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Artikel „Erdmann, Otto Linné“ von Alphons Oppenheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 188–189, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Erdmann,_Otto_Linn%C3%A9&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 04:19 Uhr UTC)
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Erdmann: Otto Linné E., Chemiker, geb. am 11. April 1804 zu Dresden, † am 9. Oct. 1869 zu Leipzig. Sohn des Arztes und Amtsphysicus Karl Gottfried E., welcher in Sachsen die Impfung einführte, verdankt er seinem Vater die Liebe zu den Naturwissenschaften und zunächst zur Botanik. Schon im 13. Jahre aus dem Gymnasium entfernt und in die Lehre zu einem Apotheker gethan, zog er sich durch chemische Studien das Mißfallen des letzteren und durch anhaltendes Stehen ein Fußleiden zu und ging nach zwei Jahren ins Gymnasium zurück. 1820 begann er auf der medicinisch-chirurgischen Akademie in Dresden medicinische Studien, die er seit 1822 in Leipzig fortsetzte. Durch Gilbert ward er der Chemie gewonnen. Nach dem Tode desselben 1824 habilitirte er sich und fand große Theilnahme bei den Studirenden. Aeußere Verhältnisse nöthigten ihn 1826 ein Jahr lang seine Laufbahn zu unterbrechen und die Leitung einer Nickelhütte in Hasserode am Harz zu übernehmen. Im folgenden Jahre nach Leipzig zurückgekehrt, ward er zum außerordentlichen Professor ernannt und 1828 ward ihm die Professur der technischen Chemie übertragen, die er fast 40 Jahre lang, seit 1830 als Ordinarius, inne hatte, und gegen Lehrstühle an anderen Universitäten nicht vertauschen wollte. Im J. 1836 machte er eine längere wissenschaftliche Reise und verweilte besonders in Gießen und Paris. Nach seiner Rückkehr ward ihm der Plan zu einem Laboratoriumsbau (dem Fridericianum) übertragen, welches 1842 vollendet ward und verdiente Anerkennung fand. Obgleich durch neue Anstalten weit übertroffen, erfüllt dasselbe noch heute seinen Zweck und ward die Stätte seines fruchtbaren Wirkens. Die ersten seiner zahlreichen Arbeiten beziehen sich auf die Darstellung des Nickels und die Analysen von Erzen, Mineralien und Hüttenproducten. Das Nickel und Kobalt bildet auffallender Weise auch den Gegenstand seiner letzten Untersuchung (1866). Seine wichtigsten Arbeiten jedoch liegen auf andern Feldern. Schon früh bethätigte eine Untersuchung der Frage, ob der Magnetismus chemische Zersetzung bewirken könne, und ihre Verneinung, Erdmann’s weiterreichende Interessen. Das Gebiet der organischen Chemie verdankt ihm wichtige Untersuchungen, vor allem solche über den Indigo (1840–41), welchem er chlorirte und bromirte Derivate, das Isatin, die Isatinsäure und das Isatyd gleichzeitig mit Laurent und ferner das Chloranil und die Chloranilsäure abgewann. Auch die Entdeckung der Euxanthinsäure, der Pyromellithsäure und des Hämatoxylins sind ihm zu verdanken. Gemeinsam mit Marchand trat er 1841 in die Untersuchungen der Atomgewichte ein. Durch äußerst gewissenhafte und gründliche Wiederholungen bestätigte er die von Dumas und Stas gefundene, [189] von Berzelius bezweifelte Zahl für den Kohlenstoff; und von da ab bis zu Marchand’s Tode 1850 bestimmte er mit ihm in gemeinsamer Arbeit die Atomgewichte des Calciums, Quecksilbers, Kupfers, Schwefels und Eisens, und gelangte zu Zahlen, die im ganzen noch heute gelten und nur theilweise durch die noch schärferen Untersuchungen aus neuester Zeit von Stas vervollkommnet worden sind. Auch schriftstellerisch war E. sehr thätig: als Herausgeber eines „Lehrbuchs der Chemie“, das vier Auflagen erlebte; als Begründer des „Journals für technische und ökonomische Chemie“ und (seit 1834) des noch heute fortbestehenden „Journals für praktische Chemie“, das er zuerst allein, dann mit Schweigger-Seidel, dann mit Marchand und endlich mit Werther redigirte, der ihm im Tode 3 Monate voranging. Eine kleine Schrift über das Studium der Chemie erschien 1861. Sein Vortrag war klar, elegant und durch Experimente vortrefflich unterstützt, auch dem Laienpublicum interessant, für das er mehrfach populäre Curse hielt. Im Laboratorium theilte er das ihm eigene Streben nach Genauigkeit seinen Schülern mit. Neben dem berühmtesten derselben, Chr. Gerhardt, seien hier von diesen noch W. Knop, Wunder, Rudolf Wagner, Ritthausen, Hugo Müller genannt. Seine Arbeitskraft blieb durch die vielseitige Thätigkeit, die bisher besprochen ward, unerschöpft. Von großer vielseitiger Bildung und voll von Interesse an öffentlichen Angelegenheiten, war er im Directorium der Leipzig-Dresdener Eisenbahn thätig, indem er die sächsische Koke durch Kalkzusatz für Locomotiven benutzbar machte, ferner Vorstand des Ausschusses der Leipziger Lebensversicherung, Kirchenvorstand in St. Nicolai, Alt- und Ehrenmeister der Freimaurerloge Apollo und stellvertretender Landesgroßmeister und überall gewann er die allgemeinste Anerkennung, namentlich durch sein Talent Gegensätze auszugleichen und zu versöhnen. Auch im Kunstverein übte er eine höchst segensreiche Thätigkeit in geschäftlichen und künstlerischen Fragen. Ueber solche schrieb er mehrere Aufsätze in die Europa. Schon 1837 vertrat er die Universität in der Ständeversammlung. 1848 und 1849 gelang es ihm als Rector magnificus Ansehen und Vertrauen zu bewahren. Noch zwei Mal verwaltete er dies Amt. Er hatte den Muth seiner Meinung, verzieh und entschuldigte nie den Beust’schen Verfassungsbruch und enthielt sich der Wahl zum reactivirten Landtage. Doch war er nicht nur Mitglied und Ehrenmitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften, sondern auch Ritter des Zähringer Löwen und des sächsischen Albrechtsordens und Geheimer Hofrath. Er erfreute sich eines sehr glücklichen Familienlebens, das 1863 durch den Tod seiner Gattin, Clara Jungnickel, gestört wurde, während 4 Kinder und zahlreiche Enkel ihn überlebten. Seine kräftige Gesundheit ward 1868 in Karlsbad durch eine Herzbeutelentzündung erschüttert. Einem erneuerten Anfall dieser Krankheit erlag der vortreffliche Mann im 66. Lebensjahre.

S. H. Kolbe’s Nekrolog in den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft 1870, S. 374.