ADB:Hoyos-Sprinzenstein, Rudolf Graf

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hoyos-Sprinzenstein, Rudolf Graf“ von Oskar Franz Walzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 492–495, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoyos-Sprinzenstein,_Rudolf_Graf&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 00:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Huber, Alfons
Band 50 (1905), S. 492–495 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Rudolf Hoyos in der Wikipedia
Rudolf Graf Hoyos-Sprinzenstein in Wikidata
GND-Nummer 117028711
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|50|492|495|Hoyos-Sprinzenstein, Rudolf Graf|Oskar Franz Walzel|ADB:Hoyos-Sprinzenstein, Rudolf Graf}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117028711}}    

Hoyos: Rudolf Graf H. wurde am 9. November 1821 auf dem Fideicommißschlosse Horn in Niederösterreich geboren und starb am 8. November 1896 auf seinem Schlosse Lauterbach in Schlesien. Zwei schmale Bändchen Gedichte (Wien 1887, Dresden und Leipzig 1892 veröffentlicht) zeugen heute allein noch von der Summe geistiger Kraft und von dem künstlerischen Sinne [493] eines Aristokraten, der energisch und vorurtheilslos die Bildung seiner Zeit sich anzueignen und in ihrem Besitze das Leben zu einer Kunst zu gestalten verstanden hat. Als würdiger Genosse gehörte er einem Kreise feingestimmter Aestheten an, die der Existenz des österreichischen Adels einen Abglanz des culturellen Reichthums der Renaissance und der litterarischen Salons Frankreichs leihen wollten und noch wollen. Künftige Culturgeschichte wird dieses Kreises und seiner Bedeutung für das neuere Oesterreich ausgiebig zu gedenken haben. Bis auf Fr. Schlegel’s und seiner Gattin Dorothea Wirken in Wien, auf seine Mitarbeiter am „Deutschen Museum“ und auf Beider Freunde und Freundinnen aus dem Kreise des Wiener Hochadels gehen die Traditionen zurück, die von H. und von seinen Freunden hochgehalten worden sind. Graf Theodor Heusenstamm, ein Freund Lenau’s (1801–1889; vgl. A. D. B. XXXV, 433), als Dichter vielfach bemüht, ein Zögling romantischer Anregungen, der bis ins höchste Greisenalter das Leben und die Kunst seiner Zeit eifrigen Blickes verfolgte, leitete diese Tradition weiter. Alexander v. Villers (1812–1880; vgl. A. D. B. XL, 779), dessen eigenwillig geistvolle Briefe H. (1881 und 1887) herausgegeben hat, Alexander v. Warsberg, der Odysseische Wanderer und stilvolle Landschaftsschilderer (1836–1889; vgl. A. D. B. XLI, 182 ff.), der vielseitig für Kunst und Wissenschaft thätige Mäcen Karl Graf Lanckoroński (geb. 1848, s. d.) bildeten dann mit H. eine besondere Gruppe, der es im besten Sinne geglückt ist Kunst und Leben harmonisch zu vereinigen. Ihrer ästhetischen Stimmung diente vor allem die bildende Kunst, mit deren alten und jungen Meistern sie genießend, sammelnd und zu neuen Schöpfungen anregend in stetem Verkehr blieben. In Italien holten sie immer neue Anregungen, ihr Heim wie ihr Dasein künstlerisch auszuschmücken.

