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Artikel „Kullack, Theodor“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 361–363, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kullak,_Theodor&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 07:42 Uhr UTC)
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Kullack: Theodor K., königlich preußischer Hofpianist und Lehrer des Clavierspiels von so eminenter Bedeutung, daß ihm kaum ein zweiter vergleichbar ist. Es gab eine Zeit, in der er in einem Grade Alleinherrscher war, daß seine Schüler unbedingten Vorzug erhielten und sich jeder drängte, diese Vergünstigung wenigstens eine zeitlang zu genießen, um sich nur einen Kullack’schen Schüler nennen zu dürfen. K. war den 12. September 1818 zu Krotoczyn in der Provinz Posen geboren, wo sein Vater Landgerichtssecretär war, jedoch später mit der Familie nach Meseritz zog. Die musikalische Begabung zeigte sich bei K. schon in jungen Jahren und der Vater, der sowol musikalisch gebildet war, als eine vortreffliche Lehrgabe besaß, unterrichtete den Knaben selbst und legte wol den Grund, auf dem fußend K. einst weltberühmt werden sollte. Schon im Alter von 11 Jahren wurde er in Berlin bei einem Hofconcert als Pianist geladen und erregte allgemeine Bewunderung. Durch ein Stipendium vom Fürsten Radziwill unterstützt, ward es dem Vater möglich den Sohn in Posen studiren zu lassen und ihm die besten Lehrer zu geben. Trotz der hervorragenden musikalischen Leistungen mußte K. aber nach des Vaters Willen Medicin in Berlin studiren und sich dabei den Unterhalt durch Musikunterricht erwerben. Doch die ihm in den Weg gelegten Hindernisse auf seiner Virtuosenlaufbahn hielten nicht lange Stand. Hochgestellte Personen halfen auch diesmal wieder und durch eine Unterstützung von 1200 Mark zu einer einjährigen Kunstreise ermuthigt, kehrte er der Medicin und dem väterlichen Willen den Rücken und ging im J. 1842 nach Wien, theils um öffentlich als Virtuose aufzutreten, theils die begonnenen und sehr gestörten Musikstudien wieder aufzunehmen. Er hatte zwar in Berlin zeitweise W. Taubert’s und S. W. Dehn’s Unterricht genossen, zwei vortreffliche Lehrer, doch der Besuch der Universität und Nahrungssorgen behielten die Oberhand und verhinderten ein eindringliches Studium der Musik. Hier in Wien genoß er in ungestörter und ungetrübter Ruhe den Unterricht eines Carl Czerny und Simon Sechter, durchstreifte dann Oesterreich als Virtuose, bis ihn 1843 die Aufforderung einer ehemaligen Schülerin in Berlin, [362] Fräulein v. Hellwig, traf, der Tochter des Prinzen Karl von Preußen Unterricht zu ertheilen. Er kam dieser Aufforderung nach und erhielt nach und nach den Unterricht bei fast allen Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses. Auch wurde er 1846 zum königlichen Hofpianisten ernannt. – Bei Hofe in solcher Weise ausgezeichnet, ward er bald der gesuchteste Musiklehrer in Berlin und kein Honorar war zu hoch, es wurde ihm willig gezahlt. Schon seit dem Jahre 1840 hatte er ein Heft Lieder (opus 1) und mehrere Clavierstücke veröffentlicht, denen dann in schneller Folge bald andere nachkamen, so daß K. im J. 1846 schon opus 35 veröffentlichte. Die Musik-Lexika berichten übereinstimmend, daß K. als der Erfinder der sogenannten Transscriptionen, d. h. Bearbeitungen von Liedern und Opernarien oder ganzen Scenen für Pianoforte, anzusehen sei. Dem widerspricht aber ein Blick in ältere Verlagskataloge, denn lange vor ihm war es Gebrauch Melodien aus Opern für Clavier zu bearbeiten und sogenannte Salonpiècen daraus zu machen. K. wählte nur das bis dahin ungebräuchliche Wort „Transscription“, während man früher „Fantasie“, „Rondo“ oder „Pièce“ sagte. Auch ging ihm Liszt mit der Bearbeitung der Schubert’schen Lieder voraus, doch muß man zugestehen, daß K. gerade in diesem Genre das Beste geleistet hat und oft feine sinnige Clavierstücke geschaffen hat, während seine Clavierwerke eigener Erfindung nur geringen, oft gar keinen Kunstwerth haben. Trotzdem hat er mit manchem derselben beim großen Publikum viel Glück gehabt und seine „Gazelle“ (op. 22), obgleich sie schon einen fertigen Pianisten verlangt, hat die Reise über die Claviere der ganzen Welt gemacht. Die Zeitungen damaliger Zeit nehmen ihn auch hart mit, besonders da man in ihm einen reichbegabten Componisten zu erkennen meinte, der aber seine Gaben mehr zum Vortheil seiner Kasse als der Kunst verwerthete.

