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Artikel „Richter, Ludwig“ von Richard Muther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 491–497, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Richter,_Ludwig&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 05:07 Uhr UTC)
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Richter: Adrian Ludwig R., Maler, Radirer und Zeichner für den Formschnitt, wurde am 28. September 1803 zu Dresden geboren. Sein Vater Karl August R. (geboren zu Wachau bei Radeberg 1778, † zu Dresden am 6. Juli 1848), ein Schüler des Kupferstechers Zingg, war wie dieser Landschaftszeichner und Kupferstecher und wurde später dessen Nachfolger als Lehrer an der Akademie. So war der Knabe schon gewissermaßen durch Familientraditionen für die Kunst bestimmt und wußte es nicht anders, als daß er wieder Landschaftsmaler und Kupferstecher werde. Schon in der Schule verführte ihn die Schiefertafel beständig zum Zeichnen statt zum Rechnen; er half bereits als Knabe seinem Vater bei der Fabrikation der nach der damaligen Art sehr manieriert kalligraphischen Prospecte und wurde auf diesem Wege unvermerkt ein gewandter Zeichner und geschickter Radirer. Auch seine Phantasie erhielt damals schon im Kreise der Familie die Eindrücke, die für seine spätere Richtung entscheidend wurden. Otto Jahn hat uns in seiner Vorrede zum Richter-Album in anschaulicher Weise den Familienkreis des Künstlers geschildert: den Großvater, einen Kupferdrucker, der in seinen Mußestunden Alchemie und Goldmacherkunst trieb und in seinem [492] dunkeln Arbeitsraum von einer Unzahl tickender, schlagender, kuckuckrufender Uhren umgeben war; die blinde gesprächslustige Großmutter, um welche sich die Kinder und die alten Weiber der Nachbarschaft beim Märchenerzählen zu versammeln pflegten; dann wieder die Großeltern von mütterlicher Seite, den dürren Kleinkrämer in der weißen Zipfelmütze und dessen Frau, eine phlegmatische dicke Holländerin. Und an diese Familienglieder reihten sich noch manche andere gleich sonderbare und groteske Gestalten, die das frühere Dresden zum Paradies der unfreiwillig komischen Spießbürger machten. Es waren die richtigen Chodowieckitypen und als solche erkannte sie R. auch bald, als ihm zufällig im Hause des Vaters die Radirungen des Berliner Meisters in die Hand fielen. In Chodowiecki haben wir den künstlerischen Ahnen Ludwig Richter’s vor uns. Er besuchte dann auch die Dresdner Akademie, war jedoch gesund genug angelegt, daß der Zopf und die Geschmacklosigkeit, die sich damals an derselben breit machten, an seinem poetischen Sinne abprallten. Von besonderem Nutzen wurde für ihn dagegen die Reise, die er 1820 als Begleiter des Fürsten Narischkin nach Frankreich machte; er mußte auf derselben das Album des Fürsten mit Aufnahmen der schönsten Punkte füllen und erwarb sich dabei eine merkwürdige Gewandtheit und Leichtigkeit in der schnellen Fixirung der verschiedensten Gegenstände. Leider war es jedoch dem jungen Künstler vorerst nicht vergönnt, auf diesem richtigen Wege weiter zu schreiten. Da der Ruf der in Rom aufstrebenden deutschen Malerschule sich immer weiter verbreitete, so erwachte damals in allen jungen Künstlern eine wahre Sehnsucht nach der ewigen Stadt; Alle meinten, nur in Rom etwas werden zu können, wo ihnen erst das rechte Licht der Kunst leuchten werde. Es war dies eine verhängnißvolle Täuschung, der Viele zum Opfer fielen und in der