Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Nicolini“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 632–635, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nicolini,_Philipp&oldid=- (Version vom 1. Dezember 2024, 03:41 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Nicolovius, Ludwig
Band 23 (1886), S. 632–635 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Filippo Nicolini in der Wikipedia
Filippo Nicolini in Wikidata
GND-Nummer 133931021
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|23|632|635|Nicolini|Hermann Arthur Lier|ADB:Nicolini, Philipp}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=133931021}}    

Nicolini: In der Theatergeschichte des 18. Jahrhundert begegnet uns nicht selten der Name eines Impresario N., über dessen Persönlichkeit und Wirken keines der einschlägigen Werke eine befriedigende Auskunft gewährt. Woher dieser N. stammte, wann er geboren wurde, welches seine Anfänge waren, läßt sich trotz der ausgedehntesten Nachforschung immer noch nicht angeben. Aber bleibt auch die Herkunft des Mannes zunächst noch in Dunkel gehüllt, so fehlt es doch nicht an eingehenderen Nachrichten über seine Thätigkeit als Theaterdirector, aus denen wir auf seine Bedeutung schließen können. Die erste derselben führt uns nach Frankfurt a. M. Bei der Kaiserkrönung Franz’ I. im Herbste des Jahres 1745 wurde N. auf allerhöchste Fürbitte vom Rath dieser Stadt die Erlaubniß zur Aufführung von Pantomimen ertheilt (vgl. Elise Menzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt a. M., Archiv für Frankfurt’s Geschichte und Kunst, N. F. Bd. 9. Frankfurt 1882. S. 197). Friedrich Melchior Grimm, welcher als Secretär des sächsischen Reichstagsgesandten, des Grafen von Schönberg, den Krönungsfeierlichkeiten beiwohnte, meldet am 11. Octbr. 1745 an Gottsched, daß dem Unternehmen der Neuberin durch die Darstellung von Pantomimen Gefahr drohe. Alles, was vornehm sei, besuche dieselben. „Diese wird“, fährt er fort, „von lauter Kindern von [633] 12–16 Jahren aufgeführt und ist sehr artig, die Verzierungen aber vom Theater prächtig und vielfältig. Diese Leute ziehen auch den größten Gewinnst“ (vgl. Th. W. Danzel, Gottsched und seine Zeit, Leipzig 1848. S. 169 ff.). Es ist kein Zweifel, daß der Leiter dieser Pantomimen kein anderer war als N. Wie dieselben beschaffen waren, darüber gibt uns der Bericht eines Augenzeugen, auf den Danzel zuerst aufmerksam gemacht hat (Lessing, Leipzig 1850. Bd. 1. S. 175 ff.), genügenden Aufschluß. In dem Buche: „Literarischer Briefwechsel oder: Aufgefangene curieuse Briefe“, Frankfurt a. M. 1746, handelt der unbekannte Verfasser im 18. Schreiben S. 247–270: „von Pantomimen“, worunter nur diejenigen Nicolini’s verstanden werden können. Nach seinen Schilderungen scheinen die Darbietungen Nicolini’s weiter nichts gewesen zu sein, als gewöhnliche, mit einer dürftigen Handlung ausgestattete Ballets, welche von Kindern getanzt wurden, ausgezeichnet allein durch eine bis dahin in Deutschland unbekannte Pracht der Decorationen und Costüme. Gleichwol meinten die Zeitgenossen in ihnen die Wiederbelebung der antiken Pantomime begrüßen zu dürfen und feierten N. als den Wiederhersteller dieser dramatischen Gattung (vgl. die Vorrede zu der Abhandlung von den Pantomimen, Hamburg 1749). Die gewöhnliche Ansicht über die Herkunft der von N. geleiteten Kinder war die, daß sie Holländer seien. Der Verfasser des litterarischen Briefwechsels bezweifelt jedoch die Richtigkeit dieser Annahme, da sich das „schwere Naturell“ der Holländer nicht „zu einer solchen fertigen Behändigkeit schicke“; „ich halte vielmehr“. sagt er, „wenigstens die jungen für Frantzösische Landes-Kinder“. Von N. selbst meldet er, er werde als ein Müller von Beruf angesehen und die kleineren Kinder seien größten Theils seine eigenen. Von Frankfurt wandte sich N. nach