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Artikel „Nigrinus, Georg“ von Adolf Link in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 695–698, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nigrinus,_Georg&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 00:32 Uhr UTC)
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Nigrinus: Georg N. (Schwartz), evangelischer Theologe und Satyriker, geb. am 13. Septbr. 1530 in Battenberg an der Eder, † am 10. Octbr. 1602 als Pfarrer zu Echzell in der Wetterau und Superintendent des Alsfeldischen Bezirks und der Grafschaft Nidda in Hessen. Durch den Lehrer seines Heimathsortes vorbereitet, kam er 1540 auf die von Joh. Fönilius eröffnete Gelehrtenschule zu Wetter in Hessen, wo er anfangs bei einem Bürger Aufnahme fand, dann aber durch Singen an den Thüren sich den Unterhalt verdienen mußte. Später besuchte er die damals in besonderem Ansehen stehende Schule von Frankenberg, um indeß schon 1545 nach Wetter zurückzukehren. Im folgenden Jahre finden wir ihn in Kassel, wo er unter Leitung von Peter Nigidius d. Aelt. hauptsächlich Logik studirte. 1547 begab er sich auf den Weg nach Würzburg, um daselbst, in der Hoffnung als Mönch frei von allen Nahrungssorgen sich der Wissenschaft widmen zu können, in ein Kloster einzutreten. Wie wenig sich der siebenzehnjährige Jüngling, der, in einem vollständig evangelischen Lande aufgewachsen, das Mönchthum nicht mehr aus eigener Anschauung, sondern hauptsächlich aus den Schilderungen seines von Würzburg heimgekehrten Vetters kannte, über die Tragweite eines solchen Schrittes klar war, läßt sich daraus erkennen, daß er den Plan ebenso schnell wieder fallen ließ, als er ihn gefaßt hatte: Als ihn nämlich auf der Reise ein Wirth tadelte, daß er, ein Sohn des Hessenlandes, wo das Licht des Evangeliums am hellsten leuchte, Mönch werden wolle, und ihm vorschlug, lieber auf das Gymnasium nach [696] Schweinfurt zu gehen, befolgte er sofort diesen Rath. Der Ausfall der von dem Rector der Anstalt, Johann Cramer, abgehaltenen Prüfung war derart, daß N. zugleich in das Hospiz für arme Schüler aufgenommen wurde, wo er ein Freibett, dreimal wöchentlich Kost und jährlich ein Gewand erhielt. Was er im übrigen brauchte, mußte er sich als Calefactor und durch Singen auf der Straße verdienen. Die gewaltsame Einführung des Augsburger Interims im J. 1549 zwingt N., der inzwischen sich besonders in religiösen Dingen Klarheit verschafft hatte, Schweinfurt zu verlassen und sich nach Joachimsthal zu wenden. Von entscheidender Bedeutung für seine Entwickelung war der Einfluß, den Johann Matthesius, der Pfarrer der Stadt, und ebenso Caspar Eberhard, damals Rector der Joachimsthal’schen Schule, auf den Jüngling ausübten. Aber trotz der Protection jener Männer und der Beachtung, welche er bei Gelegenheit einer griechischen Aufführung der Wolken des Aristophanes und des Ajax durch sein treffliches Spiel bei dem zufällig anwesenden Melanchthon gefunden, ist es ihm seiner Armuth wegen unmöglich, eine Universität zu besuchen. Von Matthesius empfohlen, erhält er 1550 eine Lehrerstelle in Buchau in Schlesien an der böhmischen Grenze. Als er im folgenden Jahre von einer Reise in die Heimath zurückkehrte, findet er Braut und Amt im Besitze seines Stellvertreters. Es beginnt nun für ihn eine Periode äußerster Noth und fehlschlagender Hoffnungen. Ueber Leipzig, wo er vergebens Marburger Kaufleute um Geld bittet, und Buchau kehrt er nach Joachimsthal zurück. Eine Lehrerstelle in Falkenau, die er auf Empfehlung des Matthesius zu erhalten hofft, findet er bereits besetzt, ebenso ergeht es ihm in Nürnberg, wohin ihn Eberhard an einen Buchdrucker als Corrector und Hauslehrer empfohlen hatte. Von Almosen sich nothdürftig erhaltend, faßt er in seiner Verzweiflung den Plan, Soldat zu werden, erkennt aber darin, daß er den Werbeofficier mehrmals nicht zu Hause findet, den Finger Gottes und beschließt, seinem Berufe treu zu bleiben. Von dem Nürnberger Bürgermeister Hieronymus Baumgartner unterstützt, gelangt er im Januar 1553 über Eichstädt nach München, wo ihm sein