auch R. lange Zeit befangen war. Er hatte dem Kunsthändler Arnold in Dresden mehrere Platten geliefert, auf denen Ansichten aus der Umgebung der Stadt und aus der sächsischen Schweiz radirt waren. Der treffliche Mann, der mit der Familie freundschaftlich verkehrte, hatte die Sehnsucht des jungen Künstlers bemerkt und gewährte demselben ein jährliches Stipendium von 400 Thalern, damit dieser die Reise antreten könne. R. kam 1823 nahe Rom und fand eine Wohnung im Palazzo Quarnieri am Monte Pincio, in dessen Räumen sich u. A. Jul. Schnorr v. Carolsfeld, Fr. Olivier und Philipp Veit einquartirt hatten. Natürlich schloß er sich sofort der dort herrschenden Richtung in der Landschaftsmalerei an; wie alle Wanderer fühlte er sich von der majestätischen Natur der Campagna angeregt und empfand nicht minder den Einfluß der Männer, welche in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts Rom zu einem Mittelpunkt deutscher Kunst gemacht hatten. Ganz besonders war es Josef Koch, der ihm als Vorbild in der Landschaftsmalerei vorschwebte. Der große historische Zug, der durch die Landschaften des berühmten Tirolers ging, machte auf R. einen um so tieferen Eindruck, als ihm selbst nach dieser Richtung jede Anlage versagt war. Nur das erste Gemälde, welches er in Rom ausführte, stellte einen deutschen Alpenriesen, den Watzmann, dar, den er auf seiner Fahrt nach Italien gesehen hatte; in den nächstfolgenden Jahren nahm er seine Motive aus der römischen und süditalienischen Natur und schilderte Amalfi (jetzt im Museum zu Leipzig), Bajae, Palestrina u. a. O. Drei Jahre verweilte R. in Italien. Und sogar als er 1826 in die Heimath zurückgekehrt war, dauert es noch lange, bis er sich von diesen römischen Eindrücken befreite. In den kleinlichen Verhältnissen der Heimath – er hatte sich 1827 verheirathet und mit beständiger Noth zu ringen – erschien ihm sogar Italien in noch viel idealerem Lichte. Unter dem Einfluß der italienischen Eindrücke malte er noch für den bekannten Kunstfreund von Quandt die größern Landschaften La Riccia und Civitella und schien – verwöhnt von den classischen [493] Formen und satten Farben der italienischen Landschaften – ganz die Fähigkeit verloren zu haben, das Schöne auch in seiner Heimath zu sehen und zu genießen. Seit 1826 als Lehrer an der Zeichenschule in Meißen angestellt, sammelte er die kleinsten Ersparnisse, um nochmals nach Italien reisen zu können. Eine große Landschaft, die er nach Riga verkaufte, brachte ihm endlich das ersehnte Reisegeld; da aber fiel seine Frau in eine schwere, lang anhaltende Krankheit, und die Reisebaarschaft wanderte zum Arzt und in die Apotheke. Doch die Vorsehung hatte es trotz alledem gut mit ihm gemeint. Als Ersatz für die italienische Reise machte er im Herbst 1828 einen Ausflug das Elbthal hinauf bis Aussig und Lobositz, und hier gingen ihm plötzlich die Augen auf: er erkannte zum ersten Male mit Wonne die Reize der deutschen Landschaft. Nach Italien zu reisen, kam ihm nicht mehr in den Sinn; im Gegentheil, als Ergebniß dieses Ausfluges nach Böhmen entstand 1836 ein großes Landschaftsbild: die jetzt in der Dresdener Gallerie bewahrte Ansicht der Ruine Schreckenstein an der Elbe bei Aussig – ein Bild, das durch die poetische Auffassung der Natur und durch die glücklich gewählte Staffage noch heute einen sonderbaren Reiz auf uns ausübt. Auf einem Nachen setzt eine Hochzeitsgesellschaft über den Fluß; ein Alter ist der Fährmann, ein