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Artikel „Neher, Michael“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 388–391, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neher,_Michael&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 04:13 Uhr UTC)
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Neher: Michael N., Architekturmaler, geb. am 31. März 1798 zu München und † daselbst am 4. Decbr. 1876. Derselbe stammte aus einer schwäbischen, allmählich ins Bürgerliche ausgewachsenen Künstlerfamilie; er lernte erst etwas Latein, dann das Zeichnen bei Hermann Joseph Mitterer, kam unter Peter v. Langer’s Direction auf die Akademie und warf sich unter Matthias Klotz auf das Porträtfach, in welchem er schon um 1820 als selbständiger Künstler hervortrat; nebenbei versuchte er sich auch nach Quaglio’s Vorbild im Gebiete der Architektur- und Decorationsmalerei. Er wollte Bildniß-, Historien-, Landschafts- und Architekturmaler, alles zugleich sein; auch im Miniaturbilde scheint er sich versucht zu haben. Ein gefährliches Vielerlei von Vorstudien, aus welchen N., wenn auch langsam, einen sicheren Rückgang für seinen wahren, nachhaltigen Beruf fand. Schließlich nahm ihn, der die rechte Gabe besaß, alles künstlerisch anzuschauen, das Leben und die Welt in die Schule: N. ging 1819 mit guten Empfehlungen nach dem Süden, hielt sich längere Zeit als Porträtmaler in Trient auf, durchzog Oberitalien von Mailand bis Triest und wagte sich nach Rom und Neapel, wo er 1824 mit Fries, Oehme, Götzloff, Wagner, Ludwig Richter und anderen deutschen Kunstgenossen zusammentraf. Da mit dem Porträtfach nicht viel zu machen war, warf sich N. auf das Genre und studirte das farbige Volksleben, welches sich damals noch so ungesucht, von allen Seiten in überraschender Weise darbot. In zahlreichen Zeichnungen, meist nur wenigen Zoll hohen Figuren und Gruppen, hielt er die Eindrücke fest. Sie trugen denselben sicheren, beinahe kupferstichartigen Strich und Charakter, wie eben damals die Maler mit höchster Gewissenhaftigkeit ihre „Studien“ machten: Peter Heß, J. A. Klein und K. Bürkel zeichneten Alle in gleich sorgfältiger Weise. Dem jungen N. stand Heinrich Heß, welcher sich damals in Rom befand, mit seinem ehrlichen Rathe bei; daß er bei N. die „historische“ Strenge vermißte, war begreiflich. So meinte Heß eines Tags „das Mauerwerk welches N. da male, tauge unendlich mehr als die Figuren davor und es wäre wol am besten, wenn diese jenem untergeordnet würden“. Sein scharfer Blick hatte Neher’s Begabung erkannt; N. selbst aber fand erst allmählich den richtigen Weg. Vorerst glaubte er genug zu thun, wenn er die Verhältnisse seiner Figuren mehr und mehr verkleinerte und dafür der architektonischen Umgebung eine größere Bedeutung einräumte. Von da an war Neher’s Weg vorgezeichnet. Es dauerte aber auch jetzt noch eine gute Weile, bis N. im Bereiche der Architekturmalerei jene künstlerische Höhe erreichte, welche er dann in der Folge immer behauptete und von welcher er selbst an der Grenze des Greisenalters nicht herabstieg. Denn als er drei Jahre vor seinem Tode wahrzunehmen glaubte, daß die Sicherheit seiner Hand und seines außerordentlich schönen und stets freudestrahlenden Auges schwinde, legte er den Pinsel nieder, so schwer ihm dieses auch fallen mochte. Es war ein hartes Opfer, aber seines guten Namens würdig. Beispiele dieser Art sind gleichwol selten. In Italien malte N. eine „Almosenspende“, das treffliche Bild eines „Spielers“ (Giucatore), eine „Mutter mit ihrem Bambino unter der Arcade eines Hauses“. Ein köstliches „Römische Geflügelhändler“ vorstellendes und „Roma 1825“ bezeichnetes Bild besitzt die Neue Pinakothek zu München; die fast 28 Centimeter hohen Figuren sind mit äußerster Sorgfalt durchgebildet, insbesondere verträgt der vor ihnen stehende Hühnerkorb sogar eine