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Artikel „Hoyer, Anna Ovena“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 216–217, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoyers,_Anna_Ovena&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 02:15 Uhr UTC)
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Hoyer: Anna Ovena H., Schwenckfeldianerin, Dichterin, geb. 1584 zu Coldenbüttel bei Eiderstädt in Schleswig, Tochter des bekannten Astronomen Johann Oven, heirathete 1599 den angesehenen Eiderstädter Hermann Hoyer, dem sie 100 000 lübische Mark mitbrachte und in einer von Mißstimmung nicht freien Ehe zwei Töchter und drei Söhne gebar. 1622 verwittwet, bezog sie das Gut Hoyerswörth, lesend, reimend, extremer Sectirerei verfallend, besonders seit 1623 ihr „Prophet“, der Häretiker Nicolaus Teting aus Flensburg, Mediciner und Alchemist, den sie an das Krankenbett eines Sohnes gerufen, ihr Hausgenosse blieb und eine förmliche Wiedertäufergemeinde in Verbindung mit der Eiderstädter [217] organisirte. Die Apokalypse läßt beide für 1625 den Weltuntergang weissagen. Die Geistlichkeit, von Husum her dem neuen Propheten spinnefeind, legt sich ins Mittel. Erbitterte Colloquia finden statt. Teting wird verbannt. H. zeigt sich immer starrer und fanatischer. Verarmt, verfolgt schlägt sie ihr Gut an Augusta von Holstein los, zieht 1632 nach Schweden, wo ihr die Königin Wittwe ein Gütchen (Sittwick) bei Stockholm überläßt. Zu den alten religiösen Wahnvorstellungen gesellt sich ein neuer pythagoreischer Vegetarianismus. Ihr Leben ist umdüstert. 1650 besorgte le Blond in Amsterdam die seltene Elzevirausgabe ihrer Dichtungen „Annae Ovenae Hoyer’s Geistliche und weltliche Poemata“ (304 S.). Darin fehlt u. A. ihr früher Versuch: Eurialus und Lucretia, nach N. v. Wyle gereimt. All die kleineren und größeren Gedichte sind mit der damals beliebten Buchstabenspielerei datirt; Pseudonyme mit Buchstabenversetzung („von Johanne Osnaveri“, doch auch „Hermann Hoyer’s Witwe Anna Ovena“, „Hans Oven’s Tochter Anna“ etc.) häufig. Keine gemüthsinnige geistliche Lyrik geht von dieser Frau aus, die gerade durch den harten männlichen Zug litterarhistorisch interessant ist. Frauenhaft berührt uns nur die treue Sorge für die Kinder, aber auch hier ist sie mehr die feste Erzieherin und Lehrerin. Ihr eignet die tendenziöse sectirerische Didaktik – selten die erbauliche Gemeinschaftspoesie – und die heftige Satire. Trocken und weltfeindlich, unwählerisch im Ausdruck, bisweilen zu drastischen Bildern greifend, in harten Knittelversen katechisirt sie das Kind, feiert die Neugeburt, die Nachfolge Christi und seine „einwohnung“ in uns, verherrlicht den gottseligen Schwenckfeld, der neben Joris, Weigel etc. ihre theologischen Anschauungen bestimmt. Ihre Bearbeitung des Buches Ruth ist eine verdienstlose Reimerei, anderes an die königliche Gönnerin erinnert fast an die Karschin. Mitunter klingt echter Volksliedston an oder Hans Sachs’scher Realismus. Einzelne Rathschläge an die Söhne ermangeln der Tauglichkeit nicht. Schwung und Phantasie treten, trotz der Vorliebe für die Apokalypse und die Propheten sehr selten hervor. Sie donnert gegen die Verfolger Teting’s und Lohmann’s und kann sich in der Empörung gegen die Pfaffen und Gelehrten – sie selbst besaß klassische Bildung –, Kirchen und Universitäten nie genug thun. Manche Caricatur zeigt Witz und scharfe Beobachtung, wenngleich immer maßlose Eingenommenheit. Nie wol hat eine Frau so ungestüm polemisirt, wie diese herbe Kämpferin. Sie war eine robuste niedersächsische Natur, die auch plattdeutsch dichtete, wie Lauremberg, mit seiner klotzigen Wucht und Unflätigkeit, ohne seinen behaglich phlegmatischen Sinn. So gibt „De dänische Dörp-Pape“ ein grobrealistisches niederländisches Bild von den Klerikern, die sich cynisch mit ihren flegelhaften Bauern in der Kneipe besaufen und gar schmutzig von ihrem Amt sprechen. Sie schließen „Wy hebben nu gefüllt de Darmen Gott latht unß wol bekamen“. Selbst des stinkenden Athems, des Urinirens u. dgl. wird gedacht. Ihr gelten diese Trunkenbolde und alle Juristen insgemein als Apen, Hypokriten, Baal’s Papen, die das Volk „beschiten“ etc. In ohnmächtigem Streit hat sie sich, eine Märtyrerin der vermeintlichen guten Sache, erschöpft. Sie erweckt Mitgefühl bei aller Unweiblichkeit, Eckigkeit, Verranntheit, Welt- und Bildungsfeindlichkeit. Von Professoren der Poesie ob ihrer unopitzischen Nachlässigkeit in der Form (fortlaufende Knittelverse, oder einfache Strophen) getadelt, galt sie anderen als foemina docta, von der Orthodoxie verurtheilt, fand auch sie bei Arnold u. A. ein billigeres Urtheil.

Vgl. Moller, Cimbria litteraria I. 263–65; Uebersicht über die Schriften S. 265 (vgl. Adelung, Gesch. der menschl. Narrheit, IV. 193 ff.); 264 über Erwähnungen in der Litteratur vor 1744. Hagenbach in Herzog’s Realencyklopädie.