ADB:Adelung, Johann Christoph

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Artikel „Adelung, Johann Christoph“ von Wilhelm Scherer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 80–84, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Adelung,_Johann_Christoph&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 14:14 Uhr UTC)
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Adelung: Johann Christoph A., Lexikograph und Grammatiker, Predigersohn aus Spantekow (Pommern), geb. 8. Aug. 1732, besuchte die Gymnasien zu Anklam und Klosterbergen und die Universität Halle, war 1759–61 Professor am evangelischen Gymnasium zu Erfurt, privatisirte seit 1763 zu Leipzig, bis er 1787 zum Oberbibliothekar in Dresden ernannt wurde, † 10. Sept. 1806. Schon 1757 begann er eine litterarische Thätigkeit der vielseitigsten Art, die er mehr als 20 Jahre lang fortsetzte und die sich stellenweise bis zu [81] bedenklicher Höhe steigerte. Jeder Gegenstand war ihm recht, für den er sich günstigen Markt versprechen durfte. Eine Reihe von Publicationen folgen der Zeitgeschichte von 1740 bis zum baierischen Erbfolgekriege auf dem Fuße nach und richten die Ereignisse gleich fürs große Publicum her; trockene Thatsachenhäufung, durch den seichtesten Pragmatismus verbunden; Sammelwerke der Staatsacten, politische Briefe etc. traten ergänzend hinzu. Seine Uebersetzerthätigkeit war massenhaft und erstreckte sich auf alle Gebiete des menschlichen Wissens, auf Diplomatik so gut wie auf Metallurgie, auf die Werke des Philosophen von Sanssouci so gut wie auf englische und französische Geschichtsbücher. Als Journalist war er nicht minder universell: er schrieb mehrere Jahre hindurch die Leipziger politische Zeitung und das damit verbundene Allerlei; er gab mineralogische Belustigungen, ja ein militärisches Taschenbuch heraus; er ist der Begründer des Weiße’schen Kinderfreunds, und noch 1785–86 dirigirte er die Leipziger Gelehrte Zeitung. Selbst litterarische Handlangerdienste, wie das allgemeine Verzeichniß neuer Bücher zusammenzustellen, verschmähte er nicht. Er bearbeitete eine Geschichte der Philosophie (und Mathematik) für Liebhaber, und unter dem picanten Titel einer Geschichte der menschlichen Narrheit hat er Männer und Frauen verunglimpft, welche zu den edelsten Erscheinungen der Menschheit gehören: es sollte dem geschmackvollen und aufgeklärten Weltmanne der 80er Jahre schmeicheln, auf jene „Schwärmer“ vornehm herabblicken zu können. A. besaß den Instinct für das Zeitgemäße und einen ordnenden Verstand, der leicht und sicher wie eine Maschine wirkte und sich nirgends gehindert sah, weder durch Tiefsinn, noch durch die Phantasie. Er besaß eine ausgebreitete Bücherkenntniß und ein entschiedenes Talent zu generalisiren und zu simplificiren. Als eigentlicher Gelehrter kann er nur in mittelalterlicher Latinität (Zusätze zu seinem Compendium des Ducange, Glossarium manuale, 1772–84), in Gelehrtengeschichte (Fortsetzung des Jöcher 1784–87) und auf dem Gebiete der Sprache gelten. Ueberall aber ist er mehr Sammler und Ordner, als Forscher. Lehrbücher abzufassen war er höchst geeignet. Seine „Unterweisung in den vornehmsten Künsten und Wissenschaften“ (1771) war für die niederen Schulen bestimmt und erlebte mehrere Auflagen; daraus entwickelte sich sein „Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten“ (1778–81) für Realschulen, und dieser lief in eine „Geschichte der Cultur“ aus, welche etwas erweitert 1782 auch selbständig erschien. Diesen Titel, den Namen also der Culturgeschichte, scheint er eingeführt zu haben anstatt des bis dahin üblichen „Geschichte der Menschheit“. Die Form solcher Betrachtungen war durch Voltaire, die Methode hauptsächlich durch Montesquieu, in Deutschland durch Winckelmann in Schwung gekommen: A. faßt nur zusammen und formulirt. Aber er verlangt, die Culturgeschichte solle den Grund nicht blos der Universalgeschichte, sondern auch der Gelehrten- und Religionsgeschichte ausmachen, und das Buch gibt ihm seine eigenthümliche Stellung innerhalb der deutschen Aufklärung. Weit mehr thut dies freilich noch sein „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart“ 1774 bis 86. Daran schlossen sich grammatische Werke „Deutsche Sprachlehre für Schulen, zunächst für die preußischen“, 1781 (Auszug daraus, 1781), „Umständliches Lehrgebäude“ (1782) und eine „Stylistik“ (1785–86); das „Magazin für die deutsche Sprache“ (1783–84) ging als rechtfertigende und erläuternde Zeitschrift