Wien; im J. 1747 war er in Prag, wo seine Gesellschaft unter der Bezeichnung einer „compagnia dei piccoli Hollandesi“ erscheint. Eine Reihe von Textbüchern, welche im böhmischen Museum aufbewahrt werden, geben einen Anhalt für Nicolini’s Prager Aufführungen. Er gab kleine italienische Stücke, für wenig Personen berechnet, komischen Inhalts und musikalisch illustrirt. Im März 1748 verließ N. Prag wieder (vgl. Oscar Teubner, Geschichte des Prager Theaters, Prag 1883, Th. 1. S. 191–193). Zur Ostermesse 1748 tauchte N. in Leipzig auf (vgl. Blümner, Theatergeschichte von Leipzig, S. 77). Hier sah Lessing seine Aufführungen, über die er sich in dem 12. seiner „Briefe“ (Werke, Hempel, Bd. 8. S. 197 ff.), der allerdings aus dem Jahre 1747 datirt ist, höchst ungünstig aussprach. Er verwirft in demselben jeden Vergleich mit den Pantomimen der Alten, die etwas ganz anderes gewesen seien, und nennt N. spöttisch einen „sinnreichen Mann“ und seine Kinder „kleine Affen“. Immerhin aber fühlte er sich seit dem Besuche von Nicolini’s Vorstellungen angetrieben, eingehendere Studien über die Pantomine anzustellen, deren Resultat wir allerdings nur aus einem Entwurfe seines Nachlasses kennen (Werke 11, 2. S. 839–850). Der Beifall der Menge stand jedoch zu dem verwerfenden Urtheile Lessings im directen Widerspruch. Das zeigte sich auch in Hamburg, wo N. auf dem Neumarkte in einer großen Bretterbude seine „Opera Pantomima di Piccoli Hollandesi“ im November 1748 eröffnete. Ungeachtet der von ihm geforderten hohen Eintrittspreise war der Zulauf ein ungewöhnlich großer. Nicolini’s Aufenthalt in Hamburg währte bis zum Juni 1749. Von hier aus verbreitete sich der Ruf von der Pracht und Herrlichkeit seiner Pantomime recht eigentlich erst über ganz Deutschland (vgl. Joh. Friedr. Schütze, Hamburgische Theatergeschichte, Hamburg 1794. S. 73–83). Am 3. Juli desselben Jahres wurde am Hofe zu Dresden auf dem königlichen Theater zum erstenmale eine italienische Comödie: „Le trenza tre disgrazie ridocolo d’Arleqvino“ gegeben. Aehnliche Vorstellungen folgten bis Ende August. Als Veranstalter derselben [634] müssen wir N. annehmen, welcher für seine Leistungen vom Könige die Summe von 1100 Thlrn. erhielt (s. Auserlesener historischer Kern Dreßdnischer Merkwürdigkeiten vom J. 1749. S. 51 ff. und Fürstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden, 1862. II, S. 260). Die eigentliche Stätte von Nicolini’s Wirksamkeit sollte jedoch Braunschweig werden. Wann er in diese Stadt gekommen, steht nicht fest. Jedesfalls aber irrt Adolf Glaser (Geschichte des Theaters zu Braunschweig, Braunschweig 1861. S. 53 ff.), wenn er berichtet, daß Herzog Karl bereits im J. 1745 N. berufen habe. Wahrscheinlich siedelte N. von Dresden nach Braunschweig über, also im Herbst 1749, wo er sich bald so in der Gunst des Herzogs festzusetzen wußte, daß ihm der Titel eines „Directeur des spectacles“ verliehen und das neuerbaute Pantomimenhaus in der Burg eingeräumt wurde. Im J. 1753 warb er eine italienische Sängergesellschaft an und führte dadurch die erste glänzende Periode der Braunschweiger Oper herbei. Unerhörte Summen wurden nun für die Zwecke der Bühne flüssig gemacht. Vehse (Geschichte der Höfe des Hauses Braunschweig. Bd. 5, Hamburg 1853. S. 229) erzählt, daß das Theater einen Jahreszuschuß von 70 000 Thlrn. erhalten und N. allein 30 000 Thlr. Jahresgehalt bezogen habe. Sein Hauptaugenmerk richtete N. auch in Braunschweig auf die Ausführung von Pantomimen. Die Textbücher zu seinen Stücken führen auf dem Titel häufig den Zusatz: „auf dem neuen Theater in der Panthomimischen Oper des Herrn Nicolini dargestellt“. Daß jedoch N. den deutschen Truppen nicht abhold war, beweist seine Berufung der Ackermann’schen Gesellschaft, welche im J. 1763 erfolgte. Bis zum Jahre 1770 kehrte sie seitdem regelmäßig zur Zeit der Messe in