früherer Mitschüler Martin Balticus, Lehrer an der Poetenschule, eine Stelle als Collaborator an derselben Anstalt verschaffte. Der Aufenthalt in München war für N., wie er selbst bemerkt, deshalb von der größten Bedeutung, weil er sich hier als Lehrer der Poetik die vielfach bethätigte Fertigkeit in der dichterischen Handhabung der Sprache erwarb und zudem reichlich Gelegenheit fand, das katholische Volksleben und besonders den Jesuitismus aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Drohungen der Jesuiten, welche ihm nachstellten, weil er öfters zur Feier des Abendmahls nach Augsburg reiste und seinen Schülern privatim Melanchthon’s Loci erklärte, zwingen ihn, 1555 seine Stelle aufzugeben. In Augsburg, wo er sah, wie König Ferdinand dem päpstlichen Legaten zu Fuß entgegenging, und dann die Predigt des Bischofs, welche Nicolaus Hausmann öffentlich widerlegen wollte, nachschrieb, wendet er sich wieder nach Joachimsthal und von da nach Wittenberg. Mit einem Empfehlungsschreiben von Melanchthon, der sich seiner von jener Aufführung in Joachimsthal her erinnerte, an den Superintendenten von Oberhessen, Adam Crato, versehen, geht er nach Marburg und wird noch im J. 1555 (laut Ausweis des Catalogus studiosorum scholae Marpurgensis) von dem Juristen Johann Oldendorf immatriculirt. Er studirt Theologie, versieht aber zugleich von Marburg aus die Pfarrei in den benachbarten Dörfern Bürgeln und Kölbe. Durch eine öffentliche Disputation über das Abendmahl sowie durch geschickte Aufführung einiger Plautus’scher Stücke lenkt N. die Aufmerksamkeit der ganzen Universität auf sich. 1556 wählt ihn die Gemeinde Homburg ob der Ohm zu ihrem Pfarrer; später begleitet er auf Tholde’s Empfehlung den Landgrafen als Prediger auf seinem Zuge nach Stuttgart, wo Philipp seinen Sohn Ludwig [697] mit Hedwig von Würtemberg vermählte. Von dieser Reise her erfreute er sich der besonderen Gunst des Landgrafen, welcher 1564 bewirkte, daß er die durch Orth’s Versetzung erledigte Pfarrstelle zu Gießen erhielt. Als 1580 der greise Pistorius sein Amt niederlegte, wurde N., der sich inzwischen durch sein Auftreten auf den Generalsynoden und seine litterarische Thätigkeit zu diesem Amte empfohlen hatte, zum Superintendenten von Alsfeld und Nidda gewählt und vom Landgrafen Ludwig bestätigt. Zugleich verwaltete er die Pfarrstelle zu Echzell, wo er am 10. Octbr. 1602 gestorben ist. – In den confessionellen Streitigkeiten, welche bald nach Philipps Tode und der Theilung des Landes (1567) in der hessischen Kirche entstanden, hat N., schon als Pfarrer in Gießen öfters zu den Conventen und Generalsynoden hinzugezogen und später als Superintendent ständiges Mitglied derselben, eine bedeutende Rolle gespielt. Er war eines der thätigsten Mitglieder jener Partei der oberhessischen Theologen, welche unter dem Einfluß des Aegidius Hunnius die Bemühungen des Jakob Andreä, das torgische Buch und später die Concordienformel in Hessen einzuführen, unterstützten, und durch Aufrichtung des strengen Lutherthums die Loslösung der oberhessischen Kirche von der bis dahin allen Theilen des Landes gemeinsamen melanchthonisch-bucerischen Bekenntnißgrundlage und damit auch die kirchliche Entfremdung der Landgrafschaften von einander bewirkten. Nigrin’s Hauptverdienst beruht auf seiner litterarischen Thätigkeit. Er übersetzte die Schrift des Andr. Hyperius (s. A. D. B. XIII, 490), seines Lehrers: De sacrae scripturae lectione ad meditationem quotidianam, Martin Chemnitz’ Examen concilii Tridentini, den zu Lyon 1577 anonym erschienenen Discours sur les moyens de bien gouverner … un Royaume … contre Niclas Machiavel (vgl. über diese Uebersetzung und Joh. Fischart’s Antheil an derselben Goedeke, Grundriß, 2. Aufl. II, § 163, 42), die Schrift Nic. Hemming’s De conjugio etc., endlich den bekannten Godelmann’schen Tractatus de magis etc. – Als homiletischer Exeget trat er hauptsächlich auf in seiner „Apocalypis … in Sechzig Predigen … ausgeleget“, Ursel 1573. Fol. und in dem Buche: „Daniel … ausgelegt in fünfftzig Predigen“, Ursel 1574. Fol., nachdem er den Hauptgedanken