ADB:Erdmannsdorff, Friedrich Wilhelm Freiherr von
[190] Wittenberg aus das benachbarte Dessau, wo der damals siebenzehnjährige Fürst Leopold Friedrich Franz ein frisches geistiges Leben um sich zu verbreiten anfing. Von Liebe und Verehrung zu dem jungen Fürsten hingerissen, ließ er sich hier fesseln und aus dem beabsichtigten kurzen Besuche wurde ein Aufenthalt von mehreren Jahren, ein Bleiben für die Lebenszeit. Sichtbar offenbarte sich hierin schon die Richtung seines ganzen Wesens, „gebieterisch von den Umständen sich leiten zu lassen und an diesem Gängelbande so froh und ungezwungen einherzugehen, als ob sein freier Wille ihn führte“. Müde der damaligen Kriegsunruhen, unter denen auch sein Rittergut Kessern bei Grimma sehr litt, unternahm er im J. 1761 eine Reise nach Italien, ging über München und Venedig nach Florenz, studirte daselbst italienische Kunst und Litteratur, begann selbst zu malen und kehrte erst nach einem Jahre wieder nach Dessau zurück. Nach dem Frieden (1763) ging der Fürst ernst an die Aufgabe, die er sich gestellt, in seinem Lande höhere Cultur und höheren Wohlstand zu begründen, und begab sich, dieser Aufgabe einst gewachsen zu sein, auf Reisen. E. begleitete ihn damals durch die Niederlande nach England und der Fürst rühmte damals als Frucht dieser Reise die geläuterten Begriffe von gesellschaftlichen Dingen, das erhöhte Gefühl für Menschenwürde, gründliche Kenntniß von Kunst und Handwerk, Manufactur- und Fabrikwesen, besonders auch von Acker-, Garten-, Deich- und Straßenbau. Auch der englischen Armenpflege wandte er seine Aufmerksamkeit zu und besonders wichtig war ihm die damals noch wenig gekannte und mit großem Mißtrauen angesehene Pockenimpfung. Für E. wurde die Reise durch das ernste Dringen seines Fürsten auf das wesentlich Nützliche höchst wichtig. Das praktische und doch zugleich so großartige Wesen Englands riß ihn aus einer gewissen Indolenz. Er trieb fleißig Englisch und wurde beim Studium der damals erschienenen englischen Hauptwerke über die Ruinen von Palmyra, Baalbek und Athen über die eigentliche Aufgabe seines Lebens klar, die Pflege der schönen Baukunst. Nach der Rückkehr nach Deutschland warf er sich auf den Vitruv, begann eine Uebersetzung desselben – eine Arbeit, die später liegen blieb – und that sich das Gelübde, zu den Trümmern antiker Baukunst zu reisen und unmittelbar aus den Quellen selbst zu schöpfen. Er folgte deshalb 1765 gern der Aufforderung des Fürsten, ihn zum zweiten Male zu begleiten und zwar nach Italien und Frankreich und, dem Lieblingslande des Fürsten, wieder nach England. Diesmal schloß sich dem Fürsten wenigstens für den ersten Theil der Reise noch dessen jüngerer Bruder, Prinz Johann Georg, mit seinem Cavalier v. Berenhorst an, wie denn auch der Fürst noch die Kammermusiker Rust und Kotrowsky und den Bildhauer Ehrlich mit nach Italien nahm. In Rom verkehrte der Fürst, wie bekannt, viel mit Winckelmann. E., der sich besonders das Studium der antiken Baukunst zur Aufgabe gesetzt, schloß sich hingegen vorzugsweise an den damals berühmten französischen Architekten Clérisseau an, der durch seine Zeichnungen von antiken römischen Gebäuden einen Namen hatte, an der Herausgabe von Adam’s Ruinen des Palastes Kaiser Diocletians zu Spalatro in Dalmatien betheiligt war und später die prächtige Ausgabe der Monuments de Nismes besorgte. Von ihm wurde E. auch in das Praktische der Architektur eingeführt. Ueber die römische Architektur hinaus ging freilich Clérisseau’s eigenes Verständniß nicht, hatte er selbst doch von griechischer Architektur überhaupt nur die Tempelreste von Pästum gesehen. Nach einem Ausfluge nach Neapel kamen die Reisenden noch einmal nach Rom, wandten sich dann über Genua nach Antibes, untersuchten