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Artikel „Stern, Julius“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 106–107, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stern,_Julius&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:43 Uhr UTC)
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Stern: Julius St., königl. Professor und Musikdirector zu Berlin, geboren am 8. August 1820 zu Breslau von jüdischen Eltern, † am 27. Februar 1883 zu Berlin. Schon als Knabe zeichnete er sich als Violinvirtuose aus und trat öffentlich auf. Als die Eltern 1832 nach Berlin übersiedelten, erhielt er Leopold Ganz, St. Lubin und E. Maurer zu Lehrern; später trat er als Schüler in die Akademie ein, in der Rungenhagen unterrichtete. Durch ein Stipendium, vom König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gewährt, war es ihm möglich nach Paris zu gehen, um sich weiter auszubilden, doch schon auf der Hinreise durch Dresden lernte er den Gesanglehrer Miksch kennen und wurde von ihm in die italienische Gesangskunst eingeweiht. Er gab das Violinspiel ganz auf und betrieb auch in Paris hauptsächlich Gesangsstudien, leitete dort einen Gesangverein und gab öffentliche Aufführungen von deutschen Meistern. 1846 wieder nach Berlin zurückgekehrt, leitete er bei der Gräfin Rossi (der einstigen Sängerin Sontag) die dort stattfindenden Musikaufführungen, gründete 1847 selbst einen Gesangverein, der sich bald zu einer umfangreichen Mitgliederzahl hob, besonders durch jüdische Elemente, denen der Beitritt zu der schon lange bestehenden von Fasch gegründeten Singakademie verschlossen war. 1849 trat er zum ersten male mit ihm vor die Oeffentlichkeit. Sowol die jugendliche Frische der Stimmen, als die feurige Wiedergabe der großen Chorwerke rief eine allgemeine Bewunderung hervor und Vergleiche mit der Singakademie zu deren Ungunsten blieben nicht aus. Diese wurde seit Zelter’s Tode zwar von gelehrten Musikern geleitet, die aber nichts weniger als im Stande waren große Chor- und Orchestermassen zu leiten. Ihre Aufführungen waren daher schlaff, die Singstimmen meist mit älteren Damen besetzt, der Männerchor zu schwach vertreten, und da die Soli in den Oratorien nach altem Herkommen nur von [107] Mitgliedern gesungen wurden, dem Orchester ein genialer Dirigent fehlte, so zehrte sie nur noch von ihrem einstigen Rufe. St. war dagegen ein geborener Dirigent. Staunenswerth war es, wenn er bei kleinen Aufführungen am Flügel mit der linken Hand die Orchesterbegleitung spielte und mit der rechten Hand einen Chor von gegen 500 Sängern leitete. Musterhaft waren die großen Oratorienaufführungen. bei denen die Soli von anerkannten Solosängern vorgetragen wurden. Anfänglich sangen sie fast nur Mendelssohn’sche Werke, erst später gingen sie zu Händel und Beethoven über. Die neunte Sinfonie und die große Messe von Beethoven wurden wohl überhaupt in Berlin erst durch St. zu Gehör gebracht und bildeten fast jährlich ein stehendes Repertoire. Im J. 1850 errichtete er im Vereine mit A. B. Marx und Theodor Kullack ein Conservatorium für Musik, das erste in Berlin, vielleicht in ganz Deutschland, mit Ausschluß Leipzigs und abgesehen von Oesterreich, welches schon fast seit einem halben Jahrhundert in Prag und Wien bedeutende Anstalten besaß. Marx vertrat das theoretische Fach, Kullack das Clavierspiel und St. das Gesangfach. Trotz seiner gesanglichen Bildung nach italienischem Muster drängten ihn seine natürlichen Anlagen zu sehr auf den äußeren Effect und daher kam es, daß er seinen Schülern nicht Zeit genug ließ, die Stimmorgane nach und nach zu kräftigen, so das er das Unglück hatte, mehr Organe verdorben als gebildet zu haben. Nur wer von Natur mit einem außerordentlich kräftigen Organe versehen war, konnte diesen Strapazen widerstehen. St. kann keinen bedeutenden Sänger aus seiner Schule nachweisen. 1855 trat Kullack aus dem Conservatorium und gründete die „Neue Akademie der Tonkunst“, Marx folgte ihm 1857 und von da ab leitete St. allein das Conservatorium, welches alle Musikfächer umfaßte und sich eines großen Zuspruches erfreute. Nicht genug zwei so große Institute zu leiten – (er war auch an der Synagoge Dirigent des Gesangschores) – bildete er im J. 1855 auch noch einen Orchesterverein, mit dem er ältere und neuere große Orchesterwerke aufführte. Leider war damals das kunstliebende und wohlhabende Publikum in Berlin noch ein sehr kleines, auch waren die Concertsäle von einer Kleinheit, daß Ausgaben und Einnahmen in keinem Verhältnisse zu einander standen. So dankbar die Bestrebungen Stern’s anerkannt wurden, so waren sie doch aus obigen Ursachen nicht von langer Dauer. Später übernahm er noch einmal die Leitung der „Berliner Symphoniecapelle“, dann 1873 die Concerte in den Reichshallen. Wenn die früheren Unternehmungen an der Kleinheit der Säle scheiterten, so krankte das letzte an dem allgemeinen Krach, der alle begüterten Kreise in dieser Zeit in Mitleidenschaft zog. Abgespannt und lebensmüde legte er 1874 für immer den Dirigentenstab nieder und behielt nur noch das Conservatorium. Ein Schlaganfall machte auch dieser Thätigkeit ein Ende und der einst so thatkräftige Mann war ein Bild irdischen Jammers geworden, bis ihn ein sanfter Tod erlöste. Aus seinem Conservatorium ist mancher hervorragende Musiker in die Welt eingetreten, jedoch sein Hauptverdienst bestand in dem Einflusse, den er auf das öffentliche Musiktreiben durch seine eminente Begabung als Dirigent ausübte. Nur bis in die vierziger Jahre trat er auch als Liedercomponist auf und erreichte als solcher eine gewisse Beliebtheit, die aber sehr bald wieder verschwand, als er es selbst aufgab, Componist zu sein. In Ledebur’s Tonkünstler-Lexikon findet man ein genaues Verzeichniß der Lieder, sowie die älteren Daten auch demselben entnommen sind; alles übrige beruht auf Miterlebtem.