ADB:Fritzsche, Friedrich August

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Artikel „Fritzsche, Karl Friedrich August“ von Wilhelm Weiffenbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 121–122, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fritzsche,_Friedrich_August&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 06:10 Uhr UTC)
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Fritzsche: Karl Friedrich August F., Sohn des Pastors und späteren Halle’schen Professors Chr. Fr. F. († 1850), wurde geboren am 16. December 1801 zu Steinbach bei Borna im Königreiche Sachsen. Nach gründlicher, vorwiegend humanistischer Vorbildung zuerst beim Vater, dann (1814–20) auf der Thomasschule zu Leipzig bezog er ebendaselbst zu Ostern 1820 die Universität und widmete sich der Theologie in Verbindung mit tüchtigen philologischen Studien. In der Absicht, die akademische Laufbahn zu betreten, habilitirte er sich, nach erlangter Doctorwürde, im Herbste 1823 zunächst in der philosophischen Facultät Leipzigs, in welcher er 1825 zum außerordentlichen Professor und Custos bei der Universitätsbibliothek vorrückte. Doch bereits zu Ostern 1826 führte ein Ruf den erst Fünfundzwanzigjährigen als ordentlichen Professor in die theologische Facultät zu Rostock, wo er, im J. 1827 von Marburg aus mit der theologischen Doctorwürde honoris causa geschmückt, bis 1841 eine reiche litterarische und akademische Thätigkeit entwickelte und allmählich über alle theologischen Disciplinen, mit Ausnahme der Kirchengeschichte, Vorlesungen hielt. Die aufkommende confessionelle Reaction in der Rostocker Theologenfacultät veranlaßte F. jedoch, einem ehrenvollen Rufe nach Gießen im Herbste 1841 Folge zu leisten. Hier, wo er sich sehr gefiel, waren ihm indeß nur fünf Jahre des Wirkens beschieden; auch wurde sein Lebensabend durch manche Prüfungen und Kämpfe, so durch die litterarische Fehde mit Geh. Rath Schleiermacher über einen von der Regierung vorgelegten und von F. vertheidigten Studienplan für die evangelischen Theologen (1844), sowie durch den auch ihm schwere Kränkungen eintragenden Streithandel seines Collegen Credner mit dem Kanzler v. Linde, einigermaßen getrübt und verbittert. Seit dem Tode seiner 1844 an der Schwindsucht verstorbenen Frau und wahrscheinlich in Folge einer Ansteckung durch dieselbe wankte auch seine Gesundheit, und bereits am 6. December 1846 starb er, noch nicht 45 Jahre alt. Fritzsche’s bleibende Bedeutung und unvergängliches Verdienst liegt auf dem Gebiete neutestamentlicher Exegese und insbesondere neutestamentlicher Grammatik; „princeps in constituendo [122] literali Novi Testamenti sensu“, hat ihn nicht mit Unrecht ein gelehrter Zeitgenosse genannt. Gegenüber der in den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts auf neutestamentlichem Gebiete üppig wuchernden rohempirischen Sprachbehandlung und bodenlosen grammatischen Willkür, dieser fruchtbaren Mutter einer bald dogmatisirenden, bald rationalisirenden Schriftauslegung, vertrat F. als begeisterter Schüler des großen Philologen G. Hermann („De emendanda ratione graecae grammaticae“) und im Bunde mit seinem gleichgesinnten Freunde B. Winer, dem berühmten neutestamentlichen Grammatiker, das gute Recht einer ebensowol rationalen als streng historischen Methode der Grammatik und Sprachforschung. Für F. war die griechische Sprache als ein geschichtlich gegebener und zunächst historisch zu eruirender Organismus ein lebendiges Idiom, der unmittelbare Abdruck des griechischen Denkens; die einzelnen Spracherscheinungen und -formen suchte er auf ihre letzten Gründe im Denken der Nation zurückzuführen und in ihrer Entstehung innerhalb des griechischen Geistes zu begreifen. Durch die Uebertragung solcher grammatisch-philologischen Akribie auf das Neue Testament und durch die energische Betonung der sprachlichen Seite als der Grundlage aller Auslegung hat F. mit seinen Freunden einen Umschwung in der neutestamentlichen Exegese herbeigeführt, hat in erster Linie zur siegreichen Durchführung der sog. grammatisch-historischen Auslegungsmethode mitgewirkt und die tieferdringenden bibel-kritischen und biblisch-theologischen Untersuchungen der Neuzeit recht eigentlich erst ermöglicht. Unter seinen zahlreichen Schriften, in denen er seine geschilderten Grundsätze theilweise (wie z. B. in seinem Streithandel mit Tholuck) mit unbarmherziger Schärfe und verletzender Polemik vertritt, nennen wir als die bedeutendsten seine „Dissertationes duae de nonnullis posterioris Pauli ad Corinthios epistolae locis“ (1823) und seine ebenfalls lateinischen Commentare zu Matthäus (1826), Marcus (1830) und dem Römerbrief (3 voll. 1836–43). In dem letzteren bedeutenden Werke, unstreitig der reichsten Frucht seines Geistes, ist zugleich die frühere Einseitigkeit, hinter zahlreichen und längeren lexikalischen, grammatischen und textkritischen Einzelerörterungen oft das genügende Eingehen auf den Gedankenkreis und -gang des h. Autors zurücktreten zu lassen, glücklich überwunden. Weniger hervortretend sind Fritzsche’s Leistungen bezüglich der Probleme der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft und auf dem Felde der Textkritik, in welcher letzteren er, trotz seiner Vorliebe für dieses Fach, z. B. Lachmann’s hervorragende Verdienste nicht in gebührendem Maße zu würdigen verstand. Seine theologische Grundrichtung, der er jedoch mit Wissen keinen Einfluß auf seine Exegese gestattete, war eine maßvoll rationalistische, die er mit männlichem Muthe und sittlichem Ernste gegen rechts und links vertrat. Als akademischer Lehrer war F. wegen seiner Schärfe, Klarheit und seltenen Stoffbeherrschung beliebt und geachtet. In seinem Privatleben wird er von überlebenden Zeitgenossen als ein artiger, aristokratisch feiner und liebenswürdiger Mann, als ein biederer, zuverlässiger Charakter und ein treuer College geschildert.

H. E. Scriba, Biographisch-litterärisches Lexikon der Schriftsteller des Großherzogth. Hessen im 19. Jahrhundert, II. Abth., S. 238–241. A. Knobel, Grabrede bei der Beerdigung Fritzsche’s etc., Gießen 1847. Großh. Hess. Zeitung 1847, Nr. 5. Allgemeine Kirchenzeitung 1847, Nr. 26. Herzog’s Theolog. Real-Encyklopädie, Bd. 19, S. 510–513.