nebenher. Mit diesen Leistungen erhob sich A. endlich über sein bisheriges Litteratenthum, ja er vertiefte sich in seiner Weise von dem festen Halt aus, den er nun ergriffen: der Plan einer Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur wurde gefaßt, das Studium der altdeutschen Dichter lebhafter betrieben („Chronol. Verzeichniß der schwäb. Dichter“ 1784, „Püterich von Reicherzhausen“ 1788) und alle Sprachen der Erde in den Kreis seiner gelehrten Thätigkeit gezogen. [82] Da bestimmten ihn in Dresden, wer weiß welche Rücksichten, sich auf sächsische Geschichte zu werfen und riesenhafte Materialien für ein Unternehmen aufzuhäufen, von welchem dann doch nur einzelne Bruchstücke zu Tage kamen. Daneben erhielt nur die zweite Auflage des Wörterbuchs (1793–1801) wesentliche Bereicherung und Verbesserung, und in seinem Todesjahre erschienen die ersten Anfänge jener Sprach- und Litteraturgeschichte als „Aelteste Geschichte der Deutschen“, jener allgemeinen Sprachkunde als „Mithridates“ Bd. 1, die asiatischen Sprachen umfassend. Mit Benutzung des hinterlassenen Stoffes und unter Betheiligung Wilhelm v. Humboldt’s und Friedrich Adelung’s ließ Vater die europäischen, afrikanischen und amerikanischen Sprachen folgen. Wie wenig auch für eine wissenschaftliche Zergliederung gethan war, das Werk hat Segen gestiftet, wäre es auch nur durch den Gebrauch, den Humboldt davon machen konnte, und ist noch durch kein ähnliches ersetzt. – Adelung’s sprachliche Arbeiten haben eine theoretische und eine praktische Seite. In jener Hinsicht strebt er die höchsten Forderungen der damaligen Wissenschaft zu erfüllen; in dieser bemüht er sich um das Richtige, um die richtige Sprache, um den richtigen Stil. Er will dabei nicht Gesetzgeber sein, aber er läßt sich das Gesetz von der hochdeutschen, d. h. für ihn von der obersächsischen Mundart dictiren. Er versichert zwar 1781 einmal, er sei weder der Geburt noch der Verbindung nach ein Kursachse, sondern ein freier Weltbürger, und blos die deutlich erkannte Wahrheit leite ihn. Aber in der That war es die Beschränktheit seines moralischen und ästhetischen Standpunkts, welche ihn leitete. Gellert stand ihm höher als Klopstock und Goethe. Gellert war ganz eigentlich sein Classiker. Die Sprache, den Stil, den Geschmack des Gellertschen Zeitalters wollte er schützen gegen die Neuerer, wie Voltaire die Sprache des Siècle de Louis XIV. gegen Rousseau und seinesgleichen. Adelung’s Theorie der Cultur, sowie die Analogie auswärtiger Schriftsprachen schienen ihm Recht zu geben. In Griechenland, im alten wie im neuen Italien, in Frankreich, in der altdeutschen Zeit, überall habe sich die Mundart der cultivirtesten Provinz zur Schriftsprache erhoben. Was aber ist Cultur? Auf den ursprünglichen sinnlichen Menschen wirkt nur die dunkle Empfindung des Bedürfnisses. Dies entsteht durch Volksmenge im beschränkten Raum, durch engeres sociales Leben. Cultur und Bevölkerung wachsen mit einander vom kleinsten denkbaren Anfang an in geometrischer Progression. Die wachsende Bevölkerung verlangt immer intensivere Wirthschaft, nach der Reihe entstehen Jäger- und Hirtenleben, Ackerbau, Handel, Gewerbe: Wohlstand, Bequemlichkeit und Ueberfluß erzeugen erst die Poesie, dann die bildende Kunst, endlich die Wissenschaft. Der Staat wird blühend, aber nun reißt auch Luxus ein und mit ihm kommt Verderben der Sitten, Ueppigkeit, Krankheiten, kurz der Verfall. In Deutschland war die Zeit der schwäbischen Dichter eine solche Blütheperiode, und von der Reformation ab stellen sich die Bedingungen der Cultur in Obersachsen ein, der obersächsische Dialekt wird Schriftsprache, Gellert und seine Genossen bezeichnen einen neuen Höhepunkt, jetzt aber werden Symptome des Verfalls bereits sichtbar. A. wünscht ihn aufzuhalten, auch er ist gegen Rousseau, gegen die Physiognomik, gegen die Nachbildung antiker Metren, gegen die Ueberschätzung des bloßen Genies, ebenso aber gegen allzu große Aufklärung des Volkes und in aller Zahmheit auch ein wenig gegen den Staat Friedrichs des Großen. Er ist für positive Religion, aber nicht für das officielle sächsische Lutherthum. Er ist ein gemäßigter Conservativer in Politik, Religion, Litteratur und Sprache. Adelung’s Wörterbuch hat durchaus die Aufgabe, welche sich alle Wörterbücher aller europäischen Nationen früher stellten: es soll eine Codification sein. Die Sprache der guten Schriftsteller soll sich bequem überschauen lassen; nichts veraltetes, nichts provinzielles