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Artikel „Mayer, Karl“ von Gottlob Egelhaaf in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 275–279, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mayer,_Karl_(Politiker)&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:12 Uhr UTC)
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Mayer: Karl (Friedrich) M., geboren am 9. September 1819 zu Eßlingen, † zu Stuttgart am 14. October 1889. Er war der Sohn des bekannten Freundes Ludwig Uhland’s, Karl Friedrich Hartmann Mayer, der, selbst ein mit Recht angesehener Dichter der sog. „schwäbischen Schule“, im J. 1819 Assessor am Gerichtshof zu Eßlingen war und 1824 zum Oberamtsrichter in Waiblingen unweit Stuttgarts ernannt wurde. Die Mutter hieß Friederike geborene Drück. Unter den Pathen des Kindes waren Uhland, Justinus Kerner und der Berliner Kirchenhistoriker Neander, den M. auf einer Reise 1810 kennen gelernt hatte und mit dem er in naher Freundschaft stand. Die Ehe Mayer’s war nur mit einem Sohn aber sechs Töchtern gesegnet, was zur fast nothwendigen Folge hatte, daß der lebhafte, gutherzige hübsche Knabe von Jugend an etwas verwöhnt wurde. Da Waiblingen nur eine kleine Lateinschule hatte, deren Lehrziel äußerstenfalls mit Obertertia abschloß, so wurde Karl M. mit zwölf Jahren, 1831, nach Heilbronn, wo sein Großvater von väterlicher Seite als Hofrath lebte, 1835 nach Stuttgart ins Gymnasium geschickt, wo er, 1837, unter 84 Prüflingen den 3.–4. Platz bei der Reifeprüfung erhielt. Besonders gute Zeugnisse erhielt er im Lateinischen, Composition, Geschichte und Philosophie. In Heilbronn schloß M. eine Freundschaft fürs Leben mit dem späteren Politiker, Aesthetiker und Dichter Ludwig Pfau. Nach damaliger Sitte hatten die Rechtsbeflissenen, ehe sie die Hochschule bezogen, einen praktischen Cursus auf einer Oberamtsgerichtskanzlei durchzumachen, was M. in Waiblingen that. In Tübingen schloß er sich wie seine Altersgenossen Hölder, Adolf Seeger und Schoder der 1837 neu gegründeten Burschenschaft an und pflegte mit Eifer auch das Turnen, das seit Jahn’s Tagen ein festes Stück vaterländischen Gebahrens war; auch die angeborene Gabe zu packenden Volksreden trat schon jetzt hervor; doch fehlte auch der Fleiß beim Fachstudium nicht. Daneben ließ M. namentlich Friedrich Vischer’s Vorlesungen über Litteratur und Aesthetik auf sich wirken und genoß im Hause Uhland’s, wo er wie ein Sohn aufgenommen war, reiche geistige Anregung aller Art. Bei Ausflügen „verlor er sich wol weg von seinen Kameraden und ließ sich von Bauernburschen Volkslieder dictiren“ (Worte des Sohnes). Im Juli 1842 bestand er, von seinem Freund Hölder, wie Otto Elben erzählt, „eingepaukt“, das erste juristische Examen, und zwar nach den Acten des Justizministeriums mit der Note IIa (= gut); im December 1843 folgte das zweite Examen mit der Note IIb (= befriedigend). Wenn, wie wieder Otto Elben erzählt, einer der prüfenden Professoren sagte, „M. habe die vorhandenen juristischen Kenntnisse so geschickt und vernünftig angewandt vorzutragen gewußt, daß man ihn unmöglich durchfallen lassen konnte“, so kann sich dies u. E. unmöglich auf das ganze Examen, dessen Ergebniß die Gefahr des Durchfalls völlig ausschließt, sondern höchstens auf ein Einzelfach beziehen. Auch im praktischen Justizdienst bewährte M., wie ihm ein Freund im „Beobachter“, und zwar in durchaus glaublicher Weise, nachrühmt, „raschen Blick und praktischen Griff“. Aber der Richterberuf war doch eigentlich nicht der, [276] für den M. geschaffen war; er sagte einmal zu mir, daß er mehr auf das Beispiel des Vaters hin (der von Waiblingen als Oberjustizrath an den Tübinger Gerichtshof befördert wurde) als aus eigenem Trieb die Rechtswissenschaft ergriffen habe und seine eigenen Neigungen ihn mehr zu Philologie und Litteratur gezogen hätten: „dann wäre ich glücklich geworden und hätte die Politik vielleicht gar nicht angerührt“ – was man doch