die altrömischen Bauwerke im südlichen Frankreich, gingen darauf nach Paris und London, in welchen beiden Städten sie wiederholt mit Lawrence Sterne zusammentrafen, den sie schon früher in Rom kennen gelernt hatten und der gelegentlich den Fürsten mehr als einmal versicherte, seinen Tristram Shandy selbst nicht zu verstehen, [191] reisten dann noch nach Edinburgh und Glasgow und trafen endlich nach 18 Monaten wieder in Dessau ein. Erdmannsdorff’s erste architektonische Arbeit war hier die Verzierung des großen Saales und des runden Cabinets im fürstlichen Schlosse zu Dessau, in das nun bald (1767) der Fürst seine junge Gemahlin einführte. Darauf übertrug ihm der Fürst zur Verwirklichung seines Lieblingsgedankens, in Wörlitz eine große Gartenanlage in englischem Stil mit Schloß etc. zu gründen, den Bau eines Schlosses daselbst. Am 5. April 1769 wurde schon der Grundstein desselben gelegt und am 22. März 1773 wurde es feierlich eingeweiht. Es ist Erdmannesdorff’s Meisterwerk und trotz mancher Einzelheiten, die eine strenge Kritik daran zu tadeln gefunden hat, überhaupt ein schönes Werk der Kunst: ein zauberischer Reiz breitet sich über das Ganze und Anmuth, Würde und Zweckmäßigkeit fesseln überall den Beschauer. Noch während des Schloßbaues zu Wörlitz begab sich E. in Begleitung des Fürsten und der Fürstin schon wieder auf Reisen. Das nächste Ziel war die Schweiz: als sich aber E. der italienischen Grenze näherte, wurde ihm die Anziehungskraft Roms so groß, daß er sich Urlaub erbat und zum zweiten Male nach Rom ging, diesmal nun vor allem, um seiner Aufgabe in Wörlitz vollkommen zu genügen. Er verfertigte damals in Rom nicht nur einen großen Theil der nothwendigen Zeichnungen zu den Verzierungen der Zimmer, sondern besorgte auch Gemälde, Statuen, Büsten und Gypsabgüsse zu einem Schmuck derselben. Ganz auf sich angewiesen, pflegte er denn auch jetzt mehr als bei seinem ersten römischen Aufenthalte den Umgang mit Gelehrten und Künstlern, dem Cardinal Albani, dem Prinzen Gallizin, dem Alterthumsforscher Visconti, den Malern R. Mengs, Ph. Hackert, Battoni, Maron, der Malerin Angelica Kaufmann, dem Bildhauer Cavaceppi, mit Fea, Piranesi, Cesarotti etc. Winckelmann war freilich jetzt nicht mehr. Im Anfang des J. 1772 kehrte er nach Dessau zurück und widmete sich nun der Vollendung des Wörlitzer Schlosses. 1775 (Juni bis September) begleitete er den Fürsten und die Fürstin nach Bath, entwarf nach der Rückkehr das in der Nähe des Wörlitzer Schlosses stehende Denkmal des Fürsten Dietrich (Oheims und Vormundes des Fürsten), ging dann an den Plan zum Landhause der Fürstin im Luisium bei Dessau und richtete im Winter 1777 in der kurzen Zeit von drei Wochen im Schlosse zu Dessau ein kleines Theater ein, das antiken Mustern nachgebildet ebenso überraschend und anziehend als zweckmäßig gewesen sein soll. – Im J. 1782 verheirathete sich E. mit einer Hofdame der Fürstin, dem feingebildeten Fräulein Wilhelmine v. Ahlimb, die ihm später zwei Töchter und einen (todtgeborenen) Sohn gab und mit der er eine durch gemeinsame Liebe zur Kunst, Musik und Poesie gehobene glückliche Ehe bis zum J. 1795 führte. Da starb ihm seine innig geliebte treue Willy – ein herber Verlust, den er jedoch mit der innersten Kraft eines religiösen Gemüthes trug. – Als im J. 1786 nach dem Tode Friedrichs II. der Neffe und Nachfolger desselben Friedrich Wilhelm II. die Wohnzimmer seines großen Oheims zu Sanssouci für sich einrichten lassen wollte, wurde E. mit dieser Arbeit beauftragt. Noch während der Ausführung erhielt er den ferneren Auftrag, auch die sieben Säle und Zimmer des Berliner Schlosses, welche der König für sich bestimmt hatte, einzurichten und zu decoriren. Geistreich und liebenswürdig sind