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Artikel „Hörner, Johannes“ von Paul Mitzschke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 475–477, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoerner,_Johannes&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 23:40 Uhr UTC)
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Hörner: Johannes H., evangelischer Theolog, geboren am 22. December 1795 in Berndorf bei Thurnau (Oberfranken), † am 20. Juli 1874 in Ansbach. Er entstammte einer Emigrantenfamilie, die sich im J. 1654 um ihres Glaubens willen aus der Herrschaft Reinsberg und Wangen in Niederösterreich nach protestantischen Gegenden gewandt hatte und im Gebiete der Grafen von Giech ansässig geworden war. Vorgebildet in Thurnau und Erlangen studirte H. von 1818–22 in Erlangen Theologie unter Berthold, Vogel, Kaiser, Glück u. A. und erhielt durch diese den idealen Schwung des gemäßigten Rationalismus, der damals in Erlangen herrschte und erst seit 1825 von der mystischen Richtung abgelöst wurde. Im J. 1822 ward H. Vicar in Wirsberg bei Berneck, 1824 Pfarreiverweser in Michelau bei Lichtenfels und dann Pfarrer 1825 in Burggrub bei Kronach, 1834 in Schnabelwaid, 1840 in Wachstein bei Gunzenhausen, 1846 in Königshofen bei Wassertrüdingen, 1858 an St. Michael in Berolzheim bei Gunzenhausen, wo er zum dritten Male Wittwer wurde. Im November 1869 ließ er sich emeritiren und verlebte den Rest seiner Jahre zu Ansbach. In den beiden ersten selbständigen Stellungen entfaltete H. eine rege litterarische Thätigkeit, die aber so unvermittelt wieder abbrach, daß er in den letzten Jahrzehnten seines Lebens eine förmliche Abneigung gegen die Litteratur bekundete und nicht eine Zeile mehr drucken ließ. Er begann mit dem Parergon einer „Bibliothek der vorzüglichsten und neuesten Reisebeschreibungen über alle Theile der Welt“, die in zwei Bänden (Hildburghausen 1828–1829) herauskam. Demnächst trat H. mit einem praktischen theologischen Unternehmen hervor, betitelt „Neues biblisches Erbauungsbuch für die häusliche und öffentliche Andacht“, das unter Mitarbeit verschiedener Gelehrter den Zweck der gewöhnlichen Andachtsbücher mit der kirchlichen Schrifterklärung im Sinne des Rationalismus vereinigen sollte und vor allem für die Gemeinde berechnet war. Der erste Theil (Magdeburg 1830), enthaltend das Leben Jesu nach Matthäus, war bearbeitet vom Kirchenrath und Decan Dr. Stephani in Gunzenhausen; mit einem zweiten Theile (Magdeburg 1834–35), enthaltend das Marcusevangelium, bearbeitet vom Kirchenrath und Professor Dr. Heydenreich in Herborn fand das Unternehmen ein vorzeitiges Ende. Ebenfalls vorwiegend praktisch, aber für die Träger des geistlichen Amtes bestimmt, war das „Homiletische Repertorium über die sonn- und festtäglichen Evangelien des ganzen Jahres enthaltend ausführliche Predigtentwürfe, Auszüge und Grundrisse aus den neuesten, großentheils noch ungedruckten Predigten deutscher Kanzelredner“, das in 4 je zweitheiligen Bänden (Magdeburg 1830–40) veröffentlicht wurde. In diesem [476] Werke ließ H. alle damals herrschenden Richtungen der evangelischen Kirche zu Worte kommen, um „in die Parteikämpfe der evangelischen Kirche mehr Mäßigung, Verständigung und womöglich endliche Sühnung zu bringen“, und so findet man darin neben v. Ammon, Bretschneider, Marezoll, Röhr und Andern ähnlicher Richtung auch Männer wie Dräseke, K. Fr. Delitzsch, v. Gerlach und selbst Klaus Harms vertreten. Ein rein wissenschaftliches Interesse hatte das dritte Hauptwerk, das H. gründete und ohne eigne Namensnennung unter Mitwirkung vieler Theologen leitete, nämlich die Zeitschrift „Annalen der gesammten theologischen Litteratur [vom zweiten Jahrgang an: der gesammten Theologie u. s. w.] und der christlichen Kirche überhaupt“ (Coburg und Leipzig 1831–32, Baireuth 1833–34).