Graf H. indeß war nicht nur ein feinfühliger Lebenskünstler, auch ein Priester der Humanität und ein Philanthrop. Einem spanischen Geschlechte, das schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts in dem niederösterreichischen Adel aufgegangen war, entstammt er; seine Mutter war eine Nichte des „eremita Parisiensis“ Graf Gustav Schlabrendorf (1758–1824; vgl. A. D. B. XXXI, 320), der als echter Apostel des Humanitätszeitalters in erster rascher Begeisterung für die französische Revolution nach Paris geeilt war, hier alles Entsetzen der Schreckenszeit durchlebt und dann bis an sein Lebensende als ehrfurchtgebietender Patriarch segensreich für seine, Paris besuchenden Landsleute gewirkt hatte, dabei mit den Führern deutscher Cultur in stetem Verkehr geblieben war. Den Ideen des Humanitätszeitalters blieb auch seine Nichte Therese, Graf Rudolf Hoyos’ Mutter (1781–1862), ihr Leben lang treu; Gellert, dieser praeceptor Germaniae, dem sie im Rosenthal bei Leipzig ein Denkmal stiftete, hatte ihre Weltanschauung mit geschaffen. Sie vererbte die hohe geistige Bildung ihrer Familie dem Sohne, der vom Vater, Graf Johann Ernst Hoyos (1779–1849), die Traditionen einer kaisertreuen österreichischen Adelsfamilie mit all ihrer durch Jahrhunderte erprobten historischen Cultur übernahm. Dem Brauch seines Hauses folgend wurde Graf Rudolf H. Reiterofficier im österreichischen Heere und stürmte genußfroh, ohne seinem feurigen Temperamente die Zügel der Reflexion anzulegen, durchs Leben, ein kühner Eroberer, von der Natur mit allen Vorzügen einer bestrickenden Erscheinung ausgestattet. Als reifer Mann sagte er solch reichbewegter äußerer Bethätigung seiner Persönlichkeit Valet und zog sich in stillere Beschaulichkeit zurück, nicht ein weltmüder Kämpe, vielmehr bemüht das Gold der Erfahrungen seines jugendlichen Weltlebens sinnend und denkend auszumünzen. In die Bahn seines Großoheims Schlabrendorf lenkte er jetzt ein. Bedingung [494] der fast plötzlichen Wandlung war eine schwere Krankheit gewesen; zur Führerin auf neuen Pfaden wählte er eine hochbegabte, künstlerisch thätige Aristokratin, die ihn auch mit Villers und Warsberg in nähere Beziehung brachte. In unermüdeter Arbeit suchte er alle Lücken zu füllen, die seine Bildung ihm wies. Ward da einerseits Goethe’s „Faust“ ihm zum unentbehrlichen Begleiter fürs Leben, so scheute er andrerseits sich auch nicht, mit Villers Chemie zu studiren. Vor allem aber strebte er nach einer großen und einheitlichen Lebensanschauung. Er hat sie sich erobert, ohne jemals mit ihr zu prunken oder sie Anderen einreden zu wollen. Ueberzeugt, daß alles menschliche Wissen relativ sei, forderte er von Andern nicht rückhaltlose Nachfolge; allein seine kraftvolle Natur konnte nur dem zustimmen, der gleich ihm mit starker Hand sein Wesen zu formen bereit war. Wo er keinen Ehrgeiz, keine Leidenschaft fand, „nichts, was den glatten Fluß des Wassers trübt“, da wandte er sich verdrossen ab. Selbst aufs eifrigste bemüht, alles Große und Schöne in Kunst und Wirklichkeit nachzufühlen, hatte er auch kein Herz für Leute, die über solchem Anempfinden ihre eigene Persönlichkeit vergessen und auf jeden Kampf verzichten.

War er doch auch viel zu altruistisch gestimmt, als daß er einem weichlichen Cult ästhetischer Stimmungen je hätte verfallen können. Wer im Kampf ums Dasein des Schutzes bedurfte, konnte auf ihn zählen. In sociale Fragen hatte er nicht bloß theoretisch Einblick gewonnen. Jahrzehntelang Verwaltungsrath, dann Präsident einer der ersten und bestgegründeten Versicherungsanstalten Oesterreichs war er mit nationalökonomischen Problemen in praktische Berührung gekommen. In seinen letzten Lebensjahren bestrebte er sich ernst und redlich, das Loos der Armen zu heben, den Gegensatz von Arm und Reich zu mindern. Eine Neugestaltung des Erbrechts beschäftigte vor anderen seinen vorwärtsstrebenden Geist, ohne daß er indeß gewagt hätte, seine Ideen, die er nicht für völlig ausgereift erkannte, in Wirklichkeit umzusetzen und das Erbrecht, das ihm ungerecht schien, innerhalb der Grenzen seines Vermögens zu beseitigen. Seine philanthropischen Neigungen machten ihn auch zu einem begeisterten Apostel der Friedensidee, deren Förderin, Baronin Suttner, in ihm stets einen hülfsbereiten Berather fand. Erscheint H. da ganz und gar als Gesinnungsgenosse[WS 1] seines Großoheims, so war er doch eine so künstlerisch veranlagte Natur, daß er nie, wie jener, asketisch in einer schmucklosen Mansarde sein Dasein hätte verbringen können. Seinem Schönheitsgefühl war stimmungsvolle Umgebung unbedingtes Bedürfniß. In seinem Heim in Wien, einem Meisterstück feinabgestimmter Interieurkunst, hatte er das schwere Räthsel gelöst, mitten in einer Sammlung auserlesener Kunstschöpfungen den Ton behaglichen Daseins festzuhalten. In diesen von gedämpfter Harmonie erfüllten Räumen erweckte nichts den Gedanken an ein Museum, diente Alles dem Wunsche, Schönheit dem Leben des Tages dienstbar zu machen, nicht in ihr eine Last sich zu schaffen. Wol herrschte hier eine geläuterte Stimmung, die nichts Grelles und Auffallendes ertrug; aber auch diese Stimmung drängte sich dem Beschauer nicht auf, sondern ließ ihm all die Freiheit, die H. als Mensch wie als Denker seinen Mitmenschen so gern gewährte. Grenzen freilich hatte auch seine Anpassungsfähigkeit. Malerei stand ihm näher als Plastik, die großen Italiener des Cinquecento, Rembrandt, Lenbach, Passini, Schindler waren seine Lieblinge, während er für die älteren italienischen Meister so wenig übrig hatte, wie für modernste tastende Versuche. Er selbst hielt mit mehr als dilettantischer Fertigkeit Landschaftsstimmungen mit Stift und Pinsel fest. Auch in der Musik, die ihm nicht so sehr Lebensbedürfniß war, wie bildende Kunst, suchte er nur Stimmung. Sein unentwegtes Streben, sich [495] Neues anzueignen, seine Bildung zu erweitern, nichts Schönes unbeachtet zu lassen, bethätigte sich am stärksten der Dichtung gegenüber. Er berauschte sich ebenso gern an dem Wohllaut der Prosa Heyse’s wie an den Klängen modernster Lyrik. Aufmerksamen Blickes verfolgte er, geleitet von kundigen Beobachterinnen jüngster Litteratur, was der Tag an Neuem, Ueberraschendem, oft nur schwer Erfaßbarem brachte. Die rasche Entwicklung der jüngsten nordischen und deutschen Litteratur hat er mitzuleben versucht und noch in den Schöpfungen J. P. Jacobsen’s ein ihm seelenverwandtes Streben nach ästhetischem Leben wiedergefunden.