greiser Harfner macht die Musik, und zwischen beiden sitzt das junge Brautpaar und die fröhliche Begleitung. Eine lachende Jugend neben dem Greisenalter – diesem Gegensatz entspricht in der Landschaft die aus üppigem Grün hervorragende morsche Ruine. Es war ein Bild, dessen herzlich gesunde Romantik ganz Dresden entzückte, als es 1836 eines Sonntags im Kunstverein erschien. Und mit diesem Werke hatte R. sich selbst gefunden. „Die bis zum Krankhaften gesteigerte Sehnsucht nach Italien“, schreibt er, „war von hier an gebrochen oder verhinderte mich wenigstens nicht mehr, offene Augen für das Schöne zu haben, was in meiner Nähe lag und woran ich täglich studiren konnte. Die italienische Natur hat doch bei aller ihrer Schönheit etwas Todtes; ich finde in ihr nicht diese ergreifende Sprache; sie sieht nicht aus, als hätte sie der liebe Gott gemacht, sondern als könnten sie Menschen auch so erfinden. Von dieser Zeit an wendete sich mein Streben wieder ganz der heimischen Natur zu, alle die tiefgehenden Eindrücke aus der Jugendzeit lebten damit wieder auf und erneuerten sich an den nämlichen oder verwandten Gegenständen, und immer freudiger durchdrang mich dieses neue Leben. Wenn ich in den letzten Jahren meine Begeisterung nur an meinen italienischen Naturstudien und der immer blasser werdenden Erinnerung entzünden konnte, so empfand ich jetzt das Glück, täglich frisch an der Quelle schöpfen zu können. Jetzt wurde mir Alles, was mich umgab, auch das Geringste und Alltäglichste, ein interessanter Gegenstand malerischer Beobachtung. Konnte ich jetzt nicht Alles gebrauchen? War nicht Feld und Busch, Haus und Hütte, Menschen wie Thiere, jedes Pflänzchen und jeder Zaun und Alles mein, was sich am Himmel bewegt und was die Erde trägt?“ R. bezeichnet hier in unübertrefflicher Weise selbst, was von da an den Hauptreiz seiner Kunst bildet: jene Beseelung der ganzen Natur durch ein liebevolles Gemüth, wie sie uns schon bei den altdeutschen Landschaften eines Memling oder Dürer entzückt, wo die Eichhörnchen auf dem Baum, die Tauben auf dem Dache, die Vögel in der Luft ebenso mitspielen wie die Käfer, Schmetterlinge und Schnecken auf der Wiese oder die Hühner und Enten im Hofe. Selbst die Häuser der Menschen verrathen schon von außen die stille Gemüthlichkeit ihrer Bewohner; überall herrscht zwischen den Figuren und der Umgebung jene vollendete Harmonie, die uns ein so wohlthuendes Gefühl der Befriedigung giebt und diese enge Welt wie ein Asyl erscheinen läßt, in dem selbst die Heiligen nicht weniger gerne verkehren, als Gnomen, Zauberer und Feen. Richter’s wunderbarer Natursinn fand dann ein Lebensalter hindurch in [494] der Umgebung von Dresden sein Genügen. Und um all das Schöne, was er vor Augen sah, wiedergeben zu können, verzichtete er auf das Ringen mit der Farbe und malte nur ausnahmsweise mehr Bilder. Seine Gemälde sind daher auch nicht – so ansprechend immerhin die „Ueberfahrt“, die „Abendandacht“, „der Brautzug im Frühling“ (in der Gallerie zu Dresden, gestochen von L. Friedrich) sein mögen – die Säulen seines Ruhms. Ludwig Richter ist unsterblich als Zeichner und Illustrator. Daß R. auf dieses Gebiet hingedrängt wurde, war in erster Linie durch äußere Umstände veranlaßt. Die Zeichenschule in Meißen wurde 1836 aufgehoben; R. zog wieder nach seiner Vaterstadt und war gezwungen, um sich den Unterhalt zu verdienen, für Buchhändler Illustrationen zu verschiedenen Büchern wie