bezweifeln muß. So trat er, kurz nachdem er am 29. August 1844 zum Gerichtsactuar (jetzt etwa Amtsrichter) in Waiblingen ernannt worden war, aus dem Staatsdienst wieder aus und ergriff als Bräutigam einer Fabrikantentochter aus Eßlingen, Bertha Deffner, den kaufmännischen Beruf. Ein tragisches Geschick raubte ihm im Januar 1846 die innig geliebte Braut, der er ein Heft innig empfundener Gedichte gewidmet hat, durch einen jähen Tod. Zu seiner kaufmännischen Ausbildung reiste er 1847 nach Paris, Havre, Cherburg und nach Belgien, wo er überall auch den Kunstschätzen eingehende Aufmerksamkeit widmete, und heirathete dann 1848 die Tochter eines Stuttgarter Kaufherrn Zenneck, Emilie; die Ehe war sehr glücklich; ihr entsproßten drei Töchter und zwei Söhne. Das erste Jahr des eigenen Hausstandes entschied aber in jäher Weise über Mayer’s Zukunft, insofern er, der bisher der liberalen Partei angehört hatte, sich nun an die, durch die Revolution geschaffene, demokratisch-republikanische Partei anschloß; er ist ihr bis an seinen Tod in ehrlicher Hingabe treu geblieben. M. gewann durch seine politischen Artikel im „Beobachter“ wie durch seine zündenden Reden in Vereinen und Volksversammlungen bald die Führung der württembergischen Demokratie, erlangte die Stelle eines Ersatzmannes für Eßlingen in der deutschen Nationalversammlung und befand sich, durch das Ausscheiden seines Vordermanns Abgeordneter geworden, bei dem Rumpfparlament, als dieses am 18. Juni 1849 in Stuttgart durch das liberale Ministerium Römer gesprengt wurde. Hierauf ging er als Commissär der Reichsregentschaft in den badischen Seekreis, um dort den Aufstand zu organisiren, wozu er schon auf der berühmten Pfingstversammlung in Reutlingen aufgefordert hatte, und wurde infolge dieses Verhaltens abwesend (in contumaciam) zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurtheilt. Nun begab er sich mit seiner Frau in die Schweiz, wo er zunächst als Lehrer an einer Knabenanstalt für deutsche Sprache, Geschichte und Litteratur in Wabern bei Bern, später (seit 1852) als Goldwaarenfabrikant in Neuchâtel sein Brot sauer verdiente und mit anderen verbannten Gesinnungsgenossen (wie Karl Vogt und Ludwig Pfau) verkehrte. Vielen dieser Flüchtlinge hat er mit Rath und That, oft über seine Kräfte hinaus, geholfen. 1863 löste er seine, ohne großen Erfolg betriebene, Fabrik auf und kehrte, da seine Strafe verjährt war, nach Württemberg zurück, um sich der Tagesschriftstellerei zu widmen. Zunächst mußte sie ihm auch die Mittel zum Leben liefern; seit aber seiner Frau 1868 durch Erbschaft ein nicht unbeträchtliches Vermögen zugefallen war, stand M. in unabhängiger Stellung völlig frei da. Er übernahm 1863, nur von Julius Haußmann unterstützt, die Leitung des demokratischen Blattes „Der Beobachter“ und verfocht in ihm seine politischen Ansichten mit solcher Schärfe, daß eine völlige Spaltung des liberalen und des demokratischen Flügels der Opposition eintrat. Namentlich gegen die kleindeutsch-preußische Partei und gegen Bismarck kehrte er sich, seit dem Regierungsantritt König Karl’s im Juni 1864 durch eine mildere Handhabung des Preßgesetzes von den bisherigen Fesseln gutentheils befreit, mit aller Entschiedenheit. Der Losung: Durch Einheit zur Freiheit! setzte er die andere: Durch Freiheit zur Einheit! entgegen. Sein Ideal war die „Deutsche Föderativrepublik“, die freilich nur durch Beseitigung der Fürsten (wobei M. an eine gütliche „Ablösung der Kronen“, wie früher der [277] Feudalrechte dachte) und durch Zerschlagung Preußens in autonome Landschaften möglich war. Deshalb bekämpfte M. aufs heftigste jede weitere Ausdehnung des preußischen Einflusses; daß Bismarck 1866 „bundesbrüchig“ den „Bruderkrieg“ entfesselte, vermehrte Mayer’s Abscheu gegen ihn, und so konnte er wol zulassen, daß der frühere sächsische Officier Arcolrey im „Beobachter“ die Schwaben zum Krieg bis aufs Messer, zum Guerillakampf nach spanischem Muster mit der „nächtlichen