Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Leist, Justus Christoph“ von Ferdinand Frensdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 226–228, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Leist,_Justus_Christoph&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 11:00 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Leisring, Volkmar
Nächster>>>
Leiter, Roman
Band 18 (1883), S. 226–228 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Justus Christoph Leist in der Wikipedia
Justus Christoph Leist in Wikidata
GND-Nummer 104309229
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|18|226|228|Leist, Justus Christoph|Ferdinand Frensdorff|ADB:Leist, Justus Christoph}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104309229}}    

Leist: Justus Christoph L. wurde den 24. März 1770 zu Rethem an der Aller (nordwestlich von Celle) geboren. Sohn einer Pastorenfamilie, erhielt er seine Schulbildung zu Lüneburg und studirte von 1789–1792 in Göttingen die Rechte. Nachdem er, ein hervorragender Schüler Pütter’s, am 29. März 1792 das Doctorexamen vor der Facultät glänzend bestanden, begann er schon vor der erst am 14. December 1793 auf Grund der Dissertation „De subsidio charitativo nobilitatis S. R. J. liberae atque immediatae“ erfolgenden Promotion Vorlesungen zu halten, zu denen er durch ein Programm über das neue Römische Recht (Göttingen 1792) einlud. Seinen eigentlichen Beruf fand er dann aber in den publicistischen Fächern, wie sie sein großer Lehrer vertrat. „Es fehlte ihm zwar der Funke eines eigenen höheren Feuers; mit seinem Muth und seiner Ausdauer hätte man sich aber dreimal um die Welt herumstudiren können“, urtheilt ein allerdings sarkastischer Umgangsgenosse jener Göttinger Tage. Studienreisen der nächsten Zeit verschafften ihm die persönliche Bekanntschaft katholischer Canonisten, wie Hedderichs in Bonn (Bd. XI S. 219) und anderer seiner Richtung und führten ihn zur Erlernung der Reichshofrathspraxis nach Wien. Von dort rief ihn das hannoversche Ministerium, das an ihm einen Nachfolger Pütter’s heranzuziehen hoffte, zurück und machte ihn 1795 zum außerordentlichen Professor. Als solcher behandelte er in dem „Tractatus juris publici de pacis Ryswicensis art. IV“ die Einwirkung der berühmten Nacht des 4. August 1789 auf die Rechte der deutschen Reichsstände und Reichsunmittelbaren im Elsaß und widmete nun seine Vorlesungen dem Staatsrecht, Kirchenrecht, der deutschen Geschichte, dem Proceß und dem hannoverschen Staats- und Privatrechte. Sein klarer und faßlicher Vortrag machte Glück bei den Zuhörern; er wurde 1802 zum ordentlichen Professor befördert und verschaffte sich durch sein treffliches, in knappster Form gehaltenes und doch stoffreiches Lehrbuch des deutschen Staatsrechts litterarisches Ansehen. Da es in die Zeit der gewaltigsten Umwälzungen fiel und ihnen unter Vorlegung der Urkunden auf dem Fuß folgte, so erlebte das 1803 erschienene Buch – ein früherer Druck wurde beim zehnten Bogen bis zum Abschluß des Reichsfriedens mit Frankreich abgebrochen – schon 1805 eine zweite Auflage. Eine Sammlung von Acten und Rechtsfällen zum Gebrauch seiner praktischen Vorlesungen (Göttingen 1807) gehört in dieselbe Zeit. In Anerkennung seiner Thätigkeit 1805 zum Hofrath ernannt, war er, als das Königreich Westfalen entstand, nichtsdestoweniger sofort bereit, in dessen Dienste zu treten. Er wurde Mitglied des Staatsraths und spielte auf den Reichstagen der westfälischen Stände eine hervorragende Rolle. Besondere Berühmtheit haben die nachher auch im besonderen Abdruck erschienenen Reden erlangt, mit denen er am 19. August 1808 den Entwurf einer Criminalproceßordnung und am 14. Februar 1810 den eines das Verfahren in Correctionssachen regelnden Gesetzes der Versammlung vorlegte; sie sind übrigens durchweg sachlich gehalten und frei von dem kriecherischen Schwulst jener Tage. Nach dem Tode Johann v. Müllers (Mai 1809) erhielt L. die Generaldirection des öffentlichen Unterrichts, sorgte für die Förderung des Volks- wie des Gelehrtenschulwesens, und konnte er auch die Aufhebung der Universitäten Rinteln und [227] Helmstädt nicht abwenden, so war er doch redlich im Zusammenwirken mit dem Minister v. Wolffradt um die Erhaltung und Hebung von Halle, Marburg und Göttingen bemüht und nahm sich insbesondere der letzteren Anstalt so wirksam an, daß ihm selbst entschiedene Gegner ihre Anerkennung nicht haben versagen können. Gelang es ihm auch während seiner Amtsführung nicht, auswärtige Kräfte nach Göttingen zu ziehen, so hat er doch schädliche Anstellungen verhindert und Heise wenigstens wiederzugewinnen gesucht (s. Bd. XI S. 667). König Jerome wandte ihm seine persönliche Gunst in hohem Maße zu, erhob ihn den 10. Januar 1810 für sich und seine männliche Descendenz in den Freiherrnstand und decorirte ihn wenige Tage später mit dem Ritterorden der westfälischen Krone. Er