Jugendschriften, Kalendern etc. zu entwerfen – „Leistenarbeit“, wie er diese Nebenbeschäftigung anfangs nannte, die später der Ausgangspunkt seines Ruhmes wurde. Das Verdienst, welches sich R. durch den Rückgang auf die nationale Formensprache der Radirung und des Holzschnittes erwarb, kann man nur genügend würdigen, wenn man sich die damaligen Kunstzustände in Deutschland vergegenwärtigt. Durch die Alles beherrschende Schule des Cornelius war die deutsche Kunst damals dem Volke entfremdet worden. Die Kunstweise des Cornelius war allzusehr von des Gedankens Blässe angekränkelt und sprach eine Sprache, die sie vom Volke schied, wie auch die Sprache der Gelehrten Latein gewesen war, um sich vom Volke zu scheiden. Sie war eine Kunst für Gelehrte. Dem gegenüber gebührt R. das Verdienst, daß er zum ersten Male wieder zum Volke sprach. Er malte keine Bilder für die Säle der Vornehmen, sondern suchte den gemeinen Mann in seinen vier Wänden, indem er nach dem Vorbild der alten deutschen Renaissancemeister wieder auf den Holzschnitt und den Kupferstich zurückging. Beide Kunstzweige besitzen zwar durch den Verzicht auf Farbenwirkungen nicht die Fähigkeit, die äußere Erscheinung der Dinge bis zur Illusion wiederzugeben und durch den magischen Schein des Colorits zu fesseln; dafür gestatten sie auf der anderen Seite eine mächtige Ausdehnung des Ausdrucks, setzen der Erfindungskraft, der Phantasie viel weitere Grenzen und gestatten auch dem tief Innerlichen die Verkörperung. Sie eröffnen dem Phantastischen wie dem Humoristischen den Zugang, folgen dem Gedanken des Künstlers unmittelbar bis in die geheimnißvollste Tiefe und versinnlichen die innerlichste Empfindung ebenso treffen als den scharf zugespitzten Charakter. Insbesondere was den Holzschnitt anlangt, muß R. neben Adolf Menzel als der einflußreichste Wiederbeleber desselben gepriesen werden. Schon als Zeichenlehrer in Meißen hatte er Gelegenheit gehabt, die Holzschnittfolge Dürer’s „Das Leben Mariä“ zu erwerben. Hier lernte er zum ersten Male den Charakter, die Verwendbarkeit des Holzschnittes kennen, der ihm bald ein Mittel werden sollte, seine Gedanken zu verkörpern und seinen Ruhm zu vollenden. Unterstützt wurde er in diesen Bestrebungen durch den Leipziger Buchhändler Georg Wigand, der eine große Anzahl von Werken Richter’s in Verlag nahm. Nachdem Stahlstich und Lithographie zur charakteristischen Wiedergabe der Richter’schen Zeichnungen sich nicht bewährt hatten, war es das Verdienst Wigand’s, daß er mit glücklichem Griff den Holzschnitt, der erst kurze Zeit vorher in Deutschland wieder bekannt geworden war, zur Vervielfältigung der Zeichnungen wählte. Zuerst noch roh und hart oder von englischen Holzschneidern allzu glatt ausgeführt und den Charakter des Holzschnittes, wie er durch das Material von selbst gegeben ist verleugnend, befriedigten indessen die ersten Holzschnitte R. nicht. Erst allmählich lebte er sich in die Technik des Holzschnittes hinein, wobei ihm wesentlich zu Statten kam, daß er den einfachen altdeutschen Holzschnitt als Vorbild benutzte. Niemals muthet er demselben Ungebührliches zu, stets achtet er die natürlichen Grenzen der Wirksamkeit dieses Kunstzweiges. [495] Richter’s große, nicht hoch genug zu schätzende Bedeutung für die Entwicklung des modernen Holzschnitts liegt darin, daß er ihn anleitete, auf seine einfachsten und reinsten Formen zurückzugehen und mit den feineren Mitteln der modernen Technik die