ADB:Seeberger, Gustav
Albert Reindel blühende Kunstschule zu Nürnberg und kam, ausgerüstet mit festen theoretischen und praktischen Kenntnissen, 1840 nach München. Ein Jahr darauf verkaufte er schon Landschaften an den Kunstverein (Gewitter am Starnbergersee 1841, Partie aus dem Zillerthal 1842), neigte sich aber mit besonderer Vorliebe zur möglichst treuen Wiedergabe von älteren Baudenkmälern (Kirche in Holzhausen 1841, Ansicht des Angerthors in München 1843) und blieb dann dieser Richtung zeitlebens zugethan, wozu S. den Stoff auf Streifzügen in Schwaben, Altbaiern und theilweise auch über den Alpen holte. Obwohl er immer der größten Wahrheit huldigte, widerstand S. doch der nüchternen Vedutenmalerei. Eine wohlthuende innere „Stimmung“ lagerte immer verständnißinnig über dem Ganzen, welches er durch eine entsprechende, mäßige Staffage unterstützte. S. liebte ein kleines Format, wobei die Lust zu construirender Theorie alsbald hervortrat. Erwähnenswerth und maßgebend für seine Thätigkeit waren beispielsweise die Bilder aus dem „Treppenhaus der neuen Bibliothek“ (1844), eine „alte Capelle in Böhmen“ (1845), ein „Klosterhof“, die „Taufcapelle der Ludwigskirche“, ein „Seitenportal der Frauenkirche“, die „Klosterkirche zu Bebenhausen“ (1846), das öfter wiederholte Motiv mit dem „Studirzimmer eines Gelehrten“ (1847 und 1852), ein „Rathhaussaal“ und die „Klosterzelle in Blaubeuern“, eine „Partie aus St. Zeno in Reichenhall“, 1849 das „Arbeitszimmer König Ludwig I. in der Neuen Residenz“ und eine Partie „aus der Markuskirche in Venedig“ (1853). Was er schuf gewann immer durch die Sicherheit der Zeichnung und den sauberen Vortrag ein anziehendes Interesse. Deßhalb zog er auch, verzichtend auf die historische Patina des früheren Jahrhunderts, die Neubauten der Gegenwart in den Bereich seiner Darstellung. Daß ein solches Ingenium von Buchhändlern und Verlegern vielfach benützt und mit Aufträgen betraut wurde, ist selbstverständlich. S. lithographirte z. B. die meisten Architekturbilder aus dem „König-Ludwig-Album“, insbesondere die Blätter nach Ainmiller, Leo von Klenze, F. C. Mayer, M. Neher und lieferte Zeichnungen für das „Malerische Baiern“ von G. Franz, welche von Poppel und Riegel in Stahl gestochen wurden und zum Besten dieses vorzüglichen Werkes zählen. Dazu gehört auch die Innenansicht der 1858 restaurirten „Frauenkirche“ in Ernst Förster’s „Denkmale deutscher Kunst“ (und in dessen „Deutsche Kunst in [567] Bild und Wort“ 1879 S. 134). Seeberger’s eigentlichstes Fach aber war die Perspective. Hier schwamm er ganz in seinem Fahrwasser. Der sonst so trockene Mann thaute plötzlich auf, wenn er sein constructives Netz über ein Bild ziehen konnte und es überall klappte. Zu solchen geheimen Conferenzen luden ihn alle Maler ein, nachdem seine wunderbare Wissenschaft bekannt geworden. Es war ihm dann eine Wonne, ihre Bilder und Compositionen einzurenken und in perspectivische Wirkung zu setzen. Hierin consultirten ihn alle Collegen in und außer der Akademie, ebensowohl Kaulbach, wie Piloty, Schraudolph und sogar der in allen Sätteln gerechte Foltz aus Bingen – sie sündigten ohne viele Gewissensskrupel schon im voraus auf seine Hülfe, weil sie wußten, der hierin unerbittlich strenge Mann sei wirklich eine unumstößliche Autorität. Dazu zog S. dann auch alles architektonische Beiwerk seiner Patienten in sein Bereich oder zauberte gleich selber die Paläste, Säulenhallen und Ruinen auf die Leinwand, welche der im voraus der Hülfe vertrauende Maler klüglich an den betreffenden Stellen leer gelassen hatte. „Wir Alle (sagt einer der dankbaren Zeitgenossen) waren so gewöhnt uns auf ihn zu verlassen in allem was Perspective