gehörte zu der den engen Anschluß an Frankreich befürwortenden Partei und zeigte sich, als der Thron Jerome’s schon sehr schwankte, noch als französisch. Im Dienste der wiederhergestellten Landesherrschaft mußte er unter Verlust von Titel und Rang zufrieden sein, die bescheidene Stelle eines Klosteramtmanns und Hoheitscommissars in Ilfeld (am Harze) zu erhalten. Aber schon wenige Jahre darauf, als sich die Regierung anschickte ein Concordat abzuschließen, erinnerte man sich seiner publicistischen und canonistischen Leistungen in Göttingen und gab ihn dem im Frühjahr 1817 nach Rom abgehenden Gesandten, Friedrich v. Ompteda, als Legationsrath mit. In den Verhandlungen mit dem Commissar der Curie, Monsignor Mazio, zeigte er aber so viel Selbstvertrauen zu seiner Kenntniß des Kirchenrechts, das er noch ganz im josephinischen Geiste vergangener Zeiten auch einem Meister wie Consalvi gegenüber handhaben zu können meinte, und so wenig von diplomatischer Kunst, daß erst der Gesandte selbst die Verhandlungen mit Mazio übernehmen mußte und dann, als im Sommer 1819 an die Stelle des verstorbenen Ompteda Herr v. Reden trat, dieser die Abberufung Leist’s zur Bedingung machte. In der Ilfelder Stelle, in welche er zurückkehrte, verblieb er bis Ostern 1829, wo er vorzugsweise, wie es heißt, in Folge der Fürsprache seines Freundes, v. Schmidt-Phiseldeck, als Nachfolger Falcke’s (Bd. VI S. 545) zum Justizkanzlei- und Consistorialdirector in Stade ernannt wurde. Wie vordem als canonistische, wurde er von hier als staatsrechtliche Autorität auf einen größeren Schauplatz berufen, und kaum mit besserem Erfolg. Als König Ernst August bei seinem Regierungsantritte der bestehenden Verfassung seine Anerkennung versagte, ließ er zunächst eine commissarische Prüfung vornehmen, ob Abänderung dieses Gesetzes oder Wiederherstellung der vorangehenden Verfassung von 1819 vorzuziehen sei. Nachdem eine erste Begutachtung nicht nach dem Wunsche des Königs ausgefallen war, wurde L. zu Anfang August mit einer zweiten Prüfung beauftragt. Als ihre Frucht betrachtet man das königliche Patent vom 1. November 1837, welches das Staatsgrundgesetz für erloschen erklärte. Als landesherrlicher Commissar erschien er dann auch in der zweiten Kammer der Stände im Februar 1838 und behauptete für die Verfassung von 1819 das Bestehen in anerkannter Wirksamkeit, das er soeben dem vier Jahre lang von Regierung und Unterthanen gleichmäßig beobachteten Gesetze von 1833 abgesprochen hatte. Ebenso war er auch der publicistische Vertreter des königlichen Staatsstreiches gegenüber dem Bundestage, wie auch seine Feder in der officiellen Tagespresse erkannt wurde. Bei Errichtung des Staatsraths unterm 21. Januar 1839 wurde er, der einzige Bürgerliche, zu einem der 16 ordentlichen Mitglieder desselben ernannt. Die Besorgniß, er werde nach dem Ausscheiden Arnswaldt’s aus dem Curatorium der Universität Göttingen (Bd. I S. 599) auch auf deren Angelegenheiten Einfluß gewinnen, bestätigte sich nicht; mit dem Mai 1839 verließ er vielmehr seine politische Stellung ganz und erhielt das Amt eines Vicepräsidenten des Oberappellationsgerichts zu Celle. Diesen Posten hat er bis zu seinem Tode [228] bekleidet und nur vorübergehend ist sein Name in die Oeffentlichkeit gedrungen. Die von ihm und anderen hohen Beamten unterschriebene Celler Erklärung vom Sommer 1849, welche dem Dreikönigsbündniß das Wort redete und der Zurückführung des alten Bundestages kräftig entgegenzutreten versprach, war ein Schritt, mit dem man der Regierung damals einen Gefallen zu thun meinte. Leist’s Stellung blieb im Greisenalter wie in jungen Tagen auf Seiten der Macht. Als Ernst August den vereinbarten Organisationsgesetzen im Herbst 1851 auf den Einspruch des Adels die Publikation versagte und zuvor eine nochmalige Begutachtung derselben verlangte, zog er L. und den nachherigen Minister Bacmeister dazu heran. Ihre modificirenden Vorschläge wirkten dann unter der Regierung König Georg V. weiter. Als dieser nach dem Verfassungsumsturz vom 1. August 1855 einen Staatsgerichtshof zur Handhabung der Disciplinarstrafgewalt gegen jeden Beamten, der die Rechtsgültigkeit königlicher Gesetze und Verordnungen seiner amtlichen Beurtheilung unterziehen oder bestreiten würde, einseitig errichtete, bestellte er L. zu dessen Präsidenten. L. starb zu Celle im 89. Lebensjahre, am 30. April 1858.

Conversations-Lexikon der Gegenwart, Bd. III (1840), S. 260. Neue Hannov. Ztg. 1858 Nr. 201; Ztg. für Norddeutschland 1858 Nr. 2849; Augsb. Allg. Ztg. 1858 Nr. 125 (aus der „Zeit“). Ritter v. Lang, Memoiren, I. S. 240, 329. Hugo, Lehrb. e. civilist. Cursus, VI. S. 500. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, II. S. 15, 47, 82, 207. O. Mejer, Zur Gesch. der römisch-deutschen Frage, II. 2. S. 132 ff., 156 ff., 237, 261. Oppermann, Zur Gesch. des Königr. Hannover, I. S. 128, 132, 150, 169, 179; II. S. 235.