die Briefe, in denen E. damals von Potsdam und Berlin aus an seine Gattin über die Auffassung dieser Aufträge schrieb, wie denn überhaupt die Briefe, die A. Rode in seiner Biographie von ihm mittheilt, den schönsten und rührendsten Beweis seines edeln, feinsinnigen, tief religiös angelegten Geistes sind[1]. Die damals für den König verwandte Summe betrug ca. 84000 Thlr. Mitte 1788 kehrte E. wieder nach Dessau zurück, nachdem er schon am 1. Dec. 1786 von der Berliner Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften als Ehrenmitglied aufgenommen und zuletzt noch vom Könige reich beschenkt worden [192] war. Im nächsten Jahre erhielt er den Antrag, den Erbprinzen von Braunschweig nach Italien zu begleiten. Er ging um so bereitwilliger darauf ein, als ihm „in dem dürren, flachen, kalten Berlin“ das Herz „halb eingeschrumpft“ war, reiste 9. Aug. 1789 nach Braunschweig und traf am 7. Novbr. mit dem Prinzen und dessen Begleiter, einem Obersten v. Bode, in Rom ein. Die Reise war über Dresden, München, Verona, Mantua, Ravenna und Ancona gegangen. Nachdem in Rom alles Sehenswerthe gesehen und dem Papste (Pius VI.) die herkömmliche Aufwartung gemacht worden war, ging die kleine Gesellschaft auf kurze Zeit nach Neapel, wo sie mit den Tanten des Prinzen (Herzogin Amalie von Sachsen-Weimar und Markgräfin von Baireuth) zusammentraf, dem König vorgestellt wurde, denselben auf seinen beliebten Jagd- und Fischpartieen begleitete, auch Hackert aufsuchte, und begab sich dann zur Charwoche wieder nach Rom zurück. Auf der Rückreise des Prinzen trennte sich E. in Fuligno von demselben und wandte sich nach einem kurzen Aufenthalte in Livorno und Carrara nach Rom, vor allem um noch für den König von Preußen, der ihm zu diesem Zwecke 20000 Thaler zur Verfügung gestellt hatte, verschiedene Ankäufe von Antiken u. a. Kunstsachen zu machen. Die Zeit war vortheilhaft dafür, „da man“, wie E. schreibt, „jetzt auf Rußland nichts mehr rechnete und der Papst auch bei seinen Finanzzuständen nur sehr wenig kaufte“. Mit den Acquisitionen war er selbst sehr zufrieden. „Ich hoffe“, schreibt er an seine Frau, „der König soll seine Erwartung übertroffen finden. Ich habe wirklich interessante Sachen zusammengefunden, fast alles antike, echte und unbezweifelt, alles Stücke, die hier sehr wohl im päpstlichen Museum einen Platz haben könnten, und verschiedene, die sich darin auszeichnen würden. Die mehrsten sind um Preise, für die man keine Copie davon haben könnte und alles, oder die meisten noch merkwürdige Sujets. Ich habe freilich in verschiedenem Betracht einen sehr vortheilhaften Zeitpunkt getroffen. Es sind Statuen, Büsten, Vasen und einige andere Stücke, worunter besonders ein überaus schöner Sitz oder Thron eines Imperators oder wenigstens eines Mannes vom ersten Range ist, der in seiner Art ein einziges Stück ist, von dem ich immer noch besorgt habe, daß man ihn nicht aus Rom herauslassen würde, und den ich schon seit dem November in den Augen hatte. Gestern sahen ihn mit vieler Bewunderung Angelica und ihr Mann und sie nahm sich noch eine Zeichnung davon. Heut wird er aber auch eingepackt. Wenn man in Berlin nicht finden wird, daß ich mit des Königs Geldern gut gewirthschaftet habe, so ist’s gewiß meine Schuld nicht. Doch beinahe verspreche ich mir auch dieses, wenigstens von den vernünftigen Leuten, wenn sie auch schon nicht Kenner sind und nur etwa wissen, wie vordem der König bedient worden ist.