Den Anlaß zur Gründung dieser Monatsschrift fand H. im J. 1830, als sich in katholischen Ländern Auflehnungen gegen geistlichen Druck geltend machten und bei den Protestanten durch das dritte Jubelfest der Augsburgischen Confession neue und frische Lebensäußerungen der Kirche bemerkbar wurden. Wollte das „Homiletische Repertorium“ unter den verschiednen evangelischen Richtungen der Zeit vermitteln, so steckten sich die „Annalen“ in idealer Begeisterung kein geringeres Ziel, als die tiefe Kluft zwischen Katholicismus und Protestantismus zu überbrücken. Sie sollten „der protestantischen sowohl wie der katholischen Kirche gerecht werden“, „der Geist des reinen biblischen Christenthums, dem der aufgeklärte Katholik wie der von Extremen freie Protestant huldigt“, sollte in ihnen herrschen, um „zwischen krassem Rationalismus und ausgeartetem Mysticismus die Mitte zu halten und die streitenden Parteien möglichst zu versöhnen“. Den irenischen Grundgedanken der „Annalen“, die Vereinigung aller Christen, hat H. auch besonders abgehandelt in einer Synodalpredigt, die zu Nürnberg 1833 (bei Riegel und Wießner) u. d. T. „Es wird eine Heerde und ein Hirte werden“ erschienen ist. Unter den Mitarbeitern der Annalen treffen wir z. B. Karl Hase, E. G. Paulus, K. Fr. A. Fritzsche, K. R. Hagenbach, Theile, J. A. Genßler, v. Gerlach, Spieker und viele andere Protestanten, aber keinen einzigen Katholiken. Der Herausgeber selbst hielt sich zurück, er unterschrieb seine Artikel nicht, und nur bei den kleineren Nachrichten, die mit H… oder –r gezeichnet sind, scheint seine Verfasserschaft angedeutet. In größeren Abhandlungen, in Aufsätzen und kleineren Nachrichten berücksichtigten die „Annalen“ alles, was auf dem Gebiete der Kirche und der theologischen Litteratur vor sich ging. Von Polemik hielten sie sich ziemlich frei, nur mit dem furchtlosen und energischen Bekämpfer aller Erscheinungen des Rationalismus E. W. Hengstenberg und seinem Neolutheranismus geriethen sie zeitweilig in Conflict, und andrerseits tritt in ihnen eine scharfe Abneigung gegen die Jesuiten deutlich entgegen. Die idealen und hohen Erwartungen Hörner’s, der die „Annalen“ schon als „Organ der sich bildenden allgemeinen christlichen Kirche“ betrachtete, gingen begreiflicherweise ebensowenig in Erfüllung wie ein halbes Jahrhundert später bei der Zeitschrift „Ut omnes unum“, die sich das gleiche Ziel steckte. Von katholischer Seite fand H. eigentlich gar keine Unterstützung und auf protestantischer Seite sammelte sich in der Hauptsache doch nur der gemäßigte Rationalismus um ihn. So mußte er sich in wenigen Jahren davon überzeugen, daß seine edelgemeinten Pläne völlig aussichtslos waren. Diese Erkenntniß sowie mancherlei Befehdungen, Angriffe und Verkennungen, denen er sich ausgesetzt sah, waren wol die Gründe, die ihm weiteres litterarisches Arbeiten verleideten und das Schließen der begonnenen Werke bei dem ersten schicklichen Abschnitt erwünscht machten. Stillschweigend und ohne vorherige [477] Ankündigung stellten die „Annalen“ mit dem vierten Jahrgang Ende 1834 ihr Erscheinen ein.

Familienpapiere. – Acten d. Lateinschule zu Thurnau, d. Universität zu Erlangen, des Pfarramtes zu Burggrub und des Consistoriums zu Ansbach.