soll darin vorkommen, außer [83] höchstens mit beigefügter Warnung. Bei jedem Wort erfahren wir Aussprache, Orthographie, Flexion, Construction und Gebrauch, namentlich die Stilart, der es entspricht. Bestimmte Angabe des Begriffes und der verschiedenen Bedeutungen sorgt für die Verbreitung klarer und deutlicher Begriffe, dieses wichtigste Requisit der Aufklärung. Ein mäßiger verständiger Purismus wacht über der Reinheit des nationalen Idioms. Die Etymologie sucht, anknüpfend an Wachter, Frisch, hauptsächlich aber an Fulda, unter Herbeiziehung der übrigen germanischen Sprachen das wissenschaftliche Interesse am Wort zu befriedigen. Es war ein den Zeitgenossen geläufiges Compliment, A. habe als einzelner Mann geleistet, was sonst nur ganzen Akademien gelungen sei. Oder erinnerte man sich an Samuel Johnson’s ähnliche Verdienste um das Englische, so glaubte man dem Landsmanne in wesentlichen Punkten den Preis ertheilen zu dürfen. Die etymologischen Versuche leiten zu Adelung’s Grammatik über: sie ist ganz durchsetzt von der Ansicht über den Ursprung und die Entwickelung der Sprache, welche er mit leichter Modification aus Herder entnahm und mit seiner Culturtheorie in Einklang brachte. Sprache und Erkenntniß sind gleichen Schritt gegangen, vom Dunklen zum Klaren. In der sinnlichen Epoche der Menschheit ist die Sprache entstanden, aus dem sinnlichen Zustand der Seele muß man die Erklärung für ihre ursprünglichsten Erscheinungen suchen. A. führt alle deutschen Wörter unmittelbar auf den Anfang zurück, auf jene Nachahmung natürlicher Schälle, jene Abbilder der tönenden Natur, welche er neben den Empfindungslauten für die Grundlage aller Sprachen hält. Er glaubt das Fundament der Etymologie als Wissenschaft gelegt zu haben. Die Consonanten, deren Bedeutung er charakterisirt, sind der wesentlichste Theil jedes Wortes, die Vocale, welche von u bis i eine Art natürlicher Tonleiter bilden, drücken nur Höhe und Tiefe aus. Die ältesten Redetheile sind Interjection und Adverbium, die älteste Epoche kennt nur unverbundene einsilbige Wurzelwörter. Aus dunkler Empfindung der Arten der Begriffe, der Kategorien des Dinges, des Handelns etc. entsteht Flexion und Ableitung. In der Lehre von den Redetheilen hatte ihm Meiner (Philos. Sprachlehre, 1781) vorgearbeitet, ebenso in der trefflichen Satzlehre. A. will die deutsche Sprache rein aus sich, unabhängig von der lateinischen Grammatik darstellen, aber es begegnet ihm infolge dessen, daß er z. B. das flexionslose Adjectiv als Adverbium ansieht. Er erhebt die Forderung historischer Sprachbetrachtung, aber ohne zu ahnen, was darin liegt. Die Anerkennung der Grammatik als einer selbständigen, von philosophischem Geiste getragenen Wissenschaft war das große Ziel, das ihm vorschwebte. Ebenso consequent stellt er ferner die Lehre vom Stil als ein wissenschaftliches Ganzes auf. Auch hier geht er überall auf die „ersten Gründe“ zurück, und psychologische Gesichtspunkte werden geschickt verwerthet, die Redefiguren z. B. eingetheilt nach den verschiedenen Seelenkräften auf die sie wirken. Vor allem aber sucht er auch hier für seine geliebten Obersachsen zu wirken und die Neuerer herabzudrücken, deren Vorzug nur in der größeren Lebhaftigkeit des Stils bestehe. Das Sächsische war entschieden seine Achillesferse. Die Begünstigung der Obersachsen brachte ihn auch mit denjenigen in Zwiespalt, welche sonst in einer Linie mit ihm standen oder seine Verdienste laut anerkannten, mit den Berlinern und mit Wieland. Später (1804) griff ihn Voß auf das heftigste an. Kein geringerer aber als Jacob Grimm hat dies eine Ungerechtigkeit genannt und die treue und fruchtbare Arbeit des Mannes in Schutz genommen. Doch war es gerade Jacob Grimm, der wie Lavoisier alle seine Vorgänger so sehr verdunkelte, daß sie nur mehr als schattenhafte Namen fortleben. Pflicht der Geschichte ist es, A. nicht an seinem großen Nachfolger, sondern an seinen eigenen Vorgängern zu messen. Und dann blüht auch für ihn ein bescheidener, aber unverwelklicher [84] Lorber. An consequenter lichtvoller Durchbildung seiner Ansichten aus einem großen anthropologischen Zusammenhange heraus ist ihm noch niemand gleich gekommen; und Gesetze für die Praxis zu finden, haben wir allzu sehr verlernt. Es war nur in der Ordnung, daß Adelung’s Lehre die Schulen von ganz Deutschland eine Zeit lang beherrschte.

Meusel, Gel. T. Jördens I. 13. V. 70. VI. 537. Ebert bei Ersch und Gruber I. 404. Raumer, Unterr. 69. Gesch. 210.