heißt, daß man sich nur darauf gefaßt machen kann, dereinst nach seinem Absterben sämmtliche Bauten der Münchener Maler unrettbar zusammenfallen und keinen ihrer historischen Charaktere mehr auf dem rechten Fleck stehen zu sehen. Denn ich will es nur verrathen, daß Piloty’s Nero ebenso wenig imstande gewesen wäre Roms Paläste anzuzünden, wenn sie ihm S. nicht aufgebaut, als daß der Kaulbach’sche unfehlbar unter den Ruinen seines eigenen begraben worden wäre, wenn ihn S. nicht gestützt hätte. Wie viele alte und neue Liebespaare wären vollends an der Disproportion ihrer Verhältnisse gescheitert, wenn ihnen nicht S. bessere verschafft, ihnen eine festere, materielle Grundlage gegeben, sie an einen richtigeren Platz gestellt hätte. Ja, selbst wie viele Schlachten hätte das sonst so siegreiche Deutschland unrettbar in Oelfarbe verloren, weil seine Artilleristen ohne S. vom Künstler in der Begeisterung dazu verdammt worden wären um die Ecke zu schießen“ (Fr. Pecht in Beil. 358 „Allgemeine Zeitung“ 24. Dcbr. 1873). Deßhalb wurde der Unentbehrliche zuerst als Lehrer an der Akademie zugelassen, dann als Professor angestellt, wo er bis in seine alten Tage von einem Atelier in das andere gebeten und vollauf in Athem und Thätigkeit gehalten wurde, so daß er immer seltener zum eigenen Malen kam. Alljährlich begann er sein anfangs fast überschwemmtes Colleg, welches indessen stündlich sich lichtete, bis der gestrenge, pedantische Professor eines Tages immer vor leeren Bänken stand, da nun einmal nach dem Laufe der Welt die grünende Jugend bekanntlich jeder, auch der glänzendsten Theorie spinnefeindlich gesinnt bleibt. Wußte man doch, wo zur Zeit der Noth der Helfer zu suchen sei und daß dann der vielumworbene Mann gewissenhaft erscheine. Seine selbstgewonnenen Principien gab S. in einem eigenen Opus heraus, welches vier, vielfach vermehrte und verbesserte Auflagen erlebte (S.: „Grundzüge einer neuen Methode für angewandte Perspective.“ München 1860. 1874. Regensburg 1880 und München 1884). Schwelgend in allen gesetzmäßigen Hexereien der Verkürzung, malte S. sogar einen „Blick von einem der Frauenthürme herab“ (1855) – eine wahre Curiosität. Von ihm stammt auch eine sinnreiche Verbesserung des von Professor Steinheil erfundenen „Pyroscop“, wodurch der Thürmer bei Nacht die Stelle eines ausgebrochenen Brandes genau bestimmen kann. Dann saß er wieder durch viele Wochen tagtäglich auf dem Thurme der Peterskirche, um eine Rundsicht der Stadt zu zeichnen. Von seinen eigenen Oelbildern verdienen noch besondere Erwähnung die „Taufkapelle in St. Marco zu Venedig“ (1856), ein „Klostergang“ (1859), die „Schloßkapelle zu Eger“ (1863), verschiedene Ansichten der Pfarrkirchen zu Tölz und Berchtesgaden (1864), der „Hof eines Hauses“ (1867), dann als ein [568] köstliches Bildchen seiner Art eine „Steinmetzwerkstätte“ (1868) mit einem Motiv aus dem ehemaligen Regierungsgebäude am sogenannten alten „Schrannenplatz“, ein paar Thurmscenen und Klosterhöfe, eine „Partie aus Reutlingen“ (1872) u. s. w. Auch zeichnete S. die im Renaissancestyle gehaltene Architektur zu einem Fensterbild für die Universitätskirche zu Oxford. Im Sommer 1885 wurde der vielfach verdiente, nur zu eifrige Mann in den Ruhestand versetzt, starb aber schon am 21. April 1888 nach kurzem Krankenlager.
Seeberger: Gustav S., Architekturmaler, wurde 1812 zu Markt-Redwitz in Oberfranken geboren, besuchte die damals unter dem Kupferstecher- Vgl. Vincenz Müller, Handbuch von München, 1845 S. 177. – Nagler, 1846, XVI, 197. – Nekrolog in Beil. „Allgemeine Zeitung“ 10. März 1889. – Kunstvereinsbericht für 1888 S. 72. – Fr. Pecht, Geschichte der Münchener Kunst 1888, S. 447.