Axt“ gegen die Preußen anfeuerte, deren Sieg alle Hoffnungen auf ein demokratisches Deutschland zu begraben drohte. Auch nach der Entscheidung des Jahres 1866 setzte M. den Kampf gegen die „Verpreußung Deutschlands“ unentmuthigt fort, und die Jahre 1866–70 waren sogar der Höhepunkt seines Lebens. Ein geborener Agitator und Volkstribun, beherrschte M. die Massen in Schwaben wie Niemand mehr seit dem Bauernkrieg es vermocht hatte. Fest zusammengefaßt von dem organisatorischen Talent Haußmann’s, durch die Bundesgenossenschaft der Großdeutschen und Katholiken verstärkt, von dem Ministerium Varnbüler-Mittnacht offen begünstigt, führte die Volkspartei unter Mayer’s Führung bei den Zollparlamentswahlen vom 24. März 1868 die völlige Niederlage der preußenfreundlichen deutschen Partei herbei, welche unter siebzehn Wahlkreisen nicht einen einzigen gewann; die Losung: lieber französisch als preußisch! ward von vielen offen ausgegeben. Der Vorwurf aber, den noch 1877 die Norddeutsche Allgem. Zeitung, wie es heißt, auf Grund von Mittheilungen des früheren württembergischen Ministers v. Varnbüler, erhob, daß M. 1869–70 in französischem Solde gestanden sei, war eine Verleumdung, zu deren Erweis behauptet wurde, die württembergische Post habe damals viel Geld aus Frankreich an M. auszuzahlen gehabt; Varnbüler entzog sich der gerichtlichen Aussage hierüber. „Die das Richtbeil küssen, das Deutschland zerschlagen, sie liegen im Staube“, stand nach der Zollparlamentswahl im „Beobachter“ zu lesen; M. frohlockte, daß diese Wahl dem Protest des schwäbischen Stammes gegen die Vorherrschaft eines Theils von Deutschland über die anderen einen so machtvollen Ausdruck gegeben hatte; sein starkes schwäbisches Stammesgefühl und sein deutsches Gefühl waren gleichermaßen befriedigt. Das 1868 eingeführte allgemeine Wahlrecht verschaffte M. bei den Landtagswahlen vom Juli d. J. den Sitz für Besigheim in der Zweiten Kammer; die Zahl der großdeutschen und demokratischen Abgeordneten wuchs auf 45 an, so daß zur Mehrheit unter 93 nur 2 Stimmen fehlten. Unter den 93 waren 23 bevorrechtete Ritter und Prälaten: ohne diese wäre die Zweite Kammer gänzlich in der Hand der Großdeutschen und Demokraten gewesen. Eine gerichtliche Verurtheilung zu Festungsstrafe auf dem Asperg wegen Preßvergehen umkleidete M. noch mit dem Märtyrerschein. Mayer’s Werk war es vor allem, daß im J. 1870 ein Sturmgesuch an die Regierung, welches statt der nach preußischem Muster gestalteten Heereseinrichtung die Nachahmung des schweizerischen Milizsystems forderte, 150 000 Unterschriften im Lande fand, und der König sich entschloß, zwar die Regierung durch die Berufung Scheueren’s zum Minister des Innern in strammerem Sinne umzugestalten, aber doch am Heereshaushalt eine halbe Million Gulden abzustreichen. Kurz darauf brach der französische Krieg aus, der auch M. es zu spüren gab, wie kurz der Weg ist vom Capitol zum tarpejischen Felsen, vom Hosiannah zum Kreuzige! Er war, als der Landtag auf den 20. Juli zur Bewilligung der Kriegsrüstung einberufen ward, von Mißhandlung durch das erbitterte Volk bedroht und ist, wie mir bezeugt wird, nur unter Schutz seines alten Freundes Hölder, des Führers der Deutschen Partei, unbeschädigt nach Hause gelangt. Die Kriegskosten hat auch er, aber unter Verwahrung, bewilligt. Bei den Neuwahlen zum Landtag am 5. December 1870 unterlag M. in Besigheim mit nur 1157 Stimmen gegen den [278] nationalliberalen Werkmeister Bälz, auf den 2299 Stimmen entfielen. Nun zog M. sich Jahre lang von aller politischen Thätigkeit zurück und lebte seinen litterarischen und künstlerischen Neigungen, dem Reich seine Anerkennung mit catonischem Trotz versagend, bis die allmählich einsetzende nationale Ebbe ihm 1876 wieder einen Abgeordnetensitz im Landtag für Eßlingen, allerdings nur für eine Wahlperiode (bis 1882), und ein Reichstagsmandat für den zwölften Wahlkreis (Gerabronn-Crailsheim-Mergentheim-Künzelsau) für zwei Perioden (1881–87) an Stelle des Fürsten Hermann von Hohenlohe-Langenburg brachte. Eine sanguinische Natur wie M. war, wurde er durch das großartige Schauspiel, welches das mächtig aufstrebende Reich und das ebenso mächtig aufstrebende städtische Gemeinwesen von Berlin ihm boten, in richtiger Consequenz seiner patriotischen Jugendideale so begeistert, daß er in einer seine Freunde fast verblüffenden Weise rasch und rückhaltlos seinen Frieden mit den 1870 geschaffenen Zuständen schloß: allerdings mit dem festen Vorsatz, an der Demokratisirung von Reich, Staat und Gemeinde rastlos weiter zu arbeiten und so das „Werk der Gewalt“ menschheitlich-freiheitlich umzugestalten und zu verschönern. Um dessen willen trat er sogar den ihm an sich unsympathischen wirthschaftlichen Fragen näher, die mehr und mehr die politischen abzulösen anfingen. Bismarck hat er auch jetzt noch ehrlich gehaßt; aber seine Größe als eines „parlamentarischen Causeurs ohne gleichen“ hat er mir einmal lebhaft gerühmt. Es war, je mehr M. sein Reichstagsmandat gern und gewissenhaft ausübte, für ihn ein um so empfindlicherer Schlag, daß die Septennatswahlen vom 20. Februar 1887 auch ihn wie alle seine württembergischen Gesinnungsgenossen aus dem Reichstag wegfegten. Ehe er den erneuten Umschlag der Volksstimmung erlebte, den er aber mit Sicherheit erwartete, erlag er einer sehr schmerzhaften, in Brand ausartenden Venenentzündung des linken Fußes, der dem Bewußtlosen noch abgenommen wurde, am 14. October 1889 in seinem Hause zu Stuttgart in der Marienstraße Nr. 46. Kurz vorher hatte er seinen 70. Geburtstag zurückgelegt – „gefeiert“ kann man ja nicht mehr sagen.

M. war politisch wohl schroff und leidenschaftlich, weil er die demokratische Republik für die der Menschheit allein gemäße, ihrer würdige Staatsform ansah; das böse Wort „Bettelpreußen“ für die Nationalliberalen war ihm 1866–70 nur zu geläufig. Persönlich aber war er gutherzig, gefällig, liebenswürdig, von entschiedener Noblesse, auch Gegnern menschlich zugänglich und für ihre guten Seiten voll Anerkennung; jeder Wurf, der einem Schwaben, auch einem „Preußischen“ gelang, erfreute sein Herz. Dabei war er ein ausgezeichneter Gesellschafter und Erzähler, von reichen geistigen Interessen, obschon mehr vielseitig als tief. Eben seine Vielseitigkeit und sein Stiltalent machten ihn zu einem ausgezeichneten litterarischen Causeur und hervorragenden Feuilletonisten; gar manche Beschreibung seiner Wahlreisen im „Beobachter“ enthält entzückende Landschafts- und Volksbilder Schwabens, und die Sitzungen des historischen und Alterthumsvereins in Stuttgart haben nie einen innerlich erwärmteren und geistvolleren Berichterstatter gefunden als M.; der Genuß, den seine Wiedergabe der Vorträge erzeugte, war nicht selten größer als der der Vorträge selbst. Groß war sein Sinn für die Natur, auch für das Kleine in ihr, für anscheinend unbedeutende Thierchen und Pflänzchen, und eine Wanderung mit ihm war auch deswegen ein Genuß. Philosophisch war er Materialist, ethisch ein Idealist. M. ist auch ein Dichter gewesen, der neben den besten Schwabens genannt werden darf; aus zwei handschriftlichen Bändchen Lyrik (an seine Braut, über den Tod der Mutter; Balladen), die jetzt der noch lebende Sohn, Oberjustizrath in Gotteszell bei Gmünd, bewahrt, hat M. selbst im „Schwäbischen Dichterbuch“, Stuttgart 1883, meisterhafte, [279] stimmungsvolle Proben mitgetheilt, und die Wiederkehr der Melacszeit 1888 gab ihm ein Volksstück ein, „Die Weiber von Schorndorf“, Stuttgart 1888, das durch volksthümliche Kraft, köstlichen Humor und vortreffliches Localcolorit hervorragt.

Nekrologe im „Beobachter“ vom 16. October 1888 (ohne Namen) und im „Schwäbischen Merkur“ vom gleichen Tag (von Dr. Otto Elben). Lebensbild aus der Feder des Sohnes im „Hartmannsbuch“ (als Manuscript gedruckt), Cannstatt 1898, S. 111–125. Mündliche Mittheilungen von Personen, die K. M. im Leben nahe standen; persönliche Erinnerungen.