Im J. 1850 gründete K. im Vereine mit Julius Stern und A. B. Marx ein Conservatorium für Musik, in welchem er die Instrumentalklassen, Stern die Gesang- und Marx die Compositionsklassen leitete; doch hielt das Triumvirat nur bis zum J. 1855 das gemeinsame Scepter, dann trennten sie sich. Marx zog sich ins Privatleben zurück und Stern, sowie K. gründeten jeder für sich ein neues Conservatorium in verschiedenen weit auseinander liegenden Gegenden Berlins. Beide erhoben sich zu weltberühmten Musikinstituten, das Kullack’sche aber besonders im Fache des Clavierspiels. Unablässig war K. bemüht der technischen Seite der Ausbildung von Hand und Finger seine Aufmerksamkeit zu widmen und er hat dafür eine reiche Litteratur geschaffen; Werke, die Anderen als Grundlage gedient haben, auf denen sie weiter bauen konnten.

Als Virtuose zog sich K. sehr früh von der Oeffentlichkeit zurück, da seine Lehrthätigkeit all’ seine Kräfte in Anspruch nahm. Wer je das Haus Kullack’s betreten hat, wird staunend im Hausflur verweilt haben, um zu ergründen, welches eigenthümliche Klingen scheinbar von den Wänden ausgehe. Gelangte er dann in die Nähe der ersten Etage, so drangen einzelne Töne einer Menschenstimme, eines Blas- oder Streichinstrumentes an sein Ohr, doch das Dröhnen und Summen ging ohne Unterbrechung fort und dies rührte von den unzähligen Clavierinstrumenten her, die fortwährend in Bewegung waren und das ganze Haus in Vibration setzten. In solcher nervenerschütternden Umgebung hat nun K. gut 25 Jahre von früh bis zum späten Abend gelebt, geschafft und jeden Besucher in der liebenswürdigsten Weise empfangen, jeder neuen Erscheinung in seiner Kunst das lebendigste Interesse entgegengebracht und nie Erschlaffung und Erlahmung gezeigt. Der 64jährige Mann leitete sein großartiges, von gegen 1000 Schülern besuchtes Institut mit derselben Frische wie in jüngeren Jahren. Zum Krankwerden hatte er keine Zeit; plötzlich und ganz unvorbereitet ereilte ihn am 1. März 1882 der Tod und gab ihm die wohlverdiente Ruhe, die er sich selbst nie zu gönnen erlaubte.

[363] Seine Methode hat bei den weniger begabten Schülern keine guten Früchte getragen, denn K. war ein strenger Lehrer und machte bei denen, die sich zu Musikern ausbilden wollten, hohe Ansprüche. Der Schüler suchte daher was ihm an Talent abging durch Fleiß zu erreichen und gewöhnte sich unter K. einen zwar correcten und kräftigen Anschlag an, der aber ans Harte und Seelenlose streifte, oft sogar in mechanische Hämmerei ausartete. Die begabteren Schüler dagegen haben sich zu vortrefflichen Musikern herangebildet und nenne ich nur Otto Neitzel, Charles Wehle, Scharwenka, Heinrich Hofmann und Edmund Neupert, die sich sowol als Virtuosen wie als Componisten einen Weltruf erworben haben. – Ein Verzeichniß der gedruckten Compositionen Kullack’s gibt v. Ledebur’s Tonkünstlerlexikon Berlins.