Weise des altdeutschen Holzschnitts wieder aufzunehmen. Der ganze und volle Reiz dieser stilistischen Reinheit ist in dem kostbaren Schatz seiner Holzschnittblätter zu Tage getreten. Viele derselben zeigen den Holzschnitt in seiner schlichtesten Gestalt, andere dagegen liefern den glänzenden Beweis, wie es diesem Kunstzweig möglich ist, auch bei reicheren malerischen Wirkungen sich ganz in den Grenzen seines eigensten Gebiets zu halten. Wie sehr dem inneren Wesen der Richter’schen Kunst, der Naivetät und Volksthümlichkeit seins künstlerischen Gefühls der Charakter des Holzschnitts gemäß ist, giebt sich auf das Unmittelbarste zu empfinden, wenn man sich eine seiner Holzschnittcompositionen in den Kupferstich übersetzt denkt; wieviel würde sie durch eine solche Uebertragung von ihrem eigenthümlichen Reize verlieren! R. sammelte bald eine große Anzahl von vorzüglichen Holzschneidern um sich, die mit Lust und Eifer allen seinen Ideen folgten. Eine seiner Töchter, Aimé Richter, wurde Holzschneiderin und sein Schwiegersohn, August Gaber, einer der besten Formschneider. Unter den anderen Holzschneidern der Richter’schen Schule, denn von einer solchen kann man wol sprechen – haben sich vornehmlich Hugo Bürkner in Dresden und Flegel in Leipzig, außerdem Geringswald, Joerdens, Oertel, J. E. Schmidt u. A. durch feinfühlige und verständnißvolle Wiedergabe der künstlerischen Eigenthümlichkeiten des Meisters ausgezeichnet. Es ist nicht leicht, alle die illustrirten Bücher aufzuzählen, die erst langsam, dann in immer rascherer Folge aus dem einfachen Atelier des Meisters hervorgingen. 1838 illustrirte er die Volksbücher von Marbach; 1840 erschien Duller’s deutsche Geschichte, 1841 erhielt der Landprediger von Wakefield sein illustrirtes Gewand. An diesen Bildern arbeitete z. B. neben Ed. Kretzschmar, Ritschl, Hartenbach u. A., auch der Engländer William Nichols. Der Charakter der Illustrationen erinnert daher noch vielfach an die englische Schule, was bei Oliver Goldsmith’s berühmter Erzählung ja ganz in der Ordnung ist. Musäus’ Volksmärchen (1842) erhielten allein 151 Bilder. Von diesem Jahre an brachte auch der Volkskalender von Nieritz alljährlich einen künstlerischen Beitrag des Meisters. Zu nennen ist aus dieser Zeit außer einzelnen Bildern zur „Ammen Uhr“, zu „Paul und Virgine“ auch Reinick’s „ABC-Buch“, das drei Bilder Richter’s enthält, darunter den köstlichen „Bildermann“. Auf den Bildern, welche die Bude desselben zieren, brachte der Meister die Bildnisse aller beim Werke mitwirkenden Künstler an, so Bendemann, Hübner, Oehme, Rietschel u. A. m. Richter’s Illustrationen zu den Studentenliedern (1844), den Volksliedern (1846) und zur Spinnstube verschafften diesen Werken eine weite Verbreitung. Noch bekannter wurde der Künstler aber, als er sich der Kinderwelt, dem dankbarsten Publicum zuwandte. Manche werden sich noch erinnern, wie schlimm es mit den Bildern in den Kinderstuben vor 30–40 Jahren aussah. Viele werden noch wissen, welchen Jubel damals Reinick’s „Jugendkalender“, die „Hymnen für Kinder“, die „Illustrirten Jugendzeitungen“ von O. Wigand und Brockhaus, Campe’s „Robinson“, Scherer’s alte und neue Kinderlieder, Keil’s Märchen und Geschichten, „die schwarze Tante“ und die verschiedenen Bilderbücher aus dem Löschke’schen Verlage erregten – sämmtlich mit Richter’schen Holzschnitten illustrirt – unter denen sich wahre Meisterwerke befanden. Man hätte glauben sollen, der Ideen- und