“ In einem spätern Briefe hebt er besonders drei Statuen hervor, „unter welchen ein Apollo ist, an welchem alles, was antik daran, vom sublimsten Stil von Bildhauerei ist“. Mitte October 1790 verließ E. Rom und kam Anfangs November wieder in Dessau an. Im J. 1790 machte er mit dem Erbprinzen von Anhalt-Dessau auf zwei Monate einen Ausflug an die Höfe von Weimar, Gotha, Kassel und Karlsruhe, ging darauf noch auf einige Wochen in fürstlichem Auftrage nach Dresden und setzte dann den Wanderstab für immer zur Seite. Die letzten zehn Jahre seines Lebens gehörten seiner Heimath und seinem Hause. Auf seinen Rath übernahm der Fürst das vom Freiherrn v. Brabeck gegründete Institut für Kupferstich und wandelte es 1796 in die sogenannte „chalkographische Gesellschaft“ um, welche sich mehrere Jahre unter Erdmannsdorff’s und des Grafen Waldersee Leitung eines glänzenden Namens erfreute. E. suchte für die Fortdauer dieses Institutes durch Gründung einer „Landeszeichenschule“ zu sorgen, für die er auch einen detaillirten Plan entwarf, der sehr gelobt, aber nie ganz verwirklicht wurde. Schon [193] Anfangs 1790 hatte er für Magdeburg ein neues Theater gebaut: jetzt (1795) wurde ihm nun auch von seinem Fürsten der Auftrag, ein neues Theater in Dessau zu bauen. Er erlebte die Vollendung des Baues nicht: es war aber ein Bau, der ihm zu hoher Ehre gereichte und dessen Grundverhältnisse auch bei dem späteren Neubau des Theaters festgehalten wurden. Einen neuen Auftrag jedoch vom Erbprinzen von Mecklenburg-Schwerin, den Landsitz desselben zu verschönern, mußte er aus Gesundheitsrücksichten zurückweisen. Seine Kräfte waren in den letzten Jahren sichtlich geschwunden und schon am 9. März 1795[2] folgte er seiner Gattin in die Ewigkeit. – Nur weniges ist von ihm in Druck erschienen: „Züge zu der v. Huber’schen Schilderung Winckelmann’s, in dessen Vie de Winckelmann vor der Histoire de l'art de l'antiquité par M. Winckelmann, traduite par M. Huber p. CXXXVIII; „Ueber den wahren Vortheil, den das Studium der Meisterwerke der Baukunst der Alten verschaffen kann“ (als „Vorerinnerung“ zu seinen „Architektonischen Studien zu Rom gezeichnet, herausgegeben 1797 durch die chalkographische Gesellschaft zu Dessau“), und „Einige Gedanken über die Malerei der Alten“ in der Vorrede zur „Auswahl antiker Gemälde aus dem von Graf Caylus in nur wenigen Exemplaren herausgegebenen Werke“, Dessau 1798. So gering aber dies alles, so bekundet es doch die scharfe Beobachtungsgabe, den feinen Verstand und den geläuterten Geschmack des Verfassers auf das vollkommenste. Selbst in seiner Schreibweise hatte er etwas Künstlerisches: in allem, was er schrieb, war ein gewisser Adel, verbunden mit Sinnigkeit und Einfalt.
Erdmannsdorff: Friedrich Wilhelm Freiherr v. E., fürstlich anhalt-dessauischer Hofbaumeister, Sohn des königl. polnischen und kurfürstlich sächsischen Hausmarschalls v. E., wurde 18. Mai 1736 zu Dresden geboren. Seinen ersten Unterricht in den alten Sprachen erhielt er in Dresden durch Professor Wüstemann, wurde daneben von guten Lehrern der Akademie schon früh in das Verständniß der Kunst eingeführt, ging sodann auf einige Jahre nach Leipzig, wo er im Hause des Professors Mauvillon lebte und besonders französische Sprache und ritterliche Uebungen pflegte, studirte darauf (1754–57) in Wittenberg mathematische Wissenschaften, Naturlehre, Geschichte und Philologie und besuchte nach Beendigung dieser seiner Studien, zugleich durch den um diese Zeit eingetretenen Tod seines Vaters in seinen Entschlüssen freier geworden, von- A. Rode, Leben des Herrn Friedrich Wilhelm v. Erdmannsdorff, Dessau 1861[3]. Ueber die Schreibung „Erdmannsdorff“ dürfte ein dem Verfasser dieses Artikels vorliegender Brief entscheiden, in welchem sich E. selbst mit doppeltem f am Ende schreibt.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 191. Z. 4 v. u. l.: „bieten“ statt „sind“. [Bd. 33, S. 796]
- ↑ S. 193. Z. 8 v. o. l.: „1800“ statt „1795“. [Bd. 33, S. 796]
- ↑ S. 193. Z. 24 v. o. l.: „1801“ statt „1861“. [Bd. 33, S. 796]