dieser Schriften, daß das Papstthum die Herrschaft des Antichrists sei, bereits in dem Werke: „Ein wolgegründe Rechnung und Zeitregister“, Ursel M. D. LXX. 8° eingehend zu beweisen gesucht hatte. – Im „Jüden Feind. Von den Edelen Früchten der Thalmudischen Juden“ o. O. M. D. LXX. 8° gibt er den Fürsten den Rath, die Juden, allerdings ohne Anwendung von roher Gewalt, aus dem Lande zu weisen, oder, wenn man sich dazu nicht verstehen könne, sie zum Ackerbau und zur Handarbeit zu zwingen. – Während N. zu den interconfessionellen Streitigkeiten der evangelischen Kirche litterarisch nur in seinem: „Calvinisch Post-Reuter“ o. O. 1592. 4° und „Ander theil des Newen Calvinischen Postreuters“ o. O. 1593. 4° (vgl. Goedeke a. a. O. § 147, 205. 206), sowie in seinem „Anticalvinismus“, Frankfurt 1595. 4° Stellung nahm, zeichnetete er sich als energischer und überaus fruchtbarer Polemiker gegen die katholische Kirche aus. Wie sehr man gerade in Hessen diese seine Thätigkeit in jenen Zeiten der Contrareformation schätzte, läßt sich daraus erkennen, daß der Landgraf Wilhelm ihm zweimal die bedeutende Summe von 40 Thalern zuwandte, damit er sich die nöthigen Bücher kaufen könne. Aus der großen Zahl seiner polemischen Schriften heben wir hervor: „Von rechter ordentlicher Wahl, und dem Beruff der Euangelischen Prediger“, Ursel 1573. 4° (gegen den, N. persönlich bekannten zur katholischen Kirche zurückgetretenen Wittenberger Magister Caspar Franck, Professor in Ingolstadt; s. Sepp, Kerkhist. Studiën, 1885, S. 180–220); „Von der rechten alten Catholischen Kirche“ o. O. 1575. 4° (gegen den Apostaten Jakob Rabe, Hofprediger in München); „Historischer bericht von vierley Jubeljahr“, Marpurg 1578. 4°; „Lehr, Glaubens und [698] Lebens Jesu und der Jesuwider … Gegensatz“ o. O. M. D. LXXXI (gegen Georg Eders, Hofrath in Wien; vgl. Raupach, Erläutertes Evangelisches Oesterreich, Hamburg 1736, S. 211 ff.). Ebenfalls gegen Eders gerichtet ist das Hauptwerk Nigrin’s: „Papistische Inquisition und gulden Flüs der Römischen Kirchen“, o. O. M. D. LXXXII. Fol., in welchem bei zurücktretender Polemik die erstaunliche Belesenheit des Verfassers zu Tage tritt. Endlich gegen Pistorius, den zum Katholicismus zurückgetretenen Sohn seines Vorgängers in der Alsfeldischen Superintendentur: „Nottwendige Errettung Deß Christlichen … Beruffs D. Martini Lutheri“, Frankfurt M. D. XCVII. 4°. – Charakteristisch für die damals herrschende Art der Polemik sind Nigrin’s Schriften gegen Johann Nas (s. o. S. 257). Dieser Streit gewinnt dadurch an Interesse, daß N. sich nicht damit begnügt, die Schriften seines Gegners (u. A. sein Handbüchlein des klein Christianismi, Ingolstadt M. D. LXXI. 8°) in halbwegs sachlicher Polemik zu widerlegen, sondern in der derbsten Satyre in einigen gereimten Gedichten, z. B.: „Von Bruder Johan Nasen Esel“, o. O. u. J. 4°, „Vexamen des … weitumbstehenden Tittels … Johann Nasen“, Eichen Zell 1582. 4°, besonders aber in seinem „Affenspiel F. Johan Nasen. Gute Nacht Babst“ (Georg Nigrinus Battenbergensis), o. O. M. D. LXXI. 4°, über ihn herzieht.

Vgl. die schon von Strieder, Hess. Gelehrten-Gesch. Bd. XV, S. 354 ff. benutzte Oratio de vita, studiis et obitu … Georgii Nigrini .. a M. Johanne Theodorico (Dietrich), Francof. M. D. CIIII. 4°. – Vilmar in Zeitschrift des Vereins für hess. Gesch. III, S. 214 ff. (u. A. über Joh. Fischart und N.). – Ueber die Betheiligung N.’s an den hessischen Synoden vgl. Heppe, Geschichte der hessischen Generalsynoden, Kassel 1847. – Ein Verzeichniß der Schriften Nigrin’s bietet Goedeke, Grundriß zur Gesch. der deutschen Dichtung, 2. Aufl. Bd. 2. Dresden 1886, § 163 III, welches an der Hand von Strieder, a. a. O. Bd. X, S. 82 ff. zu ergänzen ist. – Nirgends angemerkt finde ich einen in dem Katalog von Oswald Weigel in Leipzig, Thesaurus librorum hist. reformationis illustrantium, 1884, angebotenen Druck: Prognosticon theologicum … Durch Herrn M. Ad. Nachenmoser von Brandwälden aus Churland (Pseudon. für Mag. art. Nigr. Battim. Chatt.) vorgestellt. 3 Thle. Leiden 1588. Fol. (ein Abdruck der Papistischen Inquisition).