Formenschatz des Meisters müsse bald erschöpft sein; aber immer wieder kam der unermüdliche Bildermann, in reicher Fülle neue Gaben spendend. Man nehme Bechstein’s Märchenbuch (1853) zur Hand; welch einen herrlichen Schatz hat R. allein hiermit der Jugend geboten. Durch das Herbeiziehen des Geisterhaften, [496] Gnomenhaften in die reale Gegenwart hat er der Kinderwelt erst den rechten Schlüssel zum Verständniß des Märchens gegeben. Von weiteren Werken sind dann noch „Der gute Hirt“ (1860), das allerliebste Kinderbuch „Es war einmal“ (1862), dann die weiteren Folgen „Beschauliches und Erbauliches“ (1851–55), „Vater Unser“ (1856), Schiller’s „Lied von der Glocke“ (1857). „Fürs Haus“ (1858–61), „der Sonntag“ (1861), „Unser tägliches Brod“ (1866) hervorzuheben. 1864 erschien der zweite Band von Scherer’s Kinderbuch; das letzte Bild von Richter’s Hand für die Kinder dürfte in Robert Reinick’s Märchen 1874 enthalten sein. Der Unterschied dieser seiner reifsten Schöpfungen von seinen früheren Werken ist ein gewaltiger. Während sich R. anfangs in den Illustrationen ziemlich genau an den gegebenen Text gehalten hatte, bewegte er sich später den vorliegenden Werken gegenüber vollständig frei und selbständig. Er benutzte sie nur als Anregung für seine malerische Phantasie und spinnt die Fäden zu einem neuen Gewebe. Nicht die inhaltliche Bedeutung, sondern die malerische Brauchbarkeit, die Anschaulichkeit bestimmen ihn in der Wahl der Textstellen, welche er illustrirt. Zuletzt begleitet das Wort, einem Motto vergleichbar, das Bild, welches der Künstler geschaffen hat. Das Verhältniß hat sich geradezu umgekehrt. Es illustrirt nicht die Zeichnung in dem gewöhnlichen Sinne einen Text; es erläutert vielmehr der letztere für den Betrachter die vom Künstler frei erfundene Scene. Aber auch technisch sind diese letzten Blätter von den früheren himmelweit verschieden. Erst hier finden wir die scharfe Charakteristik, die seine Würze des Humors, den edlen Schönheitssinn und die poetische Empfindung Richter’s verständnißvoll wiedergeben und bei aller holzschnittmäßigen Schlichtheit der Behandlungsweise oft die zarteste malerische Wirkung erzielt. Richter’s Formensprache paßte sich allmählich in der technischen Behandlung wie im Stoffkreis und in der Empfindung unserem ganz von malerischen Intentionen beherrschten Zeitgeschmack an. Der classische Werth von Richter’s letzten Holzschnittblättern beruht auf der harmonischen Verschmelzung zeichnerischer und malerischer Eigenschaften. Erst indem zu der scharfen Charakteristik und der anmuthvollen Zeichnung noch der malerische Reiz des Tons hinzugefügt wurde, kam der Poet, der Lyriker R. in aller seiner Herzenstiefe und Gemüthsinnigkeit ganz zu seinem Rechte. Das was hier von seinen Holzschnitten gesagt wurde, gilt im Allgemeinen auch von seinen Radirungen, die in dem Buche von Hoff genau aufgezählt und unter denen die größeren Blätter „Genoveva“, „Rübezahl“ und „Christnacht“ besonders hervorzuheben sind. In allen diesen Arbeiten hat sich R. als den „Mann nach dem Herzen des deutschen Volkes“ bewährt. Er hat darin durch seine gemüthvolle Schilderung des deutschen Lebens, seinen liebenswürdigen Humor und die Fülle seiner Phantasie wahrhaft epochemachend gewirkt. Er ist ein Dichter beim Zeichnen. Er zeichnet und freilich keine großen Begebenheiten, keine welthistorischen Momente; dafür gewähren uns seine Bilder Alles, was unser Herz erwärmt, was unser