem Vater vereinigten geistigen Anlagen. – Ein Stiefbruder Hirzel’s aus des Vaters zweiter Ehe, woher ferner auch die erste Gattin von David Heß (s. d. Art.), war Hans Kaspar (1785–1823), der durch seine sprachlich gründliche und praktisch sehr brauchbare französische Grammatik sich einen Namen machte, daneben auch mit Astronomie sich abgab (Astronomie de l’amateur. 1820).

Vgl. Nekrologe von Heinr. H. im Intelligenzblatt der Allgemeinen Litteratur-Zeitung von 1833, Nr. 25, sowie im XI. Jahrgang des Neuen Nekrologes der Deutschen, 1. Theil, S. 98–101.