Seine eigenen Dichtungen erheben nicht den Anspruch, neue Töne erklingen zu lassen. Sie spiegeln sein Wesen rein wieder, sind Bekenntnisse einer Natur, die ihr Innerstes aufdecken will, wie sie es nach bestem Wissen erschaut. Gelegenheitspoesie im edelsten Sinn des Wortes erstand ihm, die innere Wahrheit hat und ihr gelegentlich auf Kosten der Form huldigt. Der Tod der Frau, der er sein Bestes dankte, hat ihn zum Dichter gemacht; tiefes und echtes Gefühl entströmt den Versen, die er ihrem Andenken widmete. Weiblicher Schönheit und weiblichem Geiste huldigt er auch später noch in Versen, die den Reiz einer Persönlichkeit in glücklich gefundenen Worten auszusprechen vermögen. Weltüberlegene Ironie stand ihm ebenso zu Gebote. Gern gibt er Landschaftsbilder; nicht nur was er auf Reisen, zunächst in Italien, erschaut hat, auch Wien und die Stimmung der Großstadt dient seiner betrachtenden und beobachtenden Lyrik. Malerei und Poesie, seine Lieblingskünste, treten in Austausch, wenn er Bilder in Verse umsetzt. Breiten Raum nehmen in seinen Gedichten philosophische Probleme ein, die bald in längerer Ausführung, bald aphoristisch knapp sich geltend machen. Die Form seiner Verse gemahnt an Heine und an Scheffel, an Lenau und an Keller. Fehlt zuweilen eine letzte Glättung, die diesen oder jenen Anstoß behoben hätte, so überwindet er doch gelegentlich große formale Schwierigkeiten, er hat musterhafte Sonette geschrieben und einmal Walzerrhythmus gewandt in Worte gebracht.

Ein Lebenskünstler, der Schönheit und Energie verband und bis ins höchste Alter hinauf reine Empfänglichkeit für die geistigen und künstlerischen Regungen seiner Zeit und damit jugendliche Frische bewahrte, hat er das Beste, was er schaffen konnte, mit ins Grab genommen: seine Individualität. Umso nothwendiger ist es, sein Andenken aufrecht zu erhalten, da nur, wer ihn persönlich gekannt hat, den Reichthum dieser Individualität ermißt. Er zählte, in Schiller’s Sinne, zu den edlen Naturen, die nicht mit dem zahlen, was sie thun, sondern mit dem, was sie sind.

Nachrichten über Hoyos finden sich in den Nekrologen Malvida’s von Meysenbug (Neue Fr. Presse v. 20. Nov. 1896, Nr. 11 582) und Marie Herzfeld’s (Wiener Fremdenblatt v. 28. Nov. 1896). – Mittheilungen d. Grafen Karl Lanckoroński, der Hoyos’ leider noch nicht weiter verwertheten handschriftlichen Nachlaß besitzt, und von Frau Prof. Grün sind benutzt in Walzel’s Artikel: Biogr. Jahrbuch und Deutscher Nekrolog 1, 142–147.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gesinnnungsgenosse