ADB:Hartmut
Ekkehart’s IV. Mittheilungen über Hartmut’s Verwandtschaft mit König Rudolf I. von Hochburgund und mit dem das alte Vindonissa als Erbgut besitzenden Bischof Landaloh von Treviso nur mit Vorsicht aufzunehmen sind, so steht doch fest, daß H. angesehener Abstammung gewesen ist. Zugleich mit Werinbert, dem vom Mönche von St. Gallen genannten Gewährsmanne, war H., unter Raban, Zögling der Klosterschule zu Fulda und dabei, wie aus einer Widmung des Otfrid’schen Evangelienbuches hervorgeht, befreundeter Mitschüler des Weißenburger Mönches. In St. Gallen tritt H., nach einer erstmaligen urkundlichen Erwähnung 838, erst unter und neben Grimald (s. d. Art.) bedeutsamer hervor, dann aber alsbald gleich in den ersten urkundlichen Erwähnungen in hervorragender Stellung. Denn von 849 an bis 872 erscheint H., ganz gegen die sonst einen regelmäßigen Wechsel auch dieses vornehmsten Officiums erfordernde Gewohnheit, als ständiger Decan, zwei Mal auch als Propst, wie Ekkehart IV. sagt, „gleichsam als Grimald’s Ersatzabt“, oder nach Ratpert’s Worten als derjenige, welchem St. Gallen vom Könige „nach Grimald an zweiter Stelle zur Leitung überwiesen“ war. Vielleicht begann diese Stellvertretung schon bald nach Grimald’s Wahl, da derselbe, um den Mönchen dafür Entschädigung zu geben, daß durch seine, eines Weltgeistlichen, Einsetzung die Wahlfreiheit derselben in empfindlicher Weise verletzt worden war, sich zur Erhaltung guter Beziehungen zu seinen Untergebenen beeilt zu haben scheint, von dem ihm persönlich nahe stehenden König Ludwig die Erlaubniß zu erlangen, daß das Kloster schon gleich jetzt bei seinen Lebzeiten durch Bestellung eines künftigen Nachfolgers sein Wahlrecht übe. Nach verschiedenen Richtungen war nun H. schon in Grimald’s Regierungszeit thätig. Der Gozbert’sche Klosterbau (s. d. Art.) wurde eifrig fortgesetzt, die Pfalz des Abtes – nach dem Klosterplane außerhalb der [705] Clausur – begonnen und mit besonderer Pracht durchgeführt, so daß nach einer poetischen Wandinschrift Marmor und Malereien zum Schmucke hinzukamen, Meister vom königlichen Hofe und von Reichenau sich an der Arbeit betheiligten; 867 wurde den Gebeinen des ersten Abtes, des heiligen Othmar, endlich auch eine Kirche errichtet und eine letzte Translation derselben gefeiert, und dieses Gotteshaus, wie die Hauptkirche des heiligen Gallus, nach Kräften zu verzieren, in dem letzteren Bau besonders die Apsis sammt dem Hochaltar, sowie die Krypta mit dem Grabe des Heiligen, gab sich H. die größte Mühe. Noch in späterer Zeit hieß auch der Thurm am mittleren Theile des Münsters, dessen feste Bauart sich bei der verderblichen Feuersbrunst von 937 bewährte, „Thurm des H.“. Auf die Verwaltung und die disciplinären Angelegenheiten erstreckte sich des Decans Sorgfalt ebenfalls: den in Otto’s I. letzter Zeit St. Gallen besuchenden Prüfungscommissären schienen „Hartmut’s Statuten“ über die Lebensmittel vortrefflich zu sein. Die Schule gedieh so sehr, daß nach Ekkehart’s IV. allerdings theilweise irrigem Berichte H. von jenem Könige Rudolf um Fürbitte bei Grimald wegen Ueberlassung des erwähnten Lehrers Iso gebeten worden sein soll. Für die Vermehrung der Bibliothek – 867 erscheint zuerst urkundlich ein Bibliothekar – war H. so bemüht, wie sein Abt: der Codex Nr. 267 nennt 54 Titel von Werken, welche Grimald mit seiner Hülfe zu Stande gebracht habe, daneben aber 22 weitere von Büchern, welche in seiner eigenen Verwaltungszeit von 872 an auf seinen Befehl geschrieben wurden. Außerdem jedoch war H. auch selbst als „Schreiber“ thätig, und diese 24 Werke, worunter eine „Mappa mundi subtili opera patrata“, schenkte er auf seinen Tod hin dem Kloster. Vorzüglich beachtenswerth ist aber auch, daß unter den Arbeiten der erstgenannten Kategorie auch die Codices Nr. 81 bis 83 sich befinden, welche eine neue ungleich höhere Richtung der Miniaturenkunst in St. Gallen darlegen und eine gänzlich unmittelbar eingetretene Emancipation von der bisherigen zurückgebliebenen Kunstübung, vorzüglich in den Initialen, verrathen. Aber auch noch ein zweiter überraschender Fortschritt der Kunstbethätigung zu St. Gallen verbindet sich mit