Gemüth erquickt, und wirken auf uns um so tiefer, als er sich ausschließlich auf den engen Raum eines fest bestimmten Kreises beschränkt. Es ist das deutsche Familienleben, was aus jedem Bilde uns poetisch verklärt entgegenleuchtet. Darum sind sie auch Jedem verständlich; das Kind begrüßt sie wie der Erwachsene; sie bedürfen keines Commentars. Der Schauplatz ist die Wohn- und Kinderstube; die rebenumkränzte Laube vor der Hausthüre, die Straße mit alterthümlichen Erkern und Thürmchen, Feld und Wald mit prächtigen Aussichten in die duftige Ferne. Das Familienleben nach seinen heiteren und anmuthigen, nach seinen ernsten und tiefergreifenden Seiten spiegelt sich in tausendfachen Variationen in Richter’s Zeichnungen wieder. Die Familie war Richter’s eigentliche Heimath. Mit Ausnahme der zwei größeren Reisen, die [497] er als Jüngling gemacht hatte, verweilte er stets in seiner Heimath und führte hier ein still friedliches, zufriedenes Dasein. Vollkommene Anspruchslosigkeit, die größte Milde der Gesinnung, harmlose Heiterkeit des Gemüths waren die wesentlichen Eigenschaften seiner Natur. 1854 starb seine Frau; 1859 wurde er von der Universität Leipzig aus Anlaß des Schillerjubiläums zum Ehrendoctor der philosophischen Facultät ernannt; im Frühjahr 1877, als er seinen Abschied von der Dresdener Akademie nahm, veranstaltete ihm die dortige Künstlerschaft einen glänzenden Festzug. Am 28. September 1883 wurde noch sein achtzigster Geburtstag von seinen Freunden fröhlich und dankbar begangen. Am 19. Juni 1884 schloß er für immer die Augen. „Er hat keine gewaltigen Werke geschaffen. Die Zeugnisse seiner schöpferischen Thätigkeit sind in vielen hundert kleinen Blättern zerstreut erhalten, den bescheidenen Begleitern unserer Volkslieder und Märchen, unserer classischen Dichtungen, unserer Gebete. Er sprach in ihnen aber stets zur Seele unseres Volkes, er traf in ihnen immer den reinen Herzenston. Vor vielen anderen Künstlern dürfen wir L. R. daher als den volksthümlichsten rühmen. Und darum wird sein Andenken nicht nur in den Jahrbüchern der deutschen Kunstgeschichte, sondern liebevoll auch im Herzen des deutschen Volkes fortleben.“

Vgl. Lebenserinnerungen eines deutschen Malers, Selbstbiographie nebst Tagebuchniederschriften und Briefen von Ludwig R., herausgegeben von Heinr. Richter, Frankfurt a. M. – A. L. Richter, Zum achtzigsten Geburtstage, ein Lebensbild von J. E. Wessely. In den „Graphischen Künsten“, VI. Jahrgang, Wien 1884 S. 1–16. – A. Springer, Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richter’s in der Zeitschrift für bildende Kunst XVIII S. 377 ff. – Otto Jahn, Vorrede zum Richter-Album, wieder abgedruckt in seinen „Biographischen Aufsätzen“. – A. Springer, Ludwig Richter’s Selbstbiographie, in der Zeitschrift für bildende Kunst XXI, 36 ff. – F. Pecht, Ludwig Richter’s Selbstbiographie in der „Kunst für Alle“ I, 47 ff. 1886 – Nekrolog in der „Kunstchronik“ XIX, 605. – Vgl. außerdem: Bilderalbum zur neueren Geschichte des Holzschnitts in Deutschland, Leipzig 1877. – Lützow, Die vervielfältigende Kunst der Gegenwart, S. 7 ff., Wien 1886. – Reber, Geschichte der neueren deutschen Kunst II, 261–263. – Springer, Die bildende Kunst im XIX. Jahrhundert, Leipzig 1886. – Joh. F. Hoff, Adr. Ludw. R., Maler und Radirer, Verzeichniß und Beschreibung seiner Werke mit biographischer Skizze von H. Steinfeld, Dresden 1877. – F. Pecht, Deutsche Künstler des XIX. Jahrhunderts I, 57 ff.