Braunschweig ein. Bei der Gesellschaft befand sich auch der berühmte Friedrich Ludwig Schröder, der einige Jahre später in nähere Verbindung mit N. treten sollte. Mit dem Jahre 1771 ging nämlich die Herrlichkeit Nicolini’s in Braunschweig zu Ende. Er war so unvorsichtig gewesen, den Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand zu beleidigen, und konnte es nicht mehr verhindern, daß ihm bei der nothwendig gewordenen Wiederherstellung der unter Herzog Karl gänzlich zerrütteten Finanzen die herzogliche Unterstützung entzogen wurde. Die Gläubiger der herzoglichen Chatulle hielten sich daher an seine Person, wodurch N. in Concurs gerieth und sein Vermögen einbüßte. Unter diesen Umständen erschien es noch als eine besondere Begünstigung, daß ihm gegen Ende des genannten Jahres die Erlaubniß ertheilt wurde, Braunschweig zu verlassen und die Decorationen zum kleinen Theater, die er zur Aufführung seiner Pantomimen brauchte, mit sich fort zu nehmen. Seine Frau, Namens Magdalene N., blieb in Braunschweig, wo sie seit 1774 ein herrschaftliches Haus bewohnte. Ende 1775 ist sie bereits daselbst gestorben. N. suchte Zuflucht in Hamburg; es gelang ihm, Madame Ackermann, die Mutter Schröder’s, zum Abschluß eines Vertrages zu bewegen, welcher es ihm ermöglichte, noch einmal auf ihrer Bühne seine alten Künste dem Publicum vorzuführen. Der Erfolg entsprach jedoch nicht den gehegten Erwartungen; der Geschmack der Hamburger war im Laufe der Jahre ein anderer geworden. Die Einnahmen deckten nicht einmal die für die Vorstellungen nöthigen Auslagen. Auch der Versuch, N. eine Zeit lang allein in Hamburg zu lassen und ihn von der Concurrenz des Schauspiels zu befreien, mißlang. Endlich wurden die Verlegenheiten so groß, daß N. im März 1773 es für gerathen hielt, sich seinen Gläubigern durch die Flucht zu entziehen. Wohin er sich gewandt, blieb ein unaufgehelltes Geheimniß. Erst ein späteres Gerücht meldete, daß er in einem Kloster unweit Goslar gestorben sei. Bei der Beurtheilung von Nicolini’s Leistungen darf man sich nicht durch das Ansehen Lessing’s irre machen lassen. Der große Schröder, der günstig über ihn dachte, verdient hier mehr Glauben, da er N. aus einem langjährigen Zusammenwirken [635] kannte. Nicolini’s „Kunstgeschicklichkeit, unerschöpfliche Einbildungskraft, wohlberechnete Anordnung, sichere Ausführung, Faßlichkeit des Unterrichts, unermüdeter Fleiß und Anstrengung“ waren nach Schröder’s Meinung unübertrefflich. N. scheiterte mit seinen Bestrebungen an dem Mangel an Mitteln, welche er allerdings ins Ungemessene in Anspruch nahm. Ein besonderes Verdienst Nicolini’s, das ihm auch diejenigen nicht streitig machen, welche seine Pantomimen verwerfen, war die durch ihn herbeigeführte Hebung der Decorationsmalerei, welche bis zu seiner Zeit in Deutschland sehr im Argen gelegen hatte. Unter den Mitgliedern seiner Truppe zeichnete sich z. B. der Harlekin Quartal als Landschaftsmaler rühmlich aus. Die Arbeiten der Theatermaler Colombo, Amando und Zimmermann galten den Zeitgenossen als vorzügliche Leistungen. Die Erfindung der verschiedenen Maschinen dagegen, welche N. für seine Vorstellungen brauchte, war in der Regel sein eigenstes Werk (F. L. W. Meyer, Fr. Ludw. Schröder, Hamburg 1823. Th. 1. S. 115 ff., 198 ff., 226 ff., 235 ff., 238 ff., 245 ff.).

Nicolini’s Tochter Anna erwarb sich den Ruf einer vorzüglichen Sängerin. Einst viel vermögend und gefeiert soll sie in tiefstem Elend in Braunschweig gestorben sein. Sie ist vermuthlich dieselbe kleine N., von der Lessing sagt: „Sie hat ihren Mund in den Augen“. Eine Tochter der Frau N. wird im April 1776 als Ehefrau Michael Rossi’s in München genannt, als ihre Söhne 1790 Giacomo d’Oploo und Charles Nicolini in London (Mittheilung des Herrn Dr. Paul Zimmermann aus den Acten des herzoglich braunschweigischen Landesarchivs zu Wolfenbüttel).