Untersuchung mit der Lupe und erinnert in seiner sauberen Ausführung beinahe an die Spielereien des Gerhard Dow. Bei seiner 1825 erfolgten Rückkehr nach München brachte N. eine Fülle von Skizzen und Studien mit, einen Schatz von Bildern, Costümstücken, Landschaften und Ansichten von öffentlichen Plätzen und architektonischen Darstellungen. Er hatte in der Fremde gelernt, was arbeiten heißt; [389] der Drang und die Lust zu schaffen waren mit der Erkenntniß seines Zieles erwacht; er strebte das Gefundene nicht allein zu verwerthen, sondern auch Andern zu lehren und sie seines geistigen Erwerbs theilhaft zu machen. So gründete N. eine Zeichnungsschule und nahm Schüler an; auch bekleidete er bis 1838 die Stelle eines Conservators am Münchener Kunstverein. Daselbst brachte er dann in der Folge die Mehrzahl seiner Bilder zur Ausstellung, noch im J. 1825 eine „Frau mit ihren Kindern aus der Gegend von Rocca di San Stefano“; 1826 kamen schon sieben Bilder: „Franciscanermönche welche an ihrer Klosterpforte Speisen unter die Armen austheilen“; ein „römischer Milchhändler“; ein auf grasiger Anhöhe sitzender „Ziegenhirte mit einem kleinen Mädchen, eine italienische Landschaft im Hintergrunde“; Costume di Rocca S. Stefano o. auch von Olevano und Montorio Romano; den Schluß machte eine Gruppe Italiener. Das alles malte N. ebenso wie die übrigen „alten Herren“ von damals, ohne weitere Beihülfe als seine an Ort und Stelle gemachten Zeichnungen und Skizzen; sie schleppten sich noch nicht mit Costümen, Garderoben und sonstigen Modellen; sie malten aus der Erinnerung und waren in Farbe und Zeichnung gerade so diplomatisch genau, vielleicht sogar noch gewissenhafter als unsere Zeitgenossen, welche öfters, wenigstens bei den „zugereisten“ Modellen, von maskirten Südtirolern und anderweitigem Gesindel hinters Licht geführt werden. Wenn man ferner bedenkt, daß N. außer seinen vielfachen Obliegenheiten als Lehrer und Conservator noch als Bildnißmaler in Anspruch genommen wurde, weil er eine vorzügliche Gabe zur Auffassung charakteristischer Züge und aller Zufälligkeiten besaß – so erhalten wir ein lebhaftes Bild seines rastlosen Fleißes, der durch das fröhliche Bewußtsein des Gelingens, der verdienten Anerkennung und reichlichen Beifalls noch gehoben ward. Dabei blieb sein Vortrag eben so sorgsam und sauber, ja er steigerte sich noch zusehends in der minutiösesten Gewissenhaftigkeit, während die Stimmung im steten Fortschreiten an poetischer Schönheit und feintöniger Harmonie gewann. Den Höhepunkt erreichte er freilich erst in der Mitte und zu Ende der vierziger Jahre. In das Jahr 1827 fiel noch eine „Fischerfamilie von Nettuno“, ein von Kindern mit Früchten beschenkter „Eremit“ etc. In allen diesen Dingen spiegelte N. damals die ihn umgebende Natur eben so wahr, wie heutzutage Passini. Im nächsten Jahre folgten eine hübsche, um einen Schleifer versammelte Mädchengesellschaft; ein „Saltorelle romano“ und mehrere andere Costümgruppen; 1829 tauchten schon einige Bilder auf, in denen die Architektur selbständiger zum Vorschein kam, z. B. der „Fischmarkt in Rom“ oder eine „Straße in Tivoli“ (1830), dann kam das „Pantheon in Rom“ (1832), eine Partie aus der „Cività Lavinia“, ein „Platz in Albano“, ferner eine „Straße aus Viterbo“, womit N. vorläufig die Reihe seiner Reise-Erinnerungen aus dem gelobten Lande Italien schloß, da ein willkommener und ehrenvoller Auftrag seine Thätigkeit auf ein anderes Gebiet lenkte. Neher’s Name hatte guten Klang und viele seiner Bilder gingen schon damals nach Stuttgart, Dresden, Berlin und London. Zugleich mit Fr. Giesmann, Glink, Lindenschmit und Lorenz Quaglio wurde N. 1834 nach Hohenschwangau berufen, um die Wände dieser so romantisch gelegenen Burg, welche durch den Kronprinz Maximilian wieder aus den Trümmern erstanden war, mit Fresken zu schmücken. N. malte