Hartmut’s Namen, und zwar, so viel zu sehen, auch noch in der Zeit seines ständigen Decanates. Denn das erste eigentliche Prachtwerk der St. Galler Miniatorenschule, Folchard’s (urkundlich 855 bis 895, zuletzt als Decan) Psalter, Codex Nr. 23, in der prunkvollen kalligraphischen Ausstattung dem gleichzeitigen, hinwieder durch seine figürlichen Darstellungen hervorragenden Psalterium Aureum (Codex Nr. 22) überlegen, wurde nach einem Eintrage des Schreibers nach den „praeceptoris Hartmoti jussa“ angefertigt. Jedenfalls hat also H., wenn auch vielleicht nicht in persönlicher Betheiligung, so doch in eifrigster Förderung des künstlerischen Fleißes seinen Namen mit der höchsten Entwicklungsstufe der Miniaturleistungen in St. Gallen verbunden. Nach Grimald’s in St. Gallen erfolgtem Tode, 872, folgte nun H. nach den früheren Festsetzungen alsbald als Abt, nachdem er schon in den letzten Zeiten seines Vorgängers auch die Besorgung der nach außen gerichteten politischen Verpflichtungen ganz übernommen hatte. Die elf Jahre der eigenen Abteiführung gehören zu den glänzendsten Abschnitten der Geschichte des Klosters: noch im 11. Jahrhundert sprach Ekkehart IV. davon als einer Epoche blühenden Gedeihens. Mit den Königen, Ludwig, welcher 873 St. Gallen den königlichen Klöstern, besonders Reichenau, nun völlig gleichstellte, noch mehr mit Karl, welcher dem Kloster ungemein gewogen sich zeigte und dasselbe sehr reichlich bedachte, blieb H. in den besten Verhältnissen; eifrig sorgte er für das geistige und leibliche Wohl der ihm anvertrauten Brüderschaft; unter den zahlreichen Urkunden aus der verhältnißmäßig kurzen Zeit des Abtes befindet sich außer den erwähnten königlichen Schenkungen u. a. ein Tauschvertrag mit Bischof Salomon [706] II. von Constanz zur Schlichtung älteren Zwistes. Aber H. wünschte sich den Mühseligkeiten seines Amtes zu entziehen und seine Würde auf eine jüngere Kraft zu übertragen, welchem Begehren sich der König und die Mönche lange widersetzten. Erst als der nunmehrige Kaiser Karl Anfang December 883 auf der Rückkehr von seinem vierten Zuge aus Italien St. Gallen besuchte – diese drei festlichen Tage gaben nicht nur zu Empfangsgedichten, sondern auch zum Büchlein des ungenannten Mönches über Karl den Großen, ja vielleicht auch zur Abfassung von Ratpert’s Klosterchronik den Anlaß –, erlangte H. die Erfüllung seines Begehrens. Unter völlig freier Ausübung ihres Wahlrechtes bestellten die Brüder sogleich einen jungen Mönch vornehmer Abkunft, Bernhard, als Abt; H. dagegen, nachdem er anfangs für sich, wie für spätere zurücktretende Aebte eine gewisse Ausstattung, darunter den wichtigen Hof Herisau, sich vorbehalten hatte, scheint nachher sogar die strenge Lebensart eines Inclusen für sich erwählt zu haben. Er erlebte noch die Stürme, welche nach Karl’s III. Absetzung und einer anfänglichen Erklärung St. Gallens für den neuen Herrscher Arnolf mit Abt Bernhard’s Gehorsamsverweigerung und Entfernung aus seiner Würde 890 über St. Gallen hereinbrachen, und er sah die Anfänge der neuen glänzenden Regierung des von Arnolf dem Kloster unter Verletzung der Wahlfreiheit aufgenöthigten, gleich darauf auch auf den bischöflichen Stuhl von Constanz gehobenen Abtes Salomon III. (s. d. Art.), welcher als Jüngling nach den allerdings vielfach sehr unglaubwürdigen anekdotenhaften Schilderungen Ekkehart’s IV. unter H. die ehrwürdigen Väter von St. Gallen durch seine unberechenbaren ehrgeizigen Launen beunruhigt haben soll. 895 wird H. zum letzten Male, an sehr ausgezeichneter Stelle gleich nach Salomon, urkundlich genannt.
Hartmut, Abt von St. Gallen, † 23. Jan. nach 895. Wenn auch wol- Vgl. neben den Urkunden in Wartmann’s Urkundenbuch der Abtei St. Gallen die eingehendere Schilderung in Ratpert’s (Einzelnes auch in Ekkehart’s IV.) Casus s. Galli (neue Ausgabe v. Verf. d. Art. in d. St. Gallischen Geschichtsquellen, Abth. II. und III., wo in den betreffenden Anmerkungen die Materialien zur Geschichte des Abtes). Über die Bedeutung der Abtregierung für die Geschichte der Malerei vgl. neuestens Rahn’s kunstgeschichtlichen Text zur Prachtausgabe des Psalterium Aureum (St. Gallen 1878).