nach den Entwürfen von Ruben zwei Bilder im Schwanenrittersaale, „Lohengrin’s Abschied vom Hause seiner Eltern“ und dessen „Hochzeit mit der schönen Elsa von Brabant“; dann arbeitete er mit an den „Bildern aus dem Frauenleben des deutschen Mittelalters“, an den „Darstellungen aus der Wilkinasage“ und den Fresken „aus dem deutschen Ritterleben“ – die beiden letzteren Cyclen nach Moriz von Schwind’s Compositionen. Vom schönen Schwanenschloß machte N. viele architektonische Ausflüge [390] in die Nachbarschaft und trug reiche Ausbeute heim; bei seiner im März 1837 erfolgten Rückkehr nach München begann er alsbald mit jenen Städte-, Burgen- und Kirchenbildern, ohne welche wir Neher’s Namen nicht mehr zu denken vermögen. Die Architekturmalerei pendelte damals noch „zwischen den beiden Extremen der Bühnendecoration und der linearen Düftelei, nach dem Vorbilde der späteren Niederländer. Erst N. gab dem Architekturbilde dadurch mehr Unmittelbarkeit und poetische Freiheit, daß er nicht auf constructivem Weg, und vom Architekten aus, sondern vom Genre durch allmähliche Vertiefung in den baulichen Hintergrund zum Architekturbilde gelangte“ (Reber). Den Beginn machte er 1837 mit dem „Rathhaus zu Wasserburg“ (sein letztes Bild nach 37jähriger Thätigkeit war 1873 auch einem Motiv aus dieser Stadt entnommen); rasch folgten „die Tillycapelle in Altötting“ und eine Ansicht der „Waffenhalle in Hohenschwangau“; das „Schloß zu Burghausen“ (1838), ein Thor und eine Kirche aus dem alterthümlichen Rothenburg an der Tauber, jenem liebenswürdigen Städtchen, welches N. sozusagen erst entdeckte und mit seinen stillen Reizen bekannt machte, daß es seither mit wahrer Magie alle Maler und Kunsthistoriker anzog. Bald darauf brachte N. das Kreuzthor aus Ingolstadt (1839), innere und äußere Ansichten des Ulmer Münsters und dortigen Rathhauses. Kempten und Landshut mit der Trausnitz, Dinkelsbühl und Memmingen, Donauwörth, Kelheim und Augsburg lieferten ihm ihre vordem kaum gekannten Schätze aus; überall in den alten ehemaligen Reichsstädten, in ihren Münstern, Rathhäusern und Burgen, fand er in allen Straßen und Gäßchen überraschend schöne Ueberreste mittelalterlicher Kunst und malerisches Winkelwerk, welches er mit besonderer Vorliebe festhielt. In immer größeren und weiteren Bogen zog N. alljährlich durchs Land, überall Kleinode entdeckend. Gewöhnlich zeichnete er gleich an Ort und Stelle und mit wunderbarer Treue und zwar in der Größe wie das Bild werden sollte, seinen Gegenstand; einzelne Details kamen nöthigenfalls in ein kleines Skizzenbuch; in betreff der Farbenwirkung bürgte ihm sein gutes Gedächtniß. Saß er dann wieder in seinem Atelier zu München, so wurde die Zeichnung auf die Leinwand gebaust und die Ausführung frischweg begonnen. Trotz der subtilsten Ausführung des Details wurde er doch nie hart oder kleinlich, sondern behielt seine volle künstlerische Freiheit. Die Arbeit war ihm eine Lust und sein Beruf eine Freude; die Farbe mit welcher er buchstäblich zeichnete, wandelte sich in Wohlklang, Alles stand in Harmonie: Luft, Stimmung und Staffage. Das Malen war ihm immerdar ein Fest, nur wenn es an die Luft ging, da wurde der sonst so heitre Mann beinahe verdrießlich. Mit humoristischem Jammer brach er einst in die Worte aus: „O wie wäre die Kunst so schön, wenn es keine Luft zu malen gäbe!“ Und doch zeigen alle seine Bilder von dieser bekümmerten Herzensangst keine Spur. Die immer prächtig abgepaßten, oft sehr zahlreichen Staffagen pflegte N. vorher auf übergelegte Glasscherben zu skizziren; erst wenn sie ihm völlig paßten, malte er sie frischweg in seine Bilder. In immer weitere Radien dehnte N. seine Ausflüge: nach dem schönen Schwaben (Eßlingen, Tübingen und Maulbronn, 1848), dann an den Bodensee (Lindau und Constanz, 1849), nach Freiburg im Breisgau; über Weißenburg nach Nürnberg (1851). Im J. 1855 verarbeitete N. die Früchte einer auch auf Belgien ausgedehnten Rheinreise; dazwischen kamen wieder Erinnerungen aus der engeren Heimath; 1863 wanderte N. nach Böhmen und Sachsen, später auch noch in die Schweiz. Es war, als ob seine Kraft, sein Fleiß und seine Leistungsfähigkeit mit den Jahren sich steigere; mit eiserner Ausdauer saß N. tagsüber hinter seinem kleinen Fenster, welches nicht einmal reines, reflexfreies Nordlicht bot; für seine Bedürfnisse, meinte der bescheidene Mann, reiche das völlig aus. Als ihn einer seiner Freunde einmal in betreff [391] der strengen Zeichnung mit Cornelius vergleichen und ihn ebenso den Altmeister aller Fachgenossen im Gebiete der Architekur nennen wollte, wehrte N. diesen Ehrentitel mit den Worten ab: „Nein, mit Cornelius dürfen Sie mich nicht vergleichen, dazu verehre ich ihn viel zu hoch; aber gemeint habe ich’s – setzte er beinahe feierlich bewegt bei – gemeint habe ich’s mit der Kunst ebenso ernst“. Im J. 1848 erhielt N. als Auszeichnung eine Staatspension, 1872 die Aufnahme unter die Ehrenmitglieder der Akademie; die Feier seines 75. Geburtstages wurde von Seiten der Münchener Künstlerschaft festlich begangen. Der Abend seines Lebens brachte für den greisen Künstler indessen noch einige harte Prüfungen: Erst starb nach zehnjähriger Krankheit eine geliebte Tochter, dann streifte ihn ein Schlaganfall, von dem er sich jedoch ziemlich wieder erholte, um einen heftigen Typhus durchzumachen; leidlich hergestellt verlor N. in Mitte des Jahres 1876 seine treue Gattin, welcher er, trotz der sorgfältigsten Pflege seiner einzigen Tochter, am 4. Decbr. desselben Jahres folgte. N. war ein reiner, lauterer, unantastbarer Charakter, voll Liebe und Wohlwollen gegen die Menschen; seine Kunst ein echter Spiegel seiner schönen Seele. Er gehörte auch zu den Stiftern des Künstlerunterstützungsvereins, dessen nicht mühelose Vorstandschaft er lange Jahre hindurch bekleidete. Die neue Pinakothek besitzt elf Bilder von Neher’s Hand, wahre Perlen, fast aus allen seinen Phasen. Außer den vorgenannten die innere Ansicht der „Capelle auf der Trausnitz“, dann zwei Ansichten aus Alt-München, beide mit ihren originellen und charakteristischen Staffagen ganz köstliche Cabinetsbilder aus dem früheren Münchener Leben. Ebenso ist der „ehemalige Residenzflügel gegen den Hofgarten“ (1843) ein wahres Kleinod! Eine ganze Culturgeschichte steckt in den wenigen Figuren mit ihren uns beinahe schon alterthümlich anheimelnden Costümen. Zwischen diesen und der „Klosterkirche zu Bebenhausen bei Tübingen“ (1848) ist schon ein großer Schritt, welchen der Maler vorwärts gethan; ein warmes Colorit spielt über die spitzbogige Filigranarbeit, ein echter Hauch von künstlerischer Poesie. Daran reiht sich die „Prager St. Veitskirche“ und die „Martinskirche in Braunschweig“, dann der „Magdeburger Dom“ (1855), mit einer Menge minutiöser Figürchen, „Lichtenthal bei Baden“ (1859) und die „Theinerkirche in Prag“ (1863), ein auf Holz gemaltes Miniaturbildchen von wunderbarer Ausführung. Seltsamerweise wurden mit Ausnahme eines von Seeberger lithographirten Blattes aus dem sog. „König Ludwig-Album“, nur wenige von Neher’s Bildern durch Stich und Photographie vervielfältigt; auch für den Holzschnitt, wozu sein Vortrag doch so passend gewesen wäre, hat N. niemals gezeichnet. Desgleichen existirt auch kein Stich mit einem Porträt Neher’s, nur eine Photographie von Hanfstängl und eine kleine von Leeb. Seine Büste hat Halbig in König Ludwigs Auftrag modellirt.

Vgl. Lipowsky, Artistisches München, 1836, S. 89. – Nagler 1840. X. 172. – Regnet, Münchener Künstler, 181. II, 72 ff. – Nekrolog in Beilage 348 Allgem. Zeitung vom 13. Decbr. 1876. – Gottschall, Unsere Zeit, 1877, XIII, 311. – Kunstvereinsbericht für 1876. S. 74. – Reber, Gesch. d. neueren deutschen Kunst, 1876. S. 512.